„Das friedlichste Volk Europas“

Zum „Tag der Heimat“ erteilt Arnulf Baring im NRW-Landtag Geschichtsunterricht

in (01.02.2014)


Die CDU-Landtagsfraktion beging den „Tag der Heimat“ am 10. September 2013 mit einer öffentlichen Gedenkfeier. Hauptredner Arnulf Baring wartete mit bislang unbekannten Tatsachen über Deutschland auf.
Für Adolf Hitler hat Arnulf Baring nun wirklich gar nichts übrig. „Der Mann ist unmöglich gewesen“, schimpft der 81-jährige Publizist: „Das Unglück“, das er „über uns gebracht hat, ist viel größer, als man wahrhaben will“. Es sei „völlig falsch“ zu glauben, dass „die Leute, die 1933 den Hitler“ wählten, auch wollten, „was dann passierte“. „Wenn Hitler nach dem Sieg über Frankreich Schluss gemacht hätte“, dann hätten „die Deutschen“, sich an ihre Niederlage im Ersten Weltkrieg erinnernd, vielleicht „in keiner Weise das Gefühl des Unrechts gehabt“. Aber bekanntlich, doziert Baring, sei Hitler ja „zu solchen kalkulierten Teilmaßnahmen nicht aufgelegt“ gewesen. Muss man sich als Deutscher nun aber „ewig schämen wegen eines Mannes, der uns ja wirklich sehr reingeritten hat“? Natürlich nicht. Es sei sehr bedauerlich, dass „die Deutschen sich immer noch erpressen lassen mit dem Hinweis auf die unvergleichlichen Verbrechen Hitlers“, erklärt der Publizist. „Auf die Dauer“ sei das aber „unanständig, weil die Völker, die da über uns herfallen, zum Teil eine ganz andere Bilanz aufzuweisen haben“. Man ahnt es: viel schlimmere Verbrechen vermutlich. Beifall im Publikum.

Die geschädigte „deutsche Seele“

Um Missverständnissen vorzubeugen: Baring hat die Rede, der die zitierten Passagen entstammen, nicht im trüben Hinterzimmer einer Eckkneipe gehalten und auch nicht auf der Kundgebung einer dubiosen Rechtsaußen-Partei. Er ist im Plenarsaal des NRW-Landtags aufgetreten, auf Einladung der CDU-Landtagsfraktion. Anlass war die Gedenkfeier zum „Tag der Heimat“ am 10. September 2013, die der Fraktionsbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Werner Jostmeier, organisiert hatte. Vor und nach Baring sprachen unter anderem der Fraktions­vorsitzende Karl-Josef Laumann, der CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet und Vertreter des Bundes der Vertriebenen (BdV) NRW. Berichten zufolge nahmen rund 450 Personen an der Veranstaltung teil. Die von Ostpreußen-TV angefertigte Video-Aufnahme von Barings Rede, die im Internet einsehbar ist, lässt nirgends Unmutsbekundungen oder gar Pfiffe aus dem Publikum erkennen, mehrfach aber erfreuten Beifall. Wieso auch nicht: Arnulf Baring ist bekannt als honoriger emeritierter Professor an der Freien Universität Berlin, seine Bücher er­schei­nen in renommierten Verlagen, er wurde mit dem Großen Bundes­ver­dienst­kreuz geehrt.

Über den Inhalt von Barings Rede kann eigentlich niemand erstaunt gewesen sein. Bereits am 24. August war er anlässlich des diesjährigen „Tages der Heimat“ aufgetreten, damals auf der zentralen Gedenkfeier des BdV in Berlin. Die Tageszeitung Die Welt hat darüber berichtet. Die Rede muss sehr ähnlich wie die in Düsseldorf gewesen sein. Dass in der Bundesrepublik der Verlust der ehemaligen Ostgebiete nicht als ernster Verlust für die „deutsche Seele“ anerkannt werde, sei Ausdruck einer kollektiven „psychischen Schädigung“, deretwegen die Deutschen sich ihres eigenen Werts nicht mehr bewusst seien, hatte Baring der Welt zufolge in Berlin behauptet. In Düsseldorf orakelte er ebenfalls, das frühere Ostpreußen oder das frühere Schlesien seien „ganz, ganz wichtige Räume in der Seelen­land­schaft unseres Volkes gewesen“. Einen solchen „seelischen Verlust“ müsse man unbedingt „im Gedächtnis des Landes aufbewahren“.

Das „Land der Freiheit“

Einen hohen Stellenwert räumte Baring in der Berliner wie in der Düsseldorfer Rede der deutschen Geschichte in ihrer Gesamtheit ein. Zwölfhundert Jahre seien seit Karl dem Großen vergangen, erklärte er – und in dieser langen Zeit habe es doch tatsächlich „nur drei Katastrophen“ gegeben: zunächst „den Untergang der Staufer“, dann „den Dreißigjährigen Krieg“; „die dritte Katastrophe, vielleicht die größte, wenn Sie wollen, war der Hitler“. Zwar sei das ja nun „keine Sache, die wir vergessen können“, aber „auf zwölfhundert Jahre alles in allem berechnend“ gelange man letztlich doch „zu einer Bilanz, deren wir uns nicht zu schämen brauchen“ – insbesondere, wenn man „die Verbrechen anderer Völker vergleichs­weise heranzieht“. Man sehe sich nur deren Verbrechen in Afrika oder Asien an: „Selbst die Belgier und die Nieder­länder haben sich gewaltig dicke getan in ihrer Kolonialpolitik. Das haben wir nicht.“ Und der Massenmord der kaiser­lichen Truppen an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwest“, der erste kolo­niale Genozid? Mit derlei Ein­wän­den hält Baring sich gar nicht erst auf: „Dieses Land hat keine imperiale Tradi­tion wie andere europäische Völker, nicht nur die großen, sondern auch die kleinen.“

Überhaupt, die Deutschen: „Wenn Sie uns mit den anderen europäischen Völkern vergleichen, kommen wir sehr viel besser weg“, dozierte Baring und führte das vor der CDU-Land­tags­fraktion näher aus. „Wir können ohne weiteres zugeben, dass wir nicht nur das größte, sondern in vieler Hinsicht auch das wichtigste europäische Volk sind“; „wir“ seien schon in der Vergangenheit „nicht nur das wichtigste“, sondern „in vieler Hinsicht auch das friedlichste Volk Europas gewesen“. Wenn gegen­wärtig davon die Rede sei, dass Deutsch­land die EU dominiere, etwa mit seinen Spardiktaten, dann solle man umgehend „die Ohren zuklappen“: „Die Deutschen sind tüchtig, fleißig, überhaupt nicht geeignet, eine Hegemonialposition zu erringen.“ Überhaupt sei Deutschland „über Jahrhunderte hinweg ein Land der Freiheit gewesen“, ein Land, in dem „der Gedanke der Freiheit viel lebendiger war“ als in Frankreich oder England. Wow – das ist wirklich neu. Man wartet gespannt auf Barings nächste Rede, in der er schildern wird, wie die freiheits­liebenden Preußen 1789 die Monarchie stürzten und am 8. Mai 1945, be­feuert von ihrem legendären Libe­ra­lismus, Europa von Hitler befreiten.

„Segensreiche Arbeit“

Bedauerlich, dass die viel­ver­spre­chen­den Aktivitäten kaum beachtet werden, die der Düsseldorfer Landtag in Koope­ration mit den „Vertriebenen“-Ver­bän­den entfaltet. Im November 2012 etwa hatte er einen „parlamentarischen Abend für Vertriebene“ abgehalten, bei dem zum Beispiel die Landsmannschaft Ostpreußen eine Broschüre anbot, die neue Erkenntnisse über „imperialis­tische Absichten“ Polens im Jahr 1939 und über polnische Pläne für eine „sys­tematische Entdeutschung“ des Landes enthielt. SPD-Landtags­präsi­dentin Ca­ri­na Gödecke lobte damals die „segens­reiche Arbeit“ der „Ver­trie­benen“-Verbände (vgl. LOTTA #52, S. 49 ff.). Die Landsmannschaft Ostpreußen war auch bei der Gedenkfeier zum diesjährigen „Tag der Heimat“ im Landtag präsent; Ost­preußen-TV hat die Baring-Rede auf­ge­zeichnet und ver­treibt sie nun via Inter­net. Barings Schlussworte sind sicher­lich geeignet, die Stimmung unter den „Vertriebenen“ zu heben. „Ich möchte Sie bitten“, rief er nach 25 Minuten Deutschtümelei, „zu einem gelassenen, fröhlichen Selbst­gefühl des Landes beizutragen“: „Es lebe Deutschland!“

 

Der Artikel erschien in Ausgabe #54/Winter 2013/2014 der Zeitschrift LOTTA.