Völkerrechte für Konzerne?

Noch eine Freihandelssau läuft durchs globale Dorf – Stefan Schoppengerd zum TISA

Während die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP inzwischen auf immer größeren Protest stoßen, schreiten die Verhandlungen über ein multilaterales Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen offenbar munter voran. Ziel dieser Initiative einer Ländergruppe, die sich anfangs »Die wahren Freunde der Dienstleistungen« genannt hat, ist offenbar, über das GATS (General Agreement on Trade in Services, s. express, Nr. 10 und 11-12/2003) hinaus gehende Bestimmungen für eine Dienstleistungserbringung nach den Regeln des »freien Marktes« zu erwirken.

Von einer größeren Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, wird bereits seit Frühjahr 2013 ein sogenanntes Freihandelsabkommen zugunsten von Dienstleistungsunternehmen verhandelt: Das Trade in Services Agreement, kurz TISA, soll außerhalb der schwerfälligen Welthandelsorganisation WTO Übereinkünfte zur Liberalisierung von Dienstleistungen festzurren. Beteiligt ist auch die Europäische Kommission; zählt man die EU-Mitgliedsstaaten einzeln, sind derzeit weltweit 50 Länder involviert und im Falle eines Abschlusses von den Konsequenzen betroffen.1

Vom 28. April bis zum 2. Mai 2014 hat in Genf bereits die sechste Verhandlungsrunde stattgefunden. Wie auch bei den Verhandlungen über ein »Freihandels«-Abkommen zwischen Europäischer Union und Vereinigten Staaten (TTIP) werden die Einzelheiten der Gespräche geheim gehalten. Es gibt aber deutliche Indizien, wohin die Reise geht. Die US-amerikanische Lobbyorganisation Coalition of Services Industries (CSI) etwa frohlockt, bald könne unter anderem der »unfairen Konkurrenz durch Unternehmen in Staatsbesitz« ein Ende bereitet werden. Auf den Internetseiten der australischen Regierung ist zu erfahren, dass alle Arten von Dienstleistungen Gegenstand der Verhandlungen sind. Dabei gehe es auch darum, neue Regeln für nationale Gesetzgebungen zu formulieren, »um sicherzustellen, dass der regulatorische Rahmen nicht als Hindernis für den Handel mit Dienstleistungen fungiert.« Wer nun Gefahren für Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz und die letzten nicht-warenförmigen öffentlichen Dienste wittert, hat vermutlich den richtigen Riecher.

Einen Beitrag zur Aufklärung über die Bedeutung der TISA-Verhandlungen liefert eine Ende April veröffentlichte Analyse der kanadischen Wissenschaftler Scott Sinclair und Hadrian Mertins-Kirkwood im Auftrag der »Internationale der Öffentlichen Dienste« (IÖD).2 Demnach zielen die Gespräche darauf, sich auf den »größten gemeinsamen Nenner« für die Deregulierung aller Arten von Dienstleistungen zu einigen. Gearbeitet werden soll mit einer »Negativliste«, d.h., es wird nicht abschließend formuliert, welche Sektoren in den Geltungsbereich des Abkommens fallen – nur was explizit ausgeklammert wird, ist nicht tangiert. Alles andere unterliegt der »Inländerbehandlung«: Ausländische Investoren müssen behandelt werden wie einheimische Unternehmen; »das bedeutet, dass jede finanzielle Subventionierung öffentlicher Dienste ausdrücklich ausgeklammert werden muss oder in gleicher Weise privaten gewinnorientierten Dienstleistungserbringern zur Verfügung zu stellen ist«. (S. 11) Die Bedrohung für öffentlich erbrachte »Gesundheitsdienstleistungen« oder kommunale Wasserversorgung – um nur zwei Beispiele zu nennen – liegt auf der Hand.

Besonders problematisch sind zudem eine Stillstands- und eine »Ratchet-Klausel«. Erstere schreibt fest, dass der erreichte Stand an Liberalisierung unumkehrbar ist – was bereits dem »freien Markt« überantwortet ist, darf nicht mehr in eine Staatsaufgabe (rück-)verwandelt werden. Zweitere hat die gleiche Funktion für zukünftige Liberalisierungen: Was die öffentliche Hand einmal abgibt, darf sie nicht mehr zurückholen. Initiativen zur Rekommunalisierung von Wasser- und Energieversorgung, wie es sie in den letzten Jahren an vielen Orten gab, wäre damit die Rechtsgrundlage entzogen, von weitergehenden Vergesellschaftungsforderungen ganz zu schweigen.

Solange die Einzelheiten der Verhandlungen nicht öffentlich sind, gibt es keinen Grund, darauf zu vertrauen, dass es schon alles nicht so schlimm werden wird. Aber selbst wenn einzelne besonders sensible Bereiche von dem Abkommen ausgenommen werden sollten, bleibt es im Kern problematisch. Es ist in jedem Fall ein weiterer Baustein einer internationalen Rechtsordnung, die zur Aushöhlung demokratischer Institutionen und Verfahrensweisen führt. Stephen Gill hat das schon in den Neunzigern anlässlich der WTO-Gründung als den »neuen Konstitutionalismus des disziplinierenden Neoliberalismus« bezeichnet: Handlungs- und Entscheidungsspielräume im Rahmen der nationalstaatlichen parlamentarischen Demokratie werden weiter reduziert, Kapitalinteressen erhalten Völkerrechtsqualität. Es braucht gar kein romantisch verklärtes Bild einer von Globalisierung und Neoliberalismus unberührten Bundestagsidylle in den goldenen Siebzigern, um das nicht gut zu finden. Die »Freihandels«-Abkommen stellen die Weichen in Richtung Privatisierung und Herrschaft des Marktes – dem auf lokaler oder nationaler Ebene entgegenzutreten, wird immer schwieriger, wenn die zuständigen Politiker achselzuckend auf internationale Verpflichtungen verweisen und bei allem Verständnis für die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger leider keine grundsätzliche Alternative sehen.

Auch beim europäisch-amerikanischen Abkommen TTIP geht es um eine solche dauerhafte Fixierung der Konzernmacht. Im Vorfeld der Europawahl sieht sich die deutsche Sozialdemokratie offenbar bemüßigt, auf die erfreulich verbreitete Kritik globalisierungskritischer Organisationen zu reagieren. Sigmar Gabriel zumindest äußert sich neuerdings skeptisch, ob die angestrebten Regelungen zum »Investorenschutz« so sinnvoll sind. Dabei geht es auch um die umstrittenen Schiedsgerichte, die allein dafür da wären, Klagen von Konzernen entgegenzunehmen, die sich als Diskriminierungsopfer wähnen. Beim Spitzenkandidaten für die Europawahl, Martin Schulz, reduziert sich die Kritik dann schon wieder auf die »intransparente« Form der bisherigen Verhandlungen. Die sind aber auch ihrem Inhalt nach antidemokratisch. Den Verfassungsschutz wird’s nicht jucken.

 

Anmerkungen:

1)         Außer den EU-Mitgliedsstaaten sind dies laut australischem Außen- und Handelsministerium: Australien, Chile, Costa Rica, Europäische Union, Hong Kong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Schweiz, Südkorea, Taiwan, Türkei, USA.

2)            www.world-psi.org