Bodenreform 2.0

Plädoyer für eine sozial-ökologische Boden- und Raumordnung

Was ist ein Stück Erde wert? Weil es „guten“ und „schlechten“ Boden auch schon bei den Ackerbauer_innen und Viehzüchtenden gab, wurde Boden zu Beginn des 20. Jh. nach Lage und Beschaffenheit wirtschaftsgeografisch kategorisiert und die Verteilung des wirtschaftlich wertvollen Bodens als nationalstaatliche Ressource geografisch kartiert. Die Bezifferung verschiedener Bodenwerte, in der weltgeschichtlichen Millisekunde namens Industrialisierung, entspringt der Logik des landnehmenden Manchester-Kapitalismus. Zwei wichtige Vertreter dieser „Funktional-Geografie“ waren Max Webers kleiner Bruder, Alfred Weber, und Johann Heinrich von Thünen, die frühe Modelle der Bodenrententheorie schufen. Der Boden weltweit unterliegt heute allerdings ausdifferenzierteren Bewertungsmaßstäben. Coltan und Co. sind wichtige Bodenschätze für die allseits geschätzten Kommunikationstechnologien. So kommt es, dass nicht mehr nur Ackerflächen oder Baugrund in Städten Anleger_innen locken. Nicht lange ist es her, dass sich Kanada und Russland darum stritten, wem der Nordpol gehöre, woraufhin Russland kurzerhand eine Bleikugel mit der russischen Flagge im Nordpolarmeer versenkte. Aus die Maus. Wem allerdings der Meeresboden oder auch der Marsboden gehört ist noch nicht ausgemacht. Die Debatte um die Bodenschätze zwischen Himmel und Erde eröffnen die Möglichkeit einen alten Diskussionsstrang wieder aufzunehmen. Die Debatte um Boden als Allgemeingut, neudeutsch „Commons“, und schließlich das, was es vor nicht allzu langer Zeit noch gab: Bodenreformland, soll hier als Ausgangspunkt für eine Transformationsperspektive besprochen werden. Inzwischen ist es ein viertel Jahrhundert her, dass der Boden der DDR im Zuge der Wiedervereinigung und der Ostdeutschlandwerdung einer flächendeckenden Privatisierung zugeführt wurde. Zeit genug darüber nachgedacht zu haben, was alles falsch und was eigentlich ganz sinnvoll war.

Einmal Bodenreform hin und zurück: Ein Exkurs

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurde im September 1945 nach der Befreiung eine „Demokratische Bodenreform“ durchgeführt. In den einzelnen Provinzen und späteren Bezirken der DDR wurden diejenigen enteignet, die mit dem NS-Regime kollaboriert hatten oder mehr als 100 ha Land ihr Eigen nannten. Dieses Land ging in den neu geschaffenen Bodenfonds über und wurde an Neubauernstellen umverteilt, womit die Landwirtschaft komplett neu strukturiert wurde, weil die alten Strukturen der Großbauern zerschlagen und „Bauernland in Junkerhand“ übergeben worden war. Der Boden blieb jedoch Privateigentum und es muss gefragt werden, wie richtig oder falsch es war, die tatsächliche Vergesellschaftung des Bodens, also die Abschaffung des Eigentums an Grund und Boden, nicht zu vollziehen. Die Bodenfrage muss als wesentlicher Bestandteil der Diskussion um eine sozial-ökologische Transformationsperspektive oder einem „Plan B“ neu verhandelt werden. Denn: Der Boden auf dem alles steht, geht, fällt und sich vielgestaltig materialisiert, ist das Fundament der Gesellschaft, vor allem aber ein Baustein in der Finanzarchitektur der kapitalistischen Gesellschaft. Das ist nicht neu, denn zu ebenjener Zeit als von Thünen und Co. den Wert des Bodens berechneten, stritten Teile der Sozialreformbewegung für eine Bodenreform als Teil der Klassenfrage. Nach 1990, 45 Jahre nach der „Demokratischen Bodenreform“, musste die Regierung Modrow nicht nur die Perspektive für die DDR und den Verbleib des Volkseigentums verhandeln, auch die Bodenpolitik musste marktfähig gemacht werden. So standen ab 1990 3,68 Mio. Hektar land- und forstwirtschaftliche Flächen aus der Nutzung der Volkseigenen Betriebe und Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zur Disposition. Diese Flächen wurden der Bodenverweruntungs und –verwaltungs GmbH (BVVG) als treuhänderischer Privatisierungsgesellschaft und Tochter der Treuhandanstalt übergeben. Man muss kein Fan der großbetrieblichen Produktionsweise der DDR-Landwirtschaft sein, um das Ausmaß der Bodenprivatisierung und der Kommodifizierung des vormals volkseigenen Bodens als Problem zu verstehen. Die Konsequenz dieses beispiellosen Landverkaufs ist folgende:

Auch heute geht es um die Verwertbarkeit von Boden in den Städten und auf dem Land. In dem Maße wie immer mehr Boden weltweit als Kapitalanlage privatisiert wird und als begrenzt verfügbare Ressource einen hohen Marktwert mit Ewigkeitsgarantie besitzt, wird er zwangsläufig für viele Menschen unbezahlbar, weil er nicht vermehrbar ist. Insbesondere die Finanzkrise lockt Kapitalanlegende weltweit. Ostdeutsche Äcker frohlocken als Anlagealternative zum inzwischen überteuerten „Betongold“, wodurch der Marktpreis steigt!

Es braucht eine Bodenreform 2.0, wir müssen uns den Boden unter unseren Füßen wieder zurücknehmen! Um eine Kommune gemeinwohlorientiert zu organisieren, braucht es die politische und damit auch die ökonomische Freiheit Bodenflächen als Parks, Clubs oder Sandstrände auszuweisen anstatt diese meistbietend an Luxusimmobilienhandelnde zu verhökern.

„Zeit und Raum sind Dispositive gesellschaftlicher Macht“[1] und ich meine die gesellschaftliche Transformation fängt beim Raum und damit beim Boden, auf dem sich unsere Gesellschaft räumlich materialisiert, an. Die Umverteilung indes greift auf mehreren Ebenen. Erstens sollte die kommunale Grundstücksvergabe nur noch in Erbpacht erfolgen. Mit dieser Perspektive müsste die Erbpachtvergabe bei den Einwohner_innen der Gebietskörperschaften liegen. Damit wären diese in Stadt und Land Verwalter_innen des gemeinschaftlichen Bodens und ähnlich wie MieterInnenbeiräte könnten sich Bodennutzungsbeiräte organisieren. Auf einer zweiten Ebene hieße das auch: Ran an die Raumplanungspraxis und das Planungsrecht mit Flächennutzungsplan- und Bebauungsplanverfahren! Die Neuordnung der Bauleitplanung und dem übergeordneten Baurecht heißt so viel wie lokal über Bodennutzungsverfahren abzustimmen statt die Beeinflussung intransparenter Bodenneuordnungsverfahren durch Baulobbyisten[2] zu ertragen. Die bundesdeutsche Raumordnungspraxis wird schon seit den 1960er Jahren kritisiert und ist als abstraktes Modell der Versorgungszentren, Hauptzentren und Unterzentren, nach Walter Christaller[3], ein erschreckendes Abbild dieser bundesdeutschen Demokratievorstellungen und ein Beispiel für noch nicht erfolgte Entnazifizierung in Wissenschaft und Praxis. Dass nach diesem Modell in Hierarchiestufen vom Bund zu den Kommunen durchgeplant wird, bedeutet eben auch: Wer keine Lobby hat, geht leer aus. Damit wird die Bodenpolitik zur Bestimmungsgröße von Standortkonkurrenz. Wo gibt es die größten Kartoffeln, die beste Sonnenterrasse, die tiefste Braunkohlegrube und den angesagtesten Kiez. Als Bestimmungsfragen von Standortlogik massieren die Bodenwerte und lassen kaum demokratische Teilhabe zu. In Berlin fordert die Initiative „Stadt neu denken“ seit Jahren eine Neuaufstellung der öffentlichen Liegenschaftspolitik. Das ist richtig, wird aber immer an die Systemgrenzen des kapitalistischen Bodenmarktes stoßen. Es wird also einiges zu tun sein und Ideen sind gefragt. Der Kern der Forderung nach einer Bodenreform 2.0 ist und bleibt ganz klar, dem Boden die Verwertbarkeit zu entziehen und damit für das, was eine „andere“ emanzipative Gesellschaftsordnung als öffentliche Daseinsfürsorge definiert, nutzbar zu machen. Dazu braucht es neue gesellschaftliche Strukturen, klar! Zunächst muss aber die Perspektive und die Notwendigkeit dafür erst einmal kommuniziert werden: Der Boden — ob auf der Sonne, dem Mars oder der Erde - gehört allen und ist keine Ware!



[1] Walter Prigge „Die Materialität des Städtischen“ 1987

[2] Ja, es gibt auch eine Genderdimension!

[3] 1940 trat Christaller in die NSDAP ein und war von 1940 bis 1945 Mitarbeiter im Stabshauptamt Planung und Boden im SS-Planungsamt Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums, das den Eroberungskrieg in Osteuropa z. T. wissenschaftlich begleitete und legitimieren sollte. Er war in diesem Zusammenhang an der räumlichen Planung im besetzten Polen beteiligt und bearbeitete u. a. die Siedlungsplanung in einzelnen Gebieten („Warthegau“ und Białystok), in denen er sein Modell der zentralen Orte durchsetzte. Christaller pries das Modell der zentralen Orte, nach dem Orte hierarchisch nach ihren Versorgungsangeboten klassifiziert werden und jedes Oberzentrum von einem Ring von Mittelzentren umgeben ist, die ihrerseits wiederum von einem Ring von Unterzentren umgeben sind, als Umsetzung des „Führerprinzips“ in der Raumordnung. (Mehr über Christallers Biographie hier.)