Freihandel und die Folgen

Auswirkungen des geplanten Abkommens TTIP auf die Bildung

TTIP ist in aller Munde, auch wenn nur wenige wissen, was sich wirklich hinter dem geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen verbirgt. Ansgar Klinger hat Ziel und Zweck des Abkommens analysiert und prognostiziert mögliche Folgen dieses Projekts für das Bildungswesen in Europa.

Die Europäische Kommission und die USA verhandeln zurzeit über eine transatlantische Freihandels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP), die durch den Abbau von Zöllen und "nicht notwendigen" Regulierungen den transatlantischen Handel liberalisieren und wechselseitige Investitionen erleichtern soll. Dies soll den beteiligten Ländern einerseits aus der Krise verhelfen und andererseits auch deren Ökonomien im Wettbewerb mit den wachsenden asiatischen Ökonomien stärken1. Ziel ist die Beseitigung "tarifärer" und "nicht-tarifärer" Handelsbeschränkungen zwischen der EU und den USA. Gehören zu den tarifären Handelshemmnissen Zölle, die den Ge- und Verbrauch von Waren verteuern, liegen die Ursachen von nicht-tarifären Handelsbeschränkungen in unterschiedlichen technischen Standards, gesetzlichen Vorschriften für Dienstleistungen und Waren oder Regeln zur Produktqualität. Sind beispielsweise die Kriterien des Ziellandes bei Medikamenten, Autos oder Lebensmitteln nicht erfüllt, so kann deren Import untersagt werden.

Tatsächlich jedoch sind die noch bestehenden Einfuhrzölle auf beiden Seiten des Atlantiks ohnehin niedrig und es werden äußerst geringe Wachstumsimpulse durch das Freihandelsabkommen prognostiziert: Langfristig, so eine Studie des ifo Instituts und der Bertelsmann Stiftung, könnten die USA um jährlich 0,96 und die EU um jährlich 0,34 Prozentpunkte zusätzlich wachsen, während eine Studie des Centre for Economic Policy Research ein zusätzliches jährliches Wachstum von gerade einmal 0,03 Prozentpunkten für die EU und die USA prognostiziert2. Unterdessen zeigen kritische Studien auf, dass die bestehenden Wechselkursschwankungen zwischen Euro und Dollar den Ausbau des Handels mehr beeinträchtigen als die niedrigen Zölle. Mit einer von den Zentralbanken beeinflussten Bandbreite der Umtauschkurse ließen sich bessere Effekte als mit dem Freihandelsabkommen erzielen3.

TTIP ist neben dem Handels- auch ein Investitionsabkommen mit einer sogenannten "Investitionsschutzklausel", die ausländische Investoren gegen Diskriminierung und willkürliche Enteignung schützen soll. Erfahrungen aus bereits bestehenden Freihandelsabkommen belegen aber, dass stets mehr Investoren gegen Umweltschutz- und Gesundheitsauflagen sowie Entscheidungen der Wirtschafts- und Sozialpolitik klagen, sofern sie ihre geplanten Gewinne gefährdet sehen. So hat beispielsweise im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA ein US-amerikanisches Unternehmen den kanadischen Staat wegen des von Kanada verhängten Moratoriums für das Fracking von Öl und Schiefergas auf eine Entschädigungszahlung von 250 Millionen Dollar verklagt4.

Bei einer Diskussion mit dem zuständigen EU-Handelskommissar Karel De Gucht Mitte Juli forderten EU-Abgeordnete aller Fraktionen, die Bürger besser über die Verhandlungen mit den USA über TTIP zu informieren. Der Handelskommissar versicherte, es gehe nicht um die Senkung von EU-Standards in verschiedenen Bereichen, sondern darum, den bürokratischen Aufwand zu verringern. Die EU-Kommission werde beim zuständigen EU-Rat weiterhin darauf bestehen, die Richtlinien über die Verhandlungen öffentlich zu machen5.

Auswirkungen auf das Bildungswesen

Der DGB-Bundeskongress hat im Mai 2014 - angestoßen u.a. durch einen Antrag der Arbeitsgruppe Bildungsfinanzierung der GEW - ein Aussetzen der TTIP-Verhandlungen gefordert, nachdem sich die GEW für eine generelle Ablehnung ausgesprochen hatte.

Darüber hinaus fordert das zuständige Bundesvorstandsmitglied des DGB, öffentliche Dienstleistungen überhaupt nicht in die TTIP-Diskussion einzubeziehen. "Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Dienste, aber auch Wasserversorgung, Postdienstleistungen oder der öffentliche Nahverkehr dürfen nicht Gegenstand der Verhandlungen sein."6

Gewerkschaften wie auch Umweltverbände kritisieren TTIP wegen seiner Gefahren der Absenkung von allgemeinen Arbeits- und Umweltstandards. Dass TTIP aber auch in die Felder der öffentlichen Daseinsvorsorge eindringt und damit auch die Ökonomisierung der Bildung fortsetzt, wird in der öffentlichen Diskussion bislang nur wenig beachtet (vgl. GEW-Website).

Unklar bleibt, inwieweit Bildungsdienstleistungen durch TTIP konkret betroffen sind.

Das weltweite Freihandelsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) - von der EU 1994 unterzeichnet - hat bereits den Markt für privat finanzierte (Hoch-) Schulen und Weiterbildungseinrichtungen geöffnet, insofern als es beispielsweise ausländischen Unternehmen erlaubt, privat finanzierte Hochschulen in der EU zu gründen. Allerdings gilt für sie nach dem GATS-Abkommen der sogenannte Subventionsvorbehalt, nach dem ausländische Unternehmen wie auch Privatpersonen nicht die gleiche staatliche Unterstützung wie europäische Inländer einfordern können. Somit können die EU-Mitgliedstaaten ihr öffentliches Bildungswesen vor ausländischen kommerziellen Anbietern halbwegs schützen. Bei der TTIP-Verhandlungsführung hinter verschlossenen Türen bleibt auch außenstehenden Fachleuten unklar, ob es bei dem bisherigen Subventionsvorbehalt bleibt. Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen öffentlicher und privat finanzierter Bildung zunehmend unschärfer werden. So wird vor allem vor US-amerikanischen und britischen Bildungsanbietern und Hochschulen gewarnt, die seit längerem bereits international ausgerichtet sind. Würden sie infolge von TTIP im Gastland eine Niederlassung betreiben oder auch nur ihre Angebote grenzüberschreitend erbringen, wären schnell Konkurrenzeffekte mit den bekannten Folgen der Absenkung tariflicher Standards und atypischer Beschäftigungsformen zu erwarten7. Insbesondere der Bildungsbereich dürfte über die mit dem Internet ermöglichten Märkte überdurchschnittlich betroffen sein.

Erkenntnisse aus einer Großen Anfrage

In einer Antwort auf die Große Anfrage mehrerer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke zu den sozialen, ökologischen, ökonomischen und politischen Effekten des EU-USA-Freihandelsabkommens teilt die Bundesregierung mit, dass bei Dienstleistungen eine wechselseitige Marktöffnung angestrebt werde. "Dabei wird sichergestellt, dass bestehende Standards nicht abgesenkt werden. Marktöffnung bedeutet in diesem Zusammenhang gerade nicht, dass ein Druck auf Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen ausgeübt werden soll."8 Auf die Frage, welche Dienstleistungsbereiche nach Auffassung der Bundesregierung von TTIP ausgenommen werden sollen, führt die Bundesregierung explizit an: "Audiovisuelle Dienstleistungen sind nicht vom Verhandlungsmandat für die EU-Kommission erfasst. Für welche weiteren Bereiche Vereinbarungen getroffen werden, wird die Bundesregierung abhängig vom Angebot der USA in Abstimmung mit den Ressorts und den Ländern festlegen, dies unter Beachtung der besonderen Rolle der Daseinsvorsorge, der kulturellen Dienstleistungen und der jeweiligen Besonderheiten der Dienstleistungen."9 Hier finden also Bildungsdienstleistungen keine explizite Erwähnung!

Aufschluss gibt ferner die fünftletzte Frage und Antwort des insgesamt 63seitigen Papiers:

"Frage Nr. 121: Welche Folgen erwartet die Bundesregierung durch die weitere Liberalisierung von Dienstleistungen im Rahmen des TTIP im Hinblick auf die Finanzierung des öffentlichen Bildungs- und Hochschulsystems sowie auf das Angebot und die Vielfalt privater Bildungsanbieter in Deutschland?" Antwort zu Frage Nr. 121: "Die Bundesregierung erwartet keine Folgen für die Finanzierung des öffentlichen Bildungs- und Hochschulsystems. Das Angebot privater Bildungsanbieter in Deutschland könnte sich erhöhen."10Aus der Annahme einer Erhöhung des Angebots privater Bildungsanbieter bei gleichbleibender Finanzierung des öffentlichen Bildungssystems kann der Autor einen Bestandsschutz des Subventionsvorbehalts, wie er im GATS-Abkommen geregelt wurde, nicht erkennen.

Weitere Freihandelsabkommen

Neben TTIP werden zur Zeit weitere Freihandelsabkommen verhandelt: So soll Anfang August den EU-Mitgliedstaaten ein im Umfang von 1.500 Seiten formuliertes Abkommen zwischen Kanada und der EU zur Kommentierung bis zum September vorgelegt worden sein, auch hier bleibt eine Beteiligung der Öffentlichkeit unklar - u.a. sollen Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen getroffen worden sein (vgl. IG Metall-Website).

Ferner wird über TiSA (Trade in Service Agreement) u.a. von der EU und den USA verhandelt, das GATS ablösen soll: "Öffentliche Dienstleistungen zur Gesundheits-, Wasser- und Energieversorgung, bei der Bildung, im Finanzsektor sowie in allen anderen Bereichen sollen über das bereits in den letzten 20 Jahren erreichte Ausmaß dereguliert und internationaler Konkurrenz ausgesetzt werden. Selbst wenn Privatisierungen scheitern oder sich als zu teuer erwiesen haben, sollen Regierungen oder Verwaltungen künftig das Recht verlieren, Dienstleistungen wieder in die öffentliche Hand zu überführen. Nationale Bestimmungen zum Schutz von Umwelt, Verbrauchern oder Beschäftigten sollen ungültig werden, wenn sie den ›freien Markt‹ mit Dienstleistungen behindern."11 Selbst die jüngst zu beobachtende Rekommunalisierung zuvor privatisierter Ver- und Entsorgungsunternehmen kann somit vereitelt werden!

Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA

Mitte Juli d.J. hat eine Europäische Bürgerinitiative die Registrierung bei der Europäischen Kommission beantragt: Diese Initiative besteht aus 150 Organisationen aus 18 EU-Mitgliedsländern und fordert die EU-Kommission auf, dem Ministerrat zu empfehlen, das TTIP-Verhandlungsmandat aufzuheben und CETA nicht abzuschließen. In Deutschland gehören der Initiative u.a. Attac, Brot für die Welt, BUND und auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft an.

Anmerkungen

1) vgl. Stefan Beck, Christoph Scherrer 2014: Das transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA. Herausgegeben von der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf: 4.

2) vgl. Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 03.12.2013: "Transatlantische Freihandelszone: Große Risiken für wenig Wachstum" (http://www.boeckler.de/41907_44855.htm).

3) vgl. Böckler impuls 6/2014; Jan Priewe 2013: "Transatlantic Trade Partnership versus Transatlantic Currency Cooperation", in: Thomas Palley, Gustav Horn (Hg.): Restoring Shared Prosperity, CC.

4) vgl. Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 03.12.2013, a.a.O.

5) vgl. DGB-Verbindungsbüro Brüssel: "Aktuelles aus Brüssel und Straßburg", 29. KW, 14.07.-20.07.2014: 2.

6) Stefan Körzell 2014: "TTIP-Verhandlungen aussetzen! Wir brauchen eine transparente, soziale und gerechte Handelspolitik", in: Gegenblende - Das gewerkschaftliche Debattenmagazin. Juli/August 2014.

7) vgl. Beck/Scherrer 2014, a.a.O.: 61; 64. Matthias Holland-Letz 2014: "Gefahr für die Bildung", in: Erziehung und Wissenschaft 5/2014: 22f.

8) BT-Drucksache 18/432: Soziale, ökologische, ökonomische und politische Effekte des EU-USA-Freihandelsabkommens. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage mehrerer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Berlin, 30.01.2014 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/004/1800432.pdf): 25.

9) Ebenda.

10) Ebenda: 62.

11) Andreas Zumach 2014: "Geheimverhandlungen in Genf", in: taz.die tageszeitung vom 28.04.2014, (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=wu&dig=2014%2F04%2F28%2Fa0076&cHash=697f585e127ba59e403a0710ea8db186).

Ansgar Klinger ist Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der GEW.