Kann Unidos Podemos das politische Patt auflösen?

Die bevorstehenden Parlamentswahlen in Spanien

Auch in Spanien wird die Fußball-Europameisterschaft und das Abschneiden der eigenen Mannschaft große Aufmerksamkeit finden. Es geht aber neben den sportlichen Wettbewerb auch um eine Erneuerung der politischen Kräfteverhältnisse. Nur drei Tage nach dem Brexit-Referendum am 23. Juni hat Europa eine weitere Bewährungsprobe zu bestehen: Am 26. Juni werden die SpanierInnen erneut über die Zusammensetzung beider Kammern des Parlaments entscheiden.

Nach der Parlamentswahl vom 20. Dezember 2015 hatte keine der vier meist gewählten Parteien eine regierungsfähige Koalition bilden können. Das Parlament wurde vom König erneut aufgelöst und Neuwahlen angesetzt. Die konservative Volkspartei (PP) des seitdem geschäftsführenden Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte mit 28,7% zwar die meisten Stimmen gewonnen, die absolute Mehrheit aber verloren. Mit Rajoy wollte anschließend keiner ernsthaft reden, er selbst setzte frühzeitig auf Neuwahlen. Umfragen sehen derzeit ausgerechnet die großen »Verweigerer« von konservativer Volkspartei und das Linksbündnis Unidos Podemos im Aufwind.

So führt Rajoys Volkspartei weiterhin in den Umfragen, obwohl ihm viele SpanierInnen die Schuld an den Neuwahlen geben. Tatsächlich war die konservative Volkspartei völlig unbeweglich und hat darauf bestanden, dass Rajoy als Ministerpräsident im Amt bleibt. Ein halbes Jahr später haben sich die Fronten verhärtet. Viele SpanierInnen wenden sich gelangweilt und/oder enttäuscht von der Politik ab. Die Frage der Wahlbeteiligung dürfte ein wichtiger Faktor werden.

Mittlerweile wird das neue Bündnis von Podemos und der Vereinten Linken (Izquierda Unida) Umfragen zufolge immer beliebter. Das inzwischen von Alberto Garzón geführte linkssozialistische Parteienbündnis IU wurde 1986 gegründet, Podemos ging 2014 u.a. aus der Bewegung der Indignados (Die Empörten) von 2011 hervor, als vor allem junge Menschen in Spanien aus Protest gegen die Einschnitte bei Sozialprogrammen Plätze besetzten und Zeltstädte errichteten. Beide Gruppierungen gingen Anfang Mai mit Blick auf die bevorstehende Wahl ein Bündnis ein. Die Allianz Unidos Podemos kommt derzeit auf 25,6% der Stimmen.

Das von dem Politikdozenten Pablo Iglesias angeführte Bündnis liegt nur noch 2,9 Punkte hinter der konservativen Volkspartei, vor zwei Wochen lag Unidos Podemos bei einer Umfrage der Tageszeitung »El País« und dem Institut Metroscopia noch 6,7 Punkte hinter der PP, die sich inzwischen von 29,9 auf 28,5% verschlechterte.

Mit 20,2% liegt die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) in der Wählergunst weiterhin auf Platz drei. Die liberale Partei Ciudadanos käme der Umfrage zufolge als viertstärkste Kraft auf 16,6%. Werden aus den Umfrage- Wahlergebnisse würde Podemos-UI die Sozialistischen als stärkste Oppositionspartei ablösen.

Wird das politische Patt überwunden?

Bereits die Dezember-Wahlen hatten ein politisches Erdbeben gebracht. Jahrzehntelang hatten die konservative Volkspartei (PP) und die sozialistische PSOE das Land abwechselnd regiert. Den wichtigsten Schritt, das Patt zu überwinden und bei der Neuwahl zulegen zu können, setzte Podemos. Sowohl für diese wie für die Vereinigte Linke scheint die geschlossene Wahl-Allianz ein Gewinn: Die UI hofft, ihr verstaubtes Image loswerden und ihren Niedergang auf gerade zwei Mandate stoppen zu können. Podemos kann auf weitere Stimmen hoffen und das linke Bündnis auf eine breitere Basis stellen.

Podemos-Chef Pablo Iglesias nannte seine Allianz bereits die »neue Sozialdemokratie« – und zog sich damit umgehend den Zorn der PSOE zu. Führende PSOE-Mitglieder kritisierten das als »Etikettenschwindel«. Die Aufregung bei den Sozialisten geht aber weit über den Streit über Bezeichnungen hinaus. Die Sozialdemokraten müssen – ähnlich wie in Griechenland – fürchten, zwischen Konservativen und einer neuen Linkspartei zerrieben zu werden. Zudem machte Parteichef Pedro Sanchez auch bei den Koalitionsverhandlungen nicht die beste Figur.

Eines scheint schon jetzt klar: Sollte es nicht zu überraschenden, erdrutschartigen Verschiebungen kommen, wird die Regierungsbildung auch nach der Neuwahl nicht viel einfacher. Eine Vernunftehe von PP und PSOE, also eine »große« Koalition der nicht mehr ganz Großen, würde Protestparteien weiter stärken, vor allem die Sozialisten müssten um ihre Existenz fürchten.

Für ein Linksbündnis von Podemos und PSOE scheint die Atmosphäre eher vergiftet, zudem wäre man wohl auf unberechenbare Kleinst- und Nationalistenparteien angewiesen. Bleibt die liberale Ciudadanos als Zünglein an der Waage, die zumindest mit PP und PSOE kann – auch hier wird man aber weitere Partner für eine stabile Koalition brauchen.

Spanien als »Musterschüler der Austerität«

Die spanische Zentralbank warnt vor wirtschaftlichen Folgen für die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone, falls es bei den Wahlen kein eindeutiges Ergebnis gebe. Nach einer tiefen Rezession startete Spanien vor drei Jahren eine konjunkturelle Aufholjagd: 2015 wuchs die Wirtschaft um 3,2%, so stark wie in kaum einem anderen europäischen Land. Dennoch steht Spanien – wie auch der Nachbar Portugal – wegen zu hoher Staatsdefizite unter verschärfter Beobachtung aus Brüssel.

Spanien galt lange als »Musterschüler der Austerität«. In Zeiten schwerer Rezession hat die konservative Regierung Rajoy brutal gespart und das Defizit zwischen 2011 und 2015 von 9% auf 5,1% gedrosselt. Im Wahljahr 2015 dann nahmen die Konservativen einen Kurswechsel weg von der neoliberalen Agenda vor, senkten eilig vor dem Urnengang noch die Einkommenssteuer und erhöhten die Bezüge für StaatsdienerInnen und RentnerInnen.

Brüssel hat diesen Kurswechsel mit Blick auf den Machterhalt akzeptiert, und dem spanischen Defizitsünder mehr Zeit zur Budgetsanierung in Aussicht gestellt. Dafür aber müssen bis Ende 2017 etwa acht Mrd. Euro eingespart werden. Wer immer im Land die Zügel übernehmen wird, wird somit einschneidende Budgetkürzungen vornehmen müssen. Sorgen bereiten dürften einer neuen Regierung auch die Last der Staatsschulden, die bei 100% des BIP liegen.

Die spanische Wirtschaft setzt ihren kräftigen Aufschwung aus dem Jahr 2015 fort. Im ersten Quartal wuchs die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone im Vergleich zum Vorquartal um 0,8%. Fachleute erklären die starke Konjunkturerholung u.a. mit der großen Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt. Daneben profitiert Spanien von der extrem lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

Ein drängendes Problem bleibt allerdings die hohe Arbeitslosigkeit. Zwar ist sie seit 2013 von einem Höchststand von 27% auf 21% gesunken. Ein Großteil der neu geschaffenen Jobs aber ist temporär, die Verträge häufig nur auf ein bis zwei Wochen befristet. Sie entstehen zudem in wenig produktiven Bereichen wie dem Fremdenverkehr oder in der Bauindustrie. Das neue Wachstum beruht weitgehend auf altbekannten Säulen wie dem Tourismus.

Chronische Defizite bestehen auch im spanischen Aus- und Weiterbildungssystem. Der hohe Anteil temporärer Beschäftigung – mit 25% weit über dem EU-Durchschnitt von 15% – führt dazu, dass die Unternehmen wenig in die Fortbildung ihrer MitarbeiterInnen investieren. Hinzu kommt, dass 99,9% aller Firmen kleine und mittlere Betriebe mit weniger als 250 Angestellten sind. Die Hälfte davon sind Minibetriebe mit weniger als zehn MitarbeiterInnen. Sie können Fortbildungsmaßnahmen in der Regel nicht aus eigener Kraft stemmen.

Schon in der Ausbildung gibt es seit Jahrzehnten massive Defizite. Spanien gehört zu den Ländern Europas mit der höchsten Abbrecherquote. 20% aller SpanierInnen kehren dem Bildungssystem schon mit 18 Jahren den Rücken, ohne einen Abschluss in der Tasche zu haben. Die Abbruchquote ist damit nahezu doppelt so hoch wie diejenige im EU-Schnitt. Mit der Krise hat sich die Situation insofern leicht verbessert, als Abschlüsse und Qualifikationen inzwischen unter jungen Leuten eine größere Wertschätzung erfahren.

Das führt zu einem in Europa eher ungewöhnlichen Phänomen: In Spanien gibt es sowohl einen sehr hohen Anteil Geringqualifizierter (44%) als auch viele Universitätsabsolventen (33%). Ein mittleres Qualifikationsniveau ist eher wenig vertreten. Bisher haben in Spanien nur 3% der jugendlichen Zielgruppe eine duale Berufsausbildung absolviert. Neue Konzeptionen sind im Land mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 46% überfällig.

Vor der Krise war die spanische Wirtschaft vor allem vom Binnenkonsum und vom Immobilienboom getrieben. Jetzt wäre eine breiter abgestützte und nachhaltigere Wachstumskonzeption notwendig. Bevor die Immobilienblase in Spanien im Jahr 2008 platzte und die Wirtschaft in eine tiefe Krise schlitterte, verdienten viele junge SpanierInnen lieber auf dem Bau schnelles Geld. Auf ähnlich kurzfristige Erfolge ausgerichtet war die gesamte Wirtschaft. Das Wachstum war stark von Krediten getrieben, die vor allem der Kauflaune der SpanierInnen und dem Immobilienmarkt Auftrieb verliehen.

Die auf einen Boom der Wirtschaft folgende Immobilienkrise hat den Bankensektor des Landes hart getroffen, so dass das Land auf ein milliardenschweres EU-Rettungspaket zurückgreifen musste. Im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung Rajoy zu Austerität und Strukturreformen – etwa die Arbeitsmarktreformen, mit der eine Lockerung des Kündigungsschutzes durchgesetzt wurde.

Begleitet wurde die neoliberale Deregulierungsstrategie von diversen Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit. Darüber hinaus sollte aber auch die Berufsbildung verbessert werden. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor unerträglich hoch. Damit sich vermehrt wertschöpfungsintensivere Tätigkeiten herausbilden können, sind Rahmenbedingungen notwendig, die Innovationen begünstigen. Anstatt sich in erster Linie auf kurzfristige Erfolge zu konzentrieren, sollte müsste ein breiter abgestütztes und nachhaltigeres Wachstumsmodell entwickelt werden, wenn die Ökonomie des Landes weniger verletzlich sein soll.

Linksbündnis setzt auf einen Kurswechsel

Die Unklarheit über die weitere politische Entwicklung macht sich im Wirtschaftsleben bemerkbar, Ökonomen taxieren für 2016 und für 2017 ein BIP-Wachstum um je 2,7%, nach Abschlägen für die unklaren Aussichten von 0,2 Punkten in diesem und von 0,3 Punkten im nächsten Jahr. Sollte die Unsicherheit noch längere Zeit andauern, könnte die Wirtschaft in diesem Jahr womöglich um lediglich 2,2% und 2017 gar nur um 1,4% zulegen.

Das linke Bündnis orientiert eindeutig auf einen Kurswechsel: Über verstärkte Ausgaben im öffentlichen Bereich und in öffentliche Investitionen soll die Binnenökonomie gestärkt werden. Einen Teil der höheren Ausgaben kann man mit Steuererhöhungen gegenfinanzieren. Podemos und das Linksbündnis müssen aber noch größere Energie auf die Verständigung über eine mittelfristige Perspektive in einem erneuerten Europa legen.

Noch zeichnet sich für die Wahl am 26. Juni in Spanien keine regierungsfähige Mehrheit ab. Neben dem linken Bündnis von IU und Podemos drängt die neue liberale Kraft Ciudadanos auf Reformen. Ihr Parteichef Albert Rivera will durch eine Steuerreform und eine engere Verzahnung von Wachstum und Forschung Spanien aus der Krise führen.

Seine Konzeption umreißt er wie folgt: »Bei uns wächst immer nur die Immobilienbranche. Wir müssen ambitionierter sein. Unser Wachstum muss stärker mit Forschung und Entwicklung verzahnt werden. 93% der in diesem Monat unterschriebenen Arbeitsverträge sind zeitlich befristet. Das ist fürchterlich. Die Leute müssen alle drei Monate um ihre Zukunft bangen. Das macht es jungen Spaniern sehr schwer. Wir verstehen uns als Teil der spanischen Mittelschicht, die sich mit dem, was uns hier angeboten wird, nicht zufrieden gibt.«

Pablo Iglesias charakterisiert die Sozialisten als »die alte Sozialdemokratie«, die durch Podemos als »neue Sozialdemokratie« abgelöst wird, um der sozial unverträglichen Spar- und Rotstiftpolitik der Konservativen endlich ein Ende zu setzen. Er präsentiert das Linksbündnis mit Blick auf die potenziellen sozialistischen Wechselwähler als Reformkraft. Wenn diese politische Orientierung konsequent weiter geführt wird, könnte auch in Spanien ein neues Kapitel der Entwicklung auf den Weg gebracht werden.