Postsozialistische Romantik

„Im Verhältnis zur Vergangenheit ist die Zukunft Gegenwart. Im Verhältnis zur Zukunft ist die Gegenwart Vergangenheit.“ (Valentin Katajew)[1]


„Zukunftsvorstellungen strukturieren den Erwartungshorizont einer Gesellschaft“ (Hölscher 1999: 236). Sie sind deshalb unverzichtbar, sowohl für die Gesellschaft als Ganzes als auch für jede politische und soziale Bewegung. Utopien bilden eine spezifische Variante davon: Angesiedelt zwischen Fiktion und Realität tragen sie zur Horizontbildung bei und damit gleichsam zur Zukunftsfindung und Zukunftsgestaltung. Dabei überschreiten sie naturgemäß die Faktizität, ignorieren diese aber nicht komplett. „Sozial-utopisches Denken ist nicht wirklichkeitsfremd“; es hat vielmehr „ein kritisches Verhältnis zur Wirklichkeit zur Voraussetzung“ (Seidel 1995: 5f.). Dies gilt selbst dann, wenn es sich an vergangenen Zuständen orientiert. Insofern ist es möglich, dass ein Gesellschaftsmodell wie der „Sozialismus“ lange Zeit als Utopie existierte, dann, wenn auch verzerrt und defizitär, zur Realität wurde, heute aber erneut als Utopie auftritt. Mit welchen Implikationen eine solche Entwicklung verbunden ist und mit welchen Modifizierungen der ursprünglichen Idee diese einhergeht, soll in diesem Aufsatz thematisiert werden.

Im Anfangs- und im Schlussteil geht es jeweils um die Idee einer Alternative zum Kapitalismus, um die Vision von einer besseren Gesellschaft. Dabei ist es unerheblich, ob sich diese Idee mit dem Namen „Sozialismus“ oder „Kommunismus“ verbindet. Gleichwohl wird die Differenz zwischen beiden Gesellschaftsentwürfen anerkannt und auf deren theoretische Relevanz verwiesen.[2] Das utopische Denken aber misst diese Entwürfe „nicht in theoretisch-wissenschaftlicher Weise an der Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit an den Ideen“ (Seidel 1995: 6). Dies bedingt den kritischen Zug, der dem utopischen Denken von Anfang an immanent ist. Die praktische Umsetzung der kommunistischen Idee im 20. Jahrhundert als „real existierender Sozialismus“ kann als historisch gescheitertes „kommunistisches Experiment“ (Ruben 1998: 14) begriffen werden, aber auch als „Übergangsgesellschaft“ (Braun 1989), „Gegenmoderne“ (Land 1993: 61), „bürokratischer Sozialismus“ (Bahro 1979) oder „Staatssozialismus“ (Busch/Land 2013: 178ff.). Während erstere Interpretation die Verwerfung der kommunistischen Idee impliziert, vermögen die anderen Lesarten in deren realsozialistischer Umsetzung Unabgegoltenes zu erkennen. Dies lässt eine postsozialistische Utopie auch heute noch als grundsätzlich möglich erscheinen.

Sozialismus als Utopie

Seitdem die Menschen ihr Leben nicht nur leben, sondern auch darüber reflektieren, über die Bedingungen, Umstände, Chancen und Verhältnisse desselben nachdenken, gibt es Versuche, jenes zu verbessern, indem diese verändert, um- oder neugestaltet werden: „Denken heißt Überschreiten“ (Bloch 1990: 2). Dabei folgte man anfangs eher dem Bedürfnis nach Sicherung der Existenz, als dass darüber hinausweisende Ziele anvisiert wurden. Im Laufe der Zeit aber gewannen Vorstellungen von einem besseren Leben, von einer Alternative zum Gegenwärtigen, mehr und mehr an Gestalt. Möglichkeiten gesellschaftlicher Umgestaltung wurden ins Auge gefasst, wünschbare Veränderungen erörtert. Dabei wurde das derart erträumte oder erdachte Gegenbild zur Realität nicht selten der Vergangenheit entlehnt beziehungsweise als Idee vom „verlorenen Paradies“ oder vom „goldenen Zeitalter“ in diese projiziert. Zahlreiche Mythen, Märchen und Sagen, chiliastische Zukunftsentwürfe, Heilserwartungen, aber auch Legenden und Erzählungen in allen Sprachen der Welt zeugen davon. Sie sind als solche „Vorformen“ der eigentlichen Utopien.

Neben der zeitlichen Verschiebung, der Projektion in die Vergangenheit, wird für derartige Entwürfe bald ein weiteres Merkmal typisch, die geografische Verortung im Unbestimmten. Thomas Morus’ „Utopia“ aus dem Jahre 1516 ist hierfür das markanteste Beispiel. Dieses Werk bildete den Auftakt für die klassische Utopie-Literatur. Zugleich wurde es wegen seiner anschaulichen Darstellung kommunistischer Zustände zu einem Vorläufer des „modernen Sozialismus“ (Kautsky 1890). Denn dieser speiste sich zunächst vor allem aus utopischen Quellen und Überlieferungen, seien diese nun urchristlichen Ursprungs, von den Ketzern des Mittelalters entlehnt oder stammten sie von Jan Hus, Thomas Müntzer und den Wiedertäufern (vgl. Kautsky 1991), von Morus, Tommaso Campanella, Francis Bacon oder Gerrard Winstanley. Darüber hinaus fanden hierin die Ideen von Jean Meslier, Étienne-Gabriel Morelly, Gabriel Bonnot de Mably und François Noël Babeuf ebenso Eingang wie die der großen Utopisten des 19. Jahrhunderts Claude Henry de Saint-Simon, Robert Owen, Charles Fourier, Louis-Auguste Blanqui, Pierre-Joseph Proudhon, Wilhelm Weitling u. a. (vgl. Höppner/Seidel-Höppner 1975; Saage 2001 u. 2002).

Die Anschauungen „der Utopisten“ hatten das soziale und politische Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert maßgeblich geprägt. Sie bestimmten aber auch noch lange „die sozialistischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts“ – und ihre „Anschauungsweise“, so Friedrich Engels, „beherrscht sie zum Teil noch“ (Engels 1882: 200). Der Nachsatz ist aufschlussreich, denn er erlaubt den Schluss, dass der Sozialismus auch nach seiner Etablierung als Wissenschaft keineswegs frei von utopischen Vorstellungen war; vielmehr beherrschten ihn diese auch weiterhin. Die Entwicklung des Sozialismus von einer Utopie zur Wissenschaft bedeutete also lediglich, dass ein neuer Typ des Utopismus entstand, ein „Utopismus unter der Fahne strikter Wissenschaftlichkeit“ (Engels, zit. bei Schäfers 2003: 407). Ernst Bloch präzisierte diesen Gedanken später dahingehend, dass der Marxismus „nicht keine Antizipation (utopische Funktion)“ sei, „sondern das Novum einer prozeßhaft-konkreten“ (Bloch 1990: 726), „nicht keine Utopie“, sondern der Entwurf „des aktuell vermittelten Nah- wie Endziels einer konkreten Utopie“ (Bloch 1985: 417).

Die Verwissenschaftlichung der sozialistischen Utopie war bekanntlich vor allem das Verdienst von Karl Marx. Maßgebend dafür waren insbesondere zwei Entdeckungen: „die materialistische Geschichtsauffassung und die Enthüllung des Geheimnisses der kapitalistischen Produktion vermittelst des Mehrwerts. […] Mit ihnen wurde der Sozialismus eine Wissenschaft.“ (Engels 1882: 209) Grundlage dafür waren die im Vorwort und in der Einleitung zu der Schrift „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ (Marx 1859: 7-11, 615-642) dargelegte historisch-materialistische Theorie der ökonomischen Gesellschaftsformation und die im ersten Band des „Kapital“ von 1867 erfolgte Herausarbeitung der Fundamentalgesetze des Kapitalismus, des Mehrwertgesetzes als dem „absoluten Gesetz“ dieser Produktionsweise (Marx 1890: 647) und des „allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation“ (ebd.: 673f.) als dem „Entwicklungsgesetz“ derselben.

Bemerkenswert ist, dass sich beide „Entdeckungen“ auf die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise und auf die bürgerliche Gesellschaft beziehen, also auf die kapitalistische Gegenwart, während die sozialistische Zukunft, und damit das Ziel der kommunistischen Bewegung, dem phantastischen Reich der Utopie verhaftet blieb. Hierauf bezogen erfolgte ganz offensichtlich keine analoge Theoriebildung, die sich mit der Kritik der politischen Ökonomie und der materialistischen Geschichtsauffassung messen könnte. Es galt zwar, alternative Kategorien zur bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln, ökonomische Gesetze zu formulieren und dergleichen mehr, nicht aber ein „konsistentes Zukunftsszenario“ zu entwerfen. Eher war das Gegenteil zu beobachten, nämlich die immer stärkere Zurückweisung derartiger Versuche und zunehmende Ausgrenzung der als „Utopisten“ verschrienen „unwissenschaftlichen Träumer“ und „Phantasten“. Richard Saage spricht in diesem Zusammenhang von einem marxistischen „Bilderverbot“ (2002: 268f.), das die Verwissenschaftlichung des Sozialismus begleitete. Zudem vollzog sich die Ausarbeitung der „Sozialismustheorie“ recht einseitig, indem diese vor allem auf die Begründung des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus abstellte, und damit auf die soziale Bewegung des Sozialismus, während die inhaltliche Ausgestaltung der neuen Gesellschaft, deren Struktur und Funktionsweise, unterbelichtet blieb. Als Theorie der zukünftigen Gesellschaft war es dem „wissenschaftlichen Sozialismus“ aufgegeben, deren Inhalt und konkrete Bestimmtheit mindestens ebenso klar herauszuarbeiten, wie er der sozialen Bewegung, deren Mission es ist, die alte Gesellschaft zu stürzen und eine neue hervorzubringen, die dafür notwendigen Schritte in Strategie und Taktik vorgibt. Davon aber konnte überhaupt keine Rede sein. Als „theoretischer Ausdruck der proletarischen Bewegung“ (Engels 1882: 228) unterstützt der wissenschaftliche Sozialismus das Proletariat bei der Organisation des Sturzes der Bourgeoisie, schafft durch revolutionäre Bewusstseinsbildung die Motivation dafür und befördert so die proletarische Revolution. Letzteres vermag er, weil er als „Gedankenreflex“ der Widersprüche des Kapitalismus, als deren „ideelle Rückspiegelung in den Köpfen […] der Arbeiterklasse“ (ebd.: 211), begriffen wird. Für die kommenden Aufgaben aber, für den Aufbau der neuen Gesellschaft, bietet er nur wenige und zudem recht allgemeine Anhaltspunkte. Diese einseitige, nur auf seine Daseinsform als soziale Bewegung gerichtete Überführung des „Sozialismus“ von einer Utopie zur Wissenschaft, unter Vernachlässigung der konkreten Bestimmung desselben als Gesellschaftsform und -zustand, hatte zur Konsequenz, dass der Sozialismus auch nach seiner Verwissenschaftlichung partiell im Fahrwasser vorwissenschaftlicher Vorstellungen verblieb. Dies galt namentlich für die Deskription der neuen Gesellschaft, welche fragmentarisch, defizitär und utopisch ausfiel. Es ist insofern kein Zufall, dass der umfangreichen und bis heute hoch geschätzten ökonomischen Analyse des Kapitalismus durch Marx kein adäquates Werk über die sozialistische Gesellschaft gefolgt ist. Zwischen der wissenschaftlichen Analyse der kapitalistischen Gegenwart und den fragmentarischen Zukunftsentwürfen einer postkapitalistischen Gesellschaft klafft unübersehbar ein Niveaugefälle, welches methodologisch der Differenz von Wissenschaft und Utopie entspricht.

Mit dem Vorwurf, sich auf die „bloß kritische Zergliederung des Gegebnen“ zu beschränken, „statt Rezepte […] für die Garküche der Zukunft zu verschreiben“, musste sich Marx schon 1873 auseinandersetzen (Marx 1890: 25). Er wies diesen Vorwurf zurück und betonte, dass seine ökonomische Analyse die kapitalistische Produktionsweise zum Gegenstand habe, nicht aber eine wie auch immer definierte postkapitalistische Gesellschaft. Sein Werk stelle somit auch keine ideelle Vorwegnahme des Sozialismus dar, weder im Sinne eines konzeptionellen Entwurfs noch als wissenschaftlich ausgearbeitetes Programm. Aber schon zwei Jahre später holte ihn diese Frage ein: Das auf dem Gothaer Parteitag der deutschen Sozialdemokaten 1875 diskutierte Programm enthielt sehr viel Konkretes über die angestrebte neue Gesellschaft, auch so manches, das den Ansichten von Marx widersprach. Es blieb daher nicht aus, dass er sich, wenn auch zunächst nicht öffentlich, dazu äußerte (vgl. Marx 1875).[3] Die Lücke eines fehlenden sozialistischen Gesellschaftsentwurfs ließ sich auf diese Weise aber nicht schließen, weshalb sich dieser Vorgang in der Geschichte des Sozialismus regelmäßig wiederholt hat.[4]

Gesellschaftskritik bedarf grundsätzlich, wenn sie praktisch werden soll, einer Alternative. Mithin überrascht es nicht, dass sich in dem umfangreichen Werk von Marx und Engels mannigfache Notizen und eingestreute Bemerkungen über die zukünftige Gesellschaft finden. Diese sind jedoch, obwohl insgesamt von beträchtlichem Umfang[5], eher aphoristisch und fragmentarisch als systematisch und waren von ihren Verfassern auch nie anders gemeint, denn als sehr allgemeine Hinweise und abstrakte Ideenskizzen. Auch handelt es sich hierbei nicht um eigenständige Abhandlungen, sondern um Überlegungen, die durchweg, wie Engels hervorhebt, im engen Kontext mit den „historischen Tatsachen und Entwicklungsprozessen“ ihrer Zeit zu sehen sind. Sie lassen sich folglich auch nur „im Zusammenhang mit diesen Tatsachen“, also im historischen Kontext, verstehen. Außerhalb desselben sind sie „theoretisch und praktisch ohne Wert“ (Engels 1886: 429).

Hinzu kommt, dass viele dieser Ideen und Vorstellungen über eine postkapitalistische Gesellschaft frühkommunistischen Ursprungs und utopischen Charakters sind. Sie weisen also nicht über die entwickelte bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts hinaus, sondern sind dieser vollständig verhaftet oder gehen noch dahinter zurück. Obwohl Marx die maximale Entwicklung aller Produktivkräfte und ihre Vergesellschaftung „bis auf einen gewissen Höhegrad“ als „historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise“ ansah (Marx 1894: 457), und die neue Gesellschaft hierauf aufbauen sollte, folgen seine Auslassungen über den Sozialismus häufig doch einem „vormodernen Leitbild“ (Irrlitz 1994: 134). Dies ist an sich schon problematisch, tritt jedoch mit jedem Jahrzehnt, in dem die bürgerliche Gesellschaft sich weiterentwickelt, deutlicher hervor. Schon im 20. Jahrhundert ließ sich hieran kaum mehr anknüpfen; heute noch viel weniger. Für die Klassiker des Marxismus gilt damit dasselbe wie für andere große Denker: Sie konnten „so wenig wie alle ihre Vorgänger […] hinaus über die Schranken, die ihnen ihre eigne Epoche gesetzt hatte“ (Engels 1882: 190). Was jedoch nach wie vor Gültigkeit besitzt, sind einige allgemeine Ideen, den Fortschritt der Menschheit betreffend, so z. B. die Vision einer auf Freiheit und Gleichheit gegründeten Assoziation, worin „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Marx/Engels 1848: 482).

Die Notizen und Anmerkungen von Marx zum Sozialismus unterscheiden sich erheblich von der theoretisch fundierten, faktenreichen und detaillierten Analyse, wie er sie auf Tausenden von Seiten für die kapitalistische Produktionsweise vorgelegt hat. Verglichen mit dieser erscheint der Entwurf der sozialistischen Gesellschaft geradezu als „blutleeres Konstrukt“ (Jenner 2010: 308). Die „auffallende Asymmetrie“ zwischen Analyse und Projektion, zwischen der Kritik am Kapitalismus und dem sich „in vagen und weitgehend nichtssagenden Andeutungen“ erschöpfenden Entwurf einer postkapitalistischen Gesellschaft, legt Parallelen zu ähnlichen Weltentwürfen nahe, so zum Beispiel zu Dante Alighieris Darstellung des mittelalterlichen Universums in der „Divina Commedia“ von 1320: „Auch dort wird die Hölle auf überaus eindringliche Art in einer Flut von Bildern beschworen, über das Paradies weiß aber auch der große italienische Dichter nur wenig und überdies nur recht Uninteressantes zu sagen.“ (Ebd.: 307)

Bis zum Ende des klassischen Kapitalismus und dem Übergang zum Imperialismus ist es auch anderen Autoren nicht gelungen, das Defizit zu beheben und ein wissenschaftliches Werk über den Sozialismus zu schreiben. Bücher wie August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ (1878) konnten diesen Anspruch ebenso wenig erfüllen wie die Analysen des neuen Kapitalismus, z. B. in Rosa Luxemburgs „Die Akkumulation des Kapitals“ (1913), Rudolf Hilferdings „Das Finanzkapital“ (1911) oder in Lenins „Staat und Revolution“ (1917). Infolge des marxistischen „Bilderverbots“ und in Reaktion auf das Fehlen entsprechender wissenschaftlicher Arbeiten, bei gleichzeitig wachsendem Bedürfnis danach, verlagerte sich die Vorstellung vom Sozialismus zunehmend in die schöne Literatur. Edward Bellamys Roman „Ein Rückblick aus dem Jahr 2000“ (1888) und Alexander Bogdanows Romane „Der rote Planet“ (1907) oder „Ingenieur Menni“ (1912) sind anschauliche Beispiele dafür (vgl. Hedeler 2005). Das, was hier als Utopien über die neue Gesellschaft vorgelegt wurde, sind Arbeiten, deren Wert jedoch eher im Literarischen als im Wissenschaftlichen liegt, eher in der Darstellung von Phantastischem als in wissenschaftlich begründeten Zukunftsprojektionen. Dadurch fehlte ein objektiver Maßstab für den sozialistischen Aufbau. Diese Entwicklung war möglicherweise für die Literatur dieser Zeit ein Segen, für die Gesellschaftswissenschaft und die Zukunftsgestaltung hingegen eher ein Fluch, denn die künstlerischen Produkte trugen, indem sie anstelle wissenschaftlicher Arbeiten das Sozialismusbild massenwirksam prägten, dazu bei, dass der reale Sozialismus mitunter seltsame Wege ging, unrealistische Ziele verfolgt wurden und Pragmatismus, Willkür und Voluntarismus in ihm leichtes Spiel hatten.

Sozialismus als Realität

Nach 1917 traten die „Geburtsfehler“ des sozialistischen Projekts, insbesondere sein Demokratiedefizit, sehr schnell und überaus deutlich hervor. Dies wurde nicht nur von Gegnern und Widersachern bemerkt, sondern auch von Anhängern und Sympathisanten, z. B. von Rosa Luxemburg (vgl. Luxemburg 1974: 332ff.). Bei westlichen Linken wurde daher seit den 1920er Jahren das Bekenntnis zur sozialistischen Idee in der Regel mit einer kritischen Distanz zum realen Sozialismus, insbesondere gegenüber der Sowjetunion, verknüpft. Seitdem wird eine Diskussion darüber geführt, ob das Sowjetsystem (1918–1991) überhaupt als Modell oder Realisierungsform der sozialistischen Idee anzusehen sei oder eher als eine Perversion derselben. In dieser Debatte überschneiden sich kritische, aus der Perspektive einer Parteinahme für die sozialistische Idee geäußerte Einwände gegen deren Umsetzung in der Realität mit utopischen Vorstellungen über den Sozialismus selbst. Beide Positionen aber gehen zurück auf Marx, Engels, Lassalle, Proudhon u. a. und sind das Ergebnis einer ungenügenden Verwissenschaftlichung und Konkretisierung der sozialistischen Utopie.

Karl Marx war sich des fragmentarischen Charakters seiner Äußerungen über den Sozialismus durchaus bewusst. Desungeachtet dienten seine Gedankenskizzen und beiläufig hingeworfenen Ideen in der „Deutschen Ideologie“, im „Kapital“ oder in der „Kritik des Gothaer Programms“ den Akteuren im Staatssozialismus, teils wortwörtlich, in dogmatischer Rezeption, teils erheblich entstellt, als Handlungsanleitung. Der reale Sozialismus muss daher, ob man dies wahrhaben will oder nicht, als Realisation des Marxschen Gedankenguts begriffen werden. Dies betrifft sowohl richtige, aus der Kritik des Kapitalismus logisch abgeleitete Konsequenzen und Ideen, wie die Aufhebung der privatkapitalistischen Aneignung und die Einführung des Leistungsprinzips, als auch Fehlannahmen, theoretische Irrtümer und illusionäre Vorstellungen. Dazu zählen die Aussagen über die Aufhebung der Arbeitsteilung, die Abschaffung von Warenproduktion, des Geldes und den Staat (vgl. Busch 2012). Letztere lassen sich teilweise auf utopische Vorstellungen zurückführen, die, wie oben gezeigt, dem Sozialismus auch nach seiner Verwissenschaftlichung inhärent geblieben sind. Hinzu kommt, dass es für viele Fragen der praktischen Politik des sozialistischen Aufbaus in der Theorie keine Antworten gab. Was blieb den Akteuren da anderes übrig, als die Umsetzung der fragmentarischen und utopischen Vorstellungen einerseits und ein pragmatisches und voluntaristisches Vorgehen andererseits. Dabei konnten sie sich sogar auf Marx berufen, da dieser davon überzeugt war, dass „jeder Schritt wirklicher Bewegung […] wichtiger [sei] als ein Dutzend Programme“ (Marx 1875: 13). Dies hatte Konsequenzen: Zum einen erstarrte die Theorie im realen Sozialismus zu einem lebensfremden Dogma, während die sozialistische Praxis „eigene Wege“ ging. Andererseits wurde mit dem realen Sozialismus ein Stück sozialistischer Utopie zur Realität. Oder umgekehrt: Die Realität des Sozialismus trat nunmehr an die Stelle der sozialistischen Utopie. Beides aber ist problematisch. So haben die „utopischen Dimensionen“ des Realsozialismus wesentlich zu seinem Niedergang beigetragen; ebenso muss das Fehlen einer konkreten Utopie zu den Defiziten des realen Sozialismus gezählt werden (vgl. Saage 2003: 507, 528; Müller 2014).[6]

Insofern ist das historische Scheitern des Sozialismus als Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell auch auf Marx, auf die Übernahme einiger seiner Ideen und deren praktische Umsetzung, zurückführen. Andererseits aber bedeutet das Scheitern des Staatssozialismus keineswegs die generelle Falsifikation der Marxschen Theorie. Auch nicht die aller über den Kapitalismus hinausweisenden Ideen und utopischen Vorstellungen von einer kommunistischen Gesellschaft. Denn viele dieser Ideen fanden überhaupt keinen Eingang in das realsozialistische Projekt bzw. wurden bei ihrer Umsetzung bis zur Unkenntlichkeit verkürzt und pervertiert. In den seltensten Fällen wurden aus ihnen die richtigen Schlüsse gezogen und wurde in der Praxis ohne sinnentstellende Einschränkungen und Umdeutungen entsprechend verfahren. Hieraus folgt, dass der reale Sozialismus auch deshalb gescheitert ist, weil er die Theorie von Marx nicht oder nur unzureichend angewendet hat. Teilweise stand die Politik sogar in direktem Gegensatz zu den Marxschen Intentionen. Beide Aussagen zusammen genommen, die Übernahme der Marxschen Theorie einschließlich ihrer Fehlannahmen und utopischen Illusionen einerseits und die Missachtung bestimmter Essentials und Konsequenzen dieser Theorie andererseits, führen zu dem paradoxen Schluss, dass der reale Sozialismus gleichermaßen wegen zu viel und wegen zu wenig Marx scheiterte.[7]

Im Verlaufe der 1980er Jahre geriet der reale Sozialismus auch bei Linken[8] zunehmend in die Kritik. Den Hintergrund dafür bildete sein Versagen auf ökonomischem, ökologischem, sozialem, kulturellem und militärischem Gebiet. Galten die Sowjetunion und die sozialistische Staatengemeinschaft bis in die 1970er Jahre trotz unübersehbarer Schwächen und Defizite dennoch als Kraftzentrum der sozialistischen Bewegung und als Hoffnungsträger aller kapitalismuskritischen Kräfte, so wuchs jetzt die Distanz gegenüber der UdSSR und deren Verbündeten. Jahrzehntelang von den Linken, wenn auch mit dem entschuldigenden Zusatz „trotz allem“, als „welthistorisches Experiment“ verteidigt und idealisiert, erwies sich der reale Sozialismus angesichts seiner innenpolitischen Reformunfähigkeit, ökonomischen Ineffizienz und imperialen Außenpolitik (Afghanistan) nunmehr als „abschreckendes Negativ-Bild einer sozialistischen Gesellschaft“ (Vilmar 2003: 419). Die veränderte Außenwahrnehmung entsprach einer veränderten Situation im Innern: Die „Jahre des Personenkults“ und die „verderbliche Epoche der Stagnation“ hatten „ihre Spuren“ hinterlassen, schrieb der sowjetische Autor Daniel Granin 1989. „Unter dem Druck von Angst, Lüge und Enttäuschung sind die Menschen schlechter geworden. Schlechter, verglichen mit den zwanziger und dreißiger Jahren, als sie, vom Feuer der Revolution entflammt, vom Traum nahen Paradieses […], vom Traum des Kommunismus, in Baracken wohnten, singend zur Arbeit gingen und leidenschaftlich und aufopferungsvoll eine mächtige Industrie aufbauten.“ (Granin 1989: 531) Von der „Romantik jener Jahre“ war in der Perestroika-Zeit (1985–1990) nicht mehr viel geblieben: Statt Begeisterung herrschte Enttäuschung, statt des Glaubens an die Verwirklichbarkeit der kommunistischen Utopie überwogen jetzt Skepsis und Desillusionierung. Die Idee des Sozialismus hatte sich schlichtweg verbraucht.

Der schließlich eingetretene Zusammenbruch des realen Sozialismus war die Konsequenz gravierender Strukturfehler, einer ineffizienten, substanzverzehrenden und umweltzerstörenden Wirtschaft sowie der Unfähigkeit der herrschenden Eliten, mit den aufgestauten Problemen fertig zu werden. Aber ist der Sozialismus damit „nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch tot“? Viele, vor allem Jüngere, meinen „ja“! Was von ihm als „Idee“ übrig geblieben ist, sei „nur noch ein Haufen kalter Asche“ (Vilmar 2003: 415). – Dies ist ein Faktum, auch wenn sich manch einer, vor allem aus der Generation der Älteren, damit schwertut. „Uns fiel es leichter“, schrieb Swetlana Alexijewitsch, eine Sprecherin der Gorbatschow-Generation, „den Zusammenbruch der kommunistischen Idee zu akzeptieren, denn wir haben die Zeit nicht mehr erlebt, da die Idee noch jung und stark war, noch die unverbrauchte Magie fataler Romantik und utopischer Hoffnungen besaß. Wir sind unter den Kremlgreisen aufgewachsen. In enthaltsamen, ‚vegetarischen‘ [Anna Achmatowa – U.B.] Zeiten. Das große Blutvergießen des Kommunismus war schon vergessen. Das große Pathos war allgegenwärtig, aber ebenso das Wissen darum, dass sich die Utopie nicht in die Wirklichkeit umsetzen lässt.“ (Alexijewitsch 2013: 12). Der hierin zum Ausdruck kommende Utopie-Verlust stimmt traurig. Er ist aber das Resultat der Tatsache, dass der reale Sozialismus als Verwirklichung einer als Wissenschaft missverstandenen Utopie gescheitert ist. Folgerichtig bedeutete dieses Scheitern die Aufgabe der „Idee“. Die Idee des Sozialismus, „[…] das war eine Utopie […]. Die Menschen möchten [jetzt aber] einfach nur leben, ohne große Idee.“ (Ebd.: 202, 10)

Dem Verlust der sozialistischen Utopie folgte inzwischen eine weitere Enttäuschung: die Desillusionierung über den Kapitalismus, die Demokratie und Europa. Damit sind im ehemaligen Ostblock „innerhalb kurzer Zeit“ gleich „zwei Utopien gescheitert“ (Segert 2015: 23). Diesem doppelten Utopieverlust entspricht ein doppelter Romantizismus: einerseits bezogen auf den im Rückblick verklärten Sozialismus, andererseits aber auf den „guten Kapitalismus“ der fordistischen Ära, den es heute auch nicht mehr gibt.[9] In diesem Tatbestand dokumentiert sich zugleich so etwas wie „das Ende des utopischen Zeitalters“, ein Denkansatz, der sich an das „Ende der Geschichte“ bei Hegel und bei Fukuyama anlehnt (vgl. Fest 1991; Saage 2003: 499ff.).

Will man trotz allem die Idee des Sozialismus wieder aufleben lassen, so stehen dafür zwei Möglichkeiten zu Gebote: ihre Neuformulierung als Wissenschaft unter Verzicht auf utopische Elemente oder aber ihre Reanimierung als Utopie, indem gerade auf die vorwissenschaftlichen und utopischen Elemente dieses Gesellschaftsmodells rekurriert wird. Während das erste Konzept an die technischen, ökonomischen und kulturellen Errungenschaften des entwickelten Kapitalismus im 21. Jahrhundert evolutorisch anknüpft, wertet das zweite diese in bestimmtem Maße als Fehlentwicklung und strebt deshalb danach, sie zumindest partiell zurückzunehmen und durch Lösungen früherer Zeiten zu ersetzen. Dies verleiht ihm einen romantisch-utopischen Charakter.

Sozialismus als Romantik

Was wir gegenwärtig beobachten, ist die Wandlung des Sozialismus von einer teilweise utopischen Theorie und fehlgeleiteten Realität zu einer romantischen Utopie. Dies erklärt sich aus folgenden Umständen:

Da ist erstens die Situation der Linken im gegenwärtigen Kapitalismus. Dieser zeigt sich als eine allen Endzeitprognosen zum Trotz fortexistierende und sich ständig revolutionierende und transformierende Gesellschaft, die es ihren Kritikern schwermacht, überzeugende Gegenentwürfe zu formulieren. Zum einen werden diese, kaum dass sie als Alternativen hervorgetreten sind, sofort vom Markt vereinnahmt. Zum anderen „altern“ die „Entwürfe von Künftigem“ rasch und werden durch die „wirkliche Zukunft ersetzt, widerlegt und zum alten Eisen geworfen“ (Hacks 1976: 271). Angesichts der gewaltigen Transformationsprozesse, welche die kapitalistische Produktionsweise und die bürgerliche Gesellschaft in den letzten einhundertfünfzig Jahren durchlaufen haben und wodurch der Kapitalismus zu etwas anderem geworden ist, als seine Kritiker im 19. Jahrhundert vor Augen hatten, wodurch aber auch nicht wenige Ziele und Forderungen der sozialistischen Bewegung nach und nach erfüllt worden sind, fällt es heute schwer, „über das Bestehende hinauszudenken und einen gesellschaftlichen Zustand jenseits des Kapitalismus zu imaginieren“ (Honneth 2015: 15). Auch ist es an der Zeit, sich einzugestehen, dass der linke Utopismus, nachdem er „den Zeithorizont seiner Erfüllungsphantasie“ unermesslich lange, über einen Zeitraum von mehr als anderthalb Jahrhunderten, „offen“ gehalten hat, inzwischen seine Lizenz verspielt hat, ihn weiterhin „offen“ zu halten (Schmidt 2001: 796). Es ist nun einmal so, dass die Utopie „keine andere Weise zu existieren [hat] als in einer sich zu ihr hin entwickelnden Realität“ (Hacks 1966: 202). Darin liegt ihre Faszination und Strahlkraft. Geht die historische Entwicklung aber andere Wege, so verliert sie ihre Legitimation. Die Geschichte des politischen Utopismus ist deshalb zugleich „die Geschichte seiner stückweisen Enttäuschung“, weshalb linke Gesellschaftskritik und sozialistische Utopien heute nur noch „als Schlacke eines verglühten Maximalismus“ wahrgenommen werden, als schwache, realitätsferne Fiktionen, welche seit 1990 zudem auch noch mit „einem Tabu belegt“ sind (Schmidt 2001: 796f.).

Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung erscheint die Geschichte des Sozialismus als „eine Geschichte gewesener Utopien“, als eine Geschichte überholter und durch die Realität entwerteter Gesellschaftsentwürfe, die „nicht mehr reaktivierbar“ sind und die uns daher nur noch „etwas über die Bedingungen des Utopischen in vergangenen Epochen sagen“ (Bohrer 2001: 756). Ihre Anhänger werden dadurch zu Romantikern und teilen das Schicksal aller Vertreter dieser Richtung: „Keiner widerspricht ihnen mehr, und keiner zahlt ihnen noch einen Groschen.“ (Hacks 2008: 118)

In breiten Bevölkerungskreisen herrscht inzwischen Konsens darüber, dass die Entwicklung im Laufe der Zeit über den Sozialismus hinweggegangen ist, während der Kapitalismus die Gegenwart wie die Zukunft beherrsche, also zeitlos triumphiere. Er gilt deshalb für viele als „zeitgemäß“, während der Sozialismus nur noch als ein „geistiges Geschöpf der Vergangenheit“ (Honneth 2015: 11) wahrgenommen wird. Dieser Eindruck wird durch den realen Verlust des Sozialismus als Alternative zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft noch verstärkt. Mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus ging für die Linke, trotz aller kritischen Distanz, welche insbesondere im Westen dem Staatssozialismus entgegengebracht wurde, geistig wie materiell ein wichtiger Hoffnungsträger und Rückhalt verloren. Dies beförderte in bestimmtem Maße aber auch die Loslösung der sozialistischen Idee von der Realität, ganz so wie dies für eine romantische Geisteshaltung typisch ist. Konkret äußert sich dies in Phänomenen wie der nostalgischen Verklärung des realen Sozialismus, die selbst vor Stalin nicht mehr Halt macht. Aber auch in der Verbreitung abgehobener und realitätsferner, naiv-utopischer Zukunftsvorstellungen, wie sie in alternativen Gruppen, Kommunen usw. anzutreffen sind, sowie in der Popularität utopischer Projekte, wie z. B. dem bedingungslosen Grundeinkommen, der Befreiung von der Arbeit, einer Postwachstumsökonomie usw. usf.

Da der Kapitalismus bisher nicht, wie immer wieder prognostiziert, an seinen Widersprüchen zugrunde gegangen ist, er sich vielmehr ständig weiterentwickelt und die Widersprüche löst, was nichts anderes heißt, als dass er neue Formen hervorbringt, „worin sie sich bewegen können“ (Marx 1890: 118), gerät nicht nur er ins Visier linker Kritik, sondern auch sein Entwicklungspotenzial, seine Dynamik – ja, zunehmend der Fortschritt selbst. Bezeichnend dafür ist ein Aphorismus von Walter Benjamin, der sich aktuell großer Beliebtheit erfreut: „Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotive der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.“ (Benjamin 1984: 168) Die Metaphorik ist eindeutig: Es geht darum, die Entwicklung, die in eine gefährliche Richtung zu laufen droht, mit Gewalt zu stoppen. „Der Begriff des Fortschritts“, so Benjamin an anderer Stelle, „ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Dass es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe.“ (Benjamin 1982: 592)

Dieser Gedanke besitzt in der utopischen Literatur seit den 1920er Jahren eine Entsprechung. Während die Utopisten früherer Jahrhunderte noch auf revolutionäre Transformationsstrategien reflektierten, um ihre „konstruktiv nach vorn gerichteten“ Botschaften zu verwirklichen, kehrt sich dies jetzt um: Die Frage läuft nunmehr darauf hinaus, wie die sich inzwischen zu Dystopien gewandelten Zukunftsentwürfe „verhindert werden können“ (Saage 2003: 118). Michael Brie leitet hieraus für die linke Bewegung die Forderung ab, nicht nur erneut den „Bezug auf das dramatisch Uneingelöste des Fortschrittsprojekts“ herzustellen, sondern das „Futuring“ in der heutigen Gesellschaft durch ein „Gegen-Futuring“ zu ergänzen bzw. zu ersetzen: „Eine linke Transformationsperspektive insistiert“ daher zugleich, und das ist hier die entscheidende Konsequenz, „auf dem Bruch mit dem Fortschritt selbst“ (Brie 2014: 9).

Diese „doppelte Vision von gleichzeitigem Fortschritt und Rückschritt“ als hervorstechendem Kennzeichen der angestrebten Transformation, „kein Weiter-so, sondern eher ein Weiter-anders“, und das „in einer sehr grundsätzlichen Weise“ (ebd.), enthält zweifellos romantische Elemente. Auch wenn die Romantik „als Epoche“ der Vergangenheit angehört, so ist doch etwas von ihr übriggeblieben: das Romantische als „Geisteshaltung“. Es findet sich nicht zuletzt in dem erwähnten Transformationskonzept und in der adäquaten Kapitalismuskritik. Hierin zeigt sich eine Haltung, wie sie Rüdiger Safranski beschrieben hat: „das Romantische […] ist fast immer im Spiel, wenn ein Unbehagen am Wirklichen und Gewöhnlichen nach Auswegen, Veränderungen und Möglichkeiten des Überschreitens sucht“ (Safranski 2007: 392). Dabei erweist es sich, indem es nicht nur den Kapitalismus, sondern auch den technischen Fortschritt zur Disposition stellt, als „phantastisch, erfindungsreich, metaphysisch, imaginär, versucherisch“, aber eben „nicht sonderlich für Politik geeignet“ (ebd.), schon gar nicht für eine, die auf die Zukunft bezogen ist. Hierzu ist anzumerken, dass sich die Grundzüge dieser Haltung bereits in früheren Utopien finden, so z. B. die Wachstumskritik im Modell einer „gebremsten Ökonomie“ und die Globalisierungskritik im Konzept „regionaler Kreisläufe“. Ähnliches gilt für das „Regionalgeld“, das Grundeinkommen, ökologische Agrargemeinschaften und Manufakturen als vorindustrielle Wirtschaftsmodelle, die Ethik des Konsumverzichts, die Ersetzung des Autos durch das Fahrrad usw. (vgl. Saage 1991: 302ff.).

Mit der hierin zum Ausdruck kommenden Abkehr vom Fortschritt, der Technikabstinenz und Rückwärtsgewandtheit, den aus dem Gestern und Vorgestern entlehnten Visionen eines Lebens von Morgen und der Propagierung einer Zukunft, die ihre Bilder aus der Vergangenheit bezieht, ist ein zweiter Aspekt markiert, der es rechtfertigt, das utopische Denken in der Gegenwart als tendenziell romantisch zu klassifizieren.

Ein dritter Aspekt, der dies unterstreicht, bezieht sich auf den Fortgang des gesellschaftstheoretischen Denkens im 20. und 21. Jahrhundert, sowohl in der Nachfolge von Marx als auch im Gegensatz zu ihm beziehungsweise in der Befolgung gänzlich anderer Ansätze. Man denke hier an Bernstein, Hilferding, Weber, Freud, Gramsci, Benjamin, Horkheimer, Adorno, Bloch, Polanyi, Keynes, Minsky, Sartre, Althusser, Habermas, Castell u. a. m. Linke bedienen sich heute, nicht anders als Nichtlinke, aus dem Fundus verschiedenster Theorien. Ihr Denken ist damit gleichermaßen pluralistisch wie eklektisch. Mit der Aufgabe des Anspruchs aber, ein einheitliches und in sich geschlossenes Theoriekonzept zu vertreten, hat die Linke erheblich an Überzeugungskraft eingebüßt. Dies zum einen, weil dadurch eine Zersplitterung des Denkens und eine sektiererische Aufspaltung der Kräfte, wie dies der Begriff „Mosaik-Linke“ (Misik 2015) nahelegt, eingesetzt hat. Zum anderen, weil dadurch der theoretische Anspruch, eine konsistente Gesellschaftskonzeption zu besitzen, aufgegeben wurde. Damit aber wird auch das politische Ziel unscharf, subjektivistisch und in gewissem Maße beliebig.

Eine aktuelle Bestandsaufnahme der theoretischen Grundlagen linker Bewegungen führt zu dem ernüchternden Resultat, dass die gesellschafts- und systemkritischen Kräfte in Deutschland und in Europa derzeit keine konsensuale Vorstellung und „kein vorweisbares Bild von ihrer Hoffnungsgesellschaft“ (Klein 2013: 54) haben. Ihr Zielkonzept, eine Gesellschaft „jenseits des Kapitalismus“ zu errichten, über deren Konturen man jedoch keine klaren Vorstellungen hat, gleicht eher der „blauen Blume“ der Romantik als einer wissenschaftlich begründeten Theorie. In der Tatsache, dass die emanzipatorischen Kräfte über keine konkrete, „das heißt wesentlich ökonomisch fundierte und ganzheitliche Alternative“ (Müller 2014: 168) verfügen, manifestiert sich ein grundlegendes Defizit linker Politik: Sozialismus wird wesentlich als Antikapitalismus verstanden, kaum aber als Konstruktion von etwas Neuem. Um dies zu leisten aber bedarf es insbesondere eines ökonomischen „Basiskonzepts“, einer „brauchbaren Konstruktionsformel für die sozialistische Organisation der Volkswirtschaft“ (Korsch, zit. in ebd.: 170). Diese aber fehlt komplett! Die von den Linken favorisierten Ansätze sind vielmehr alle „im Umfeld der gesellschaftlichen Struktur und zunehmend des Kulturellen und der Identitäten angesiedelt“ (Misik 2015: 146), während die Ökonomie außen vor bleibt oder bestenfalls am Rande, und dann nicht selten falsch verstanden, vorkommt.[10]

Das hier konstatierte Ökonomiedefizit ist ein weiteres Merkmal romantischer Geisteshaltung, welche sich durch eine Fokussierung auf gesellschaftliche Strukturen, kulturelle Aspekte und individuelle Identitäten auszeichnet. Diese Schwerpunktsetzung liegt im Trend und findet in der geistigen Entwicklung unserer Zeit ihre Entsprechung. Erstaunlich ist jedoch, dass die Linke diesen Trend heute maßgeblich mitträgt, obwohl sie ökonomischen Analysen und wirtschaftspolitischen Konzepten traditionell eine große Bedeutung beimisst. Dies gilt nicht nur für Marx, Engels, Lenin und Luxemburg, sondern gleichermaßen für die Programmdiskussionen der Sozialdemokratie im 19. und im 20. Jahrhundert sowie für die realsozialistischen Experimente, die alle wesentlich ökonomischer Natur waren. Demgegenüber fällt die Abstinenz der heutigen Linken in Bezug auf die Ökonomie schon auf: Das „Gros der Linken“, so Misik, hat sich „in den vergangenen Jahrzehnten kaum für das harte und karge Brot der makroökonomischen Forschungen interessiert“ (Misik 2015: 152). Entsprechend dürftig ist ihre „Wirtschaftskompetenz“, was den Autor zu der saloppen Formulierung verleitet: „Da ist noch etwas Luft nach oben.“ (Ebd.)

Praktisch äußert sich dies derart, dass die Linken bei ihren wirtschaftspolitischen Forderungen, z. B. in Sachen Steuerpolitik, Finanzmarktregulierung, Geldreform, Einkommens- und Sozialpolitik usw., einerseits häufig auf veraltete und überholte Theorien von Proudhon, Lassalle und Marx rekurrieren, andererseits aber „Versatzstücke“ von Keynes oder aus der postkeynesianischen Theorie beibringen. Diese zwar ökonomischen, nicht aber unbedingt sozialistischen Ansätze werden dann mit nichtökonomischen Überlegungen wie allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen oder universalistischen Moralvorstellungen kombiniert. Dabei entsteht häufig der Eindruck, dass fehlende ökonomische Argumente durch moralische Grundsätze oder Maximen ersetzt werden. Thomas E. Schmidt meint sogar, dass die Moral hier „als Wiedervorlage unabgegoltenen Utopismus“ zu verstehen sei, das heißt, dass die sozialistische Utopie nach ihrem Scheitern im realen Sozialismus und ihrer Dauerverzögerung nunmehr „als universalistische Moral“ zurückkehrt (Schmidt 2001: 797). Das auf diese Weise zustande kommende Konglomerat von Ansätzen unterschiedlichster Provenienz ist theoretisch inkonsistent und hinsichtlich seiner politischen Konsequenzen vage, was nicht ohne Folgen für die „innere Logik“, die Überzeugungskraft und die Durchsetzbarkeit der darauf aufbauenden Politik bleibt.[11]

Sozialismus als Wissenschaft

Der wissenschaftliche Sozialismus bzw. Kommunismus des 19. und 20. Jahrhunderts hat sich als „eine nichtwissenschaftliche teleologische Konstruktion“ (Geier 2015: 6) und realitätsfremde „Utopie“ erwiesen. Er ist daher zusammen mit dem realen Sozialismus, als dem bisher einzigen historischen Verwirklichungsversuch dieser Utopie, gescheitert. Trotzdem ist der Sozialismus als Idee virulent und besteht er als alternatives Gesellschaftsmodell zum gegenwärtigen Kapitalismus bis heute fort. Die Überführung dieser Idee in ein wissenschaftliches Konzept verlangt aber mindestens drei Vorarbeiten:

Erstens muss die sozialistische Idee von ihrer historischen Bindung an die wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Gegebenheiten der Frühphase der kapitalistischen Moderne gelöst werden. Dazu gehört, dass man sich von der Vorstellung eines revolutionsbereiten Proletariats als Subjekt des historischen Fortschritts freimacht, ferner von dem Glauben an diesen Fortschritt als einem sich zwangsläufig vollziehendem Prozess selbst und von dem geschichtsphilosophischen Optimismus, wonach der Kapitalismus gesetzmäßig durch den Sozialismus abgelöst werden wird. Axel Honneth bezeichnet diese drei konzeptuellen Grundannahmen als die „theoretischen Erblasten des Sozialismus“ (Honneth 2015: 80), die es im 21. Jahrhundert zu überwinden gilt.

Zweitens ist eine Wissenschaft vom Sozialismus heute nur als zeitgemäße Gesellschaftstheorie, als Quintessenz der Errungenschaften des gesellschaftstheoretischen Denkens im 21. Jahrhundert vorstellbar, nicht aber als Reinkarnation veralteter und überholter Anschauungen, über welche die Zeit längst hinweggegangen ist. Insofern ist der Sozialismus heute, soll er eine Zukunft haben, nur in „postmarxistischer Form“ (Honneth 2015: 87) denkbar oder, bezogen auf die Utopien der Vergangenheit, als „revidierter Sozialismus“ (ebd.: 147). Dazu gehört auch die Verwirklichung der Einheit von gesellschaftlichem System und Lebenswelt der Individuen, die bisher konzeptionell wie praktisch unbewältigt geblieben ist.

Drittens erscheint es unabdingbar, dass sich ein wissenschaftliches Sozialismusbild an den Gegebenheiten der Gegenwart bzw. der Zukunft orientiert und nicht an der Vergangenheit. Es ist deshalb – in Wirtschaft, Technik und Kultur – jeweils vom höchsten Stand der Entwicklung auszugehen und daran anzuknüpfen. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob die Transformation zu einer postkapitalistischen Gesellschaft evolutionär, durch sukzessive Reformen und Veränderungen innerhalb der bestehenden Gesellschaft, herbeigeführt wird oder aber auf revolutionärem Wege, durch gesellschaftliche Brüche und abrupte Neusetzungen. Nicht gleichgültig ist dagegen, wohin die Reise gehen soll, zu einer klar definierten und anhand wissenschaftlicher Kriterien bestimmten neuen Gesellschaftsordnung oder ins phantastische Nirgendwo. Dies aber macht nicht zuletzt den Unterschied zwischen einer wissenschaftlichen Zukunftsvorstellung und einer romantischen Utopie aus.

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Anmerkungen

[1] Valentin Katajew: Das Gras des Vergessens [1967]. Berlin: Volk und Welt 1987, S. 216.

[2] Vgl. dazu Ruben 1990 und 1998 sowie frühere Debatten über Sozialismus und Kommunismus als Gesellschaftsbilder und historische Konzepte in den Parteiprogrammen und Ideologien der realsozialistischen Gesellschaften.

[3] Marx sandte seine kritischen Randglossen zum Gothaer Parteiprogramm zunächst nur an Wilhelm Bracke, allerdings mit der Bitte, diese nach erfolgter Durchsicht auch anderen Genossen mitzuteilen. 1891 wurde der Text von Engels veröffentlicht. Später galt er dann als einer der wichtigsten und für die praktische Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft maßgebenden Arbeiten überhaupt. Als solcher aber war er nie gedacht gewesen, was zu Missverständnissen führte und auf die o. g. theoretische Lücke verweist (vgl. Marx 1875: 13ff.).

[4] Vgl. z. B. Lenins Auslassungen zum Programmentwurf Plechanows von 1902 (Lenin 1902: 1-65).

[5] So enthält das Sachregister der russischen Marx-Engels-Werkausgabe unter dem Schlagwort „Kommunismus“ mehr als 620 Einträge (Dlubek/Merkel 1981: 7). Das Sachregister der deutschen Werkausgabe weist zu den Stichworten „Sozialismus“ und „Kommunismus“ einen ähnlichen Umfang an Einträgen auf.

[6] Es ist auffällig, dass es bei Lenin nur wenige Aussagen über den Sozialismus gibt, z. B. in „Staat und Revolution“ (1917: 393-506) und in „Ökonomik und Politik in der Epoche der Diktatur des Proletariats“ (1919), und diese sich zudem sehr eng an Marx anlehnen, während sich bei Stalin keine darüber hinausgehende Beschreibung der neuen Gesellschaft findet. Bestimmte formelhafte Aussagen, z. B. über den „neuen Menschen“ und über die „kommunistische Überflussgesellschaft“, bleiben abstrakt und unterkomplex. Von wenigen Ausnahmen, wie dem „ABC des Kommunismus“ von Nikolai Bucharin und Jewgeni Preobraschenski (1920) abgesehen, blieb die konkrete Ausmalung des Lebens in der sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaft bis zuletzt vor allem den schönen Künsten, insbesondere der Belletristik, vorbehalten, während die Theorie hier eine bemerkenswerte Leerstelle verzeichnete (vgl. Saage 2003: 277ff., 529, 536).

[7] Dies stellt nur eine Erklärung für das Scheitern des Realsozialismus dar. Daneben gibt es andere Erklärungsansätze, die hier nicht thematisiert werden sollen. Auffällig ist jedoch, dass einschlägige Analysen diese Problematik zumeist gänzlich ausblenden und dem Verhältnis von Staatssozialismus und Marxscher Theorie keine einzige Zeile widmen (vgl. Reißig/Glaeßner 1991; Wenzel 2000; Steinitz 2007; Dieterich u. a. 2007; Schultz/Wagener 2007; Steiner 2007).

[8] Unter „Linke“ bzw. „links“ wird hier eine politische Richtung, Denk- und Lebenshaltung verstanden, nicht aber eine bestimmte Partei oder konkrete Vereinigung.

[9] Vgl. dazu Dullien u. a. 2009 und Busch/Land 2013, welche zeigen, wie sich der Kapitalismus der Nachkriegszeit und der 1960er Jahre vom neoliberalen Finanzmarktkapitalismus der Gegenwart unterscheidet.

[10] Bezeichnend dafür ist die Definition der angestrebten Transformation als ein vor allem sozialer und kultureller Prozess in „Futuring“ (Brie 2014) sowie das hier vorgestellte „neue Paradigma“ der Transformationsforschung, welches die Wirtschaftswissenschaften ausklammert (ebd.: 94). Vgl. dazu kritisch Busch 2014.

[11] Robert Misik führt eine Reihe von Beispielen dafür an, welche Widersprüche hieraus resultieren und zu welchen Schwierigkeiten dies in der praktischen Politik führt (vgl. Misik 2015: 153). Darüber hinaus offenbart sich der romantische Charakter der Utopie-Vorstellungen heute in der Positionierung der Linken zu Einzelfragen, so z. B. zur Globalisierung, zu ökonomischen Kreisläufen, zur Autarkie, zum Wirtschaftswachstum, zum Konsum, zur Energiewende, zum Geld, zum Finanzmarkt usw.

 

Erschienen in: Berliner Debatte Initial, 27. Jahrgang, Heft 2/2016, S. 94-106