Operation »Verschrottung« gescheitert

Renzis Niederlage beim Referendum

Der selbsternannte »rottamattore« ( »Verschrotter«) der alten politischen Kaste, Matteo Renzi, hat das Referendum über eine Verfassungsreform eindeutig verloren und wird seinen Platz in der ersten politischen Reihe räumen. Bei hoher Wahlbeteiligung (68%) wurde die Verfassungsreform von ca. 60% der WählerInnen abgelehnt.

Renzi, der selbst in der demokratischen Partei nicht alle für die Reform mitnehmen konnte, erklärte: »Wir haben sie nicht überzeugen können. Die Nein-Front hat auf unglaubliche Weise gewonnen. Wir haben es versucht und haben den Italienern eine Chance zur Modernisierung gegeben. Wir haben Millionen von Stimmen erhalten. Ich übernehme die Verantwortung für die Niederlage. Wer für ein Ideal kämpft, kann nicht verlieren.«

 

Stimmungswandel kostete Renzi den Sieg

Die zunächst positive Stimmung für Renzis »Modernisierung« hatte sich in den letzten Monaten gedreht. Das Kernprojekt hatte zu viele Schattenseiten und die Unterstützung schwand dahin wie der Schnee in der März-Sonne. Bei seinem Antritt als Ministerpräsident im Februar 2014 hatte Renzi versprochen, das seit der großen Krise 2008/2009 in einer Krisenkaskade feststeckende Land zu reformieren und wieder auf einen Wachstumspfad im Kapitalismus zu führen. Bis zu Beginn des Jahres hatte er eindeutig große Unterstützung, doch in den letzten Monaten hat er kontinuierlich an Popularität eingebüßt.

Denn von Aufschwung ist noch immer wenig zu spüren und die Aufbruchstimmung in Sachen politischer Reform hat sich zunehmend in Misstrauen gegen den Regierungschef verwandelt. Außer dem regierenden Partito Democratico (PD) und einigen kleineren Koalitionspartnern kämpften am Ende alle Parteien gegen die Verfassungsreform, und der Jubel war in der Nacht auf Montag entsprechend groß.

Auch Teile der sozialistischen oder radikalen Linken haben sich in die Nein-Front eingereiht. Beispielweise hat Rossana Rossanda, eine Vorkämpferin für eine sozialistisch-feministische Erneuerung der italienischen Linken, mit der »rechten Meute« gestimmt. Das Argument: Renzi sei »genauso schlimm« wie jene Populisten. Mit ähnlicher Motivation haben viele Parteifreunde Renzis wie Ex-Regierungschef Massimo D'Alema oder der langjährige Parteivorsitzende Pier Luigi Bersani sich gegen das Referendum ausgesprochen.

Die Verfassungsreform sollte das Zwei-Kammer-System vereinfachen. Geplant war, die zweite Kammer (den Senat) von 315 Mitgliedern auf 100 zu stutzen und nicht mehr vom Volk wählen zu lassen. Auch hätte der Senat nicht mehr das Recht gehabt, über alle Gesetze abzustimmen. Renzi hatte argumentiert, dass damit die dauernden Regierungsblockaden in Italien aufgelöst würden. Ein zentrales Ziel der Reform war es, die häufigen Regierungswechsel in Italien und die langwierigen Prozesse im Gesetzgebungsverfahren zu beenden.

Gegen diesen Umbau der staatlichen Institutionen gab es viele Einwände von Verfassungsrechtlern. Die politische Instabilität auszuschalten, heißt eben auch Einschränkung von Partizipation. Dies mag für eine Reform im »System« die Bedingungen verbessern, löst aber letztlich nicht die gesellschaftlichen Verfallsprozesse.

Im Verlauf der Kampagne ging es mehr und mehr um das Problem, dass Renzi mit der »Vereinfachung« auch gesellschaftliche Gegenkräfte beiseiteschieben wollte. Die »Modernisierung des Arbeitsmarktes« hatte zu Recht den Widerstand der Gewerkschaften mobilisiert. Die »Verschrottung« blieb eben nicht auf Teile der politischen Klasse beschränkt, sondern war ein umfassendes Projekt der Modernisierung und Verschiebung der Machtverhältnisse in der italienischen Gesellschaft.

Auch in seiner Partei ist der ehemalige Bürgermeister von Florenz umstritten, vor allem beim linken Flügel. Außerdem hielten ihm viele BürgerInnen vor, dass er nie vom Volk gewählt wurde, sondern seinen Vorgänger mit Hinterzimmer-Methoden aus dem Amt gedrängt hatte. Es gilt gleichwohl als wahrscheinlich, dass Renzi bei den nächsten Wahlen als Kandidat der PD antritt.

Renzi hat als »Verschrotter« eine breite Nein-Front geschaffen, weil er die Modernisierung gleichsam als Minderheitenprojekt durchdrücken und für eine Re-Vitalisierung der kapitalistischen Ökonomie bündeln wollte. Die Ablehnung wurde auch durch seine selbstgefällige und autoritäre Art gefördert. Von einer demokratischen Zukunft mit Renzi waren viele nicht mehr überzeugt und insofern gab es ein breites Bündnis der Ablehnung.

 

Machtübernahme der Populisten rückt näher

Noch ist die Nein-Front politisch heterogen und kein handlungsfähiger Akteur. Die Rechtspopulisten der Lega Nord sehen sich als Sieger. Sie feiern den »Sieg des Volkes gegen die starken Mächte«. Der Aufwärtstrend unter Parteichef Matteo Salvini ist unübersehbar. Er fordert sofortige Neuwahlen.

Auch die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung will rasche Neuwahlen. »Die Italiener sollten schnellstens zur Wahl gerufen werden«, schrieb ihr Sprecher Beppe Grillo. Grillo und die »Movimento 5 Stelle« sehen die Ablehnung der Verfassungsreform als Beginn einer großen politischen Umwälzung Italiens und Europas. In Umfragen liegt die Grillo-Bewegung mit über 30% Zustimmung schon seit längerem knapp vor dem PD, und der Sieg im Referendum dürfte Grillo weiteren Auftrieb geben. Eine Machtübernahme der Populisten ist mit dem jüngsten Votum in Italien eindeutig näher gerückt. Eine ausgemachte Sache ist sie angesichts der vielen Unwägbarkeiten allerdings nicht.

Parteichef Grillo hatte die Machtübernahme durch die Bürgermeisterin Virginia Raggi in Rom als Hauptprobe für die Machtübernahme auf nationaler Ebene ausgerufen. Interne Machtkämpfe, fragwürdige Ernennungen und fehlende Expertise machen die kommunale Administration allerdings zu keinem überzeugenden Exempel. Auch dies ein üblicher Vorgang im europaweiten Aufstieg des Rechtspopulismus. Die Frage der politischen Inhalte bleibt bei den Wahlvoten in der Regel so wenig wirksam wie das angerichtete Chaos in der öffentlichen Verwaltung.

Wenn es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, wird Italien mit schwierigen politischen Kräfteverhältnissen umgehen müssen. Die Fünf-Sterne-Bewegung würde als stärkste Kraft jedwede Regierungsbildung zu einer schwierigen Operation machen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der Instabilität im Bankensystem sind solche Bedingungen nicht förderlich für eine Krisenbewältigung.

Immerhin: Das Nein einer deutliche Mehrheit der Wahlbevölkerung zur neuen Verfassung und der angekündigte Rücktritt von Ministerpräsident Matteo Renzi haben die Finanzmärkte bisher nicht in einen Abwärtsstrudel gestürzt, wie zum Teil befürchtet worden war. Allerdings ist in den nächsten Wochen eine Zuspitzung politischer und wirtschaftlicher Instabilität in Italien und der nach dem Brexit geschwächten Europäischen Union nicht auszuschließen. Eine italienische Regierungskrise könnte die ohnehin labilen italienischen Banken ins Wanken bringen. Durch mögliche Ansteckungseffekte besteht durchaus die Gefahr einer neuen Finanz- und Schuldenkrise in Europa.

Die Chance einer demokratischen Erneuerung der politischen Willensbildungsprozesse ist durch die Logik der Verschrottung zerstört worden. Einen erneuten Anlauf wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Allerdings bedeutet der Rücktritt eines Ministerpräsidenten mit autoritären Neigungen nicht automatisch eine eurokritische Fünf-Sterne-Regierung und eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise.

Wahrscheinlicher ist, dass die politische Klasse in Italien wieder einmal den Ausweg in einer vermeintlich a-politischen Technokraten-Regierung sucht. Solche Übergangsregierungen in Italien und Europa sind freilich nur Zwischenstadien im Prozess der weiteren Verselbständigung der Staatsapparate.

Italien durchlebt erneut eine Regierungskrise. Renzi ist mit seinem Versuch gescheitert, das krisengeschüttelte Land zu reformieren. Sein Rücktritt dürfte europafeindlichen Populisten in Italien, aber auch anderswo Auftrieb geben. Nachdem Italien über Monate vom Wahlkampf um das Verfassungsreferendum geprägt war, wird die politische Willensbildung weiterhin große Aufmerksamkeit absorbieren. Die Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme bleibt so den spontanen Kräften des Markts überlassen.

Die Wahlsieger der Nein-Front, von der oppositionellen Minderheit der Demokraten bis zu den Protestparteien, haben keinerlei Ansatz, sich auch nur auf eine Übergangsregierung zu verständigen. Ob ein Kabinett von »Fachleuten« die Unterstützung findet, einen Haushalt für das Jahr 2017 durch das Parlament zu bringen, ist gleichfalls wenig wahrscheinlich