Keine Aufnahme weiterer selektiver Untersuchungen in die Regelversorgung!

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im August 2016 das Methodenbewertungsverfahren zur Einführung von nicht-invasiven pränatalen Tests (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21 in die reguläre Schwangerenversorgung eingeleitet. In dem Verfahren soll geprüft werden, ob und wie die Kosten der genetischen Bluttests von den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) übernommen werden können, auch im Vergleich mit Untersuchungen wie der invasiven Chorionzottenbiopsie und Amniozentese.(1) Zusätzlich will das Plenum des G-BA am kommenden Donnerstag, den 16. Februar, das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) mit der Erstellung einer Versicherteninformation beauftragen.WEITERE INFOS: gen-ethisches-netzwerk.de/gid240

Die zur Diskussion stehenden NIPT auf die Trisomien 13, 18 und 21 bewirken keine Verbesserung der medizinischen Versorgung der Schwangeren oder des werdenden Kindes. Aus den Ergebnissen der Tests ergeben sich keine Therapiemöglichkeiten, sie stellen lediglich die - eigentlich bereits getroffene - Entscheidung für das werdende Kind in Frage. Die pränatale Suche nach genetischen Merkmalen ist eben keine Schwangerenvorsorgeuntersuchung, sondern eine selektive Fahndung nach unerwünschten Abweichungen. Untersuchungen ohne medizinischen und therapeutischen Nutzen dürfen laut SGB V von den Krankenkassen jedoch nicht übernommen werden, Aufgabe des G-BA ist es, den unterstellten Nutzen zu prüfen. Bei den jetzt verhandelten Bluttests steht aber von vornherein fest, dass diese den besagten Nutzen nicht haben werden: Der G-BA hätte das Verfahren niemals eröffnen dürfen, wenn er seinem (gesetzlichen) Auftrag gerecht werden will. Der Ausschuss müsste nicht überprüfen, ob NIPT in die Schwangerenversorgung aufgenommen werden soll, sondern vielmehr, ob die (invasive) nicht-therapeutische Suche nach pränatal feststellbaren Behinderungen, Krankheiten und Besonderheiten überhaupt Teil der Regelversorgung sein darf. Zwar sind die nicht-invasiven Methoden schonender für die Schwangere als die bereits von den Krankenkassen übernommenen invasiven Untersuchungen - die Suche nach fötalen Normabweichungen ohne medizinischen Nutzen ist aber generell unzulässig, unabhängig vom Verfahren. Aus diesem Grund gehört die selektive PND insgesamt auf den Prüfstand.

Der Vorsitzende des Ausschusses, Prof. Josef Hecken, hatte bei der Eröffnung des Verfahrens im August erklärt, die „Befürchtungen einer möglichen Indikationsausweitung der Pränataldiagnostik“ „besonders im Blick behalten“ zu wollen, da diese „in besonderer Weise fundamentale ethische Fragestellungen berührt“. Wie das geschehen soll ist jedoch weiterhin völlig ungeklärt! Wir begrüßen seine Aufforderung an den Bundestag, die gesellschaftspolitische Diskussion um die Untersuchungsmethoden und ihre Finanzierung aufzunehmen. Das müsste zur Folge haben, zunächst diese Debatte und ihre Ergebnisse abzuwarten und nicht das Verfahren der Methodenbewertung weiterzuführen. Ansonsten gibt der G-BA weder dem Bundestag noch sich selbst Raum für ethische Fragen sondern schafft Fakten.

Auch wenn die Tests nur „Risikoschwangeren“ als Teil der Schwangerenvorsorge angeboten werden sollen, betrifft dies mittlerweile viele Frauen. Außerdem sind pränatale Untersuchungen in der Vergangenheit immer erst für bestimmte Gruppen eingeführt worden - der Kreis der Angesprochenen hat sich dann sukzessive erweitert. Das Testangebot wird zudem die Sorge um das werdende Kind verstärken und noch mehr Frauen und Eltern in Entscheidungskonflikte bringen als es die pränatale Schwangerschaftsüberwachung ohnehin schon tut. Mit der vielbeschworenen selbstbestimmten Entscheidung hat das wenig zu tun.

Tests auf Behinderungen stellen diese prinzipiell als vermeidungswürdig heraus. Wenn diese in die Regelversorgung übernommen werden, suggeriert das den Schwangeren, der Gesellschaft und den Menschen, die mit dieser Behinderung leben, dass es gesellschaftlich anerkannt und angestrebt wird, die Geburt von Menschen mit dieser Behinderung zu verhindern. Dies widerspricht der von Deutschland 2009 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Durch deren Artikel 8 verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten „Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen“ „in allen Lebensbereichen zu bekämpfen“. Wenn öffentliche Ressourcen bereitgestellt werden, um die Geburt von Menschen mit Behinderung zu vermeiden, ist von einer solchen „schädlichen Praktik“ auszugehen, weil sie die negativen gesellschaftlichen Bewertungsmuster über die gesuchten Behinderungen insbesondere, aber auch über das Leben mit Behinderung allgemein, verstärkt.

An dem Vorgehen des G‐BA zeigt sich erneut, dass die UN‐BRK in Deutschland weder vollständig umgesetzt wird noch die jeweiligen Institutionen immer in ihrem Sinne handeln. Zur Umsetzung von Inklusion gehört es auch, die Betroffenen einer Maßnahme an der Entscheidung über sie zu beteiligen. Menschen mit Behinderung - vor allem die, nach deren Merkmalen systematisch gesucht wird - müssen also in die anzustrebende Diskussion über die bisherige Praxis der selektiven Pränataldiagnostik einbezogen werden. Diese politische und zivilgesellschaftliche Diskussion muss sich auf die UN-BRK stützen und darum gehen, wie die Verletzung von Menschenrechten verhindert werden kann.

Die unterzeichnenden Organisationen wenden sich gegen die weitere Normalisierung selektiver Pränataldiagnostik und fordern eine andere Art der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Schwangerenvorsorge und Behindertenfeindlichkeit:

Keine Aufnahme weiterer selektiver Untersuchungen ohne therapeutischen Nutzen in die Regelversorgung!

Der G-BA sollte das Methodenbewertungsverfahren abbrechen und stattdessen die bereits in die Regelversorgung aufgenommenen Tests auf ihren medizinischen Nutzen überprüfen!

In einer breit angelegten gesellschaftlichen Diskussion kann es nicht nur um den genetischen Bluttest gehen, vielmehr gehört die bisherige Praxis der selektiven Pränataldiagnostik insgesamt auf den Prüfstand.

Personengruppen, nach deren „Abweichung“ systematisch gesucht wird, müssen in die Diskussion mit einbezogen werden!

Liste der unterstützenden Organisationen:

AKF - Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V.

ASBH - Gesellschaft der Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus e. V.

ASL - Arbeitsgemeinschaft für selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen e.V.

BeB - Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V.

BioSkop Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien e.V.

Bundesverband der Frauengesundheitszentren e. V.

bvkm - Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.

DGHWi - Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V.

Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e.V.

EbE - Eltern beraten Eltern von Kindern mit und ohne Behinderung e.V.

Familiengruppe Leben mit Down-Syndrom

GeN - Gen-ethisches Netzwerk e.V.

ISL - Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V.

KIDS Hamburg e.V.

Kontakt- und Informationszentrum Down-Syndrom LBB - Landesbehindertenbeauftragter Bremen