Starkes Signal für die Erneuerung des bürgerlichen Lagers

Die Landtagswahlen in NRW

Die Abstimmung in Nordrhein-Westfalen war die letzte Landtagswahl vor der Bundestagswahl am 24. September. Rund 13,1 Mio. Wahlberechtigte waren aufgerufen, den neuen Landtag zu wählen. Knapp 840.000 von ihnen waren ErstwählerInnen. Die CDU konnte ihr Ergebnis von 26,3% auf 33,0% steigern und mit einer Rechtskehre die AfD deutlich unter einem zweistelligen Ergebnis halten.

Die SPD sackte auf ein historisch tiefstes Ergebnis von 31,2% (-7,9%) und ihr bisheriger Koalitionspartner schaffte es mit Mühe auf 6,4% (-5%). Neu im Landtag ist die AfD mit 7,4% trotz ihrer bundesweiten Führungskonflikte um den rechts-völkischen oder national-konservativen Kurs der Partei.

DIE LINKE verpasste den Einzug in den Landtag von NRW mit einem Stimmenanteil von 4,9% knapp. 2012 hatte sie den Wiedereinzug mit nur 2,5% deutlich verfehlt, als die SPD nach der Ablehnung des Haushalts durch DIE LINKE die Auflösung des Landtages beantragte. Die Linkspartei wollte aus ideologischer Borniertheit die nicht sehr komfortable Position als Tolerierungspartei verlassen, konnte aber anschließend der Wählerschaft ihr Verhalten und ihre Einschätzung des Haushalts als »neoliberal« nicht vermitteln. Das war in einem Umfeld aus Piraten-Hype und innerparteilichem Führungsstreit auf Bundesebene verhängnisvoll.

2017 hat DIE LINKE trotz der gestiegenen Wahlbeteiligung immer noch rd. 20.000 Stimmen weniger als bei der Landtagswahl 2010, auch wenn sie ihre Stimmenzahl gegenüber dem Debakel von 2012 mehr als verdoppelt und damit viele WählerInnen zurückgewonnen hat. Ihre Kampagne war eindeutig gegen die Landesregierung ausgerichtet und ließ die CDU vollständig aus der Kritik. Für die Verschiebungen im Alltagsbewusstsein entwickelt sie weiterhin kein Gespür.


Angstrohstoff Zukunftssorgen

Für die Fortsetzung von Rot-Grün gab es schon lange keine Mehrheit mehr in den Umfragen. Für 40% aller BürgerInnen Nordrhein-Westfalens haben sich die Lebensverhältnisse im bevölkerungsreichsten Bundesland in den vergangenen Jahren subjektiv verschlechtert. Nur 15% meinen, dass sie sich verbessert hätten, und 38% sind der Auffassung, sie hätten sich nicht geändert.

Diejenigen, die meinen, dass sich die Lebensbedingungen in den vergangenen Jahren verschlechtert hätten – darunter 88% der AfD-AnhängerInnen –, sollten bei einer Befragung offen und ohne Vorgaben angeben, was ihrer Meinung nach alles schlechter geworden sei. 46% sagen, Kriminalität und Gewalt hätten zugenommen, 44% beklagen Probleme im Bildungswesen, 42% monieren das Verkehrsaufkommen und den Zustand der Straßen, 20% die marode Infrastruktur. Damit waren die großen Wahlkampfthemen gesetzt.

Das »NRWir-Gefühl«, mit dem die SPD an das Motto ihres früheren Landesvaters Johannes Rau anknüpfen wollte, hat sich verflüchtigt. Das Gefühl, alles gehe den Bach herunter, ist verbreitet und sammelt sich bei rechtspopulistischen Rattenfängern. Die größte Problemzone, das Ruhrgebiet, kam dabei in den Programmen der beiden großen Parteien gar nicht vor.

Die Ungewissheit und Zukunftsangst schlug sich in einer ansteigenden Wahlbeteiligung (+5,6%) nieder. Ergebnis: eine Rechtsverschiebung, die nicht nur die Rechtspopulisten, sondern auch die CDU instrumentalisierte. In der letzten Phase sahen wir einen »Wutbürger-Wahlkampf« mit dem Zentralthema innere Sicherheit. Aber auch das FDP-Resultat von 12,6% verdankt sich den ungelösten Zukunftsproblemen.

Befragt nach den für die individuelle Wahlentscheidung wichtigsten Themen, antworteten 29% mit »wie es in unseren Schulen aussieht«, 22% nannten »die politisch unruhige Lage in der Welt«, 15% »wie Polizei für unsere Sicherheit sorgt«, 13% »wer als Ministerpräsident/-in NRW führt« und 11% das bundespolitische Äquivalent »wer als Kanzler/-in unser Land führt«.

Wahlentscheidende Themen waren, laut Infratest dimap:

  •     Soziale Gerechtigkeit (46%),
  •     Wirtschaft und Arbeit (40%),
  •     Schule und Bildung (31%) sowie die
  •     Innere Sicherheit (22%).

Gegenüber Infratest dimap nannten 59% der Befragten Angela Merkel als den wichtigsten Grund die CDU zu wählen. Frau Kraft hatte mit der asymmetrischen Demobilisierung der eigenen Anhängerschaft auf den verblassenden Schulz-Effekt reagiert. Die Enttäuschung darüber, dass dem erkennbaren Mitgefühl für soziale Schieflagen und dem Benennen von Handlungsbedarf durch den neuen Parteivorsitzenden keinerlei programmatischen Vorschläge folgten, war spürbar. Das Thema soziale Gerechtigkeit war nicht eingebettet in einen Diskurs über Zukunftsfähigkeit und Leistungsgerechtigkeit.

Offenbar wollte die NRW-SPD sich nicht von diesem Trends absetzen und machte nur sehr kleinteilige Zusagen zum Thema sozialer Gestaltung.[1] Faktisch hat Frau Kraft damit die Unfähigkeit ihrer Landesregierung in den letzten fünf Jahren eingestanden. Denn wenn man nicht mehr auf die Hebel des Staatskredits zurückgreifen möchte und zu Steuererhöhungen nicht durchsetzungsfähig ist, dann bleiben nur der Verfall der Infrastruktur, das Zurücklassen der Kinder und der Verzicht auf jedweden Gestaltungsansatz.

Der Gipfel der politischen Konzeptionslosigkeit und Ausdruck der Bürgerferne war die Ausgrenzung der Linkpartei kurz vor der Wahl: »Mit mir als Ministerpräsidentin wird es keine Regierung mit Beteiligung der Linken geben.« DIE LINKE erhebe unrealistische und unbezahlbare Forderungen und erkenne die verfassungsmäßige Schuldenbremse nicht an. »Damit ist keine seriöse Politik möglich«, sagte Kraft. DIE LINKE beantwortete die Intervention der Ministerpräsidentin durch weiteres Zurückstecken. Man wäre auch zu einer Tolerierung bereit, setzte aber inhaltlich kein inhaltliches Gesprächsangebot dagegen.


Die Grünen abgestraft

Die Grünen wirken altbacken, bevormundend und auf die Verteidigung ihres privilegierten Lebenstils ausgerichtet, der vom status quo profitiert.[2] In den Auseinandersetzungen um den Braukohletagebau oder die Urananlagen im Münsterland, alten Kernthemen der Partei, sind sie kaum noch personell oder inhaltlich vertreten. Parteivorsitzende und Noch-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann wird dafür verantwortlich gemacht, dass die Schulpolitik der letzten Jahre vielleicht in der Umsetzung nicht ganz richtig gewesen sei.

Die Bildung ist das Thema, das viele Menschen in NRW bewegt. Und da ist die verantwortliche Bildungsministerin Feindbild Nummer eins, auch wenn sie vieles lediglich umgesetzt hat, was die Vorgänger-Regierung unter schwarz-gelber Führung beschlossen hatte. Sei es das Umschwenken auf ein verkürztes Abitur (G8) oder die Inklusion, die mangels qualifizierten Personals und räumlicher Voraussetzungen in ein Debakel taumelt.

Die FDP hat das genuine Landesthema Bildung mit vagen Versprechungen für sich ausgeschlachtet: Sie habe die geeigneten Maßnahmen in petto, mit denen der nexus zwischen Leistung, Aufstieg und Entlohnung wieder hergestellt werden könne. »Macht was aus eurem Leben! Wir machen euch stark durch Bildung. Wir schützen euch vor Bürokratie!« Mit diesem Aufruf zur Selbstermächtigung zieht FDP-Chef Christian Lindner in gleich zwei Wahlkämpfe. Den Satz »Scheitern ist keine Alternative« wiederholt Lindner seit Wochen. Damit waren die Liberalen erfolgreich an der Eindämmung des Rechtspopulismus beteiligt, dem mit dem verebbenden Flüchtlingsstrom eine wichtige Treibstoff-Komponente auszugehen drohte.

Sicherheitspolitisch dreht die FDP ihre liberalen Positionen zurück. So sollen sogenannte Gefährder mittels elektronischer Fußfesseln in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und gegebenenfalls abgeschoben werden, auch wenn nicht klar ist, wie diese Personengruppe rechtsstaatlich zu fassen ist. Für Flüchtlinge gelte, dass sie prinzipiell in ihre Heimat zurückkehren müssen. Sichere Herkunftsstaaten sind auch für die FDP eine Sache der Definition. Und wer bleiben darf, weil »wir« ihn brauchen, soll ein Einwanderungsgesetz regeln.


Verunsicherung: mehr als ein Thema für Sicherheitspolitik

Inhaltliche Schwerpunkte setzte die CDU vor allem bei der Verunsicherung der Bürgerschaft mit dem Thema innere Sicherheit. Innenminister Ralf Jäger eignete sich als Feindbild für links wie rechts. Er ließ in Köln 3.000 Hooligans wüten. Wegen mangelnder Aufsicht kam es bei den privaten Sicherheitsdiensten in den Unterbringungseinrichtungen für Geflüchtete zu rassistisch motivierten Übergriffen. Er konnte sich von den Beschuldigungen und fake news rund um die mythische Kölner Silvesternacht ebenso wenig befreien wie von den Vorwürfen, seine Behörden hätten jenseits der Grenzen der Rechtstaatlichkeit mit dem späteren Attentäter Amri auf Basis von Verdachtsmomenten hantieren sollen. Der Skandal um die sachgrundlose bezahlte Freistellung des mediensüchtigen Vertreters einer rechtslastigen Standesorganisation, die als Polizeigewerkschaft firmiert, kam hinzu. Blitzmarathons empörten die Gemüter der alltagskriminellen Geschwindigkeitsüberschreiter.

CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet schwenkte auf eine große »Sicherheitsoffensive« ein – im Zentrum der Angriff auf SPD-Innenminister Jäger. Wolfgang Bosbach wird eine sechsköpfige Regierungskommission leiten, die die Sicherheitsarchitektur in NRW einer Generalrevision unterziehen soll. Er will jetzt »wieder für Recht und Ordnung sorgen«. NRW hat schon seit Längerem Schwierigkeiten mit Kleinkriminalität, Einbrüchen und Diebstählen. Nach Veröffentlichung der jährlichen Kriminalstatistik konnte Bosbach Sätze sagen wie: »Das Risiko, Opfer eines Wohnungseinbruchs zu werden, ist in NRW fünf Mal höher als in Bayern.« Damit appellierte er an eine Verunsicherung aller Lebensverhältnisse, die jedoch von der AfD besser adressiert wird, sobald es ihr gelingt, nicht nur die politische Elite anzuschwärzen, sondern auch ein ressentimentbeladenes Feindbild zu beschreiben.


Die Strategie

DIE LINKE hat den Sprung in den Landtag von Nordrhein-Westfalen knapp verpasst. Das macht den Weg frei für eine mögliche schwarz-gelbe Koalition – sie hätte dem amtlichen Endergebnis zufolge eine hauchdünne Mehrheit. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn schätzt dies zu Recht als ein »starkes Signal« für die Bundestagswahlen und die weiteren Machtperspektiven ein. Wenn in NRW eine solche Koalition aus CDU und FDP funktioniere, »wäre das ein Zeichen, dass es auch bundesweit geht«, sagte Spahn nach dem deutlichen CDU-Wahlsieg. Die politische Strategie wird klar umrissen: Es geht um die Rückeroberung der politischen Macht für die »klassischen Parteien« des bürgerlichen Lagers. Eine solche Erneuerung ist möglich, wenn Rot-Grün herabgestuft und die Linkspartei politisch erfolgreich marginalisiert werden kann. Weiter bedarf es einer deutlichen Wiedergewinnung von Stimmen aus dem Nicht-Wählerbereich[3] und damit zugleich eine Eindämmung des rechten Populismus.

Der erfolgreiche Politikwechsel in NRW – so die Überlegung der Strategen von der Union – könnte den Durchbruch anzeigen: Die »Gängelung und Regulierung von Rot-Grün« werde beendet. Die neue NRW-Landesregierung unter Armin Laschet soll wieder Dynamik ins Land bringen. Laschet gilt als treuer Gefolgsmann von Bundeskanzlerin Angela Merkel, auch in der Flüchtlingspolitik.

Der 56-Jährige zählt zum linken Flügel der Christdemokraten. Von 2005 bis 2010 hatte er das damals neugeschaffene Amt des Integrationsministers in Nordrhein-Westfalen inne. Von Düsseldorf aus unterstützte er Merkel beim Umbau der CDU, der auch eine größere gesellschaftspolitische Öffnung vorsah. Laschet wurde damals über die Landesgrenzen hinaus bekannt, weil er für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf plädierte und für mehr Offenheit gegenüber Flüchtlingen warb. Im Prinzip hat Laschet die angestrebte Neuausrichtung gegen die Linksentwicklung der CDU vorweg genommen.

Die angestrebte neue sozio-ökonomische Dynamik soll von NRW auf das bundespolitische Programmangebot der CDU ausstrahlen. Für eine Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft brauche es keineswegs nur öffentliche Mittel, sondern Deregulierung – und einen neuen Geist. CDU-Aufsteiger Spahn wörtlich: »Wir haben bei den wichtigen Themen, die viele Menschen bewegt haben, vor allem innere Sicherheit, Alltagskriminalität, Einbrüche, bei der Frage, wie bringen wir wirtschaftlich vor allem auch wieder eine Dynamik ins Land –überzeugt.« Da brauche »man gar kein Geld für; hier muss man vor allem viele Regeln, Bürokratie, Hygieneampel zum Beispiel, Tariftreuegesetz, also immer da, wo NRW draufgelegt hat, abschaffen... Nordrhein-Westfalen braucht einfach eine eigene Dynamik, eine neue Stimmung im Land hier, weg vom Verhindern, hin zum Ermöglichen, und dann wird sich da schon vieles in die richtige Richtung bewegen.«

Diese Zielsetzung der bürgerlichen Rechten in der CDU hat eine Perspektive für die Bundesebene vor Augen, die mit einer politischen Allianz der FDP umgesetzt werden könnte. Die Sozialdemokratisierung der CDU soll zurückgedrängt werden. Es geht um programmatische Korrekturen in Sachen Quotenregelungen, Mietpreisbremse, Mindestlohn, grüne Energiewende und anderes. Und es geht um Marktwirtschaftler und Konservative wie etwa Friedrich Merz, Wolfgang Bosbach etc. Schließlich geht es um die Neubegründung der Allianz mit der CSU und die Zurückdrängung der AfD. Das Projekt »Erneuerung der Dynamik der sozialen Marktwirtschaft« soll die die Linksentwicklung der CDU, die Ausfransung des rechten Rands der Union und den Aufstieg der rechten Populisten (AfD) beenden.


Schlüsselrolle für die FDP

Die Liberalen verbesserten sich im Vergleich zu den Wahlen von 2012 von 8,6 auf 12,6% – das beste Ergebnis, das die FDP im Land bisher erzielt hat. Das macht sie zu einem möglichen Koalitionspartner von Laschets CDU. Allerdings trat FDP-Landeschef Lindner dem Eindruck entgegen, ein schwarz-gelbes Bündnis sei schon mehr oder minder beschlossene Sache: »Ich bin nämlich nicht der Wunschkoalitionspartner von Herrn Laschet und er nicht meiner.« In den letzten Wochen des Wahlkampfs habe die CDU mehr gegen die FDP als gegen die SPD gekämpft.

Die Regierungsbildung wird schwierig – nicht nur in NRW, sondern auch in Schleswig-Holstein. Daniel Günther (CDU), Wahlsieger in Schleswig Holstein, favorisiert ein »Jamaika«-Bündnis mit FDP und Grünen. Allerdings könnte dies für die Grünen und ihre politische Zukunft nicht unproblematisch sein. In NRW haben die Grünen ihr Ergebnis von 2012 praktisch halbiert und müssen auch bei den Bundestagswahlen mit erheblichen Stimmverlusten rechnen.

»Königsmacher« sind also die Liberalen. Die FDP profitierte von der Beliebtheit Lindners. Auch die Aussicht darauf, dass er die Partei im Herbst zurück in den Bundestag führt und nach Berlin wechselt, störte die WählerInnen nicht. Eine Zweierkoalition mit der CDU hat allerdings nur eine knappe Mehrheit im Parlament. Außerdem streiten sich Christdemokraten und FDP bei wichtigen Themen. Beim Punkt Innere Sicherheit würde es nach Einschätzung von Laschet harte Verhandlungen geben. Die CDU will die sogenannte Schleierfahndung einführen und mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Die FDP ist gegen die anlasslose und massenhafte Überwachung.

Bei der Reform des Turbo-Abiturs wollen die beiden Parteien unterschiedliche Wege gehen. Die FDP will den Hochschulen wieder die Möglichkeit geben, Studiengebühren einzuführen. Außerdem will sie beispielsweise die Mietpreisbremse außer Kraft setzen. Die CDU will am Tariftreuegesetz, das die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung tarifvertraglicher Mindeststandards bindet, festhalten. Dagegen will die FDP das Gesetz ersatzlos streichen.

Schlussfolgerung: Die Einleitung eines Kurses der Stärkung der Parteien des bürgerlichen Lagers im Ergebnis der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW ist möglich, aber mit erheblich politischen Risiken verbunden. Die Alternative – eine große Koalition sowohl in Kiel und wie Düsseldorf – könnte den Niedergang der deutschen Sozialdemokratie auf die europäische Dimension heben. Denn weder SPD, Grüne oder gar die Linkspartei sind auf der Höhe der Zeit und ringen um eine sozial-ökologische Alternative zur Renaissance der sozialen Marktwirtschaft, die mit Sicherheit eine Vertiefung der sozialen Spaltung bringen wird.


Ausblick auf die Bundestagswahlen

Die bundespolitischen Konsequenzen dieser Entwicklung sind fatal. In weniger als vier Monaten müsste sich die SPD um eine strategische Erneuerung bemühen. Der Diskurs über die soziale Gerechtigkeit ohne gesellschaftliche Zukunftsperspektive läuft ins Leere. Auf diesem Feld hat sich DIE LINKE zwar eine Kompetenz erarbeitet, doch sie verzettelt sich im Klein-Klein, ist nicht Stimme des Protests und durch ihre mehrheitlich anti-europäische Programmatik unpopulär.

DIE LINKE im Urteil der Wählerinnen:

  •     Löst zwar keine Probleme, nennt die Dinge aber beim Namen: 72%;
  •     Ist eine gute Alternative für alle, die sich bei der SPD nicht mehr aufgehoben fühlen: 41%;
  •     Bemüht sich am stärksten um sozialen Ausgleich: 40%.[4]

Beide Parteien –SPD und Linkspartei – sowie die Grünen stehen vor der Herausforderung, den benachteiligten sozialen Schichten ein zukunftsfähiges Angebot zu machen, die sich bisher als leistungstragender Kern der deutschen Mittelstandsgesellschaft verstanden haben und nun beiseite geschoben fühlen durch Globalisierung, Pluralisierung der Werte und intensivierten Leistungswettbewerb und Technologieschübe.

Schulz signalisiert, er und die SPD-Führung hätten verstanden: Die BürgerInnen wollten, dass er nicht nur über soziale Gerechtigkeit geredet werde, sondern die Zukunftspolitik der Bundespolitik präzise und glaubwürdig benannte werde. Er habe sich vorgenommen, konkreter zu sagen, wofür er stehe. Das wäre eine Voraussetzung dafür, dass jenseits der Abhängigkeit von der Union eine Machtperspektive erkämpft werden könnte.

 

[1] NRW SPD: Das ist unser Plan für Soziale Gerechtigkeit
– Mehr Qualität und flexible Öffnungszeiten in Kitas, denn Bildung fängt schon bei unseren Kleinsten an.
– Kitas 30 Stunden beitragsfrei pro Woche in den Kernzeiten – das entlastet Familien mehr als jede Steuerreform der letzten 20 Jahre.
– Meister-Ausbildung gebührenfrei – was für Studierende gilt, muss auch für Meister gelten.
– Landesweites, vergünstigtes Azubi-Ticket – das entlastet junge Menschen in der Ausbildung finanziell und erhöht ihre Mobilität.
– Konsequentes Vorgehen gegen Steuerbetrug – wir lassen uns nicht von Spionen beeindrucken. Steuerhinterzieher betrügen unsere Gesellschaft.
– Ausbau des sozialen Arbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose – Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren.
– Mehr Polizei – mehr Sicherheit auf der Straße und bessere Aufklärung von Verbrechen.
– Mehr preiswerte Wohnungen – in fünf Jahren 50.000 neue Sozialwohnungen / 400.000 neue Wohnungen insgesamt.
[2] Vgl. dazu: Thomas Petersen/Institut für Demoskopie Allensbach, Grün mit Grauschleier, in: FAZ 29.3.2017.
[3] Aus dem Lager der Nichtwähler holte die CDU laut Analysen von infratest dimap etwa 440.000 Stimmen – entscheidend für den Sieg der Union. Zum Vergleich: Die SPD gewann nur 170.000 Stimmen hinzu. 310.000 frühere WählerInnen der Sozialdemokraten stimmten nun schutzsuchend für die Union und 170.000, die wohl früher Schröders neue Mitte gebildet hätten, für die FDP. Auch von der SPD ist der Abgang zur AfD gemessen am Gesamtverlust gering (60.000). Von den 820.000 bisherigen NichtwählerInnen holte die AfD 120.000 und Die Linke 40.000. Die SPD gab rd. 60.000 weitere Stimmen an DIE LINKE ab, die auch von den Grünen in diesem Umfang Stimmen gewann. Diese Zugewinne kompensieren in etwa die Verluste, die man 2012 an diese beiden Parteien zu beklagen hatte. An die AfD wechselten nur 10.000 LINKE-WählerInnen, der klare Kurs in Fragen der Asyl- und Migrationspolitik hat sich also bewährt. Von den Sonstigen (550.000 Abgänge, vorwiegend wohl Piraten) hat DIE LINKE eher unterdurchschnittlich profitiert (+40.000). Hier gingen 70.000 zur FDP, deren Mix aus persönlicher Leistungsorientierung, Aufstieg durch Bildung und meritokratischem Elitedenken offenbar bei Soloselbständigen, Projekteschmieden und Libertären gut ankam.
[4] Horst Kahrs, Benjamin-Immanuel Hoff: Die Landtagswahl in NRW am 14. Mai 2017 Wahlnachtbericht und erste Analyse; https://www.rosalux.de/publikation/id/14838/die-landtagswahl-in-nrw-am-14-mai-2017/