Prekäre Selbstverständlichkeiten

Prekarisierungstheoretische Thesen zu Diskursen gegen Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung

Lässt sich eine größere Sichtbarkeit (queer)feministischer, sexualpolitischer und anti-rassistischer Inhalte in der medialen Öffentlichkeit[1] auch als neue Selbstverständlichkeit gegenüber Gleichstellungspolitik[2] und emanzipatorischen Inhalten deuten? Ein gegenteiliger Eindruck entsteht, wendet man sich den vor etwa einem Jahrzehnt einsetzenden Diskursen gegen Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung[3] zu. Bemühungen der Gleichstellung der Geschlechter in Erwerbsarbeit und Familie werden ebenso wie die Vielfalt geschlechtlicher Lebensweisen oder Einwanderung kritisiert. Dem Genderismus[4] sei es gelungen, eine Ideologie durchzusetzen, die sich gegen Männer, Familie und Heterosexuelle richte. In dieser Logik werden heterosexuelle Männer zu Opfern, Frauen und Homosexuelle übervorteilt sowie die Familie zerstört (siehe These 2). Mehr noch: Aufgrund übertriebener ‚Political Correctness’ sei es nicht mehr möglich, vermeintliche ‚Wahrheiten‘, die Fragen zum Verhältnis von Geschlecht, Sexualität und Nation berühren, auszusprechen.

Auch wenn sich in diesen Diskursen gegenüber ‚rechten‘ Positionen distanziert wird, unterliegen ihnen Deutungsmuster einer natürlichen Geschlechterordnung und einer „schützenswerten Volksgemeinschaft“.[5] Frauen und Männern werden unterschiedliche, natürlich vermittelte Rollen zugewiesen, wobei abgelehnt wird, diese Zuweisung zu hinterfragen. Das Argumentationsspektrum reicht von ‚Unwissenschaftlichkeit’ bis zum Verrat an einer völkischen (‚deutschen‘, ‚weißen’) Ordnungspolitik.[6]

Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung werden in diesen Diskursen für gesellschaftliche Veränderungen verantwortlich gemacht, die wir als Prekarisierungsprozesse beschreiben. Anhand von acht Thesen argumentieren wir, dass diese Diskurse als Versuch zu lesen sind, Erfahrungen der Prekarität und Prekarisierung in den Griff zu bekommen.

These 1: Prekarisierung der Erwerbssphäre

Zwar hatten nie alle Männer lebenslange, sozial abgesicherte, existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse, doch über einen längeren Zeitraum betrachtet, verlieren Männer mit Blick auf Erwerbsarbeit Privilegien. Sie sind heute häufiger prekär beschäftigt als vor zwanzig Jahren, denn das männliche Normalarbeitsverhältnis wird seltener, während atypische Beschäftigungsformen,[7] die Domänen von Frauen waren und sind, zunehmen. Damit werden Kernbereiche männlicher Industriearbeit prekär, etwa durch den Einsatz von Leiharbeit in der Automobilbranche. Mittlere Einkommen werden weniger, wobei „Abwärtsmobilität“ stärker ausgeprägt ist. [8] Er werden aber nicht nur Gruppen verunsichert, die tatsächlich Privilegien verlieren. Bereits die Konfrontation mit unsicheren Beschäftigungsverhältnissen weckt „Prekarisierungsängste“[9].

Diskurse gegen Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung können als Reaktionen auf diese Prekarisierung männlicher Privilegien im Zeitverlauf gedeutet werden. Da Feminismus und Gleichstellungspolitik weibliche Erwerbstätigkeit befördern, werden sie als Mitverursacher_innen prekärer Beschäftigungsverhältnisse betrachtet. Die Geschlechterforschung wird als ein zu Unrecht stark finanzierter Forschungszweig inszeniert[10], womit auch eine Abgrenzung gegenüber Gruppen wie hoch qualifizierten Frauen erfolgt, denen der soziale Abstieg erspart geblieben sei. Eine weitere Reaktion basiert auf rassistischen Motiven: So kann die Pegida-Bewegung auch als Bewältigung von Ängsten vor Statusverlusten durch Schuldzuweisungen an ‚Andere’ gelesen werden.[11]

These 2: Sozialpolitische Prekarisierung des männlichen Ernährermodells

Die Prekarisierung des männlichen Ernährermodells wird als Schuld und Erfolg des Feminismus interpretiert. Mit dem Ernährermodell wird jenes Arrangement einer geschlechterdifferenten Arbeitsteilung beschrieben, in dem der (Ehe-)Mann mit seiner Erwerbstätigkeit die Existenz der Kleinfamilie sichert, während die (Ehe-)Frau unbezahlt Haus- und Fürsorgearbeiten übernimmt. Behauptet wird, dass feministische Ansprüche auf Selbstbestimmung Familien zerstörten, Frauen von ihrer Bestimmung zur Mutterschaft entfremdeten und Kinderlosigkeit beförderten.[12] Diese Deutungen sind aber verkürzt:

Erstens ist die Zerstörung von Familie kein feministisches Anliegen, sondern vielmehr die Beendigung der Abhängigkeit von Frauen von einem Allein-Ernährer. Diese Befreiung aus existenzieller Abhängigkeit soll u.a. durch weibliche Erwerbsbeteiligung und eigenständige ökonomische Existenzsicherung erreicht werden, wobei Autonomiegewinne – weil sie auf der Abhängigkeit vom Markt gründen – kritisch reflektiert werden.[13]

Zweitens kann die Prekarisierung des männlichen Ernährermodells nicht losgelöst von der aktivierenden Sozialstaatswende betrachtet werden. Diese wurde in Deutschland von der damaligen Regierung Schröder[14] eingeleitet. Aus dem versorgenden wurde der aktivierende Sozialstaat[15]. Sozialpolitische Regelungen orientieren sich seither am Leitgedanken des Förderns und Forderns[16]. Da es sozialpolitisch nicht mehr durchgängig erwünscht ist, wird die Realisierung des männlichen Ernährermodells erschwert. Die Ausweitung atypischer Beschäftigungsformen und Niedriglohnbereiche qualifizieren Einkommen von Männern immer seltener als Familienlöhne. Mit dem neuen Leitbild des Adult-Worker-Modells[17] sollen alle Beschäftigungsfähigen erwerbstätig werden, auch Mütter kleiner Kinder. Dies wird aber nicht konsequent umgesetzt, paradoxerweise fördern Regelungen wie das Ehegattensplitting und das Betreuungsgeld das männliche Ernährermodell.[18] In Positionen gegen Gleichstellungspolitik werden Dynamiken, welche die Prekarisierung der Erwerbssphäre forcier(t)en und sämtliche Geschlechter betreffen, nicht betrachtet.

These 3: Prekarisierung von Doxa

Mit der Norm des Ernährermodells und des bürgerlichen Familienmodells der heterosexuellen Kleinfamilie mit leiblichen Kindern wurden Alleinerziehende oder Regenbogenfamilien, als Abweichung markiert.[19] Allerdings wird diese Norm z.B. aufgrund zunehmender rechtlicher Gleichstellung und gesellschaftlicher Sichtbarkeit anderer Lebensformen brüchig. Was erfolgreiche Männlichkeit, Weiblichkeit, Familie, Sexualität, gelungene Kindheit sind, ist nicht mehr unhinterfragte Gewissheit. Bourdieu[20] bezeichnete die unhinterfragte Selbstverständlichkeit der ‚männlichen Herrschaft’ als Doxa. Männliche Herrschaft – als paradigmatische Form der symbolischen Herrschaft – basiere auf der geschlechterdifferenten Arbeitsteilung, die allerdings nicht abstrakt-sprachlich, sondern somatisch, also körperlich-leiblich abgesichert wird. Da sie habitualisiert ist – also durch Gefühle, körperliche Haltungen erfahren und hervorgebracht wird – kann symbolische Herrschaft, so Bourdieu, nicht reflexiv überschritten werden. Prekarisierungspozesse in der Erwerbssphäre, die für Männer den Verlust der männlichen Ernährerrolle bedeuten, können als Irritationen der „doxischen Erfahrung“[21] bezeichnet werden.[22]

Diskurse gegen Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung reagieren auf diese Prekarisierung von Doxa mit Strategien der Resouveränisierung[23]: So werden Geschlechterforschung (siehe auch These 4) und Gleichstellungspolitik[24] vorgeworfen, sie übten Zwänge aus. FAZ-Journalist Volker Zastrow interpretierte bereits 2006 Gender Mainstreaming als „politische Geschlechtsumwandlung“. Nicht zuletzt findet sich die Strategie, dem Prekärwerden von Doxa eine maskulinistische Rhetorik der Stärke und Unverletzlichkeit entgegenzuhalten[25] und Erfahrungen der Verunsicherungen der Lächerlichkeit preis zu geben.

These 4: Akteur_innen der Prekarisierung

Gleichstellungspolitik, Teile der Geschlechterforschung und emanzipatorische Bewegungen waren tatsächlich Akteur_innen der Prekarisierung. Dies erschließt sich aus der vorangegangenen These mit Blick auf Doxa. Mit ihren Überlegungen zu ‚gender’ waren es Ansätze der Geschlechterforschung[26] und Queer Studies,[27] die der binären und alltagspraktisch wirksamen Geschlechterdifferenz ihre vermeintliche Eindeutigkeit nahmen. Nina Degele[28] bezeichnet die Gender Studies daher als „paradigmatische Verunsicherungswissenschaften“. Durch Erfolge von Gleichstellungspolitiken wurde für viele überhaupt erst denkbar, dass ein geringer Frauenanteil in Spitzenpositionen ein lösungsbedürftiges Problem darstellt.[29] Durch jahrzehntelange Proteste sexualpolitischer Bewegungen und Erfolge im Familienrecht (dazu siehe These 5), wurde die Heteronormativität sozialpolitischer Familienkonzepte offenbar.[30] Gleiches gilt für das Faktum, dass Kinder für ihre seelische Gesundheit keine heterosexuellen Eltern benötigen. Last but not least waren es antirassistische Bewegungen, die aufzeigten, dass auch Deutschland ein koloniales Erbe hat und rassistische Dynamiken wirksam sind.[31]

Kurzum: Es trifft zu, dass Ansätze der Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitiken körperlich-leiblich abgesicherte Alltagsgewissheiten irritieren.

Diskurse gegen Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik erkennen diese Dynamiken, allerdings dramatisieren sie deren Ziele und Erfolge: Teile der Geschlechterforschung begrüßen zwar ‚Gender Trouble’,[32] zielen damit aber nicht auf die Errichtung von Zwängen, sondern auf die Überwindung beschränkender Geschlechternormen. Gleichstellungspolitik orientiert sich am Abbau sozialer Ungleichheiten, was nicht bedeutet, dass Gruppen, die vorher in den Genuss von sozialen Privilegien gekommen sind, schlechter gestellt werden. Diese Gruppen verlieren, wenn überhaupt, die Selbstverständlichkeit ihrer privilegierten Position. Schließlich ist es durch Gleichstellungspolitik nicht zu einer Umkehrung privilegierter sozialer Positionen gekommen. Dies belegt die nach wie vor ungleiche Verteilung der Haus- und Fürsorgearbeit, von Einkommen sowie die horizontale und vertikale Segregation der Arbeitsmärkte.[33]

These 5: Prekarisierung der heterosexuellen Kleinfamilie

Tendenzen, die rechtliche Position eingetragener gleichgeschlechtlicher Paare der von heterosexuellen verheirateten Paaren anzunähern[34], werden in Diskursen gegen Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung häufig als Beispiele für eine Hegemonie schwul-lesbischer politischer Interessen interpretiert. So bedrohe eine Homosexualisierung der Gesellschaft die heterosexuelle Kleinfamilie[35] oder eine „Lobby der Homosexuellen“ bewirke, dass Menschen, die „Homosexualität für moralisch fragwürdig“ halten, eine schützenswerte Minderheit geworden seien, so z.B. Christian Hillgruber in der FAZ. Empirisch geht die Verbreitung des Ernährermodells tatsächlich zurück. Sein Ende ist jedoch nicht in Sicht: 2011 lebten weiterhin 18 Millionen Ehepaare in Deutschland,[36] in denen nur jede vierte Ehefrau Vollzeit erwerbstätig ist.[37] Demnach sind drei Viertel dieser Ehepaare volle Ernährer- oder Ernährer-mit-weiblicher-Zuverdienerin-Paare.

Zudem verlieren Ehe und bürgerliche Kleinfamilie nicht an Privilegien, wenn gleichgeschlechtlichen Paaren dieselben Rechte wie verheirateten Heterosexuellen eingeräumt werden. Im Gegenteil: Die Eingetragene Lebenspartnerschaft sichert die privilegierte Position der Ehe sogar ab. Schließlich erfahren mit der Eingetragenen Lebenspartnerschaft nur jene Lebensweisen Legitimität, die sich an Paarnormativität orientieren.[38]

These 6: Prekarisierung als Produkt des kapitalistischen Transformationsprozesses

Die Prekarisierung von Erwerbsarbeit (These 1) und des männlichen Ernährermodells (These 2) sind keine Zeichen des Sieges von Feminismus und Geschlechterforschung, sondern auch Symptome eines Gestaltwandels des Kapitalismus.[39] Das Ernährermodell erodierte nicht vorrangig, weil es vom Feminismus attackiert wurde, sondern weil es im Zuge des neoliberalen Umbaus schlichtweg als zu teuer gilt. [40] Prekarisierungsprozesse erhöhen zudem den Druck auf die Reproduktionssphäre. Die zunehmende Erwerbstätigkeit hochqualifizierter, meist weißer Frauen wird durch prekäre Beschäftigung von Migrantinnen im haushaltsnahen Dienstleistungsbereich abgefedert.[41]

In den Diskursen gegen Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung finden jedoch diese ökonomisch bedingten, kapitalistischen Transformationen kaum Aufmerksamkeit.

These 7: Prekarisierung des fordistischen Kapitalismus und neoliberale Aufwertung von Diversität

Mit Begriffen wie ‚Femokratie’ oder ‚Homolobby’[42] wird Frauen und Homosexuellen eine Hegemonie unterstellt, die nicht der Realität entspricht. Anders als im fordistisch-kapitalistischen Ernährermodell ist es heute politisch gewünscht, dass Diskriminierungen von Menschen in der Erwerbssphäre abgebaut werden, insbesondere, wenn sie hoch qualifiziert sind und sichere Aufenthaltstitel vorweisen können.

Aber rechtliche Zugewinne sind nur eine Seite der Medaille. Im Unterschied zur „normierten Einheit“ des Fordismus wird im Neoliberalismus eine „Kultur der Vielfalt und Unterschiedlichkeit“[43] gefeiert, die aus Diversität Mehrwert akkumulieren soll. Wessen ‚individuelles Potential’ sich als markttauglich erweist, wird im Rahmen eines neoliberalen Managing Diversity zunehmend identitätspolitisch vereinnahmt. Antke Engel[44] zeigt am Beispiel sexueller Vielfalt, wie die Forderung nach sexueller Autonomie produktiv nutzbar gemacht wird, indem eine „quasi natürliche Stimmigkeit zwischen sexuellem Pluralismus und Marktpluralismus“ sowie „sexueller Freiheit und Marktfreiheit“ konstatiert wird. Allerdings gelingt es nur wenigen, hohe und prestigereiche Arbeitsmarktpositionen zu erlangen.[45]

These 8: ‚Antifeministischer Postfeminismus‘ – neoliberale Komplizinnenschaft

In ihrem Buch lean in ruft Facebook-Managerin Sheryl Sandberg[46] gut qualifizierte Frauen auf, sich nicht selbst im Wege zu stehen. Frauen sollen Selbstzweifel überwinden und sich Partner suchen, die sie in ihren Karrieren unterstützen. Sandberg bedient so den Mythos, dass beruflicher Erfolg ausschließlich von individueller Leistung abhänge[47]. Dieser Mythos blendet diskriminierende Strukturen sowie Unterschiede zwischen Frauen (und Männern) mit Blick auf etwa soziale Herkunft und ‚race’ aus.[48]

Die ungleichheitsleugnende Deutung, dass Frauen nicht jammern, sondern sich für beruflichen Erfolg anstrengen sollen, ist auch in Publikationen vorzufinden, in denen sich Frauen seit etwa einem Jahrzehnt für einen neuen Feminismus aussprechen.[49] Diese haben unterschiedliche politische Stoßrichtungen, ähneln sich aber in der Strategie des undoing feminism.[50] Frauen wird suggeriert, sie könnten frei wählen, wie sie leben möchten. Damit wird eine feministische Rhetorik von Ermächtigung und Wahlfreiheit aufgegriffen, aber zu einer individualisierenden Version verformt und in politische Institutionen integriert. Wenn Frauen beruflich erfolgreich sein möchten, ist es daher funktional, sich als neoliberale Komplizinnen zu inszenieren und sich von Feminismus und Anti-Rassismus zu distanzieren.[51]

Diese Diskurse lehnen nicht per se Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung ab. Ähnlich wie Diskurse gegen Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung tragen aber auch sie dazu bei, fortbestehende Ungleichheiten und deren Ursachen zu verschleiern.[52]

Fazit und Ausblick: Erfahrungen der Prekarisierung und Prekarität politisch bewältigen

Unser Anliegen ist, die genannten Diskurse nicht isoliert, sondern im Kontext vielfältiger und ambivalenter Prekarisierungsprozesse zu betrachten. Durch dieses ‚bigger picture’ werden Auslassungen dieser Diskurse benennbar, aber auch Erfolge emanzipatorischer Bewegungen aufgezeigt.

Aufbauend auf einer vertiefenden Analyse wäre nach den gesellschaftlichen Funktionen dieser Diskurse zu fragen. Wie einleitend formuliert, haben wir den Eindruck, dass diese Diskurse versuchen, Erfahrungen von Prekarisierung und Prekarität zu bewältigen. Es sind Reaktionen auf vielschichtige Verunsicherungen, wie die Ausweitung atypischer Beschäftigung, die aktivierende Sozialstaatswende mit ihrer Leitmaxime der Eigenverantwortung und das Unsicherwerden von Gewissheiten, angestoßen durch emanzipatorische Bewegungen und Teile der Geschlechterforschung.

Wenn man nicht den in diesen Diskursen formulierten ‚neuen Herrschaften‘ ‚Femokratie‘ und ‚Homolobby‘ Glauben schenken, aber ihre Themen ernst nehmen möchte, eröffnet sich eine andere Frage: Wie können arbeitsmarktliche und sozialpolitische Absicherungen geschaffen werden, welche die Ausschlüsse des männlichen Ernährermodells und des Adult-Worker-Modells überwinden oder ent-prekarisieren können? So wie das Phänomen der Prekarisierung weit zu fassen ist, sind unseres Erachtens auch Antworten hierauf in einem breiten gesellschaftlichen Feld zu suchen.

Eine ausführlichere Version dieses Beitrages erschien in: Hark, Sabine / Villa, Paula-Irene (Hrsg.) (2015): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, transcript. Er basiert auf Einträgen der Autorinnen auf dem Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in den Monaten Juli und August 2014.

Zu den Autorinnen:

Wimbauer, Christine, Dr. phil., Professor_in für Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt Universität zu Berlin. Autorin von ‚Das Paarinterview. Methodologie – Methode – Methodenpraxis (zusammen mit Mona Motakef). Springer VS, im Erscheinen und ‚Wenn Arbeit Liebe ersetzt. Doppelkarriere-Paare zwischen Anerkennung und Ungleichheit. Campus, 2012.

Motakef, Mona, Dr. phil., Sozialwissenschaftlerin; wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Ungleiche Anerkennung? ‚Arbeit‘ und ‚Liebe‘ im Lebenszusammenhang prekär Beschäftigter“ an der Professur für Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt Universität zu Berlin. Sie ist Autorin von ‚Das Paarinterview. Methodologie – Methode – Methodenpraxis (zusammen mit Christine Wimbauer). Springer VS, im Erscheinen und ‚Prekarisierung’. Transkript, 2015.

Julia Teschlade ist Sozialwissenschaftlerin und promoviert am Graduiertenkolleg ‚Human Rights under Pressure - Ethics, Law, and Politics’ an der Freien Universität Berlin und der Hebrew University Jerusalem zu reproduktiven Rechten und untersucht gleichgeschlechtliche Paare, die ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Leihmutterschaft verwirklichen.

 

Anmerkungen und Verweise

[1] Vgl. Hark, S./ Villa, P. (2010): „Ambivalenzen der Sichtbarkeit – Einleitung zur deutschen Ausgabe“. In: McRobbie/Hark/ Villa (Hg.), Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterarrangements, Wiesbaden, S. 7-16; McRobbie, A. (2010): Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes, Wiesbaden.

[2] Unter Gleichstellungspolitik fassen wir weit politische Bemühungen, die darauf zielen, als strukturell wahrgenommene Ungleichheiten zwischen sozialen Gruppen zu verringern und diskriminierende gesellschaftliche Strukturen zu überwinden, z.B. Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie.

[3] Die Selbstbezeichnung dieser Diskurse lautet Antigenderismus. Da wir die damit vorgenommene Setzung von ‚Genderismus’ als Annahme einer Hegemonie aus Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung weder teilen noch diskursiv reproduzieren wollen, schlagen wir mit der Bezeichnung ‚Diskurse gegen Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung’ einen alternativen Terminus vor.

[4] Vgl. Fußnote 3.

[5] Vgl. kritisch Lang, J. (2014): Antifeminismus in Bewegung. Extrem rechte Geschlechterpolitiken und ihre Anschlussfähigkeiten. In: Lotta. Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pflalz und Hessen 57, S. 8-11.

[6] Vgl. kritisch Rosenbrock, H. (2012): Die antifeministische Männerrechtsbewegung. Denkweisen, Netzwerke und Online-Mobilisierung. Schriften des Gunda-Werner-Instituts, Heinrich-Böll Stiftung, Berlin;Lang, J. (2014): Antifeminismus in Bewegung.

[7] Keller, B./Seifert, H.(2013): Atypische Beschäftigung zwischen Prekarität und Normalität. Entwicklung, Strukturen und Bestimmungsgründe im Überblick, Berlin.

[8] Grabka, M./Frick, J.R. (2008): Schrumpfende Mittelschicht – Anzeichen einer dauerhaften Polarisierung der verfügbaren Einkommen?.DIW Wochenbericht 75 (10), S. 101-108.

[9] Kraemer, K./ Speidel, F. (2005): "Prekarisierung von Erwerbsarbeit. Zur Transformation des arbeitsweltlichen Integrationsmodus". In: Heitmeyer/Imbusch (Hg.), Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, Wiesbaden, S. 367-390, S. 376

[10] Buchholz, G. (2014): "Gender Studies – Die Niedersächsische Forschungsevaluation und ihre offenen Fragen", WiWi-Online.de.

[11] Geiges, L./Marg, S./Walter, F. (2015): Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Bielefeld; Lessenich, S. (2015): "Avantgardisten des Augenblicks". Le Monde Diplomatique.

[12] Herman, E. (2007): Das Eva-Prinzip. Für eine neue Weiblichkeit, München; Kuby, G. (2014): Gender. Eine neue Ideologie zerstört die Familie, Kißlegg.

[13] Fraser, N. (2009): "Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte". In: Blätter für deutsche und internationale Politik (8), S. 43-57.

[14] Schröder, G./Blair, T. (1999): "Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten". In: Blätter für deutsche und internationale Politik 44 (7), S. 887-896.

[15] Dingeldey, I. (2006): "Aktivierender Wohlfahrtsstaat und sozialpolitische Steuerung". In: Aus Politik und Zeitgeschichte (8-9), S. 3-9.;; Lessenich, S. (2008): Die Neuerfingung des Sozialen. Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus, Bielefeld.

[16] Lessenich, S.: Die Neuerfingung des Sozialen.

[17] Lewis, J. (2004): "Auf dem Weg zur 'Zwei-Erwerbstätigen'-Familie". In: Leitner/Ostner/Schratzenstaller (Hg.), Wohlfahrtsstaat und Geschlechterverhältnis im Umbruch. Was kommt nach dem Ernährermodell? , Wiesbaden, S. 62-84.

[18] Henninger, A./Wimbauer, C./Dombrowksi, R. (2009): "Geschlechtergleichheit oder 'exklusive Emanzipation'? Ungleichheitssoziologische Implikationen der aktuellen familienpolitischen Reformen". In: Berliner Journal für Soziologie 18 (1), S. 99-128; Wimbauer, C./Teschlade, J./Motakef, M. (2012): "Gleichheit oder Geschlechterkampf? Kommentar zu Volksheim oder Shopping Mall von Wolfgang Streeck". In: WestEnd: Neue Zeitschrift für Sozialforschung 9 (2), S. 180-193.

[19] Cohen, C. J. (1997): "Punks, Bulldaggers, and Welfare Queens: The Radical Potential of Queer Politics?" In: GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies 3 (4), S. 437-465.

[20] Bourdieu, P.: Die männliche Herrschaft.

[21] Bourdieu, P. (2005): Die männliche Herrschaft, S. 20

[22] Egert, G./Herdis, H./Powalla, O./Trinkaus, S. (2010) (Hg.): "Praktiken der Nichtmännlichkeit – Prekär-Werden Männlicher Herrschaft im ländlichen Brandenburg". In: Manske/Pühl (Hg.), Prekarisierung zwischen Anomie, und Normalisierung. Geschlechtertheoretische Bestimmungen, Münster, S. 186-209.;

Völker, S. (2011): "Praktiken sozialer Reproduktion von prekär beschäftigten Männern". In: WSI Mitteilungen (8), S. 423-429.

[23] Forster, E. (2006): "Männliche Resouveränisierungen". In: Feministische Studien (2), S. 193-207.

[24] Kuby, G.: Gender. Eine neue Ideologie zerstört die Familie; Pegida (2014): "Positionspapier der PEGIDA." http://www.i-finger.de/pegida-positionspapier.pdf, (Abgerufen am 13.1.2015).

[25] Pirincci, A. (2014): Deutschland von Sinnen: Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer, Waltrop.

[26] Gildemeister, R./Wetterer, A. (1992): "Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung". In: Knapp/Wetterer (Hg.), TraditionenBrüche, Freiburg, S. 201-254.

[27] Butler, J. (1990): Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity, New York.

[28] Degele, N. (2003): "Happy together: Soziologie und Gender Studies als paradigmatische Verunsicherungswissenschaften". In: Soziale Welt (54), S. 9-29; S. 9.

[29] Sachverständigenkommission (2011): Neue Wege Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf. Gutachten der Sachverständigenkommission an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Troisdorf.

[30] Duggan, L. (2003): The Twilight of Equality? Neoliberalism, Cultural Politics, and the Attack on Democracy, Boston; Hark, S. (2000): "Durchquerung des Rechts. Paradoxien einer Politik der Rechte". In: quaestio (Hg.), Queering Demokratie. Sexuelle Politiken, Berlin, S. 28-44; Warner, M. (1991): "Introduction: Fear of a Queer Planet". In: Social Text (29), S. 3-17.

[31] Gutiérrez Rodríguez, E./Steyerl, H. (2003) (Hg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik, Münster; Oguntoye, K./Ayim, M./Schultz. D. (1986) (Hg.): Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Belin.

[32] Butler, J.: Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity.

[33] Sachverständigenkommission: Neue Wege Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf; Statistisches Bundesamt und WZB für Sozialforschung (2013): Datenreport 2013. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn.

[34] Dafür sprechen einige Urteile des Bundesverfassungsgerichts, wie etwa in der Gleichstellung bei der Altersvorsorge im öffentlichen Dienst (2009), der Öffnung für das Ehegattensplitting im Steuerrecht (2013) oder dem Beschluss über die Möglichkeit einer Sukzessivadoption (Februar 2013). Für eine Gleichstellung mit der Ehe steht noch das volle Adoptionsrecht aus.

[35] Kuby, G.: Gender; Dies. (2007): Verstaatlichung der Erziehung: Auf dem Weg zum neuen Gender-Menschen, Kißlegg.

[36] Statistisches Bundesamt und WZB für Sozialforschung: Datenreport 2013. Bonn, S. 44.

[37] Ebd.: S. 55.

[38] Duggan, L.: The Twilight of Equality?; Hark, S./Laufenberg, M.: "Sexualität in der Krise.“

[39] Fraser, N.: "Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte".

[40] Esping-Andersen, G. (2002): "Towards the Good Society, Once Again?" In: Esping-Andersen/Gallie/Hemerijck/Myles (Hg): Why We Need a Wew Welfare State, Oxford, S. 26-67.

[41] Gutiérrez Rodríguez, E. (2010): Migration, Domestic Work and Affect, London/New York:; Lutz, H. (2008): Vom Weltmarkt in den Privathaushalt. Die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung, Opladen.

[42] Vgl. kritisch Kemper, A. (2014): Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positonen der AFD eine Expertise. FES, Berlin; Rosenbrock, H. (2012): Die antifeministische Männerrechtsbewegung.

[43] Woltersdorff, V. (2010): "Prekarisierung der Heteronormativität von Erwerbsarbeit? Queertheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Sexualität, Arbeit und Neoliberalismus". In: Manske/Pühl (Hg.), Prekarisierung zwischen Anomie, und Normalisierung. Geschlechtertheoretische Bestimmungen, Münster, S. 228-251, S. 232

[44] Engel, A. (2009): Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalimus, Bielefeld, S. 26.

[45] Sachverständigenkommission: Neue Wege Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf; Statistisches Bundesamt und WZB für Sozialforschung: Datenreport 2013. In der deutschen Berichterstattung zur Entwicklung von Beschäftigung, Armut- und Reichtum wird ‚sexuelle Ausrichtung’ allerdings nicht erfasst. Diskriminierungen von LGBTI in der EU und Kroatien sind hingegen belegt, vgl. Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (2013): LGBT-Erhebung in der EU. Erhebung unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen in der Europäischen Union, Wien. Aus den USA liegen deutliche Befunde zu Lohn-Diskriminierungen schwuler Männer vor, vgl. Klawitter, M. (2015): "Meta-Analysis of the Effects of Sexual Orientation on Earnings". In: Industrial Relations 54 (1), S. 4-32..

[46] Sandberg, S. (2013): Lean In. Frauen und der Wille zum Erfolg, Berlin: Econ.

[47] Vgl. kritisch Gottwald, M./Wimbauer, C. (2009): "Die Traumpaare und der Traum vom ‚doppelten Harmonisierungsversprechen‘ des Doppelkarriere-Paares". In: Leviathan (37), S. 95-116.

[48] bell hooks (2013): "Dig Deep: Beyond Lean In."

[49] Bäuerlein, T./Knüpling, F. (2014): Tussikratie: Warum Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können, München; Dorn, T. (2007): Die neue F-Klasse. Warum die Zukunft von Frauen gemacht wird, München; Hensel, J./Raether, E. (2008): Neue Deutsche Mädchen, Reinbek: rowolth; Schröder, K./Waldeck, C. (2012): Danke, emanzipiert sind wir selber! Abschied vom Diktat der Rollenbilder, München.

[50] Hark, S./ Villa, P.-I.: "Ambivalenzen der Sichtbarkeit“.

[51] McRobbie, A.: Top Girls.

[52] Hark, S./Kerner, I. (2007): "Der neue Spartenfeminismus". In: Feministische Studien 25 (1), S. 92-95.