"Let us die fighting"

Namibische Herero und Nama verklagen die Bundesrepublik

Eher im Kampfe sterben als weiterhin von den Kolonialherren unterjocht zu werden, wollte Kaptein der Herero Samuel Maharero. Dies schrieb er in einem Brief vom Januar 1904, in dem er zur Allianz gegen die Deutschen aufrief. Heute verklagen namibische Herero und Nama die Bundesrepublik. Hier steht die Langfassung des Artikels mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis.

von Oliver Schulten

Bereits 2001 scheiterten die Opferverbände der Herero und Nama mit ihrer Klage vor einem US-amerikanischen Gericht gegen die Bundesrepublik Deutschland, als Rechtsnachfolgerin des Kaiserreiches, und gegen deutsche Firmen. Die Vertreter der Opfer wollen erreichen, dass es zu einer offiziellen Entschuldigung seitens der Bundesregierung kommt, der Kolonialkrieg von 1904 bis 1908 als Genozid anerkannt wird und Reparationszahlungen durchgesetzt werden. Anfang 2017 nahmen die Herero- und Nama-VertreterInnen einen zweiten Anlauf und klagen derzeit erneut vor einem amerikanischen Gericht.

Während der kurzen 31-jährigen deutschen Kolonialgeschichte überlebte die Hälfte der Bevölkerung Namibias (Deutsch-Südwestafrika) die Herrschaft der „neuen Herren“ nicht. Nach Schätzungen deutscher Missionare lebten am Ende des 19. Jahrhunderts etwa 200.000 Menschen im Land, bis 1911 waren 100.000 von ihnen gestorben. Eingeschleppte Krankheiten, Verlust von Land und Vieh, Zwangsarbeit (Kinder ab 7 Jahren konnten hier herangezogen werden), Steuerlast, Wucher, Reservatspolitik, ‚Rassen’trennung, absolute Rechtsunsicherheit, Prügelstrafe, ungesühnte Morde und Vergewaltigungen durch Europäer und die Entmachtung der lokalen Herrscher führten schließlich zum Ausbruch des Krieges von 1904. Der bewaffnete Widerstand der lokalen Bevölkerungen hatte bereits 1889 begonnen. Er breitete sich in den Jahren 1904-1908 zu kriegerischen Handlungen aus und endete letztlich erst 1990 mit der Unabhängigkeit von Südafrika. Der deutsche Kolonialismus hatte in Namibia zur Folge, dass die traditionelle Lebensweise und Gesellschaftsstrukturen völlig zerstört wurden.

Während des Krieges gegen die deutschen BesatzerInnen wurden neben Herero und Nama auch Damara und San Opfer der Deutschen. Ein Drittel der Damara verlor das Leben, über die Opferzahlen der San ist nichts bekannt. Während der Kämpfe beging die deutsche Kolonialmacht Verbrechen gegen die Menschlichkeit, missachtete die vom Deutschen Reich unterzeichnete Haager Landkriegsordnung von 1899 (etwa durch die Erschießung von Frauen und Kindern oder der Hinrichtung von Unterhändlern) und verübte schließlich ein Genozid. Die klare Absicht des Kommandeurs der deutschen Schutztruppe, Lothar von Trotha, der sich selbst in einem „Rassenkrieg“ sah, die Herero entweder aus dem Land zu drängen oder zu vernichten, belegt dies. In seinem Vorhaben, notfalls die Herero-Nation untergehen zu lassen, wurde er vom Generalstab und Kaiser Wilhelm II. unterstützt.

Erst nachdem das Ausmaß der Vernichtung in Deutschland bekannt wurde, schwenkte die Politik um. Die Logik dahinter war, dass es besser sei, den Rohstoff menschliche Arbeitskraft zu schonen, wenn die Kolonie wirtschaftlich ein Erfolg werden soll. Die Befehle von Trothas wurden aufgehoben und die Rheinische Mission erhielt den Auftrag, sogenannte Sammellager einzurichten. Hier sollten Herero und Nama Zwangsarbeit leisten. In den Konzentrationslagern starben weitere 4.000 Menschen. Der Krieg zwischen den namibischen Bevölkerungen und den Deutschen endete offiziell im Jahr 1908, jedoch kämpften kleinere Einheiten der Nama bis 1913 weiter.

Den Herero und anderen Gruppen wurden nach 1908 jeglicher Besitz von Land und Vieh untersagt. 75 Prozent des verfügbaren Landes wurde zum Verkauf an EuropäerInnen freigegeben und der Rest wurde als Reservatsgebiete ausgewiesen. Die südafrikanische Besatzungsmacht setzte die Beschlagnahmung von Land ab 1921 fort. 1907 schrieb Paul Rohrbach, ehemaliger Ansiedlungskommissar für Deutsch-Südwestafrika, dass die ‚Eingeborenen’ von jeglichem Schreib- und Leseunterricht ausgeschlossen werden sollten. Außerdem sollten die Herero ihr „Volkstum“ und ihre „nationale Eigentümlichkeit“ aufgeben, um sie dann mit den anderen BewohnerInnen zu einer einzigen afrikanischen Arbeiterklasse zu verschmelzen.

Da sich die deutsche Bundesregierung seit Jahrzehnten mit dem Vorwurf des verübten Völkermordes konfrontiert sieht und bis heute keine Entschuldigung vorliegt oder gar Entschädigung gezahlt hat, müssen hier deren Gegenargumente betrachtet werden. Die Haager Landrechtsordnung von 1899 sei nicht anwendbar, da diese besagt, dass gegen „Naturvölker“ bis zu ihrer „Zivilisierung“ ohne Berücksichtigung militärrechtlicher Regelungen Krieg geführt werden kann. Dabei saßen keine der betroffenen „Naturvölker“ in Den Haag am Verhandlungstisch. Außerdem könne der Begriff des Genozids nicht angewendet werden, da dieser erst 1948 von der UN definiert wurde und einige Jahre später Einzug in die deutsche Rechtsprechung fand. Rückwirkend sei dieser Begriff nicht anzuwenden.

Die bundesrepublikanische Geschichte ist gegenüber der deutschen Kolonialverbrechen von Ignoranz geprägt. Während 1954 ein Vertreter der deutschen Regierung (Anm. 1) von der UNO die Treuhandschaft über eine Kolonie in Afrika forderte, träumte rund zehn Jahre später Franz Josef Strauß von der Einführung der Apartheid in Europa (Anm.2). Auf der anderen Seite verwiesen in dieser Zeit deutsche HistorikerInnen erstmals auf die Vernichtungspolitik des deutschen Kaiserreiches in Namibia (Anm. 3). Im von der UNO in Auftrag gegebenen Whitaker-Report, bezeichneten die AutorInnen 1983 die Massaker zwischen 1904-1908 als Völkermord. Der Deutsche Bundestag beschloss schließlich 1989, dass Deutschland Verantwortung für Namibia übernehmen müsse. Nach der Unabhängigkeit Namibias forderten die Herero 1990 erstmals eine Entschuldigung und Reparationen in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar von der BRD. Noch 1995 weigerte sich Helmut Kohl in Namibia VertreterInnen der Herero zu empfangen, wohingegen ein Treffen mit den Deutsch-NamibierInnen zustande kam.

Der Streit um Reparationszahlungen

Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag scheiterten 1999 Herero- und Nama-VertreterInnen mit einer Klage gegen die BRD. Die formale Begründung war, dass eine Antragsberechtigung bei diesem Gerichtshof nicht gegeben sei. Er könne nur Fälle nach 2002 verhandeln und nur direkte Opfer eines Genozids könnten klagen, nicht deren Nachfahren. 2001 reichten Herero- und Nama-VertreterInnen daraufhin Klage in den USA ein, nach dem Vorbild der NS-Zwangsarbeiterentschädigungen. Verklagt werden dabei sowohl die BRD als Rechtsnachfolgerin des Kaiserreiches, als auch deutsche Firmen, wie die Deutsche Bank (ehemals Disconto-Gesellschaft), sowie die Deutsche Afrika-Linie (ehemals Woermann-Linie), Wecke & Voigts, Terex-Corporation (General Motors) und die Deutsche Bahn AG. Im Februar 2002 weigerte sich die Justizverwaltung von Berlin, die Klage der Hereros an die Bundesregierung weiterzuleiten. 2003 wurden die Kläger vom Distrikt-Court in Washington D.C. abgewiesen, da die Klage gegen die Bundesregierung „unzustellbar“ sei. Außerdem wurde angeführt, dass solch ein Verfahren gegen die Staatsimmunität der BRD verstoße.

Die Herero zogen daraufhin ihre Klage zurück. Ein amerikanisches Berufungsgericht muss noch über das abgetrennte Verfahren gegen deutsche Firmen entscheiden. 2004 und 2006 forderten die Opferverbände der Herero und Nama die Anerkennung des Genozids zunächst vom Bundespräsidenten und später von der Bundesregierung ein. Jegliches Eingeständnis oder gar Reparationszahlungen wurden abgelehnt. Die Gelder aus der Entwicklungshilfe – von 1990 bis 2014 wurden 800 Millionen Euro gezahlt – sollten als Aussöhnung reichen.

2014 erfolgte eine Wende. Seit diesem Jahr verhandeln die Bundesregierung und die namibische Regierung über die Frage der Vergangenheitsbewältigung ohne die Teilnahme der Herero oder Nama. Nachdem bereits Bundespräsident Horst Köhler 2014 von einem Völkermord sprach, schlossen sich 2015 Bundestagspräsident Lammert und das Auswärtige Amt dieser Sichtweise an: Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord. Einschränkend wurde darauf hingewiesen, dass sich daraus keine rechtlichen Schritte ableiten lassen, also auch keine Reparationen gezahlt werden. Die BRD weigert sich bis heute mit Einzelpersonen oder Gruppen zu sprechen, alleine die namibische Regierung käme als Gesprächspartnerin in Frage.

Nama- und Herero-VertreterInnen nahmen 2017 einen zweiten Anlauf und reichten im Januar eine Sammelklage gegen die BRD vor dem Bezirksgericht von New York ein. Im Februar kritisierte eine ExpertInnengruppe der UNO die BRD dafür, dass sie nie ernsthaft mit einer Vertretung der Herero und Nama über Reparationen gesprochen hat. Seit Mitte März läuft das Verfahren in New York, jedoch bemängelte die zuständige Bundesrichterin, dass keine VertreterIn der Bundesregierung anwesend war und verschob den Prozess auf Juli diesen Jahres. Hauptforderungen der KlägerInnen sind eine offizielle Entschuldigung, die Anerkennung der Massaker als Genozid,  die Rückgabe geraubten Landes an die rechtmäßigen BesitzerInnen und eine Resolution, wie die des Deutschen Bundestages zu Armenien 2016. Außerdem fordern sie die Rückgabe aller während der Kolonialzeit geraubten Gebeine und Kulturgüter sowie die Aufnahme direkter Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den OpfervertreterInnen. Es handelt sich dabei nicht um individuelle Entschädigung, sondern um die Einrichtung eines kommunalen Aufbau-Fonds.

Im Februar 2017 ließ Tansanias Verteidigungsminister Hussein Mwinyi verlauten, dass Tansania eine Klage auf Entschädigungszahlungen für die begangenen Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit vorbereitet. Alleine während des Maji-Maji-Krieges kamen nach Gwassa etwa 300.000 AfrikanerInnen ums Leben (Anm. 4). Die eingeforderten Kompensationen sollen den NachfahrInnen der Opfer zugutekommen und nicht in die Staatskasse fließen. Die Bundesregierung sollte vor diesem Hintergrund zeitnah Stellung beziehen und Pläne vorlegen, wie mit der kolonialen Vergangenheit umzugehen ist. Falls Kamerun, Burundi und Rwanda ebenfalls diesen Schritt machen, sieht sich Deutschland mit Forderungen in dreistelliger Milliardenhöhe konfrontiert. Ein weiteres jahrelanges „Aussitzen“ kann sich die BRD nicht mehr leisten.

Oliver Schulten ist Experte für afrikanische Geschichte in Wuppertal. Von ihm stammt auch die anhängende 30-seitige Literaturliste über die Ereignisse in der Folge des deutschen Kolonialkrieges gegen die Herero und Nama 1904-1908.