USA vs. China: internationale Politik als Nullsummenspiel?

in (25.10.2017)

Auch nach einem knappen halben Jahr im Amt ist eine ansatzweise kohärente außenpolitische Strategie unter Präsident Donald Trump nicht erkennbar. Dies gilt auch und in erster Linie in Bezug auf die China-Politik der USA. Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Trump China vor allem hinsichtlich dessen Wirtschaftspolitik kritisiert: Weil China seine Währung manipuliere, Handelsregeln breche und Arbeits- sowie Umweltstandards unterlaufe, zerstöre es Arbeitsplätze in den USA. In einer seiner Reden tönte er: „Wir können es China nicht erlauben, unser Land zu vergewaltigen, denn das ist es, was sie tun!“ (zit. nach Diamond 2016; Übers. J.T.). Und im Dezember 2016 – das heißt noch vor seinem Amtsantritt – erklärte Trump nach einem Anruf der taiwanesischen Präsidentin Cài Yīngwén, dass er die „Ein-China-Politik“[1] als Verhandlungsmasse für die Neuverhandlung wirtschaftlicher Beziehungen mit China betrachte (Gray/Navarro 2016).

Von dieser Position ist der gegenwärtige US-Präsident bereits wieder abgerückt. Nachdem er im Wahlkampf China noch ganz allgemein verteufelt hatte, sprach er nach seiner Zusammenkunft mit dem chinesischen Präsidenten Xí Jìnpíng von einem „großartigem Treffen“.

Seitdem schwankt Trumps außenpolitische Rhetorik zwischen Interventionismus und Isolationismus, irritiert er mit erratischen Aussagen gleichermaßen Verbündete wie Rivalen und sorgt mit seiner Unberechenbarkeit in der asiatisch-pazifischen Region für allgemeine Unsicherheit. Angesichts mehrerer dort verlaufender Konfliktlinien kann das unter Umständen gefährlich zur Eskalation vor Ort beitragen.

Nun lassen sich zwar durchaus Grundlinien der außenpolitischen „America-first-Strategie“ identifizieren, wie etwa wirtschaftlicher Nationalismus, größtmögliche Sicherung und Abschottung des US-amerikanischen Territoriums, militärische Stärke und ein „amoralischer Transaktionalismus“[2] in den Beziehungen zu anderen Ländern. Es ist jedoch weiterhin völlig offen, wie sich dies alles konkret in eine US-amerikanische Chinapolitik übersetzen lässt.

Und so spekulieren Experten auf der ganzen Welt darüber, ob und inwieweit der derzeitige US-Präsident eine Abkehr von Barack Obamas Asienpolitik der letzten Jahre einleiten wird. Doch obschon sich Trumps ungelenke und provokante Äußerungen in Richtung China sowie sein schlichtes Null-Summen-Denken in internationalen Beziehungen von den internationalen Auftritten Obamas markant unterscheiden, so liegt die Substanz seiner Forderungen weit weniger außerhalb des Mainstreams US-amerikanischer Debatten, als manche europäischen Beobachter zu glauben meinen oder hoffen. Trumps geostrategische Orientierung für die Asien-Pazifik-Region ist allenfalls eine schrill überzeichnete und populistische Karikatur dessen, was auch in strategischen Sicherheitskreisen und konservativen Thinktanks der USA seit Längerem diskutiert wird und was zu großen Teilen auch die Außenpolitik der USA unter Obama und seiner Außenministerin Hillary Clinton war. Die Linie ist geblieben.

Um die Chinapolitik der neuen Regierung einzuordnen, scheint es darum notwendig, Trump bzw. seine außenpolitischen Vorstellungen im doppelten Sinne zu kontextualisieren: Zum einen müssen seine außenpolitischen Policy-Positionen im Kontext US-amerikanischer geopolitischer China-Diskurse der letzten Jahre betrachtet werden. Zum anderen müssen das „Phänomen Trump“ selbst und die Tatsache, dass er als populistischer Außenseiter das Präsidentenamt erringen konnte, im Kontext der Krise des politischen Systems der USA in den Blick genommen werden.

Unterschiedliche sicherheitspolitische Vorstellungen

Die USA und China haben höchst unterschiedliche Vorstellungen darüber, mit welchen Mitteln Wohlstand und Sicherheit sowohl im asiatisch-pazifischen Raum als auch global geschaffen werden können. In der Asien-Pazifik-Region besitzen die USA seit 70 Jahren eine unangefochtene Dominanzposition und betrachten diese ebenso wie ihre nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Verteidigungsallianzen mit Japan, Südkorea und Australien als unverzichtbar für ihre Vorherrschaft in der Region und in der Welt. Die US-Dominanz bedeutet konkret, dass die USA ihre maritime Macht bis zur 12-Seemeilen-Grenze jeder Nation, einschließlich der Chinas, im Asien-Pazifik-Raum uneingeschränkt ausüben können.

China hat diese Situation jedoch nie akzeptiert. Die chinesische Regierung ist überzeugt, dass es in der Region eine Machtbalance geben müsse, die einerseits auch den chinesischen Sicherheitsbedürfnissen Rechnung trage und anderseits die ökonomische Entwicklung Chinas und der Region insgesamt befördere. Es könne aus chinesischer Sicht nicht sein, dass die USA Sicherheit für ihre Verbündeten lautstark garantierten, legitime Sicherheitsinteressen der Länder außerhalb ihrer Allianz aber unberücksichtigt blieben. Die USA sind so gesehen kein neutraler Vermittler, Schiedsrichter oder unbefangene Ordnungsmacht, so wie sie ihre Rolle im pazifischen Raum oft selbst darstellen. Tatsächlich sind sie eine interessengeleitete Partei in Asien, die eher zusätzliche Spannungen erzeugt, anstatt zur Stabilität beizutragen. Die chinesische Forderung war seit jeher, dass Asien eine umfassende Sicherheitsarchitektur benötige, die auf den Sicherheitsinteressen aller Länder gleichermaßen gründet.

Die US-amerikanische Dominanz in der Asien-Pazifik-Region wie auch die chinesische Kritik daran sind kein neues Phänomen. Die beiden Länder sind diesbezüglich allerdings bisher nie ernsthaft in Konflikt miteinander geraten. Dies vor allem deshalb nicht, weil China lange Zeit weder über die politischen, ökonomischen und militärischen Kapazitäten verfügte noch die Motivation besaß, die US-amerikanische Vorherrschaft vor seiner Haustür ernsthaft herauszufordern.

Die Situation hat sich jedoch in den letzten Jahren grundlegend geändert. China ist in historisch einzigartig kurzer Zeit zur größten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Eingebettet in diese wie auch getrieben von der neoliberalen Globalisierung hat China heute mehr Ressourcen und mehr Interessen im Ausland und erhebt zunehmend selbstbewusst den Anspruch, diese Ressourcen auch zur Durchsetzung der eigenen Interessen einzusetzen.

So hat China seit dem Beginn seines weltwirtschaftlichen Aufstiegs ganz auf eine nichtmilitärische Außenpolitik und eine ausgeprägte Außenwirtschaftsdiplomatie gesetzt. Chinas Kurs zeigt sich in einer Mischung aus eigenen Initiativen (Aufbau neuer internationaler oder regionaler Institutionen wie die Asia Infrastructure Investment Bank oder die „One Belt, One Road“-Initiative) und einem größeren Gestaltungsanspruch in bestehenden Foren (etwa der G20). Hatte die chinesische Regierung sich in der Vergangenheit außenpolitisch zurückgehalten, so ist sie nun immer weniger gewillt, die US-amerikanische Vorherrschaft in der Asien-Pazifik-Region zu akzeptieren. Sie fordert immer massiver, die von den USA angeführte regionale und globale Ordnung grundlegend zu transformieren, weil sie überzeugt ist, dass diese US-Dominanz langfristig keine Sicherheit für China und die Region garantiert.

USA und China: eine nervöse und eine aufsteigende Supermacht?

Der Aufstieg Chinas hat in den USA bereits in den 1990er Jahren eine außenpolitische Diskussion ausgelöst, die zwar wesentlich in strategischen Sicherheitszirkeln und Thinktanks geführt wurde, aber auch immer wieder in die breitere Öffentlichkeit schwappte: Es geht um den unausweichlichen Konflikt zwischen der dominanten und der aufstrebenden Macht. Diese Debatte gründet auf dem Argument, dass die USA als dominante Macht sich dem Aufstieg Chinas erwehren müssten, während sich China als aufstrebende Macht zur Geltung bringen müsse. Diese Debatte gründet auf theoretisch sehr schwammigen wie auch historisch fragwürdigen Grundannahmen darüber, was Großmächte zu tun oder zu lassen haben. So gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Großmächte – aufstrebende ebenso wie Status-quo-Mächte – um jeden Preis „Hard-Power-Dominanz“ anstreben müssen. Und speziell für China liefert die Geschichte keinerlei Basis für diese Art Argumente. Dennoch bildet diese Konzeption konkurrierender Mächte eine wesentliche Grundlage für außenpolitische Strategien der USA.

In all den Jahren hatte die Debatte in den USA über „aufstrebende und dominante Mächte“ dabei stets sich überlagernde Varianten: eine konservativ-militärische Variante, die eine Einhegung Chinas über den Ausbau militärischer Präsenz und Militärbündnisse mit alten und vor allem auch neuen Partnern in der Region zu bewerkstelligen suchte, eine liberal-wirtschaftliche Variante, die über Handelsverträge, den zunehmenden Einfluss Chinas zurückzudrängen versuchte, und eben eine „populistische“ Variante.

Die populistische Variante, die vor allem von konservativen Thinktanks und Meinungsmedien wie etwa Fox News oder das Breitbart News Network befürwortet wurde, war eine krude, oft widersprüchliche Mischung aus der konservativ-militärischen und der liberal-wirtschaftlichen Variante. Ihre Vertreter betrachten jeden politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Erfolg Chinas als Zeichen der Schwäche und des nahenden Niedergangs der USA. Diese Variante hatte keine klare außenpolitische Strategie und war vor allem innenpolitisch motiviert: Die Obama-Regierung sei nicht fähig oder willens, die vitalen Interessen der USA zu verteidigen. China bot eine willkommene Projektionsfläche für polemischen Attacken gegen das liberale Amerika, das moralisch dekadent, politisch schwächlich und ökonomisch überreguliert sei und deswegen dem Aufstieg Chinas nichts entgegenzusetzen habe. Diese populistische Variante, die in den strategischen China-Debatten als Unterton stets mitschwang, ist mit Trump nun an die Oberfläche gespült worden. Ihre argumentative Stoßrichtung ist nach wie vor innenpolitisch auf ein höchst polarisiertes Wahlvolk ausgerichtet.

„Pivot to Asia“

Obgleich weit differenzierter und strategisch ausgereifter, gründete auch Präsident Barack Obamas Asienpolitik im Kern auf dem Konzept der aufstrebenden und der dominanten Großmacht. Obama hatte 2012 seine Außenpolitik unter das Label „Pivot to Asia“ (Hinwendung nach Asien) gestellt und später von „Rebalancing“ gesprochen. Diese außenpolitische Neuaustarierung hatte zum Ziel, dass die USA dominierende Macht in Asien bleiben und Chinas weiterer Aufstieg in einem Rahmen erfolgt, der von Washington, nicht von Peking bestimmt wird. Bei einem Staatsbesuch in Australien sagte Obama 2014: „American leadership in the Asia Pacific will always be a fundamental focus of my foreign policy“ (White House Office of the Press Secretary 2015).

Die Neuausrichtung integrierte gleichermaßen konservativ-militärische als auch liberal-wirtschaftliche Ansätze und übersetzte sie in konkrete Maßnahmen der Eindämmung Chinas. Die Präsenz der US-Marine im Pazifik wurde verstärkt, 2.800 US-Marines wurden im australischen Darwin stationiert, der Ausbau bestehender Allianzen sowie einige neue Militärabkommen vorangetrieben. „Die Vereinigten Staaten müssen die machtpolitischen Fähigkeiten ihrer Freunde und Verbündeten an Chinas Peripherie ausbauen“ (Blackwill /Tellis 2015: 27f.). Darüber hinaus verhandelten die USA mit über ein Transpazifisches Partnerschaftsabkommen (TPP)[3], um „China konsequent vom Zugang zu Hochtechnologie abzuschneiden“ (ebenda: 25). In einem Sonderbericht des Council on Foreign Relations, dem wichtigsten außenpolitischen Thinktank der USA, wurde 2015 gefordert, dass man ab sofort jede „Internationalisierung chinesischer Interessen in der Welt mit robusten Maßnahmen“ begegnen müsse (ebenda: 36).

Dies führte in China zwangsläufig zur Einsicht, dass die gesamte strategische „Hinwendung nach Asien“ als groß angelegter Versuch der Eindämmung und Einkreisung Chinas verstanden werden müsste. Wohl auch zur Recht, denn zur Unterzeichnung des TPP-Abkommens sagte Obama 2016 selbst: „TPP allows America – and not countries like China – to write the rules of the road in the 21st century“ (White House Office of the Press Secretary 2015).

Chinesischer Eigensinn

Der Diskurs „aufstrebende gegen dominante Macht“ und die daraus abgeleitete Politik der Eindämmung Chinas sind zudem von der Enttäuschung darüber geprägt, dass dieses Land auf seinen eigenen Pfad der Entwicklung beharrt. Noch in den 1990er Jahren war die vorherrschende Meinung von der Vorstellung getragen, dass Chinas Einbettung in eine liberale Weltordnung das Land unweigerlich in Richtung Marktkapitalismus und bürgerlicher Parlamentarismus führen werde. Wirtschaftsreformen würden China mehr und mehr wie die USA werden lassen und somit auch empfänglich für US-amerikanische Positionen von Global Governance und dem geopolitischen Status quo. In den letzten Jahren setzte sich jedoch die Einsicht durch, dass China weit widerstandsfähiger ist, als viele geglaubt oder auch gehofft hatten.

In der Wirtschaft beharrt China weiterhin auf einer zentralisierten politischen Steuerung und einer gemischten Wirtschaftsordnung. Auch wenn Marktmechanismen im Zuge der Reformpolitik kontinuierlich ausgebaut wurden, sind die Kommandohöhen der Wirtschaft wie etwa das Banken- und Finanzwesen oder der Energie- und Infrastrukturbereich weiterhin von Staatsbetrieben besetzt. Chinas Regierung macht keine Anstalten, an diesem Grundsatz etwas zu ändern.

In den letzten 40 Jahren sind ungefähr 600 Millionen Chinesen zu relativem Wohlstand gelangt. Ganz im Gegensatz zu landläufigen Meinungen gerade im Westen bilden diese neuen Mittelschichten das legitimatorische Rückgrat der KP Chinas und stärken deren Führungsanspruch. Die Annahme, dass neue Vorstellungswelten, Ambitionen und Hoffnungen der Mittelschichten das chinesische Systems zwangsläufig delegitimieren würden, war eine westliche Verlängerung eigener Agenden, eigener Prioritäten und Problemanalysen in eine chinesische Realität, die jedoch von ganz anderen Hoffnungen, Erwartung und Problemen geprägt ist.

Und schließlich: Chinas Reformpolitik und letztlich auch ökonomischer Aufstieg der letzten Jahrzehnte sind von einer pragmatisch-realistischen Selbsteinbettung in das gegebene internationale System politischer und ökonomischer Beziehungen geprägt. Chinas „network strategy of embedded rise“ (vgl. Pang u.a. 2017) passt sich proaktiv der Globalisierung an und versucht, daraus größtmöglichen Vorteil für die eigene Entwicklung zu ziehen. Chinas Führung hat zwar seine Bereitschaft demonstriert, die gegenwärtige ökonomische Weltordnung zu akzeptieren, diese pragmatische Akzeptanz bedeutet jedoch nicht, dass es von dieser Ordnung auch überzeugt ist. Denn obwohl sich Chinas Position im globalem ökonomischen System zunehmend auf die der entwickelten Industrienationen zubewegt, erklärt es unbeirrt, seine Außenpolitik im Bündnis mit anderen sogenannten Entwicklungsländern abzustimmen. In der globalen Arena hält China vorsichtige Distanz zu der von den USA geführten liberalen Weltordnung und betont, dass Länder des globalen Südens eine zunehmend wichtige Rolle spielen und sich deshalb die gegenwärtige Ordnung verändern müsse (ebenda).

Angesichts des Erfolgs des Modells China stellt der chinesische Eigensinn tatsächlich eine ernsthafte Herausforderung für das gegenwärtige liberale Handelsregime und die vom Westen bevorzugten Global-Governance-Normen dar. China will sich (und anderen) besser Bedingungen schaffen, wodurch sich in den USA die Sorgen vergrößert haben, dass die von China initiierten Institutionen mit den westlich geführten in Konkurrenz treten oder diese sogar ersetzen könnten. Zugleich präsentiert sich die chinesische zusammen mit der deutschen Regierung als Hüterin des freien Welthandels gegen protektionistische Gefahren, etwa anlässlich des G20-Treffens in Hamburg im Juli 2017.

Doch vor allem bietet der Eigensinn einen idealen Nährboden für Trumps rechtspopulistischen China-Diskurs. Denn erstens lässt sich ein klarer Gegner identifizieren: das Andere, das Unbekannte, welches – antikommunistisch, mitunter rassistisch unterfüttert – als konstante Bedrohung beschrieben werden kann. Zweitens bietet sich Chinas Aufstieg als Begründung für den sozialen und ökonomischen Niedergang der USA an. Chinesischer Eigensinn beutet in Trumps Diskurs vor allem, nicht nach den Regeln zu spielen. Und schließlich steht drittens der Aufstieg China auf globaler Ebene symbolisch für eine viel weiterreichende sozialökonomische Veränderungsdynamik, der völlig unhistorisch eine romantisierte und idealisierte Welt alter „US-amerikanischer Größe“ gegenübergestellt werden kann.

Das Dilemma von Trumps China-Diskurs ist jedoch, dass unklar bleibt, wie Stimmungen, Ressentiments und aktionistische Symbolpolitik in eine kohärente Politik übersetzt werden können. Dem weiteren ökonomischen Aufstieg Chinas in der Asien-Pazifik-Region haben die USA relativ wenig entgegenzusetzen. Ein Handelskrieg mit China würde ihnen wohl ebenso schaden wie dem Konkurrenten. Und nach Trumps Rückzug aus dem TPP-Abkommen, ursprünglich gedacht, um China im Zaum zu halten, scharrt Peking bereits mit den Hufen und will die entstandene Lücke füllen. Es schickt nicht mehr nur Waren und Kapital in die Welt hinaus, sondern auch Ideen. In Afrika und Südamerika gibt es viele Bewunderer des chinesischen Entwicklungspfades eines staatlichen Dirigismus in der Marktwirtschaft. Doch noch für lange Zeit wird Peking militärisch und politisch nicht wirklich mit den USA mithalten können. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass China im Juli 2017 erstmalig eine überseeische Militärbasis aufgebaut hat – in Dschibuti, also auf dem afrikanischen Kontinent, wo China besonders engagiert ist, weil es seinen wirtschaftlichen Aufschwung ohne den Ressourcenimport gerade aus den afrikanischen Ländern nicht bewerkstelligen könnte.

Hegemonieanspruch?

Die USA stellen eine globale Hegemonialmacht dar und übten entsprechend diese Hegemonie auch im Asien-Pazifik-Raum aus. Jede Großmacht strebt eine hegemoniale Position an – sicherlich auch China –, doch im Bereich internationaler Beziehungen stellt sich stets die Frage, ob ein alleiniger Hegemonieanspruch sinnvoll ist und für einen Staat mehr Sicherheit bringt oder nicht. Um sich gegen eine herrschende Hegemonialmacht durchzusetzen, bedarf es enormen Aufwands und erheblicher Ressourcen. Zudem sind solche Ablösungsversuche meist zum Scheitern verurteilt. Die USA waren in dieser Hinsicht vor allem deshalb erfolgreich, weil sie zum einen ihre Vormachtstellung von einer schwachen und demokratischen Macht, mit der sie zudem eine gewisse politisch-kulturelle Affinität verbindet – Großbritannien – geerbt haben, und weil sie zum anderen ihren Hegemonieanspruch langfristig in einer befriedeten Umwelt entwickeln konnten, in der es in der unmittelbaren Nachbarschaft keine Bedrohung gab. Die Zustimmung der untergeordneten Staaten wurde mit Schutz, Wirtschaftshilfen, dem Zugang zu Märkten etc. belohnt. Das US-Modell war ökonomisch erfolgreich und hochattraktiv.

China ist ebenfalls für viele Staaten des globalen Südens ein attraktives Modell, zumindest in Teilen. Dennoch stellt sich die Situation für China grundlegend anders dar. Mit Japan, Südkorea, Thailand und Vietnam in der unmittelbaren Nachbarschaft, aber auch mit in der Region aktiven Akteuren wie den USA, Russland und Indien wäre der Versuch, eine chinesische Hegemonie in Asien zu etablieren, ein überaus komplexes und herausforderndes Unterfangen, das zusätzliche Spannung erzeugen und China erst einmal nicht mehr Sicherheit bringen würde. Deshalb hat China zumindest auf absehbare Zeit keinen Ehrgeiz, die Region zu dominieren.

Hegemonie im internationalen Kontext basiert auf einem transnationalen geschichtlichen Block, dessen Macht- und Herrschaftsstrukturen auf der Grundlage eines relativ beständigen Arrangements von produktiven und politischen Organisationsformen mehrere nationale Gesellschaften miteinander verbinden. Diese Strukturen umfassen zwar mehr als nur Staaten, etwa auch transnationalen Konzerne und Kapitaleliten; es sind aber staatliche Ressourcen – vor allem militärische Absicherung, Regulationsmechanismen, Rechtssysteme und Institutionen –, die den Block zusammenhalten. Diese Ressourcen wurden in den letzten Jahrzehnten vor allem von den USA bereitgestellt und kontrolliert, auch wenn die Stärke der Supermacht des 20. Jahrhunderts seit Längerem erodiert.

Die Tatsache, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen konnte, lässt sich unter anderem mit einer Hegemoniekrise erklären, die aus der Erosion der materiellen Basis resultiert, die es der kapitalistischen Klasse bisher erlaubte, die Befriedigung ihrer Bedürfnisse als essentielle Voraussetzung für das Wohlergehen des ganzen Landes zu präsentieren. Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts, vor allem nach 2008 scheint die Behauptung mehr als zweifelhaft, dass Profite der Kapitalklasse zum Wohle aller Klassen seien. In den USA äußert sich diese Hegemoniekrise ferner darin, dass sich die politischen Vehikel – die Demokratische und Republikanische Partei – aufzulösen scheinen. In diesem Kontext mag sich die Bevölkerung um einen charismatischen Führer scharen, doch die Artikulation eines kohärenten Projekts, in dem Zustimmung zudem eine materielle Basis hat, ist fast unmöglich.

Die zentrale Frage ist nun, wie sich die Hegemoniekrise im globalen Zentrum auf das Verhältnis zu China, zu der Asien-Pazifik-Region und zur globalen Peripherie auswirken wird. Die US-amerikanische Dominanz gründet auf dem konstitutiven Ineinandergreifen von Macht, Ideologie und Institutionen. Durch Trumps „Neo-Isolationismus“ werden sich die USA wahrscheinlich immer weiter aus internationalen Institutionen, Abkommen und Verpflichtungen zurückziehen, was bedeutet, dass die institutionellen Mechanismen dieser speziellen Struktur internationaler Hegemonie geschwächt werden; ob sie sich wirklich auflösen werden, bleibt abzuwarten. Es stellt sich die Frage, welche internationalen Institutionen, Staatsformen und sozialen Kräfte sie ersetzen könnten. China wird diese Lücke nicht füllen können. Auch wenn es seit einigen Jahren den Aufbau alternativer internationaler Institutionen vorantreibt und sich in die bestehenden verstärkt einbringt, fehlt es China vor allem an globaler zivilgesellschaftlicher Vernetzung, um einen internationalen geschichtlichen Block anzuführen, der eine Transformation der bestehenden Struktur herbeiführen könnte.

Globale Hegemonie setzt ferner voraus, dass sich führende Politiker einer Weltmacht auch in ideologischer Hinsicht als Garanten der bestehenden Weltordnung präsentieren. Der Führungsanspruch der USA beruhte in den letzten sieben Jahrzehnten darauf, dass sie vorgaben, weltweit Hüter von Demokratie, Menschenrechten und der Freizügigkeit von Kapital und Personen zu sein. Die Vereinigten Staaten offerierten damit der Welt eine universalistische Ideologie, in der unterschiedliche Interessen harmonisch zusammengeführt werden konnten. Dass mit dieser Rhetorik oftmals handfeste US-amerikanische Interessen verschleiert wurden, muss hier nicht weiter vertieft werden. Dennoch: Hegemonie basiert notwendigerweise auf Formen des Ausgleichs, muss reale Entfaltungsmöglichkeiten bieten und allgemein das Gefühl vermitteln, dass die bestehende Ordnung im besten Interesse aller ist.

Trumps „America-first-Politik“, die nur noch auf eigene Interessen und unbedingte Überlegenheit setzt, allgemeine Normen und Prinzipien über Bord wirft und US-amerikanische Außenbeziehungen nur noch aktionistisch von Fall zu Fall betrachtet, zerstört diese ideologische Basis westlicher Hegemonie. Dies wird zweifellos die Asien-Pazifik-Region in Bewegung bringen und einige Räume gegenüber einem chinesischen Führungsanspruch öffnen. Doch insgesamt wird China – zumindest vorerst – das ideologische Vakuum nicht füllen können, da es schlicht keine universalistische Ideologie anzubieten hat. Im Gegenteil: In den letzten Jahren hat die chinesische Regierung selbst immer wieder betont, dass ihr Entwicklungsmodell einzigartig und auf die chinesische Situation, Geschichte und Kultur zugeschnitten sei und nicht in andere Weltregionen exportiert werden könne.

Sollte Trumps Präsidentschaft das „Ende des Westens“ einläuten, dann ist dies noch nicht der Beginn eines „chinesischen Zeitalters“.

Erschienen in Weltklasse - LuXemburg Online-Sonderausgabe, August 2017

Literatur

Blackwill, Robert D./Tellis, Ashley J., 2015: Revising U.S. Grand Strategy Toward China, Council on Foreign Relation Council Special Report No. 72, März 2015, www.cfr.org/sites/default/files/pdf/2015/04/China_CSR72.pdf

Diamond, Jeremy, 2016: Trump: We Can’t Continue to Allow China to Rape Our Country, edition.cnn.com/2016/05/01/politics/donald-trump-china-rape

Gray, Alexander/Navarro, Peter, 2016: Donald Trump’s Peace through Strength Vision for the Asia-Pacific, foreignpolicy.com/2016/11/07/donald-trumps-peace-through-strength-vision-for-the-asia-pacific/

Kahl, Colin/Brands, Hal, 2017: Trump’s Grand Strategic Train Wreck, foreignpolicy.com/2017/01/31/trumps-grand-strategic-train-wreck/

Pang, Xun/Liu, Linda/Ma, Stephanie, 2017: China’s Network Strategy for Seeking Great Power Status, in: Chinese Journal of International Politics 10(1), 1–29

White House Office of the Press Secretary, 2015: Remarks by President Obama at the University of Queensland, obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2014/11/15/remarks-president-obama-university-queensland

White House Office of the Press Secretary, 2016: Statement by the President on the Signing of the Trans-Pacific Partnership, obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2016/02/03/statement-president-signing-trans-pacific-partnership

Anmerkungen

[1] Die “Ein-China-Politik” ist die staatspolitische Vorgabe der Volksrepublik, dass Taiwan kein eigenständiger Staat ist, sondern zu China gehört. Folglich will sie keine diplomatischen Beziehungen zu Staaten, die Taiwan anerkennen.

[2] Mit diesem Begriff wird Trump ein diplomatischer Nullsummenspiel-Ansatz unterstellt, den Trump aus seiner Tätigkeit als Kapitalunternehmer entlehnt und in die Sprache der good oder bad deals gekleidet habe. In diesem Verständnis von internationaler Politik seien die Gewinne des einen die Verluste des anderen (vgl. Kahl/Brands 2017).

[3] Anfang 2016 wurde das Handelsabkommen ‚Trans-Pacific Partnership’ (TPP) zwischen Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam und den USA unterzeichnet. Es galt als Kernstück Präsident Obamas außenpolitische Neuausrichtung nach Asien-Pazifik-Raum und sollte über den Abbau von Handelshemmnissen die Staaten enger aneinander binden und gleichzeitig Chinas wachsenden Einfluss in der Region zurückdrängen. Am 21. November 2016 gab Präsident Trump jedoch bekannt, dass er TPP kündigen werde.