Zu diesem Heft

Zivile Konfliktbearbeitung

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Zivile Konfliktbearbeitung

Seit den späten 1990er Jahren gab es sowohl national als auch international vielfältige Versuche, Kapazitäten für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung aufzubauen. Es gehört seither zur Chronist*innen-Pflicht der Peripherie, sich periodisch mit dem Anspruch und der Wirklichkeit ziviler Konfliktbearbeitung und Friedensförderung zu befassen. Nicht alles, was Chronist*innen verzeichnen, muss ihnen auch gefallen. Das gilt in diesem Falle für den deutlichen Trend, das „Zivile“ immer selbstverständlicher mit dem militärischen Handlungsfeld zu verknüpfen und damit auch den eigenständigen, definitorischen Spielraum des „Zivilen“, theoretisch und als Praxisfeld, zu verengen. Dieser Spielraum steht deshalb im Mittelpunkt der Ausgabe.

In den letzten Jahren häufen sich Anlässe, in denen die deutsche Bundesregierung sicherheitspolitische Grundsatzpositionierungen im Entwicklungsprozess der politischen Papiere als „partizipative Dialoge“ initiierte. Diese Strategie ist nicht spezifisch deutsch. Sie folgt Grundsätzen der Managementtheorie. Die OECD hat diese Methode seit Jahren propagiert, speziell um die öffentliche Akzeptanz militärischer Interventionen in Kontexten der Vereinten Nationen, der Europäischen Union (EU) und der NATO zu fördern. Die Niederlande und die skandinavischen Länder lieferten Modelle. In der weiteren Entwicklungszusammenarbeit wird eine analoge Form der Konsensbildung als „community of practice“ propagiert. Hier einigt sich eine jeweils heterogene Gruppierung von Entwicklungsakteur*innen vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Praxisfeldes auf gemeinsame Sichtweisen, Problembeschreibungen und -lösungen. Im sicherheitspolitischen Feld wird die „community of practice“ gerne auf die viel beschworene „Kohärenz“ heterogener Partner und gegenseitig abgegrenzter staatlicher Institutionen und Ministerien übertragen. Der Partizipationsdiskurs wird so zu einer aktualisierten Form der Propaganda, in der das „Zivile“ und das „Militärische“ zu verschmelzen drohen. Kernakteur*innen der Diskurse sind die „Zivilen“ (also Parlamentarier*innen, Vertreter*innen der Exekutive, Entwicklungspraktiker*innen, akademische „Expert*innen“, NGOs, Bewegungsaktivist*innen) und das „Militär“. Anerkannt in ihrer jeweiligen „Differenz“ (ähnlich Rasse, Gender, Klasse, sexueller Ausrichtung, Kultur, Religion, Alter usw.) partizipieren die Akteur*innen im gleichberechtigten Dialog – natürlich „auf Augenhöhe“. Aus einer (selbst-)kritischen und reflexiven Perspektive ist es von daher zeitweilig sinnvoll, an Eigenheiten des „Zivilen“ zu erinnern. Diese Erinnerung fällt kontrovers aus, was in der Redaktionsarbeit zu dieser Ausgabe der Peripherie besonders deutlich wurde.

Der Debattenbeitrag von Thomas Mickan, Alke Jenss, Adrian Paukstat und Mechthild Exo beschäftigt sich mit drei politisch initiierten Dialogprozessen: dem Review 2014 des Auswärtigen Amtes, dem Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums von 2015/2016 sowie PeaceLab16, einer weiteren Initiative des Auswärtigen Amtes der Jahre 2016/2017. Im Mittelpunkt des Artikels steht das „epistemische Unbehagen“, das bei diesen Dialogen aufkommen kann. Die Autor*innen gehen davon aus, dass die Dialogprozesse eine unhinterfragte Rahmung enthalten. Das sind die sicherheitspolitischen Annahmen zum „fragilen Staat“ als Herd eines universellen Krisenzustandes, der mit zivilen und militärischen Instrumenten bearbeitet werden müsse. In diesem Diskurs dient das „Zivile“ nicht mehr als Kritik und Alternative zu militärischem Handeln, sondern ist mehr oder weniger nützliches Instrument („tool“) im Handwerkskasten. Mickan u.a. ziehen weitreichende Schlussfolgerungen und vergleichen die deutsche Dialogpraxis mit der US-amerikanischen Popularisierung von Aufstandsbekämpfung (counterinsurgency), die seit Mitte des letzten Jahrzehnts die Kriege im Irak und in Afghanistan begleiteten. Was in dem einem Falle militärisch knapp als „clear, hold, build“ tituliert wurde, wird im anderen Falle zivil-dezent zu „Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge“, enthält aber das gleiche strukturelle Interventionsmuster. In beiden Fällen geht es um die Durchsetzung von Akzeptanz für die Interventionspolitik, militärisch und zivil, sowohl im Interventionsterritorium als auch in der politischen Heimat der Interventionsmacht. Der Artikel verfolgt ausdrücklich das politische Ziel, einen Beitrag zu leisten, um die Autonomie des „Zivilen“ vor militärischen Zugriffen im Zuge zivil-militärischer Dialoge zu retten.

Eine konträre Position, die sich gleichfalls um eine Rettung des „Zivilen“ bemüht, nehmen Rebecca Gulowski und Christoph Weller in ihrem theoretisch formulierten Beitrag ein. Hier ist der Anspruch, das analytische Potenzial des „Zivilen“ in der „Konfliktbearbeitung“ genauer zu identifizieren. Für die Autor*innen ist „zivile Konfliktbearbeitung“ seit 25 Jahren ein normativ aufgeladener politischer Begriff geblieben, der von der Differenzierung gegenüber dem „Militärischen“ lebt, ohne seine eigenen Widersprüche zu erkennen. Selbstwidersprüche des „Zivilen“ in der „Konfliktbearbeitung“ verorten Gulowski & Weller auf zwei Ebenen: a) Das „Zivile“ trägt in sich eine eurozentrische Perspektive auf Konflikte (Prozesse, Verläufe, Institutionen, Kanalisierungen) im Globalen Süden. Vor dem Hintergrund post-kolonialer Theorie enthält der Anspruch auf „Intervention“ immer einen „zivilisierenden“ Anspruch mit kolonialen Anklängen. b) Das „Zivile“ klammert die im eigenen gesellschaftlichen Zusammenhang ständig präsente historische Gerinnung von Gewalt im „staatlichen Gewaltmonopol“ aus. Demgegenüber schlagen die Autor*innen eine wissenschaftliche Fokussierung des „Zivilen“ auf Beiträge zu gewaltmindernden Konfliktverläufen vor, die (mit Georg Simmel, Lewis Coser, Ralf Dahrendorf und Chantal Mouffe) die Normalität von Konflikten als Ausdruck gesellschaftlicher Veränderung anerkennt. Zivile Konfliktbearbeitung soll dann dazu beitragen, aus Feindschaft sozial vermittelnde Gegnerschaft zu machen. Zur zivilen Konfliktbearbeitung im Globalen Süden gehört die Suche nach „homöomorphen“, funktionsäquivalenten Lösungen, bei denen anerkannt ist, dass es unterschiedliche Vorstellungen von Zivilität, Konflikt, Gewalt, Frieden, Staatlichkeit und Demokratie gibt. Die Argumentation stellt einerseits den zivilen Interventionsenthusiasmus der letzten Jahrzehnte in eine koloniale Kontinuität. Andererseits lässt sich in der zivil-militärischen Interventionspraxis der letzten Jahre gerade beobachten, wie das Militär unter dem Banner „operationeller Kultur“ versuchte, lokale Institutionen und Praktiken der Konfliktbearbeitung zu verstehen und in Handwerkszeug zu übertragen. Das „Zivile“ hat hier kein praxisbezogenes Alleinstellungsmerkmal mehr.

In technisch-instrumentaler Hinsicht steht die Zivile Konfliktbearbeitung an einer Schnittstelle von (entwicklungs-)politischem, sozialem, kulturellem und pädagogischem Handeln. Dabei fallen immer neue Lücken auf. Daniela Pastoors untersucht vor diesem Hintergrund die Figur der „Berater*in“ als Erfolgsgarantie des Interventionsprozesses. Konstatierter Mangel ist hier die Verbindung von theoretischer Vorbildung mit einem Erkenntnisprozess, der reflexiv lokale Gegebenheiten einbezieht.

Die EU hat in zahlreichen Grundsatzpapieren die Friedensmediation als besonderes Anliegen formuliert. Julian Bergmann diskutiert die Praxis der Mediationstätigkeit am Beispiel der Konflikte Kosovo/Serbien und Georgien/Abchasien/Südossetien. Er weist darauf hin, wie das Lockmittel EU-Beitritt im Falle Kosovo/Serbien eine vermittelnde Wirkung erhalten hat, die beide Seiten zu Kompromissen drängt. Im Falle Georgien/Abchasien/Südossetien gibt es ein solches Lockmittel nicht. Der Mediationsversuch stagniert auf niedrigen Niveau, und als relativer Erfolg kann der Nichtausbruch weiterer Gewalt gelten. Bergmanns Beitrag hinterlässt offene Fragen. Hat nicht die Russische Föderation im Jahre 2007 die offene Parteinahme der EU für eine Unabhängigkeit des Kosovo zum Anlass genommen, eine Lösung Abchasiens von Georgien zu fördern? Wie verhält sich die vermittelnde Kapazität der EU angesichts Spaniens und der Eigenständigkeitsforderungen Kataloniens?

Zu den stereotypen Bedrohungslagen, die die gegenwärtigen Krisenszenarien in Wiederholung begleiten, gehören Flucht und Migration als spezielle zivile Handlungsfelder. Ausgehend von der Debatte, „wie viele Flüchtlinge können wir ertragen“, beschäftigt sich Corina Pape mit der umgekehrten und grundsätzlichen Frage, welche Bedeutung der illegale Grenzübertritt marginalisierter Bevölkerungsteile für das Sichtbarwerden einer globalen Krise und den Anspruch auf zivile Lösungen hat. Der Beitrag zieht im Kontext einer Reflexion auf das Problem und die Praxis des zivilen Ungehorsams einen Analogieschluss. So wie die Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 1950er Jahren nur durch Regelbruch die menschenrechtswidrigen Diskriminierungspraktiken sichtbar machen und sich schließlich weitgehend durchsetzen konnte, so können heute auch Flüchtende ihre zivilen Ansprüche nur durch grenzüberschreitende Regelbrüche ausdrücken und durchsetzen.

Zivile und militärische Interventionspraktiker beschäftigen sich gerne mit der Frage nach lokaler und kontextueller Anknüpfungsmöglichkeit und Akzeptanz (vgl. auch die Beiträge von Mickan u.a. sowie von Gulowski & Weller). Dabei rücken auch Fragen nach kulturellen Homologien zu euro-amerikanischen Prinzipien von Menschenrechten und Demokratie in den Mittelpunkt. Clemens Jürgenmeyer erinnert in seinem Beitrag zu Mahatma Gandhi daran, dass die Geschichte des anti-militärischen zivilen Protestes in West-Europa und den USA in den 1980er Jahren ganz selbstverständlich durch Gandhis Prinzipien des zivilen Widerstandes geprägt war, die ihre Wurzeln in indischen und europäischen philosophischen Traditionen hatte. Dieser Beitrag zeigt deutlich, dass eine Sichtweise verfehlt ist, die im „zivilen“ Engagement alleine eine eurozentrische Positionierung sieht. Zugleich wird klar, dass Gandhi untrennbar von seiner Praxis der Gewaltlosigkeit für einen sehr viel umfassenderen Ansatz steht, der sich dem Entwicklungsdiskurs frontal entgegenstellt.

Als bedrohliches Endprodukt mangelnden Interventionshandelns wird immer wieder das Menetekel des „failed state“, des vollständigen Staatsversagens an die Wand projiziert. Tilman Schiels dekonstruierende Analyse im Peripherie-Stichwort kommt zu dem Schluss, dass wir keinen wirklich gültigen Maßstab dafür haben, was ein „normaler“ und was ein „versagender“ Staat ist. Doch zeigt die Erfahrung, dass Interventionen dazu tendieren, Chaos und Zusammenbruch zu fördern.

Im Herbst 2011 fand die erste Tagung der deutschen Bundeswehr zum Thema „Coping with Culture“ statt, dem deutschen Pendant zum Einsatz von „operationeller Kultur“ als militärischem Handwerkszeug, das die US-amerikanische Version von counterinsurgency prägt. Nach einleitenden Reden von Veteranen der zivilen Friedensbearbeitung (Johan Galtung, Winfried Nachtwei) entspann sich ein Gespräch zwischen einer Offizierin der britischen Armee und einem anwesenden Sozialwissenschaftler. Der Akademiker versuchte, den Forschungsgegenstand der zivilen Konfliktbearbeitung zu erklären. Erhellt meinte die Offizierin schließlich: „Aha, Sie machen das, worüber der Politiker gerade geredet hat.“ Diese Anekdote zeigt, dass die Schwierigkeiten, das „Zivile“ zu bestimmen, sicher nicht nur in eurozentrischer Selbstbespiegelung und Übertragung auf andere gesellschaftliche Kontexte bestehen. In den letzten Jahren haben sich auch die Tendenzen der selbstverständlichen Bestimmung des „Zivilen“ im Globalen Norden auseinanderentwickelt. Die US-amerikanische Diskussion zu „interagency“ oder die britische Institution der „stabilisation unit“ fördern ganz selbstverständlich zivil-militärische Praktiken in der entwicklungspolitischen Praxis, die in Deutschland – noch – sperrig sind. Die hier vorliegenden Beiträge reflektieren im Wesentlichen deutsche Positionen. Diesem Problem wird man in Zukunft weiter nachgehen müssen.

 

Die Hefte des Jahrgangs 2018 werden sich den Themen „Buen Vivir“, „‘Entwicklung’? – Alternativen zur ‘Entwicklung’?“ sowie „Macht und Prognose“ widmen. Darüber hinaus bereiten wir Schwerpunkte zu „Gewalt und Trauma in einer globalisierten Welt“ und „Erinnerung und Abgrenzung“ vor. Zu diesen und anderen Themen sind Beiträge sehr willkommen. Die entsprechenden Calls for Papers finden sich auf unserer Homepage, sobald sie veröffentlicht werden.

Zum Abschluss des aktuellen Jahrgangs möchten wir uns wieder herzlich bei den Gutachter*innen bedanken, die einmal mehr durch ihre gründliche, engagierte und kritische Arbeit zum Gelingen der Hefte maßgeblich beigetragen haben. Ihre Namen sind in alphabetischer Reihenfolge im Jahresregister aufgeführt. Ferner gilt unser Dank Sarah Becklake, die als englische Muttersprachlerin die Summaries korrigiert hat.

Schließlich bedanken wir uns bei allen Leser*innen, Abonnent*innen sowie bei den Mitgliedern der Wissenschaftlichen Vereinigung für Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik e.V., der Herausgeberin der Peripherie. Unsere größtenteils ehrenamtliche Arbeit ist weiterhin von Spenden abhängig. Eine für die langfristige Sicherung des Projekts besonders willkommene Förderung stellt die Mitgliedschaft im Verein dar, in der das Abonnement der Zeitschrift sowie regelmäßige Informationen über die Redaktionsarbeit enthalten sind. Wir freuen uns aber auch über einmalige Spenden. Unsere Bankverbindung finden Sie, liebe Leser*innen, im Impressum. Wir wünschen Ihnen und Euch eine anregende Lektüre und einen guten Start ins Jahr 2018.

 

Peripherie, Nr. 148, 37. Jg., 3/2017, Verlag Barbara Budrich, Leverkusen.