»Do You Know Who I Am?«

Rom*nja-Musiker*innen wenden sich gegen Exotisierung

Seit vor rund zwanzig Jahren der sogenannte Balkanhype losbrach, gewann die Musik von Rom*nja deutlich an Präsenz. Unter dem Ballast der Stereotype, die vom Musikbusiness und dem Publikum gefeiert werden, ist jedoch kaum Platz für die Wahrnehmung realer Rom*nja und Sint*ezze und ihre politischen Anliegen.

Seit den 1990er Jahren ist Musik von Rom*nja im Musikbusiness Mitteleuropas sehr präsent. Sichtbare Motoren waren etwa die Filme von Emir Kusturica mit der Filmmusik von Goran Bregović, die Aktivitäten der Labels Asphalt Tango Records und Crammed Disks sowie die Songs von DJ Shantel, Madonna und weiteren Nicht-Rom*nja.

Weniger sichtbar im Balkanhype sind reale Rom*nja und Sint*ezze. Sie werden in vielen – wenn auch nicht allen – Kulturprodukten dieses Hypes romantisiert und exotisiert. Das hat in der europäischen Kulturgeschichte der Mehrheitsgesellschaft seit etwa 200 Jahren Tradition. Die Popkultur setzt diese Tradition fort und modernisiert sie. Die Styles wandeln sich, Stereotype und Diskriminierung bleiben.

Das Zusammenspiel von Publikumserwartung und vermeintlichen Zwängen des Musikbusiness im Kapitalismus befördern diesen Exotismus. Die Öffentlichkeitsarbeit der Musiklabels verkauft mit der Musik Identitätsangebote, Märchen und Hipness. Die Arbeit der Romani Musiker*innen wird romantisiert und romaisiert. Manche Labels halten Musiker*innen sogar an, sich selbst zu ethnisieren oder sich zumindest stereotypen Erwartungen des Publikums anzupassen. Denn das verkauft sich gut.

Durch diese Praxen entsteht seit den 1990er Jahren der Eindruck, es gebe eine gemeinsame Roma-Musikkultur. In ihrer 800 Jahre währenden Anwesenheit in Europa haben sich Romani Musiker*innen jedoch hauptsächlich mit der Musik ihres direkten Umfelds beschäftigt, nicht mit der Musik von Rom*nja aus anderen geografischen Gegenden. Genauso, wie es nicht zwangsläufig eine gemeinsame ethnische Identität als Rom*nja gibt, gibt es auch keine gemeinsame traditionelle Roma-Musikkultur. Erst seit den 1990er Jahren wird durch gemeinsame Touren, Festivals und Compilationprojekte unter dem Label World Music eine allgemeine »Roma-Musik« konstruiert. Gemeinsamer Nenner und Handlungsgrundlage für kollektives Musizieren und Jammen ist dabei allerdings das improvisatorische Können als professionelle Musiker*innen – nicht die Ethnie und auch nicht die Tatsache, dass sie entlang dieser Zuordnung ethnisiert oder diskriminiert werden.

Bedürfnisse des Publikums

Jeder Hype ist nur mit dem dazu passenden Publikum möglich. Auf welche Gefühlslagen, welche Bedürfnisse trifft (ethnisierte) Musik von Rom*nja? Ist es das Bedürfnis nach Traditionalität und Heimatverbundenheit, nach »identitätsstiftende[n] Momente[n], die den nationalistischen Aspekt von Heimat überwinden«, wie DJ Shantel sagt? DJ Shantel und Robert Soko sind Akteure einer Szene in deutschen Großstädten, die sich in den 1990er Jahren zum großen Teil durch Geflüchtete der Jugoslawienkriege formiert hat. Sie versuchten mittels Roma-Musik ihre Heimat Jugoslawien, die damals in Nationalismen zerfiel, für sich emotional zu »rekonstruieren«. Dabei waren sie im jugoslawischen Sinn antinationalistisch motiviert: Die Musik der Rom*nja symbolisierte für sie den verlorengegangenen Staat ihrer Kindheit – eine Projektion. Währenddessen wurden reale Rom*nja zwischen den Fronten dieser Kriege zerrieben. Nationalist*innen aller Lager töteten oder vertrieben sie, weil sie angeblich auf der jeweils feindlichen Seite stünden.

Bald zog die Szene in den deutschen Großstädten massiv Menschen deutscher Herkunft an. Warum? »Die Musik klingt volkstümlich, zugleich aber wild, authentisch und unberechenbar, also keine kitschige Folklore, kein gemütliches Schunkeln, sondern hoch das Bein und vor allem auch die Tassen«, so die Autorin Susanne Gupta. Sind es das Unbehagen an der bürgerlichen Gesellschaft, Gefühlskälte, Entfremdung und die ‚Sachzwänge‘ des Neoliberalismus, die das Publikum die Sehnsucht nach expressiver Emotionalität auf Roma-Musiker*innen projizieren lassen? Ist es das Arbeitsethos der bürgerlichen Gesellschaft mit seinen Zwängen, die bewirken, dass das Publikum »kindliche, unschuldige Freiheit«, Zwanglosigkeit und »magische künstlerische Kreativität« in alle Rom*nja und ihre Musikpraxen hinein imaginiert, wie Rolf Cantzen vermutet? In den Clubs eignet sich das Publikum symbolhaft vermeintliche kulturelle Ausdrucksweisen von Rom*nja wie wildes Tanzen und offenherzige Kleidung an. Solcherlei romantisierende und strukturell antiromaistische Projektionen auf Rom*nja, von Nina Stoffers 2011 als »Gypsymania!« bezeichnet, haben nichts mit deren Lebensrealität zu tun.

Das Publikum hat im besten Fall Interesse an der Musik, die von Rom*nja gespielt wird, und sicherlich auch am Wohlergehen der Musiker*innen. Wo ist dann das Problem? Das Publikum kann sich während des Musikkonsums in der Illusion wähnen, tolerant, interessiert, irgendwie politisch oder gar antirassistisch zu sein, und gleichzeitig nichts über real existierende Rom*nja und den virulenten europaweiten Antiromaismus wissen. Im schlimmsten Fall möchte das Publikum die gleichen Rom*nja, die es auf der Bühne bewundert, nicht als Nachbar*innen haben. Ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung nimmt Sint*ezze und Rom*nja nicht als gleichberechtigte Mitbürger*innen wahr.

Der Antiromaismus in Europa hat sich seit den 1990er Jahren massiv verschärft. Die Praxen romantischer Ethnisierung von Rom*nja in der Musikindustrie führen nicht dazu, dass das Publikum die zunehmende Brutalität und die damit verbundenen Probleme und ausgrenzenden Strukturen wahrnimmt.

Gegen Sexualisierung und Exotisierung

International wahrgenommene Akteure wie DJ Shantel oder Goran Bregović sind nicht in der Lage, die Anliegen, Geschichte(n) und Traumata der Marginalisierten zu transportieren. Sie kolportieren oft nur übliche antiromaistische Stereotype. Besonders zynisch geschieht dies bei der Exotisierung und Sexualisierung von Frauen. Versklavte Roma-Frauen im Rumänien des 19. Jahrhunderts waren den Vergewaltigungen ihrer Besitzer hilflos ausgeliefert. Um sich ihre Verbrechen moralisch zurechtzubiegen, konstruierten die Herrschenden das Bild von der freizügigen Romni, die aufreizend sowie enthemmt sei und Männer teilentblößt verführt habe. Diese Unterstellungen stehen nicht nur im Widerspruch zum Verhalten realer Romnja, sie sind sogar »undenkbar für eine traditionelle Romni«, wie Esther Quicker feststellt. Das stereotype Bild fand massiv Verwendung in Literatur, Musik, Oper, Malerei und Fotografie der Mehrheitsgesellschaften in ganz Europa.

Eine solche Konstruktion der Romni passte schon damals in die Marketingstrategien von »sex sells / exoticism sells«. Die Sängerin und Nicht-Romni Shakira zum Beispiel hat sie im Video zu ihrem Song »Gypsy« erfolgreich angewendet. Dort verführt sie – nur mit transparenten Bändern bekleidet – einen jungen Mann, «’cause I’m a Gypsy«.

An diesen Stereotypen werden wiederum reale Rom*nja und Sinte*zze gemessen: Die Jazzmusikerin Dotschy Reinhardt wurde nach einem Konzert damit konfrontiert, sie sei keine richtige Sintezza, weil diese im Gegensatz zu ihr »lange Kleider, Stirnbänder, große Ohrringe, bauchfreie Kleidung« trügen und »verwegen, wild, sexy, geheimnisvoll« seien. Reinhardt sagt über solche Anwürfe: » ... diese wilde Verwegenheit, dieses Feurige, das ist angedichtet.« Wenn sich Shakira mit den genannten Markern ein heißblütiges und ungezähmtes Image bastelt, dann trägt sie zur Verstetigung der sexistischen Diffamierungen von Rom*nja bei.

Dotschy Reinhard ist Jazz- und Bossanova-Musikerin, schreibt Songs in Romanes und hat mittlerweile mehrere Alben und zwei Bücher veröffentlicht. Darin erzählt sie von Begegnungen mit Menschen in Musikwelt, Mode und Film und setzt ihre konkrete Lebensrealität gegen stereotype Verklärungen. Sie ist seit 2016 Vorsitzende von RomnoKher, des Landesrats der Roma und Sinti in Berlin-Brandenburg.

Eine Avantgardistin als Vorbild

Eine Musikerin, die sich diesen Stereotypen von vornherein erfolgreich entzogen hat, ist Esma Redžepova. Sie war seit den 1960er Jahren bis zu ihrem Tod 2016 als Musikerin tätig. Sie setzte sich mit dem starken Willen durch, Sängerin und Musikerin zu werden – eine Eigenschaft übrigens, die sie mit den wenigen Frauen teilte, die in dieser Zeit in der westlichen Popkultur aktiv waren. Im Jugoslawien der 1960er Jahre galt es als unehrenhaft, dass Romnja öffentlich, etwa in Cafés (Kafanas) und Nachtclubs, für Kleingeld musizieren.

Redžepovas Eltern wollten, dass sie jung heiratet, aber sie verweigerte sich der arrangierten Ehe. Der Musiker Stevo Teodosievski – ihr Mitmusiker, Manager und späterer Ehemann – konnte die Eltern überzeugen: Esma und er praktizierten Musik als Kunstform, als professionelle Bühnenmusik, und schufen damit eine komplett neue Sphäre für Musik von Rom*nja in der Öffentlichkeit, die frei vom Stigma der »Caféhaus-Sängerin« und ihrer Dienstleistungsmusik war.

Esma Redžepova hat damit eine große Bedeutung als Vorreiterin und Vorbild für viele Rom*nja, die später formale musikalische Ausbildungen, auch an Hochschulen, genossen und als Musiker*innen tätig waren. Sie war in Jugoslawien die erste Romni und Musikerin, die in Romanes sang, Platten veröffentlichte, im Fernsehen auftrat und auch bei Nicht-Rom*nja kommerziellen Erfolg hatte.

Trotz ihrer Avantgardistinnenrolle begriff sich Redžepova als traditionelle Romni. Sie war die erste, die im Fernsehen den traditionellen Dimije (bzw. Šalvari, sehr weite geraffte Frauenhosen) trug. Dieser war jedoch aus modernen Stoffen gefertigt und begleitet von modernen Accessoires sowie selbst gestalteten Kopfbedeckungen. Im Video von »Romano Horo« tanzt sie im Minikleid den Twist, ihre Band trägt schwarze Rollkragenpullover, und auch stilistisch schließt das Ansambl Teodosievski in diesem Stück an Northern Soul, Rhythm and Blues und die Beatmusik der 1960er Jahre an. In der gleichen Session wurde das Video zu »Čhaje Šukarije« (von Esma Redžepova und Medo Čun) produziert, dort sieht man sie im Dimije.

Sorgsam entwickelte Esma ihre Bühnen-Persona: Sie performte immer in Kleidung, die von der Öffentlichkeit als angemessen und dezent betrachtet wurde – ebenso wie ihre Art zu tanzen. Ihr Auftreten steht damit dem romantisierten und sexualisierten Zerrbild entgegen, das in Europa über Jahrhunderte von »der Romni« konstruiert wurde. Indem sie ihr Image sorgfältig selbst bestimmte und indem sie die Kontexte ihrer Arbeit kontrollierte, entzog sie sich aktiv antiromaistisch-sexistischen Zuschreibungen.

Eine weitere Zuschreibung an Roma-Musiker*innen ist die des orientalisierenden und exotisierenden Othering. Esma vertrat vehement ihre Verwendung des Synthesizers, auch wenn das der Vorstellung des westlichen World-Music-Publikums von »reiner, authentischer« Roma-Musik widerspricht. Für sie bedeutete »authentisch« und »traditionell« ganz klar, dass sie ihre Musik mit modernen Instrumenten spielt und mit Innovationen anreichert. Esma sang in allen Sprachen Jugoslawiens sowie in Griechisch, Türkisch, Hebräisch und Hindi. Sie stellte klar: Sie ist als Weltbürgerin in mehreren Sphären zu Hause.

Eines der Lieder, das Esma Redžepova sang, ist »Djelem, djelem«, die Hymne der internationalen Roma-Bewegung. Die Initiative für diese internationale Bürgerrechtsbewegung ging großteils von jugoslawischen Rom*nja aus, die in den 1970er Jahren relativ gute Bedingungen hatten sich zu politisieren. 1971 fand der erste internationale Roma-Kongress der Romani Ekhipe in London statt. Rom*nja verschiedener Untergruppen und geografischer Herkunft fingen an, über Staatsgrenzen hinweg zusammen gegen ihre Diskriminierung zu kämpfen. Beim zweiten Kongress 1978 in Genf wurde die International Roma Union gegründet, die für die weltweite Anerkennung der Rom*nja als ethnische Minderheit kämpft. »Djelem, djelem« wurde dort zur Hymne der Bewegung gewählt. Dafür hatte der Rom und Chansonnier Žarko Jovanović  einen neuen, politischen Text auf die Melodie dieses traditionellen Liedes verfasst, der den Porajmos (der Genozid an den Sint*ezze und Rom*nja) und insbesondere die Vertreibung und Ermordung der Rom*nja durch die Schwarze Legion (kroatische Ustascha-Faschisten) beschreibt.

Aktivismus für Bürgerrechte

Dotschy Reinhard hat wichtige Vorläufer. Das Publikum, das in deutschen Großstädten zum Balkansound das Tanzbein schwingt, ahnt meist nicht, dass deutsche Sint*ezze eine umfangreiche Musiktradition haben. Sint*ezze verschlossen sich nach dem Porajmos vor der deutschen Mehrheitsgesellschaft. In dieser Zeit tradierten sie den Sinti-Jazz, so wie er von Django Reinhardt und Stephane Grappelli in den 1930er Jahren entwickelt worden war. 1967 trat der Geiger Schnuckenack Reinhardt mit seiner 16-köpfigen Gruppe ans Licht der erstaunten Öffentlichkeit der BRD. Daraufhin folgten ab Ende der 1970er Jahre eine ganze Reihe Compilations, Alben, Konzerte, Festivals und Begegnungsveranstaltungen von und mit Sinti-Musiker*innen.

Gleichzeitig forderten die Sint*ezze und Rom*nja in der BRD ihre Rechte ein, ihre Bürgerrechtsbewegung erstarkte. Mit »Lass Maro Tschatschepen« (lasst uns unser Recht fordern) rief 1977 das Häns’che Weiss Quintett die Mitglieder der Sinti-Community zu Aktivitäten auf. Das Praktizieren und Konsumieren von Sinti-Swing spielte dabei eine wichtige Rolle als Element kultureller Identität und politischer Strategie.

Die Liedermacher Rudko Kawczynski und Tornado Rosenberg texteten als Duo Z seit den 1970er Jahren programmatisch und offensiv Songs über den Rassismus gegen Rom*nja und Sint*ezze. Kawczynski gab Ende der 1980er Jahre seine Tätigkeit als Musiker auf, um als Politiker zu kandidieren und sich ganz dem Roma-Aktivismus zu widmen. 1989/90 war er aktiv beim Kampf der Rom*nja gegen ihre Abschiebung aus der BRD.

In der DDR gründete Hans Lauenberger 1985 die Band Sinti-Swing-Berlin. Sie erfreute sich großer Beliebtheit beim Publikum, wurde zur Kultband und konnte 1987 sogar ein Album beim Staats-Label Amiga veröffentlichen. Dennoch erlitt der Sohn Janko, der nicht Django heißen durfte, in der Schule massive rassistische Übergriffe. Anschließend wurde er – nicht die Täter – in ein Heim für Schwererziehbare eingesperrt. Die Bürgerrechtler*innen Reimar und Hannelore Gilsenbach intervenierten bei Bildungsministerin Margot Honecker und appellierten an das antifaschistische Selbstverständnis der DDR – immerhin handelte es sich bei Janko um einen Enkel von Überlebenden des Porajmos. Erst nach einem halben Jahr wurde er wieder nach Hause entlassen. Heute spielt er sowohl Sinti-Jazz als auch moderne Formen des Jazz.

Musik mit politischen Bezugspunkten

Esma Redžepova ist also nicht die Einzige. In ihrer Generation und unter jüngeren Leuten gibt es viele Rom*nja, die sich als solche in der Öffentlichkeit positionieren und politisch für die Rechte von Rom*nja einstehen und kämpfen.

Die tschechische Musikerin Věra Bílá singt in Begleitung ihrer Band Kale. Erst im Alter von 45 Jahren ging sie 1995 mit dem selbst komponierten und getexteten Album »Rompop« an die Öffentlichkeit. Sie lieferte damit das Stichwort für ein ganzes Genre, das teils schon seit den 1980er Jahren in der ČSSR, später in Tschechien praktiziert wurde: Popmusik in Romanes.

Die österreichische Lovarica Ruža Nikolić-Lakatos sang seit ihrer Kindheit auf Familienfesten. Auf Anregung einer Musikethnologin performte Ruža mit ihrem Mann Mišo Nikolić erstmals vor einem Nicht-Roma-Publikum, was großes Interesse an traditionellen Lovara-Liedern und an Ruža als Musikerin nach sich zog. Im folgenden komponierte und textete sie – wie auch die bildende Künstlerin Ceija Stoijka – neve Gjila. Das sind nicht-traditionelle neue Lieder, die auch als Chansons bezeichnet werden können. Seit Mitte der 1990er Jahre veröffentlicht sie Alben und tourt mit ihrer Band Ruža Nikolić-Lakatos and The Gypsy Family weltweit. Ihr Mann nennt sie »Botschafterin«, weil durch ihre Musik in der Mehrheitsgesellschaft Interesse und Verständnis für die Rom*nja entstanden sind.

Marianne Rosenberg ist seit ihrem 14. Lebensjahr in den 1960er Jahren Schlagersängerin. Sie wurde in dieser Zeit mit ihrer Arbeit Hauptverdienerin ihrer Familie, die so der Armut entkam. Auf Rat ihres Vaters verbarg Rosenberg, dass sie Sintezza ist. Er war Überlebender des Porajmos. Erst Anfang der 1990er Jahre bekannte sie sich dazu, nachdem ihr Vater in den Vorstand des Zentralrats der Sinti und Roma gewählt worden war. Sie veröffentlichte 2006 ihre Autobiografie »Kokolores«.

Dragan Ristić und seine Band Kal machen seit 1996 Ethno-Rockabilly (oder »Rock’n’Roma«). Die Band lebt in Serbien. Ristić setzt sich als Aktivist dafür ein, dass Rom*nja am modernen Leben teilnehmen können. Er ist beteiligt an den Kampagnen »Do You Know Who I Am?« und »Yes, That’s Me«, die gegen Vorurteile kämpfen, die ‚junge‘ Roma-Kultur der Mehrheitsgesellschaft vermitteln sowie Rom*nja und Nicht-Rom*nja einander näher bringen wollen – mit Fotoausstellungen, Konzerten, Kino und Diskussionen. Ristić ist außerdem Autor, Schauspieler und Produzent für Theater und Film. Zusammen mit seinem Bruder Dušan Ristić gründete er 2001 im serbischen Valjevo die Amala-Schule für Roma-Kultur.

Dragan Ristić kritisiert immer wieder Akteur*innen wie Goran Bregović dafür, dass sie behaupten, Autor*in von Liedern zu sein, deren Autorenschaft Roma-Musiker*innen für sich beanspruchen. Er spricht damit eine strukturelle Ungleichheit an – auch im Hinblick auf das Sampeln von Romamusik in elektronischer Musik: »Den Roma-Musikern fehlt es leider oft an Bildung und dem richtigen Wissen, sich selbst und ihre Kultur zu promoten und sich im Musik-Business richtig zu positionieren.« Auf ihrem Album »Romology« und mit dem Track »Gadzo DJ« reflektieren Kal das musikwirtschaftliche Missverhältnis.

Die Wiener Feministinnen Sandra Selimović und Simonida Selimović treten unter dem Namen Mindj Panther als Rapperinnen auf. Der Bandname ist eine Kombination aus Black Panther und der indirekten Übertragung des Begriffs Pussy Riot ins Romanes. Sie engagieren sich mit ihrer Musik und auch sonst gegen Rassismus und Kapitalismus, rufen die Wiener Roma-Community dazu auf, keine rechten Parteien zu wählen und setzen Statements gegen das Bettelverbot in Wien. Die Mitglieder von Mindj Panther sind in der feministischen Gruppe IniRromnja aktiv und arbeiten hauptsächlich als Theatermacherinnen. Im Herbst 2017 hatte das Stück »Roma Armee« am Berliner Gorki-Theater Premiere, in dem beide federführend mitwirken.

Gipsy Mafia gehören zur jüngeren Rap-Generation in Serbien. Die Gruppe existiert seit 2006. Die beiden MCs sind die Brüder Skill und Buddy, die als Kinder mit ihrer Familie nach Deutschland kamen und nach einigen Jahren abgeschoben wurden. Die Feministin DJ Koki begleitet die beiden an den Turntables. Gipsy Mafia positionieren sich in ihren Texten als Roma-Aktivist*innen und Anarchist*innen. Sie treten nicht nur in Clubs, sondern auch auf antirassistischen Demonstrationen auf.

Das ist nur eine kleine Auswahl an Musiker*innen. Noch viele mehr treten öffentlich als Rom*nja auf, ohne die eigene Identität zu verleugnen. Damit sind sie medienwirksame Role Models – nicht nur zur Unterhaltung der Mehrheitsgesellschaft, sondern vor allem zum Empowerment der Leute in den Rom*nja-Communities.

 

Antje Meichsner hat Ende der 1990er Fanfare Ciocărlia in Indie-Clubs erlebt. Sie ist in der Gruppe »Gegen Antiromaismus« aktiv, produziert die Sendereihe »Radio RomaRespekt« und gab 2016 zusammen mit Kathrin Krahl den Sammelband »Viele Kämpfe und vielleicht einige Siege« heraus. Eine längere Fassung dieses Textes mit den hier entfallenen Literaturhinweisen steht auf www.iz3w.org