Konditionierung

Iwan Petrowitsch Pawlow erhielt vor über einhundert Jahren den Nobelpreis für Medizin. Er hatte nachgewiesen, dass dem Hund der Speichel läuft, wenn er das Futter nur sieht, nicht erst, wenn er es frisst. Kombiniert man das Futterangebot mit dem Läuten eines Glöckchens, so tropft das Maul bereits beim Erklingen des Glockentons. Der Hund muss den Fressnapf nicht einmal mehr sehen. Das wurde dann „Konditionierung“ genannt.
Den westeuropäischen Politikerinnen und Politikern tropft mehrheitlich bereits der Zahn, wenn sie das Wort „Verbündeter“ hören. Und sie sind jetzt indigniert, wenn der Fressnapf nicht kommt. Statt sich neu zu orientieren, schimpfen sie weiter auf den Hundehalter. Seit Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde, wird versucht, die Ursachen und Folgen zu verdrängen. Es wird gemutmaßt, er sei „randständig“ in der herrschenden Klasse der USA, man könne in seiner Präsidentschaft gewissermaßen überwintern, und wenn die liberalen Globalpolitiker wieder an den Hebeln der Macht sitzen, wird alles wieder gut. Die maßgeblichen Weichensteller in Berlin, Brüssel, Paris haben nicht verstanden, dass sich in Washington gerade ein Gezeitenwechsel vollzieht.
Nun also die Importzölle der USA. Wie die Aufkündigung der TTP- und TTIP-Verträge, also der von der Vorgängerregierung verhandelten oder in Verhandlung befindlichen Freihandelsverträge für den Pazifischen und Nordatlantischen Raum, die erzwungene Neuverhandlung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA mit Kanada und Mexiko, die Verlagerung der US-Botschaft in Israel nach Jerusalem oder die Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran war auch die Verhängung von „Strafzöllen“ der USA auf importierte Waren bereits im Wahlkampf angekündigt. Nun staunt der gemeine spätbürgerliche Politiker, dass „der Populist“ an der Regierung tatsächlich tut, was er im Wahlkampf angekündigt hat. Das kannte er anders. Staunt aber nun, dass das auch der Wählerin irgendwann auffällt.
Bereits in Trumps ausführlichem Interview für die deutsche Bild-Zeitung und die britische Times vom 13. Januar 2017 findet sich die Aussage: „die EU ist ein Vehikel für deutsche Interessen“. Den deutschen Exportweltmeistern fiel nur ein, man sollte dieser Aussage widersprechen. Sie leugnen schlichtweg bis heute, dass der Euro im Vergleich zur deutschen Exportkraft unterbewertet ist, oder anders gesagt: dass Deutschlands Exportwirtschaft auch von der Schwäche anderer Volkswirtschaften in der EU insofern profitiert, als der Euro der Durchschnittswert für die Exportkraft der Länder der Eurozone ist. Deutschland hatte im Jahre 2017 wieder einen horrenden Exportüberschuss, diesmal in Höhe von 244,5 Milliarden Euro, darunter allein aus dem Handel mit den USA einen Überschuss von 50,4 Milliarden Euro.
Ab 1. Juni 2018 gelten die Einfuhrzölle in die USA, auf Stahl von 25 Prozent und auf Aluminium von zehn Prozent. Das soll der Auftragslage der heimischen Industrie der USA dienen. Eigentlich sollten die Zölle schon einen Monat vorher erhoben werden. Nach Interventionen von Bundeskanzlerin Merkel und des französischen Präsidenten Macron sowie verschiedener Minister war die Maßnahme auf 1. Juni verschoben worden. In der Zwischenzeit sollte verhandelt werden. Die EU-Kommission wollte aber nicht verhandeln, solange die Pistole der Zölle auf die Brust gerichtet ist, die USA haben aber nicht auf ihre Maßnahme verzichtet, weil aus ihrer Sicht nicht ernsthaft verhandelt wurde. Die EU verhängt jetzt Gegenzölle. Auf der Liste stehen neben Erdnussbutter Produkte wie Levis-Jeans, Bourbon-Whisky und Harley-Davidson-Motorräder, also Dinge, die eigentlich zum symbolischen Repertoire des „American Way of Life“ gehören. Das verschreckt wahrscheinlich mehr Europäer, die alltags mit US-Fahnen auf dem T-Shirt herumlaufen, als die Exportindustrie der USA. US-Handelsminister Wilbur Ross meinte denn auch, das betreffe weniger als ein Prozent der Exporte seines Landes. Auf den Import von Elektronik und Hollywood-Filmen verzichten die EU-Europäer natürlich nicht. Whisky können sie ersetzen, elektronische Bauteile gewiss nicht.
Angesichts der europäischen Renitenz hat Trump schon mal das Handelsministerium angewiesen, die Einführung von Importzöllen auf europäische Autos zu prüfen, als Gegen-Gegenmaßnahmen. Dies würde die deutsche Exportindustrie im Kern treffen. Das kann man dann beliebig eskalieren. Folgerichtig warnte die Kanzlerin vor einer „Eskalationsspirale“. Deutsche Banken und deutsche Autohersteller, diese angesichts ihrer Diesel-Betrügereien, haben in den USA seit Jahren – zwar mit Murren und Knurren, aber immerhin – sämtliche Strafzahlungen geleistet. Sie wollen ja den Außenhandelsüberschuss, 2017 wieder der größte in einer bilateralen Relation, nicht gefährden.
Nun wird betont, Washingtons Vorgehen sei rechtswidrig. Wieder unter der Annahme, es handele sich um Streitpunkte zwischen Verbündeten. Es soll bei der Welthandelsorganisation (WTO) geklagt werden. Nun sind die USA bereits aus dem Klimavertrag und dem Atomvertrag mit dem Iran ausgetreten. Was spricht eigentlich dafür, dass sie der Schiedsgerichtsbarkeit der WTO beflissen folgen? Deren Weltvorstellung entsprach der von Bill Clinton, der in den 1990er Jahren US-Präsident war, und der meinte, Globalisierung sei an sich eine gute Sache. Trump hatte internationale Regime seit Anbeginn für schlecht gehalten, weil die US-Regierung stets Herrin des Verfahrens sein müsse, wenn es um Angelegenheiten der USA geht. Ganz in diesem Sinne hatte Handelsminister Ross direkte Verhandlungen betont, mit Kanada und Mexiko einerseits und der EU andererseits. Das ist die Diplomatie von „America First“.