»Die Macht dieser Technologie ist enorm«

Interview mit Pat Mooney über die synthetische Biologie

iz3w: Geoengineering, Nanotechnologie und die synthetische Biologie waren zur Zeit der Grünen Revolution in den 1960er und 70er Jahren noch nicht in Sicht. Haben Sie damals diese Entwicklungen schon vorhergesehen?
Pat Mooney: Schon damals thematisierten wir die Unternehmenskonzentration im Agrobusiness. Nur wenige der damals rund 20.000 Unternehmen sind übriggeblieben. Ebenso waren wir sicher, dass die Saatgut-, Pflanzenschutz- und Kunstdünger-ProduzentInnen gemeinsam eine Technologie entwickeln würden, die diesen Branchen zum Profit gereicht. Und wir vermuteten, dass es auf lange Sicht voraussichtlich einfacher sein würde, die DNA direkt innerhalb eines Organismus zu verändern, ohne fremde DNA übertragen zu müssen – was heute ein wichtiger Bereich der synthetischen Biologie ist. Wir sind vor allem darüber besorgt, wer die neuen Technologien besitzt und den Zugang hat, und welche Auswirkungen sie auf die Umwelt und marginalisierte Bevölkerungsgruppen weltweit haben.

Bei vielen Entwicklungen im Bereich der synthetischen Biologie fehlt es an demokratischen Grundlagen. Das umweltpolitische Vorsorgeprinzip, das in Europa im Vergleich zu Nordamerika immerhin eine gewichtigere Rolle spielt, greift in der Praxis nicht. Was sind mögliche Konsequenzen?
Die Auseinandersetzung um das Vorsorgeprinzip ist weltweit relevant. Insofern bin ich froh, dass die EU einigen neueren Technologien offensichtlich mit einer gewissen Vorsicht gegenüber tritt. Das gilt insbesondere für die Nahrungsproduktion und einige Umwelttechnologien. Unsere Bedenken richten sich primär auf Fragen des Zugangs, des Besitzes und der Kontrolle. Ein zweiter Bereich sind gesundheitsrelevante Aspekte und Sicherheitsfragen. Die synthetische Biologie ist nicht darauf beschränkt, ein einzelnes Gen zu übertragen. Vielmehr geht es um das Maßschneidern der genetischen Information. All diese Technologien arbeiten sehr schnell – und sind auch deshalb sehr machtvoll.

Was bedeutet das für marginalisierte Bevölkerungsgruppen?
Allein kurzfristig ist der Anbau von rund 250 verschiedenen Pflanzen gefährdet, die fast ausschließlich von LandwirtInnen in tropischen Zonen zehn Grad nördlich und südlich des Äquators kultiviert werden. Es geht um ein Geschäft von tausenden Millionen Dollar und um Millionen betroffener Bauern und Bäuerinnen. Zum Beispiel ist die Nachfrage nach dem Süßkraut Stevia enorm gewachsen. Es wird ursprünglich in Paraguay und nun vermehrt in Kenia und China angebaut. Die Nahrungsmittelindustrie möchte mit dem kalorienarmen Stevia Zucker aus Zuckerrohr und Zuckerrüben ersetzten.
Die Unternehmen würden Stevia gerne aus der Landwirtschaft herauslösen und in Bottichen brauen, zum Beispiel in der Schweiz. Mithilfe der synthetischen Biologie könnte man eine schnellwachsende Hefe genetisch so verändern, dass Stevia von ihr direkt produziert wird. Dabei hätten die Stevia-LandwirtInnen das Nachsehen, während der Profit in der Schweiz, Deutschland oder den USA verbleibt. Kurzfristig könnten die Folgen in den bisherigen Anbauländern verheerend sein, es geht eben auch um die Existenzgrundlage von Millionen Menschen. Diese Fragen stellen sich rund um den Globus mit jeder Feldfrucht wieder neu.

Die politischen Versprechen rund um die synthetische Biologie lauten: Bekämpfung der Nahrungskrise, der Energiekrise und des Klimawandels sowie nachhaltige Entwicklung. Wie ist Ihre Einschätzung, gerade bezüglich Nahrungspflanzen?
Unternehmen argumentieren, dass sie dank der synthetischen Biologie Mais-, Weizen- und Sojasorten oder die Ölpalme optimieren können. Das Interesse der Agroindustrie gilt gerade den wichtigsten Kohlenhydrat- und Knollenpflanzen. Es geht also um die Welternährung. Das Ergebnis ist noch unklar. Produkte der synthetischen Biologie sind in jedem Fall teurer, das heißt, die Gesellschaft wird steigende Preise für diese Nahrungsmittel tragen müssen und die LandwirtInnen müssen mehr für Saatgut ausgeben. Mit der genetischen Veränderung wird ein weiterer Teil der Wertschöpfung an die Unternehmen übertragen. Allerdings agieren die Unternehmen bei der Entwicklung neuer Getreidesorten eher langsam. Auch, weil aufgrund des Freilandanbaus viel größere Anforderungen an die Pflanzen gestellt werden als an Organismen, deren Wachstumsumgebung man im Fermenter weitgehend kontrollieren kann. Bezüglich des Grundnahrungsbereichs besteht die Sorge, dass es dort zu entsetzlichen Verheerungen und Freisetzungen kommen kann.

Welche Unsicherheiten sehen Sie?
Alles kann freigesetzt werden. Zudem sind die Genbanken zu bedenken, die digitalen Bibliotheken. In den USA sind das Militär und die Behörde zur Bekämpfung von Seuchen in der Überwachung von Pflanzenkrankheiten und Tierseuchen stark involviert. Sie haben für ihre Labore die höchsten Sicherheitsstufen, um eine Freisetzung zu verhindern. Ihre Forschungsprogramme enthalten immer die Annahme einer Freisetzung. Es ist schlicht naiv zu denken, das, was im Labor geschaffen wird, gelange nicht nach draußen, ob willentlich oder versehentlich.
Unsere derzeitigen Bedenken betreffen weniger den Freilandanbau oder die Verbreitung von Erbgutschäden. Unsere Sorge gilt vielmehr der Frage, wer die DNA am Ende besitzt und die Kontrolle darüber beansprucht. Unternehmen, die das Erbgut von Arten kartieren, stellen die Erbguteigenschaften in eine Cloud. In den letzten Monaten beobachteten wir, wie die chinesische BGI, das ehemalige Beijing Genomics Institute, sich darum bemüht, weltweit alle Saatgutbanken und Genbanken zu kontaktieren um Proben zu erhalten. BGI will das Material dann mit dem eigenen Equipment sequenzieren und Teile auf eine Cloud stellen. Von dort können andere diese Information herunterladen und Arten oder Gensequenzen außerhalb jeglicher rechtlicher Regulierung verschalten. Auch die Frage der Gewinnverteilung ist nicht geregelt. Diese Tendenz ist alarmierend.

Multinationale Unternehmen können dank ihrer weltweiten Tochterunternehmen im 24-Stunden-Takt mit mehreren Laborteams an einer Sache forschen…
Zum Glück machen wir das ja auch, die zivilgesellschaftlichen Gruppen ticken da genauso. Aber das Problem ist: Der Fokus der Großunternehmen ist extrem eng, 40 bis 45 Prozent aller landwirtschaftlicher Forschung weltweit konzentriert sich auf eine einzige Pflanze: Mais. Wie sollen wir damit angemessen auf den Klimawandel reagieren und Nahrungsengpässe und Mangelernährung bewältigen? Es geht der Agrarindustrie allein um Absatzmärkte – und nicht um die Welternährung.

Einige Länder im Globalen Süden beherbergen einen enormen Reichtum an Biodiversität. Sie hoffen, sich in der Bioökonomie einen Platz als globale AkteurInnen sichern zu können. Wie stehen ihre Chancen?
Diese Hoffnungen werden sich kaum bewahrheiten. Denn die Kombination der synthetischen Biologie mit der digitalen Datenverarbeitung erlaubt es, dass ein Unternehmen aufs Feld geht, das Erbgut der Arten sequenziert und die Information über eine Cloud verschickt. Diese Form der Biopiraterie geschieht einfach. Wir wollen niemanden von einer nützlichen Forschung und Technologie in einer sicheren Umgebung unter sozialer Kontrolle abhalten, aber wir sehen derzeit nicht, dass letztere vorhanden ist.

Inwiefern ist das Berufsbild von LandwirtInnen in einer digitalisierten Landwirtschaft ganz neu zu definieren?
Das Risiko ist: Forschung und lokales bäuerliches Wissen haben mit der Digitalisierung ausgespielt. Mit Big Data und den Werkzeugen der synthetischen Biologie ist es möglich, die Anbauflächen der kleineren LandwirtInnen in eine große industrielle Produktionsstrategie zu integrieren. Wir werden perspektivisch von der Anbauumgebung abgeschnitten.
Hinzu kommt die Konzentration von Wissen in der Hand sehr weniger Unternehmen. Oftmals kann man Saatgut- und Pestizidakteure nicht mehr auseinanderdividieren. Zudem haben wir Landmaschinenhersteller, sie säen das Saatgut, bringen Pestizide und Dünger aus und bewässern die Felder. Sie haben detaillierte Informationen über jeden Zentimeter Erde, auch über den Ertrag. Und sie können die Ernteversicherung mit diesen Daten beliefern und mit Klimadaten und Marktpreisen kombinieren.

Welche Rolle spielt Deutschland in diesem Spiel?
Mit Bayer und BASF dominieren deutsche Unternehmen weltweit Saatgutfirmen. Auch am anderen Ende der Nahrungskette ist Deutschland ein mächtiger Akteur. Gerade aus Deutschland heraus sollte ein besseres System für rechtliche Regulierungen geschaffen werden. Die Zivilgesellschaft sollte ihre Einflussmöglichkeiten nutzen, damit Deutschland eine konstruktive Rolle im Bereich langfristiger Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität spielen kann.

 

Pat Mooney ist Gründer des RAFI (Rural Advanced Fund International – umbenannt in ETC Group) und hat für seine Recherchen u.a. den Alternativen Nobelpreis erhalten. Das Interview führte und übersetzte Martina Backes. Langfassung auf www.iz3w.org