Eine schwache »blaue Welle«

Die Kongresswahlen in den USA

Am 6. November 2018 wurden in den USA alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 35 der 100 Sitze im Senat neu vergeben. Etwa 230 Millionen der 325 Millionen Einwohner der USA gelten als wahlberechtigt. Allerdings ist die Wahlbeteiligung in den USA trotz aufwändiger und teurer Wahlkämpfe immer recht gering.

Bei den Präsidentschaftswahlen geben noch etwa 60% der Berechtigten ihre Stimme ab. An den Midterms nehmen in der Regel nur 40% teil. Jetzt wird die Wahlbeteiligung auf (vorläufig) 47,3% taxiert, was der höchste Stand seit 1970 wäre. Die prognostizierte Zahl von 111,5 Millionen abgegebenen Stimmen ist der höchste Wert, der je in amerikanischen Zwischenwahlen erreicht wurde.

War das nun eine »blaue Welle«, um es in der Parteifarbe der Demokraten auszudrücken? Die Demokraten feiern die Eroberung der Mehrheit des Repräsentantenhauses, die Republikaner die ausgebaute Mehrheit im Senat. Die »blaue Welle« war nicht sehr kräftig. Als Folge der Wahlen erhalten die USA wieder ein »divided government« wie unter den letzten sechs Jahren von Präsident Barack Obama. Aber auch die Demokraten müssen ihre internen politischen Differenzen in der Konfrontation mit Trump und den Republikanern bündeln.

Diese Midterm-Wahlen gelten als Gradmesser dafür, wie fest Präsident Donald Trump im Sattel sitzt. Das heißt, der Ausgang der Wahlen ist für dessen weitere Präsidentschaft von Bedeutung, sie zeigen, wie zufrieden die Wähler*innen mit seiner Leistung sind. Die Amerikaner konnten erstmals landesweit zu Trump Stellung beziehen.

Der Präsident hat massiv in den Wahlkampf eingegriffen und dessen Ausgang zur Schicksalswahl ausgerufen: »Das ist die wichtigste Wahl in unserem ganzen Leben. Diese Wahl entscheidet darüber, ob wir den außergewöhnlichen Wohlstand, den wir erreicht haben, weiter aufbauen oder ob wir die radikalen Demokraten den Kongress übernehmen und unsere Wirtschaft und unsere Zukunft mit einer riesigen Abrissbirne zerstören lassen.«

Diese Polarisierung gilt nicht nur für die Wähler in den USA insgesamt, sondern in der Republikanischen Partei selbst existiert mittlerweile die Verpflichtung zur rückhaltlosen Unterstützung der Politik des US-Präsidenten. Laut einer aktuell Gallup-Umfrage befürworten 87% der republikanischen Basis den Kurs von Trump.

Die langjährigen Anhänger der Partei werfen dabei einige ihrer zentralen Überzeugungen wie Budgetdisziplin, Freihandel, Bündnistreue und kalkulierbare internationale Beziehungen über Bord. Auch im Kongress haben in den letzten zwei Jahren nur einzelne republikanische Repräsentanten und Senatoren gewagt, ihre Stimme gegen den Präsidenten zu erheben. Denn wer dies macht, muss damit rechnen, von den Wählern bestraft zu werden.

Trump hat nicht nur die bisherige globale politische Architektur auf zentralen Feldern umgestürzt – Welthandels- und Währungsordnung, die überlieferten Militärbündnisse und Abrüstungsabkommen, das Weltklimaabkommen, die Rolle der UNO und ihrer Unterorganisationen u.v.a.m. –, sondern auch einen neuen, eher unzivilisierten Stil in der politischen Auseinandersetzung praktiziert: Seine harten persönlichen Angriffe auf Gegner und die Presse haben eine Vergiftung des politischen Klimas ausgelöst.

Der grobe Umgang mit seinen engsten Mitarbeitern und den internationalen Verbündeten war bislang nicht üblich, ebenso wenig wie die Verunglimpfung und Herabsetzung von Frauen und Angehörigen von Minderheiten. Man könnte geneigt sein, diese Mischung von rüpelhaftem Stil und Übergang zu einer nationalistischen, rassistischen Agenda, wie er von Trump und seiner Administration gepflegt wird mit dem Übergang zu einem vornehmlich weltanschaulichen, politisch-programmatischen Vormarsch einer modernen Rechten in Beziehung zu setzen.

Dem widerspricht die Soziologin Eva Illouz: »Trump ist nicht so sehr das Resultat ideologischer Überzeugungen (außer für eine Minderheit), sondern das Resultat einer immensen Wut ohne Adressaten, die sich in der amerikanischen Gesellschaft aufgebaut hat.«[1] Ähnlich argumentiert der bekannte Ökonom Kenneth Rogoff von der Harvard University.[2] »Wir erleben eine sehr kraftvolle Revolution« – eine Revolution, die schwer greifbar sei.

Bei der Erklärung des Phänomens Trumps stößt Rogoff offenbar an die Grenzen seiner Rationalität. »Ein derart ungehobelter und unberechenbarer Mann ohne Prinzipien wie Trump an der Spitze der größten Weltmacht war bis vor Kurzem noch unvorstellbar.« Und er fügt hinzu: »Aber die Probleme gehen tiefer: Das Land ist kulturell gespalten – auf der einen Seite die liberalen, weltoffenen Menschen in den großen Städten der Ost- und Westküste, auf der anderen die Menschen im Mittleren Westen… Ja, ›Kulturkampf‹ ist wohl das treffende Wort.« Der Liberalismus stecke »ohne Zweifel in einer Legitimationskrise … Wir müssen um ihn kämpfen.«

Rogoff sieht nicht nur die USA, sondern die gesamte Weltwirtschaft nach Jahrzehnten der beschleunigten Globalisierung an einem »Wendepunkt«. Das meiste von dem, was Trump etwa in Handelsfragen erzähle, sei »offensichtlich falsch« und ergänzt resignierend: »Doch niemanden außerhalb der akademischen Welt scheint es zu interessieren.«

»Aber die langfristigen Folgen eines Handelskriegs sind gravierend.« Langfristig koste ein Handelskrieg viel Wachstum, auch in den USA, denen es volkswirtschaftlich betrachtet immer noch »prächtig« gehe. »Dass wissenschaftliche Erkenntnisse überhaupt keine Rolle mehr spielen, dass Expertenrat nicht einmal gewünscht wird, ist sehr bedenklich«, warnt er. Seit die Trump-Revolution Amerika erfasst hat, geschehen Dinge, die der Harvard-Ökonom vor Kurzem nicht für möglich gehalten hätte. Jede öffentliche Aussage, die jenseits des Mainstreams liege, könne in den sozialen Medien regelrechte Hasswellen auslösen, es sei diese unerklärliche Wut, die ihn irritiere.

Demokraten gegen Republikaner, Stadt gegen Land und ein Angstwahlkampf ohne Beispiel – zwei Jahre nach der Wahl von Donald Trump sind die USA tief gespalten. Der hatte mit politischer Auseinandersetzung nichts mehr zu tun, es ging nicht um Konzepte, Probleme, Lösungen – es ging um Wut und Angst.

Trump schürt Ängste und appelliert Ressentiments und niedere Instinkte. Allerdings ist das Protestverhalten der Frauen bemerkenswert: Sie tendieren immer stärker dazu, Demokraten zu wählen. 1994 waren es 48%, im vergangenen Jahr bereits 56%. Mit seinen frauenfeindlichen Sprüchen, der Hetze gegen Minderheiten und der Verharmlosung mutmaßlicher sexueller Übergriffe hat der Präsident eine Rekordzahl von weiblichen Kongresskandidatinnen mobilisiert. Oft sind sie in republikanischen Bezirken angetreten.

 

Trumponomics

Die knapp zweijährige Amtszeit des aktuellen US-Präsidenten hat nicht nur Amerika verändert, sondern bereits tiefe Spuren in der Weltpolitik und Weltwirtschaft hinterlassen. »America first« bedeutet eskalierende Handelskonflikte, die Kündigung zentraler internationaler Verträge wie des Atompakts mit dem Iran oder des Weltklimaabkommens und eine aggressive Sanktionspolitik gegen alle, die mit Amerikas »Feinden« Geschäfte machen.

Allerdings hat Donald Trump wichtige Wahlversprechen umgesetzt und so den Rückhalt bei seinen Wähler*innen gestärkt. Mit seiner protektionistischen Handelspolitik ist es ihm gelungen, kurzfristig gewisse kleine und mittlere Unternehmen zu stärken und der Abwanderung von Industriejobs ins Ausland entgegenzuwirken. Im Übrigen prosperiert die Wirtschaft generell.

Für 2018 wird ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts von über 3% erwartet, die Arbeitslosenquote liegt bei rekordtiefen 3,7%. Dies kommt Trump zugute, unabhängig davon, ob die Entwicklung wirklich ihm zu verdanken ist. Die versprochene Steuerreform, die vor allem Unternehmen und die oberen Einkommensklassen begünstigt, hat er noch im ersten Amtsjahr verabschiedet. Auch sein Versprechen, die nach Ansicht vieler Rechten »links unterwanderte« Justiz mit konservativen Richtern zu erneuern, hat er umgesetzt.

Drei zentrale Punkte seines Wahlprogramms hat Trump bislang nicht eingelöst. Weder gibt es bislang Ansätze für das große Infrastrukturprogramm zur Erneuerung der us-amerikanischen Wirtschaft, noch ist das Projekt für den Bau der Grenzmauer zu Mexiko vorangekommen. Die illegale Einwanderung in die USA, die nach seiner Amtsübernahme deutlich abgenommen hatte, hat in den letzten Monaten sogar wieder markant zugenommen. Und auch für die versprochene vollständige Ersetzung von Obamacare durch ein »besseres und billigeres« Krankenkassensystem gibt es keinerlei Fortschritte.

Trumps Vorgänger Barack Obama hatte auf einer Abschlusskundgebung in seiner Heimatstadt Chicago im US-Bundesstaat Georgia klar Position bezogen: »Am Dienstag können Sie für eine anständige Politik stimmen, eine ehrliche und gesetzmäßige Politik, die das Richtige für die Menschen tut.«

Angesichts des Wirbelsturms von Trumps Kampagne hatten die Demokraten Mühe, ihre Position klar zu machen. Sie versuchten die Gesundheitsversorgung zum wichtigsten Wahlkampfthema zu machen. Trump Republikaner haben Obamacare geschwächt, manche Demokraten wollen eine Krankenversicherung für alle. Nichts Neues aus deutscher Sicht, für viele Amerikaner ist das aber eine sozialistische Revolution. Es gibt einen parteiinternen Streit, wie progressiv die Demokraten sein müssen, wie weit sie nach links rücken wollen.

Die amerikanische Politik wird zu einem »divided government« zurückkehren, weil die Präsidentenpartei im Repräsentantenhaus nicht mehr über eine Mehrheit verfügt. Dadurch wird das System der Checks and Balances zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress wieder etwas gestärkt. Es wäre dies aber nichts anderes als die Rückkehr zur Normalität.[3]

Da die beiden Kammern bei der Gesetzgebung gleichberechtigt sind, droht dies die Blockade im Kongress weiter zu verschärfen. Die Demokraten bekommen als die stärkste Partei im Repräsentantenhaus durchaus wichtige Instrumente in die Hand, mit denen sie die Trump-Regierung und den Präsidenten selbst unter die Lupe nehmen können. So werden Demokraten den Vorsitz von Ausschüssen übernehmen und können Untersuchungen anstoßen, Zeugen laden, Dokumente anfordern.

Bereits laufende Untersuchungen, wie die zu den Russland-Verbindungen, werden wohl wieder an Gewicht gewinnen. Außerdem könnte Trumps Geschäftsgebaren vor der Präsidentschaft endlich untersucht werden und auch Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe könnten wieder in den Fokus rücken. Aber trotz des Machtwechsels im Repräsentantenhaus wird Trump die politische Hegemonie behalten und seinen Konfrontationskurs ausbauen.

Der Präsident und die Republikanische Partei sind in den zurückliegenden zwei Jahren und dem harten Wahlkampf deutlich aneinandergerückt. Trump interpretiert die Wahlergebnisse als Bestätigung seiner Konfrontationspolitik und ihrer Brachial-Taktik. Es ist nicht davon auszugehen, dass die weitere politische Agenda von Kompromissen und zivilgesellschaftlichem Respekt geprägt sein wird.

Die demokratische Partei wird wie in den zurückliegenden zwei Jahren durch die harten Attacken und massiven Angriffe seitens der Trump-Administration herausgefordert werden. Bei allem Respekt für den engagierten Wahlkampf: Die Demokraten sind immer noch auf der Suche nach einem personalpolitischen Alternativangebot und sie haben weiterhin eine große interne Debatte über die Konzeption eines anderen Amerikas vor sich.

Auch wenn der Wirtschafts- und Börsenboom seinen Zenit überschritten haben wird, so bleibt doch für die demokratische Opposition offen, wie Trump und die völlig im Bann des Präsidenten stehende republikanische Partei in eine Minderheitenposition gedrängt werden kann. Als Ergebnis dieses harten Wahlkampfes bleibt festzuhalten: Trumps Strategie, mit hasserfüllter Rhetorik gegen Migranten, Angehörige von Minderheiten und die Medien Wähler auf seine Seite zu ziehen, hat ihre Wirkung nicht verfehlt.

 

[1] Interview mit Eva Illouz in der FAS vom 29.1.2017.
[2] Handelsblatt vom 4.11.2018: Das Problem Amerikas ist größer als nur Donald Trump.
[3] Seit Ronald Reagans Amtsantritt im Jahr 1981 kontrollierte die Partei des Präsidenten nur in zehn von insgesamt 38 Jahren beide Häuser des Kongresses.