Einar Schleef

in (16.06.2009)
Einar Schleef notierte im Frühjahr 1981 in seinem Tagebuch, daß er angekommen
sei, aber nicht wisse, wo. Diese paradoxe Auskunft könnte über dem
gesamten Leben des 1944 in Sangerhausen geborenen und 2001 in Berlin gestorbenen
Multitalents stehen. Nach einem Studium für Bühnenbild in Berlin
verließ er 1976 die DDR, weil er das von den DDR-Behörden verhängte, re-
gelmäßige Einkünfte verhindernde Berufsverbot nicht akzeptieren wollte. Aber
der Bühnenbildner Einar Schleef war kein Wolf Biermann. Es sollte viele Jahre
dauern, ehe der passionierte Theatermann eine Inszenierung übertragen bekam:
Seine Lesart der »Mütter« nach Euripides und Aischylos im Schauspiel
Frankfurt begründete 1986 seinen Ruf als Enfant terrible des westdeutschen
und später des gesamtdeutschen Theaterbetriebs.
Die Jahre, in denen er nicht für die Bühne tätig sein konnte, sind in dem –
als »Tagebuch« nur unzureichend bezeichneten – vierten Band des Monumentalwerks
sofort zu erkennen: Es sind die literarisch ergiebigsten. Bis er in
Frankfurt unter der Intendanz von Günther Rühle Regieaufgaben übernehmen
konnte, widmete er sich dem Schreiben. Das Diarium der frühen achtziger
Jahre, besonders des Jahres 1981, ist ein Steinbruch aus zum Teil in mehreren
Fassungen geschriebenen Prosa-Stücken und Fragmenten. Auch als Schriftsteller
hatte Schleef einigen Erfolg. 1980 erschien, durch Golo Mann gefördert,
der erste Teil des Romans »Gertrud«. Nach Publikation des zweiten Bandes
1984 attestierte der Spiegel dem Autor: »Die Besessenheit, mit der Einar Schleef
schreibt, war stets eine Erkennungsmelodie großer Literatur.« Eingeordnet
wird er damals schon zwischen Uwe Johnson und Samuel Beckett.
Für den Bildband »Zuhause«, in dem Fotos aus dem tristen Sangerhausen
der siebziger Jahre vereint sind, erhielt Schleef 1981 den Kodak-Fotopreis.
Und für die Erzählung »Arthur«, die später in einer bibliophilen, mit eigenhändigen
Aquarellen Schleefs illustrierten Ausgabe erschien, bekam er im selben
Jahr den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis. 1982 errang er mit
der Erzählung »Wittenbergplatz« beim Ingeborg-Bachmann-Preis den dritten
Platz. In der Folge wurden auch seine Stücke an westdeutschen Bühnen zur
Aufführung gebracht. Im Jahr 1983 wurde in Heidelberg Schleefs »Berlin ein
Meer des Friedens« uraufgeführt; 1984 sein Kinderstück »Das lustigste Land«
in Wilhelmshaven. Aber all diese Ehrungen, die mehr waren als Achtungserfolge,
werden von Schleef nicht reflektiert. Denn dem Künstler ging es, mit
Konstantin Wecker zu sprechen, allein ums Tun, nicht ums Siegen.
Wenn also stets eine latente Unzufriedenheit aus dem Diarium spricht, dann
deshalb, weil es Schleef, dem sein literarischer Erfolg nicht übermäßig viel zu
bedeuten schien, zum Theater drängte. Aber auch die 1986 beginnende zweite
Laufbahn als Regisseur war ein Kreuzweg. Seine – wie Schleef befand – bald
allerorten nachgeahmte Bühnenästhetik rief die Kritiker auf den Plan. Peter
Zadek setzte in vollkommener Verkennung des Schleefschen Theater-Konzepts
den vernichtenden Kritiken die Krone auf, als er Schleef allen Ernstes vorwarf,
»Faschismusscheiße« auf die Bühne zu bringen. Kollege Zadek stieß sich am
unorthodoxen Formenkanon Schleefs, der, beginnend in den achtziger Jahren, in seinen Inszenierungen klar gegliederte, weitgehend ohne Requisiten gestaltete
Räume, rhythmisches Sprechen und das Gegenüber von Individuum und
Chor bevorzugte. Nicht erst damit war Schleef ein Skandalon – für das sich die
Presse zusehends interessierte: In den Diarien der neunziger Jahre reihen sich
mit Schleef geführte Interviews, in denen er sich auch über seine Kindheit und
Jugend äußerte, in dichter Folge. Es sind alles Gespräche, in denen er Tacheles
redete und auch oft und gern wiederholte, daß ihn das zeitgenössische
Schauspiel nerve. Auf die von Frank Raddatz im Jahr 1994 gestellte Frage, ob
er gern ins Theater gehe, antwortete Schleef: »Ins Theater gehe ich selten. Ich
frage mich immer mehr: Wofür das alles und warum? (…) Ich habe immer geglaubt,
daß ich jemand sei, der im Theater etwas bewegen könnte. Doch was
habe ich geschaffen außer einer Menge Nachahmer, die überall machtvoll gefördert
werden?« In dem Interview fand Schleef auch zu dieser harten Selbsteinschätzung:
»Ich war im Osten genauso anstrengend wie hier, ein Unikum.
Ich kam vom Dorf und habe meine popeligen Kleinstadt-Allüren nie verloren.
Ich habe mich auch im Westen nicht gebessert. Meine Umgangsformen sind
ekelhaft. Meine Ausdrucksweise ist schlecht. Was ich mache, ist rabiat.«
Daß Schleef noch Jahre nach seinem Tod aneckt, wird auf den Seiten 400
bis 402 deutlich. Dort wurde der Text »Autoritärer Egotrip – Replik von Sigrid
Löffler auf positive Rezensionen des Puntila von Einar Schleef« geschwärzt.
Aus welchem Grund, erfährt der Leser nicht.
Einar Schleef: Tagebuch 1981-1998. Frankfurt a. M., Westberlin. Suhrkamp
Verlag Frankfurt am Main 2009, 459 Seiten, 30 Euro