Regimestörungen im Buch

in (15.03.2010)
Ein Akkumulationsregime garantiert die Anhäufung von Kapital und sorgt für die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Dazu regelt es die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die Organisation der Arbeit, Produktionsweise und -technologie wie auch die Art und Weise der Reproduktion der Arbeitskraft. Von Akkumulationsregime ist im Rahmen der so genannten Regulationstheorie die Rede. Diese enthält sowohl (historisch-materialistische) gesellschaftstheoretische, als auch zeitdiagnostische Aspekte. Inwiefern die Ende der 1980er Jahre entwickelte Theorie für die Beschreibung der gegenwärtigen Gesellschaften noch tauglich ist, untersucht der von Ulrich Brand und Werner Raza herausgegebene Band. Besonders brauchbar erscheint dabei, meint beispielsweise Alex Demirovic, die Betonung, dass das Kapitalverhältnis ein gesellschaftliches ist, also auf Kämpfen beruht. Entlang derer ließen sich Möglichkeiten der Störungen von Regimes abtasten, was im Buch vor allem in Bezug auf das Staatsverständnis und Fragen des Raumes geschieht.
Hier, in der Herstellung, Vermessung und Aufteilung von Raum, trifft sich das Akkumulationsregime vielleicht noch am ehesten mit dem ästhetischen Regime. Denn dieses ist nach Jacques Rancière nicht nur eine Ordnungs- und Formalisierungskraft, die die Produktion und Rezeption der Künste reguliert. Es geht vielmehr um eine „sinnliche Seinsweise“ (Rancière), oder, wie Friedrich Balke es in dem von ihm mitherausgegebenen, dann doch vornehmlich um Kant und Kunst kreisenden Buch beschreibt, um die „Gesamtheit der Lebensbedingungen.“ Das ästhetische Regime umfasst zwei grundlegende Regulierungen: das Politische, das eine ursprünglich gedachte Gleichheit aktualisiert, und das Polizeiliche, das die ungleiche Aufteilung im Raum vornimmt.
Bildregime hingegen beziehen sich konkreter auf visuelle Kommunikationen, beschäftigen die Forschung aber dennoch disziplinenübergreifend. Denn ein Bildregime kann zugleich Ordnungsraster von Wahrnehmungen und hermeneutisches Prinzip sein. Für das Recht werden Bilder zur Herausforderung, so die spezifische These des Bandes von Joly/ Vismann/ Weitin, durch ihre Mehrdeutigkeit und die Fähigkeit, Affekte zu erzeugen.
Als Wissensregime bezeichnet Torsten Junge die Verknüpfung von gesellschaftlichen Ansprüchen, sich als „verantwortungsbewusstes Subjekt zu konstituieren“, mit jenen ex-emanzipatorischen Forderungen und Praktiken der Partizipation. Junges Studie exemplifiziert damit in enger Anlehnung an Michel Foucault das, was dieser als neoliberale Gouvernementalität bezeichnet hatte: eine neue Form des Regierens, die über die Aktivierung des vormals Privaten zugleich das Politische neu konstituiert.
Um neoliberale Neukonfigurationen geht es auch beim Geschlechterregime. Freiheit und Autonomie sind auch hier zu zentralen Imperativen geworden, die affirmative Selbstkasteiung und konforme Regulierungen erst begünstigen. Anhand popkultureller Phänomene hat die Cultural Studies-Theoretikerin Angela McRobbie solche Imperative und ihre Bilder und Rhetoriken in Bezug auf das Verhalten von Frauen untersucht. Was als fortschrittliches Empowerment daherkommt, entpuppt sich im neuen Geschlechterregime in den Worten McRobbies als „Retraditionalisierung.“


Dieser Text erscheint in BILDPUNKT. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Frühling 2010 „Regimestörungen“.


Friedrich Balke/ Harun Maye/ Leander Scholz (Hg.): Ästhetische Regime um 1800
. München 2009 (Wilhelm Fink Verlag).

Ulrich Brand/ Werner Raza (Hg.): Fit für den Postfordismus? Theoretisch-politische Perspektiven des Regulationsanstazes
. Münster 2003 (Verlag Westfälisches Dampfboot).

Jean-Baptiste Joly/ Cornelia Vismann/ Thomas Weitin (Hg.): Bildregime des Rechts
. Stuttgart 2007 (Verlag Akademie Schloss Solitude).

Torsten Junge: Gouvernementalität der Wissensgesellschaft: Politik und Subjektivität unter dem Regime des Wissens
. Bielefeld 2008 (transcript Verlag).

Angela McRobbie: Top Girls: Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes
. Wiesbaden 2010 (VS Verlag).