dass etwas geschieht im Buch

in (21.03.2012)

Es sind vor allem die performativen Künste, in denen die Zeit nach der Repräsentation eingeläutet wird. In kollaborativen, komplizenhaften Praktiken werden Werk und Gruppenidentität gleichermaßen unterlaufen und durch Prozess und Performance ersetzt. Kein abbildendes Produkt mehr, keine Utopien oder fixe Ideen vertretende Kollektivität. Dass diese Tendenzen sich hervorragend einfügen in die immateriellen Produktionsverhältnisse unserer postfordistischen Ära insgesamt, zeigt Martina Ruhsam in Kollaborative Praxis anhand zahlreicher Beispiele aus der Choreographie und postdramatischem Theater auf, schön eingebettet in einen Theoriemix aus Jean-Luc Nancys Mit-Sein und Paolo Virnos Multitude. Aber jene Vorreiter-Rolle, die die Künste für die neuen Produktionsverhältnisse spielen, ist selbstverständlich problematisch. Subversion ist nur noch eine historische Taktik, und ebenso wie die Kritik häufig mehr Aushängeschild als Störfaktor im Kulturbetrieb. Die Diskrepanz zwischen der Menge an kritischem Diskurs und den tatsächlichen sozialen Effekten aus dem künstlerischen Feld heraus war „niemals größer“ (Vanhaesebrouck). Das jedenfalls ist der Ausgangspunkt des Bandes Art and Activism..., der sich seinem Gegenstand angenehm nicht-affirmativ nähert und Wirksamkeit von Aktivismus in und aus der Kunst erst erforscht und nicht schon voraussetzt. In seiner Mischung aus sozialtheoretischen und am Kunstbeispiel entlang geschriebenen Beiträgen hat das Buch das Zeug zur unumgänglichen Referenz.
Dass soziale Bewegungen in kunst- und bildwissenschaftlichen Publikationen eine Rolle spielen, ist alles andere als selbstverständlich. Umso erfreulicher, dass sowohl die Bücher von Johanna Schaffer als auch von Schade/Wenk die Rolle und Involviertheit von etwa feministischen und postkolonialistischen Mobilisierungen im Kampf um soziale Sichtbarkeiten herausarbeiten. Wer Repräsentation – nach Stuart Hall – als „Herstellung von Bedeutung“ (Schade/Wenk) kritisiert, stellt auch Bedingungen der Herstellung, also Machtverhältnisse in Frage. Weil Repräsentation Darstellung, Vorstellung und Stellvertretung bedeutet, spielt der Begriff auch auf den drei Ebenen der Ästhetik, der Epistemologie und der Politik. In allen drei Dimensionen wird immer wieder die Frage verhandelt, ob etwas angemessen dargestellt bzw. vertreten wird. Eine verkürzte Frage, wie Schaffer betont, denn sie tut einerseits so, als gebe es etwas der Repräsentation Vorgängiges und steht deshalb andererseits der Suche nach den „verschiedenen Wirklichkeiten als Verhältnis zwischen Repräsentationen“ im Weg. Schaffers theoriesatte und kunstbeispielgefüllte Studie zur Sichtbarkeit, die alle drei Ebenen als von Macht durchzogene miteinander verkoppelt, diskutiert schließlich das Problem, „wie minorisierte Subjektpositionen visuell repräsentiert werden können, ohne in der Form ihrer Repräsentation Minorisierung zu wiederholen.“ Vielleicht erst mal ins Kino gehen. Weil es nicht nur um Kampfprogramme, sondern um den Alltag geht. Über die „semiotischen Konjunkturen des Kinos“ schreibt Félix Guattari in Die Couch des Armen, sie liefen durch die Personen, durch Sprache und durch die gängigen Kommunikationen hindurch, „sie deterritorialisieren sämtliche Repräsentationen.“ Denn die Normen von Arbeit und Staatsapparaten seien hier temporär außer Kraft gesetzt.

Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien.



Lieven de Cauter/ Rubben de Roo/ Karel Vanhaesebrouck: Art and Activism in the Age of Globalization. Reflect #8. Rotterdam 2011 (Nai Publishers).

Félix Guattari: Die Couch des Armen. Die Kinotexte in der Diskussion. Hgg. v. Aljoscha Weskott, Nicolas Siepen, Susanne Leeb, Clemens Krümmel, Helmut Draxler. Berlin 2011 (b_books).

Martina Ruhsam: Kollaborative Praxis: Choreographie. Die Inszenierung der Zusammenarbeit und ihre Aufführung. Wien 2001 (Verlag turia + kant).

Sigrid Schade/ Silke Wenk: Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld. Bielefeld 2011 (trancript Verlag).

Johanna Schaffer: Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung. Bielefeld 2008 (transcript Verlag).


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Frühjahr 2012, „dass etwas geschieht“.