What a feeling! im Buch

in (14.10.2013)

 

Der Begriff des Affekts, meint die Kulturtheoretikerin Mieke Bal, bringe die Analyse der Handlungsfähigkeit (agency) von Kunst voran. Denn er verknüpfe die ästhetische Qualität einzelner Kunstwerke mit einer „Politik des Betrachtens“. Solche nicht immer sehr politisch scheinenden Politiken werden dann in den einzelnen Beiträgen des Bandes von Krause-Wahl/ Oehlschlägel/ Wiemer, für den Bal die Einleitung geschrieben hat, durchgesprochen. Der Affekt jedenfalls entsteht zwischen Wahrnehmung und Handlung, ist eine „vorrübergehend geronnene Beziehung“ zwischen beiden (Bal).
Kunstwerke seien ohne Affekte nicht erfahrbar, der Affekt sei, schreibt Manfred Clemenz, „konstitutiver Bestandteil der Form“. Seine Studie widmet sich diesem konstitutiven Zusammenhang für Produktion wie Rezeption bildender Kunst. Das funktioniert als Grundlagentext sehr gut. Allerdings bleibt Clemenz ganz den Ansätzen von Kant und Freud und deren Erweiterung verpflichtet, Bourdieus antikantianische Ästhetik etwa oder die Ablösung der Libido durch das Begehren bei Lacan und Deleuze interessieren ihn nicht weiter. Da aber setzen die meisten Diskussionen um Affekt und Affizierung in den letzten Jahren an.
Michaela Ott etwa nennt ihre fulminante Studie zur Affizierung den „kunstnahen Versuch, das vermeintlich individuelle Dasein ebenso wie das einzelne Kunstwerk als Teilmomente umfassender Teilungs-, Teilhabe- und Mitteilungsprozesse [...] zu skizzieren“. Sie reißt eine/n mit durch die Geschichte der Philosophie, nicht ohne soziologische und kultur- und sogar naturwissenschaftliche Diskursstränge und Filmbeispiele wahnsinnig informiert zu durchforsten, und zwar nach der Möglichkeit einer politischen Relektüre der Affizierung. Diese versteht sie als mehrschichtige Dynamik, die „auf Bedingungen der Möglichkeit von Werden und Veränderung, die Annäherung zweier Terme und das Dritte, das aus ihrem Zusammenwirken entsteht“ verweise.
Auch Marie-Luise Angerer argumentiert mit Deleuze/Guattari für eine Neufassung des Humanen jenseits psychoanalytischer und sprachtheoretischer Grundannahmen (bzw. über diese hinaus). Affekt ist hier allerdings ein Dispositiv (im Sinne Foucaults), „in dem sich die unterschiedlichsten Kräfte bündeln.“ Angerers Buch ist mehr zeitdiagnostisch ausgerichtet und versucht, die Effekte jenes Dispositivs auszuleuchten. Auch sie streift dabei durch das Dickicht von kunst- und medientheoretischen, naturwissenschaftlichen und feministischen Debatten, um schließlich in politischer Hinsicht zu resümieren: „Das Begehren nach dem Affekt ist definitiv keine Befreiung.“
Brian Massumi beschreibt den Affekt als „Überschreiten einer Schwelle, gesehen aus der Perspektive der Vermögensänderung.“ Was hier ein bisschen nach Kontostand klingt, meint ein allgemeines Potenzial und Handlungsmacht. Der Merve-Band versammelt verschiede Gespräche mit dem Philosophen, in denen es um die Bedingungen, Aufgaben – „das Unvorstellbare aufzuführen“ – und Formen von Mikropolitik geht. Immer mit Deleuze und Guattari im Rücken, ist Massumi plötzlich mal, wenn er den Affekt als „körperliches Denken“ beschreibt, von Bourdieus Habitus-Begriff nicht weit entfernt.


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Nr. 30, „What a feeling!“

Jens Kastner ist Kunsthistoriker und Soziologe. Zuletzt erschien von ihm Der Streit um den ästhetischen Blick. Kunst und Politik zwischen Pierre Bourdieu und Jacques Rancière, Wien 2012 (Turia + Kant).




Marie-Luise Angerer: Vom Begehren nach dem Affekt. Berlin 2007 (diaphanes).

Manfred Clemenz: Affekt und Form: Ästhetische Erfahrung und künstlerische Kreativität. Gießen 2010 (Psychosozial-Verlag).

Antje Krause-Wahl, Heike Oehlschlägel und Serjoscha Wiemer (Hg.): Affekte: Analyse ästhetisch-medialer Prozesse. Bielefeld 2006 (transcript Verlag).


Brian Massumi: Ontomacht: Kunst, Affekt und das Ereignis des Politischen. Berlin 2010 (Merve Verlag).

Michaela Ott: Affizierung: Zu einer ästhetisch-epistemischen Figur. München 2010 (Edition Text und Kritik).