Linke Lebenslügen

oder Der lange Marsch durch die Illusionen

& in (01.01.2002)

Klaus Rainer Röhl:Universitas Verlag München 2001,206 S. (20,41 EUR/39,92 DM)

Klaus Rainer Röhl ist der ehemalige Herausgeber
von Konkret. Heute schreibt er unter anderem
für die Junge Freiheit, in der er 1997
den damaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker
beschimpfte, weil dieser den 8. Mai
1945 als "Tag der Befreiung" bezeichnet hatte
und nicht als Tag der "Niederlage". Röhls
Buch ist ein persönlicher Rachefeldzug gegen
alle, die er nach seiner Wende von links nach
rechts, als Linke einstuft.

Er zeigt sich in seinem Buch besonders glücklich
darüber, daß es ihm nach 30 Jahren "linker
Illusionen" gelungen sei, bei dem Historiker
Ernst Nolte - der die Vernichtung der Juden
als taktischen Fehler bewertet, der von der
Hauptaufgabe, der Vernichtung des Bolschewismus,
nur abgelenkt habe - promoviert zu
haben.

Es gibt unbestritten viele linke Lebenslügen.
Das ist aber kein Grund, bei rechten Lebenslügen
Zuflucht zu nehmen. Sicher ist die Verbitterung
des Autors über die RAF und deren
Sympathisanten verständlich. Die Entführung
seiner zwei Töchter, seine Suche nach ihnen,
die schließlich in Italien durch die entschlossene
Tat von Stefan Aust zum Erfolg führte,
waren begleitet von materiellen Verlusten.
"Die Vernichtung meines bescheidenen Lebenswerkes,
der Verlust zweier Zeitungen, ihrer
Verlage und meines Hauses, die Zerstörung
meiner Familie und meiner persönlichen Existenz
", brachten Röhl zu der tragenden Erkenntnis
seines schmalen Büchleins: "Das
System (Sozialismus) macht keine Fehler, das
System ist der Fehler."

Ganz im Sinne seines Doktorvaters, wiederholt
Röhl in immer neuen Varianten, der
Hauptfeind stehe links. Der von Dutschke gepredigte
Marsch durch die Institutionen habe
dazu geführt, daß "heute eine gutbezahlte Generation
von C4-Professoren an Deutschlands
Universitäten unkündbar etabliert" ist. Doch
nicht nur dort spürt Röhl seinem Hauptfeind
nach. Er hat ihn auch in den "höheren und
mittleren Rängen der Parteihierarchien, in ein-
flußreichen Positionen bei Funk- und Fernsehanstalten,
Tageszeitungen, Werbefirmen und
Filmproduktionen" ausfindig gemacht. ›Statt
Liebe zu Deutschland‹, kämpfe diese ›linke
Elite‹ nur noch aus "Liebe zur Pasta". Auch
den Bundeskanzler und den Außenminister
sortiert der Autor in diese ›linke Elite‹ ein.
Beide würden sich von Baader und Ensslin
nur dadurch unterscheiden, das letztere "keine
Neigung" verspürt hätten, "einen langen
Marsch irgendwohin anzutreten".

Diese Plattitüden bilden den roten Faden
Röhls, mit dem er vier "linke Lebenslügen" zu
analysieren versucht - Sex, Hasch, noch mal
Hasch und Feminismus. Letzterer sei im
Grunde eine "rassistische Apartheidslehre",
eigentlich sogar "Femi-Faschismus", denn er
fordere "Männerhaß". Die Frauenrevolte sei
eine "Stellvertreterrevolte" gewesen. Die
Frauen hätten ein Objekt für diese Revolte gesucht
und im Mann gefunden. Sie seien mit
diesem Objekt brutal zur Sache gegangen.
Mehrfach wiederholt Röhl den, sicherlich blöden,
aber polemisch gemeinten, Spruch:
"Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren autoritären Schwänzen!", um zu beweisen,
daß die Frauen, die den "Mythos vom
klitoralen Orgasmus" propagiert hätten, die
Kastration der Männer betreiben wollten.
Diese Frauen seien heute längst zu "Neuen
Frauen" mutiert. Ihr Marsch durch die Institutionen
habe gutbezahlte Vorzeigefrauen in
allen Parteien und Interessengruppen produziert,
die ihren "gutverdienenden Ehemann im
Freundeskreis kokett einen Chauvi nennen".
Sicher gibt es das! Der Widerspruch weilt bekanntlich
in jedem Ding und jeder Bewegung.

So auch in dem Bedürfnis der 68er nach
"Freier Liebe". Sicher eine Illusion mit
falschen Vorzeichen, aber eine Illusion, die
einer Erziehung der sexuellen Negation entsprang.
Die Ursprungsfamilien der 68er beherrschten
sexuelle Tabus. Onanie wurde als
Schande beschimpft, der ein Verlust des
Rückenmarks folge. Röhl analysiert die Sehnsucht
nach "Freier Liebe" nicht, er hält sie für
eine Schandtat des roten Teufels, der die "eheliche
Treue und Dauerhaftigkeit der Beziehung
zu einer Kann-Frage" herunterstuft.
Besonders intensiv zieht Röhl gegen den
Haschkonsum der 68er zu Felde. "Es nützt
nichts, dass ich selber keine Drogen nehme,
nie in meinem Leben auch nur welche probiert
habe, höchstens mal abends ein Bier trinke.
Aber in meiner Zeitung hat ja gestanden: Haschisch
ist weniger gefährlich als Alkohol."
Röhls Konkret hatte die flotten Sprüche zum
Haschkonsum als erstes deutsches Magazin
verbreitet. Darunter leidet der gewendete Autor
besonders heftig. Er streut sich auf vielen
Buchseiten reichlich Asche auf das eigene
Haupt, um vor seinen neuen Freunden von der
Jungen Welt als aufrechter deutscher Kämpfer,
ohne jede Spur von sinnlichen Ausschweifungen,
bestehen zu können.

Besonderen Groll hegt Röhl gegen Außenminister
Josef Fischer, dem er das Schlußkapitel
widmet. Fischer sei durch die Institutionen
an die Spitze des Staates gekommen, den er
als 68er noch stürzen wollte. Also könne es
ihm mit der Erhaltung dieses Staates nicht
ernst sein. Deshalb überlasse Fischer, wie
Cohn- Bendit und Trittin, heute die "Drecksarbeit
" den "Autonomen" oder "Anti-Deutschen
", die ihren Slogan "Deutschland verrecke!
" mit "Prügeln und Treten auf bereits
am Boden liegende Gegner" dokumentieren
würden. Aber die "klammheimliche Sympathie
" mit diesen Prügelknaben bleibe bei den
68er Staatsmännern.
Auch dieser Groll des Autors ist psychisch
verständlich. Röhls Tochter hat ein Buch mit
vielen unhaltbaren Unterstellungen gegen
Fischer geschrieben, das trotz Vertragsunterzeichnung
bei einem Kölner Verlag nicht erschien.
Bleibt zu hoffen, daß Röhls Buch viele lesen,
um zu erkennen, wie dünn und phantasielos
die Argumente der ›neuen Rechten‹ sind.