1. Zur Theorie der Informationsgesellschaft. und

2. Die Netzwerkgesellschaft: Das Informationszeitalter: Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur

Manuel Castells: Die Netzwerkgesellschaft. Das Informationszeitalter, Opladen 2001, 632 S. 34,90 EUR

Mehr als je zuvor ist Wissen und Information zu einem zentralen Faktor des gesellschaftlichen Wandels geworden. Information avanciert gegenüber den traditionellen Faktoren Arbeit, Boden und Kapital zu einem zentralen Wertschöpfungsfaktor. Doch nicht nur in der Ökonomie gewinnt die Idee einer Informationsgesellschaft Relevanz, sondern auch in anderen Funktionsbereichen der Gesellschaft. Neben Forderungen nach der Reform des Schul- und Hochschulwesens sind politische Initiativen entstanden, welche Infrastrukturen im Bereich der Informations- und Kommunikationspolitik (›Schulen ans Netz‹) und die Bereitstellung von hochqualifizierten Arbeitskräften (›Greencard‹-Initiative) begünstigen sollen. Bisher zeichnet sich die Soziologie jedoch weitgehend durch ihre diagnostische Zurückhaltung aus.

In jüngster Zeit hat Manuel Castells den Versuch unternommen, diese Lücke zu schließen. In seiner vielbeachteten Trilogie (The Network Society 1996, The Power of Identity 1997, End of Millenium 1998) zeichnet er die Grundzüge des Informationszeitalters nach. Der gebürtige Spanier war zunächst an zwei Pariser Universitäten tätig und ist seit 1979 als Professor an der University of California in Berkeley am Institut für Soziologie und am Institut für Stadt- und Regionalplanung tätig. Neben weiteren Dozententätigkeiten in Madrid und Barcelona war er weltweit an vielen Universitäten Gastdozent und als Berater für internationale Organisationen, für die Europäische Union und für mehrere Regierungen tätig. Seit 1983 beschäftigt sich Castells mit Forschungen über die gesellschaftlichen und ökonomischen Transformationen im Zuge der informationstechnologischen Revolution. Daraus erklärt sich seine umfassende und detailreiche Darstellung der Informationsgesellschaft, die sich nicht nur auf Industriegesellschaften beschränkt. Manuel Castells beschreibt anhand ländervergleichender empirischer Studien aus langjähriger Forschungspraxis und persönlicher Erfahrung weltweite Integrationen, Polarisierungen sowie Fragmentierungen und zeigt, daß es kein einheitliches Modell der Informationsgesellschaft gibt. Hierin liegt zweifellos die Stärke seines Ansatzes.

Der erste Band der Trilogie Die Netzwerkgesellschaft liegt erstmals in deutscher Übersetzung vor. Wie der Titel suggeriert, identifiziert Castells als das entscheidende Strukturmerkmal des neu entstehenden Gesellschaftstyps das Netzwerk. Als Fazit des Buches läßt sich festhalten, daß zentrale gesellschaftliche Funktionen in instrumentellen Netzwerken mit einer eigenen Dynamik organisiert werden und die Logik der Netzwerke in der Gesellschaft vorherrschend ist.

Netzwerke sind als eine Art Raum der Ströme zu verstehen, in welchem soziale Akteure entweder anwesend oder abwesend kommunizieren und interagieren. Die erste Ebene des Netzwerkes besteht aus einem Kreislauf elektronischer Vermittlungen, die eine Grundlage simultaner Praxisformen ermöglicht. Die technologische Infrastruktur definiert den neuen Raum in dem Sinne, wie in der Industriegesellschaft Eisenbahnlinien wirtschaftliche Regionen eingrenzen. Die zweite Ebene ist durch dessen Knoten und Zentren bestimmt, die je nach Funktion des Netzwerkes unterschiedliche Charakteristika haben können. Ein solcher Knotenpunkt ist die informationelle Stadt. Sie ist Zentrum der wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Dynamik auf lokaler und globaler Ebene und ist gleichzeitig Anschlußpunkt an die globalen Netzwerke aller Art (vgl. Castells: 454 ff.). Die dritte Ebene betrifft die räumliche Organisation der herrschenden Führungseliten (vgl. Castells: 466 ff.). Indem Eliten Knoten und Schnittstellen der Netzwerke kontrollieren, können sie ihre Macht stabilisieren, während die Ströme von Kapital und Information überall in der Welt ihre eigene Logik verbreiten. In der Netzwerkgesellschaft etabliert sich soziale Herrschaft über einen Doppelmechanismus: die Verbindungen und Organisationskapazitäten der Eliten untereinander und die Segmentation und Desorganisation der Massen (vgl. Castells: 471).

Identitäten stellen eine gegenläufige Entwicklung zur Netzwerkgesellschaft dar, denn überall auf der Welt läßt sich "die zunehmende Distanz zwischen Globalisierung und Identität, zwischen dem Netz und Ich" (Castells: 24) beobachten. Mit der Entstehung eines globalen Systems und immer abstrakter werdenden Logiken der instrumentellen Netzwerke wird Identität zentral für die Sinnstiftung und einzige Möglichkeit, Autonomie jenseits der Netzwerkformierung zu erlangen oder Emanzipationsbestrebungen nachzugehen. Neue soziale Bewegungen entstehen nur jenseits der neuen Ordnung.

Drei Entwicklungen bilden seit den siebziger Jahren die Grundlage des Wandels zum informationellen Zeitalter: Der Informationalismus, die Restrukturierung des Kapitalismus und das Entstehen neuer Kulturen (vgl. Castells: 13 ff.). Erstens bezeichnet der Informationalismus den Wandel der Produktivkräfte durch die zirkuläre Anwendung von Wissen auf Wissen (vgl. Castells: 18, 106). Entscheidend ist die revolutionäre Entwicklung der Informationstechnologien, welche die Rekursivität von Wissen ermöglichen. Die zweite grundlegende Entwicklung ist die Restrukturierung des Kapitalismus mittels deregulierender und liberalisierender Maßnahmen und Politiken, welche die Globalisierung beschleunigten (vgl. Castells: 65).

Die dritte durchschlagende Entwicklung bildet die Entstehung einer neuen Kultur der realen Virtualität, welche Bedeutungen von Raum und Zeit verändert und für gesellschaftliche Integration von zunehmender Bedeutung ist. Das Internet und die Welt von Multimedia wird von zwei Gruppen bewohnt, "den Interagierenden und den Interagierten" (Castells: 428). Nur erstere sind in der Lage, unter verschiedenen Kommunikationskreisläufen zu wählen, für die anderen sind Zugangsbeschränkungen Ursache dafür, daß sie an der gesellschaftlichen Kommunikation nicht teilhaben. Wer zu welcher Gruppe gehört, wird durch Klasse, Rasse, Geschlecht und Land determiniert (vgl. Castells: 424).

Die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts entstandene Wirtschaftsform charakterisiert Castells als informationell, da Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit "von ihrer Fähigkeit abhängig ist, auf effiziente Weise wissensbasierte Information hervorzubringen, zu verarbeiten und anzuwenden" (Castells: 83). Die neue Wirtschaftsform ist global, weil ihre Kernfunktionen und Komponenten auf globaler Ebene organisiert sind und sie ist vernetzt, "weil unter den neuen Bedingungen Produktivität durch ein globales Interaktions-Netzwerk zwischen Unternehmens-Netzwerken erzeugt wird" (Castells: 83). Die Auswirkungen der globalen Ökonomie umfassen die ganze Welt, dennoch sind im System der internationalen Arbeitsteilung nur einige Wirtschaftsregionen involviert. Während die Triade USA-Europa- Asiatisch-PazifischerRaum dominieren, werden andere Regionen nur selektiv inkludiert oder wie Afrika zu struktureller Irrelevanz degradiert (vgl. Castells: 157 ff.).

Nach Manuel Castells können Unternehmen im Zuge der Globalisierung nur konkurrenzfähig bleiben, wenn sie ihre Organisationsstrukturen verändern. Netzwerkunternehmen weisen sich durch flache Hierarchieebenen, Teamwork und Prozeß- statt Aufgabenorientierung aus. Damit die Beschäftigten ihr individuelles Wissen der Organisation zur Verfügung stellen und alle Mitarbeiter von diesem Wissen profitieren können, müssen die Beschäftigungsverhältnisse stabil sein (vgl. Castells: 191 ff.). Auf einer Fülle von ländervergleichendem empirischen Datenmaterial stützt Manuel Castells seine Beobachtungen über die Transformation von Arbeit und Beschäftigung sowie ihre Folgen für die Sozialstruktur und zeigt, daß es kein universelles Modell des Wandels gibt (vgl. Castells: 229 ff.). So kann der Wandel in den USA mit dem Modell der Dienstleistungsökonomie umschrieben werden, da der Anteil von Wissensarbeitern im Dienstleistungsbereich gewachsen ist. In Japan und Deutschland trifft das seiner Ansicht nach effektivere Modell der industriellen Produktion zu, da hier die Wissensarbeit in die Produktion eingebettet wird (Castells: 259).

Manuel Castells Gesellschaftsdiagnose gehört zu den elaboriertesten Ansätzen der Informationsgesellschaft und seine Analysen sind mit umfangreichem Datenmaterial beispielhaft untermauert. Dennoch erscheint seine Konstruktion der Netzwerkgesellschaft allzu technokratisch. Das Internet ist zunächst ein technisches Netzwerk, welches nicht unbedingt mit sozialen Netzwerken übereinstimmen muß. Überhaupt ist fraglich, ob die Logik von Computernetzen die Logiken aller anderen Teilsysteme soweit dominieren kann, daß sie zur gesellschaftlich vorherrschenden Logik avancieren kann. Zudem ist fraglich, ob der Gegensatz zwischen Netzwerk und Identität nicht überzeichnet ist, fruchtbarer wäre die Konstruktion einer Identität, die ihre Individualität aus der jeweils spezifischen Zusammensetzung der Inklusion in verschiedenen Netzwerken gewinnt. Auch ist nicht klar, warum sich neue soziale Bewegungen nur jenseits der Netzwerke formieren und sich nicht die Logik der Netzwerke zunutze machen sollten. Grade im Internet bilden sich Gruppierungen, die im Untergrund operieren.

Zweifellos liegt die Stärke des Ansatzes in der empirischen Ausrichtung und den daraus resultierenden Generalisierungen. Die Kehrseite der Medaille ist bei diesem Vorgehen jedoch das Fehlen tiefergehender Analysen und es ist fraglich, ob für eine Theorie der Informationsgesellschaft nicht noch eingehender konzeptualisiert werden müßte.

Jochen Steinbicker, Diplom-Soziologe im Graduiertenkolleg "Das Neue Europa" an der Humboldt-Universität in Berlin, sucht mittels der Gegenüberstellung prominenter Theorien einen geeigneten theoretischen Zugang zur Informationsgesellschaft zu eröffnen. Grundlage für den Vergleich sind Peter Druckers Wissensgesellschaft, Daniel Bells Postindustrielle Gesellschaft und Manuel Castells Informationelle Gesellschaft. Der Autor legt den Schwerpunkt der Darstellung auf die jeweilige Eigenart und spezifische Ausprägung der Konzepte, wobei er es nicht versäumt, sowohl die Vorteile als auch die Grenzen der jeweiligen Theorien zu diskutieren.

Manuel Castells Konzipierung des Informationszeitalters beschreibt Jochen Steinbicker als empirisch-diagnostisch (Steinbicker: 113). Obwohl er seinen Ansatz für die Soziologie als äußerst fruchtbar beschreibt, sieht der Autor an der Schnittstelle zwischen theoretischem Modell und empirischer Darstellung die Grenzen der Castellsschen Analyse.

Peter Druckers Konzept versteht er als einen Orientierungsversuch aus einer Managementperspektive (Steinbicker: 109). Im Zentrum seiner Theorie steht die These, daß Wissen zum zentralen Produktionsfaktor der Ökonomie wird, indem Wissen auf Wissen angewendet wird (Steinbicker: 26 f.). Die Produktivität von Wissen weist auf die Aufgabe des Managements hin, Wissen bereitzustellen und eine Gruppe von Wissensarbeitern so zu führen, daß diese existierendes Wissen am effektivsten einsetzen (Steinbicker: 28). Druckers Konzept der Wissensgesellschaft ist eher ökonomisch denn soziologisch ausgerichtet und deshalb verwundert es nicht, daß er für den gesellschaftlichen Wandel die Organisation als Fixpunkt wählt. Diese bringt Wissensarbeiter in Kooperation und ist eine Organisation des Wissens (vgl. Steinbicker: 43). Die Stärke von Druckers Ansatz liegt darin, daß er Wissen nicht als abstrakte und absolute Größe behandelt, sondern die Produktivität von Wissen betont und damit der Zusammenhang zwischen Wissen und Arbeit nicht verloren geht (vgl. Steinbicker: 47).

Daniel Bells Ansatz beschreibt Jochen Steinbicker als facettenreich und deutlich analytisch ausgerichtet, was ihn für soziologische Fragen interessanter macht. Als wichtigster Wertschöpfungsfaktor ist Wissen nicht das Resultat erfolgreicher Unternehmensstrategie, sondern in Forschungsinstituten und Universitäten generiert, welche die neue Axialstruktur der Gesellschaft bilden. Der Erwerb und die Kodifizierung theoretischen Wissens sind als neues axiales Prinzip für den Umbau der Gesellschaft verantwortlich (vgl. Steinbicker: 57). Dies schlägt sich im Wandel des Charakters von Arbeit und im Übergang von der Güterproduktion zur Dienstleistungsgesellschaft nieder. Zwei weitere schon damals absehbare Entwicklungen erfaßt Bell: Den Umstieg auf intellektuelle Technologien (Informations- und Kommunikationstechnologien) und eine neue Schichtungsordnung, denn in der postindustriellen Gesellschaft wird die wissenschaftlich- akademische Klasse (Meritokratie) zur mächtigsten Statusgruppe. Trotz vieler Inkonsistenzen hat Bell wichtige Problemfelder identifiziert, nicht zuletzt aus diesem Grund scheinen seine Themen und aufgeworfenen Fragestellungen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt zu haben (vgl. Steinbicker: 76 f.). Insgesamt versteht es Steinbicker sehr gut, die wichtigsten Stränge der drei Konzepte nachzuzeichnen und sie dem Leser verständlich zu machen. Im Hinblick auf eine Theorie der Informationsgesellschaft befürwortet er eine Synthese der Ansätze auf Basis der gemeinsamen Aspekte und zentralen Dimensionen.

JUSTINE SUCHANEK, in UTOPIE kreativ, H. 141/142 (Juli/August 2002) S. 748 - 751

Manuel Castells: Die Netzwerkgesellschaft. Das Informationszeitalter: Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Leske+Budrich Opladen 2001, 632 S. (34,90 EUR)

Jochen Steinbicker: Zur Theorie der Informationsgesellschaft. Ein Vergleich der Ansätze von Peter Drucker, Daniel Bell und Manuel Castells, Leske+Budrich Opladen 2001, 130 S. (12,90 EUR)