Zukunft statt "Reformen": Arbeit für alle

Rezension zu: Dieter Klein: Zukunft statt "Reformen": Arbeit für alle. Ein realistisches Konzept, Reihe Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bd. 14, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, 63 S., (6 EUR)

"Fragen der Veränderung der Arbeitswelt sind wie viele andere Probleme so hochkomplex, daß sie zwangsläufig zu komplizierten Antworten verleiten ... Aber zugleich hat der Funktionsmechanismus der Medienwelt bei vielen Menschen die Erwartung einfacher Antworten hervorgebracht und auch Parteien unter diesen Druck gebracht" - soweit Dieter Klein gegenüber UTOPIE kreativ in einem Interview über den Zukunftsbericht der Rosa Luxemburg Stiftung im November 2003.

Im vorliegenden Band, der einzelne Argumentationsstränge jenes Zukunftsberichts aufgreift und gesondert präsentiert, versucht Klein, ein "realistisches Konzept" zu entwerfen, mit dem "Arbeit für alle" geschaffen werden kann. Angesichts der grassierenden Misere auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt und der regierenden rot-grünen Hilflosigkeit sollte eine solche Schrift - auch dank ihrer prägnanten Kürze - eigentlich ein Bestseller sein. Das genau ist jedoch am wenigsten zu erwarten. In einer Zeit, die nach der Abfolge von Hartz-Gesetzen gemessen wird, in der endloses Reformgerede und die Verordnung immer neuer sozialer Grausamkeiten die Öffentlichkeit ermüden und die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger frustrieren, glaubt längst niemand mehr an "realistische Konzepte" - die Arbeitsuchenden zuletzt.

Wer hier ernsthaft "realistische" Abhilfe verheißen will, braucht offenbar ein besonderes Realismusverständnis. Und in der Tat unterscheidet sich der von Dieter Klein propagierte Realismus, mittels dessen Millionen Arbeitslose wieder in Arbeit gebracht werden sollen, durch seine realpolitischen Voraussetzungen wesentlich von den kurzatmigen regierungsamtlichen Reformprojekten. Während der Realismus letzterer sich auf die Fortschreibung des gesellschaftlichen Status quo stützt und regelmäßig am Versuch der Quadratur des neoliberalen Kreises von Standortwettbewerb und Globalisierung scheitert, setzt Klein bei einem neuen "Leitbild gesellschaftlicher Entwicklung" an - am "selbstbestimmt und solidarisch handelnden Menschen in sozialer Sicherheit und in Solidarität, der in Frieden zu leben vermag" (Michael Brie).

Die Kleinsche Vision von ›Arbeit für alle‹ beruht also auf der Voraussetzung eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels, für den in althergebrachten Konzepten kein Raum ist und für den es fähiger politischer Träger und zustimmender Mehrheiten bedürfte. Das sich hier Geltung verschaffende Trägheitsgesetz politischer Demokratie erzwingt jedoch wiederum eine ganz andere Art Realismus. Es erscheint nämlich notwendig, über "kleinere realisierbare Schritte" zu einem grundsätzlich anderen "Umgang mit dem gesellschaftlichen Problem Arbeitslosigkeit" nachzudenken - auch darüber weiß Klein Bemerkenswertes zu schreiben.

 

in: UTOPIE kreativ, H. 164 (Juni 2004), S. 567

 

aus dem Heftinhalt:

VorSatz Essay JÖRG ROESLER DDR - Bundesrepublik: Der verweigerte Vergleich;China heute WANG LIYONG Chinas Außenpolitik im 21. Jahrhundert - wohin?: ZHANG MINJIE Arbeitsmigration in China; Gesellschaft - Analyse & AlternativenAXEL RÜDIGER Globalisierung: Ist Politik noch möglich?; JOCHEN WEICHOLD Umweltpolitik in den Zeiten des Neoliberalismus; LOTHAR SCHRÖTER Die militärische Machtentfaltung der Europäischen Union; Neunzehnhundertachtundsechzig WOLFGANG FRITZ HAUG Gedanken zum 2. Juni 1967; FLORIAN HAVEMANN 68er Ost; StandorteLOTHAR RATAI Gedanken zu Otto Lacis: "Woran ist de KPdSU gescheitert?"; Konferenzen & Veranstaltungen HANNO PAHL, CHRISTOPH ENGEMANN Gesellschaft im Widerspruch. Konferenz zum 100. Geburtstag Theodor W. Adornos; Bücher & ZeitschriftenMatthias Steinle: Vom Feindbild zum Fremdbild. Die gegenseitige Darstellung von BRD und DDR im Dokumentarfilm. Band 18 der Reihe: CLOSE UP Schriften aus dem Haus des Dokumentarfilms Stuttgart. (DETLEF KANNAPIN); Dieter Klein: Zukunft statt "Reformen": Arbeit für alle. Ein realistisches Konzept, Reihe Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bd. 14 (ARNDT HOPFMANN); Jochen Gerlach: Ethik und Wirtschaftstheorie (ULRICH BUSCH): Michel Reimon, Christian Felber: Schwarzbuch Privatisierung. Was opfern wir dem freien Markt? (JÜRGEN LEIBIGER); Tomás Diez Acosta: Octubre de 1962: A un Paso del Holocausto. Una Mirada Cubana a la Crisis de los Misiles (Oktober 1962: Ein Schritt vor dem Abgrund. Die Raketenkrise aus kubanischer Sicht) (HARALD HILDEBRANDT)