Das Ende der Politik? Globalisierung und der Strukturwandel des Politischen

Rezension zu: Albert Scharenberg, Oliver Schmitke (Hrsg.): Das Ende der Politik? Globalisierung und der Strukturwandel des Politischen,Verlag Westfälisches Dampfboot Münster 2003, 383 S. (24,80 EUR)

Dass mit zunehmender Macht der Akteure der neoliberalen Globalisierung nationale Regierungen an Einflussmöglichkeiten und daher auch Bürgerinnen und Bürger an demokratischer Teilhabemöglichkeit einbüßen, gehört ebenso zu den Grundlagen der Globalisierungskritik wie die Debatte über mögliche Gegenstrategien gegen die von Birgit Mahnkopf kürzlich so schön betitelte "Zwangs-Amerikanisierung". Dass diese derzeit ohne ernstzunehmenden Gegenspieler stetig fortscheitet, können nur Revolutionsromantiker in Zweifel ziehen. Die sozialdemokratische Führung nicht nur in Deutschland hat aus dieser Analyse den Schluss gezogen, dass nur die Anpassung an den Neoliberalismus noch Restbestände politischen Einflusses retten könne.

Wer diese Strategie, weil anti-emanzipatorisch, nicht teilen mag, sollte Macht- und Interessenverhältnisse ebenso gründlich analysieren wie über Alternativen reflektieren. "Auch wenn die Übermacht der neoliberalen und reaktionären Kräfte immer wieder deutlich wird, leben wir in spannenden Zeiten. (...) es scheint wieder möglich, grundlegende Kritik an den Verhältnissen zu üben" (Ulrich Brand, S. 375).

Dazu leistet das von Albert Scharenberg und Oliver Schmitke herausgegebene Buch wichtige Beiträge. Das erste Kapitel ("Globalisierung und Transnationalisierung") wird von Scharenberg mit einer Untersuchung über die aus der Globalisierung folgende soziale Ungleichheit eingeleitet. Zunehmende Spaltungen ergeben sich nicht nur für die Weltgesellschaft ("Zentrum und Peripherie"), sondern auch in den "Siegerländern" des "Nordens", vor allem in den USA. Für Deutschland bezieht sich Scharenberg auf den ersten Armuts- und Reichtumsbericht der rot-grünen Bundesregierung.1 Im Ergebnis ist auch für Deutschland von einer Zunahme der sozialen Spaltung auszugehen.

Moralische Entrüstung über obszöne Managergehälter könnte verdecken, dass zunehmende soziale Ungleichheit eine logische Folge der Machtanhäufung des akkumulierten Kapitals darstellt.

Ebenfalls mit einem Dokument deutscher Politik setzt sich der Berliner Ökonom Kurt Hübner auseinander, der "Polemische Anmerkungen zur Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft" formuliert. Vor allem die Empfehlung der Kommissionsmehrheit zur Einführung einer Tobin-Tax trifft auf Hübners Kritik. Er hält die Devisentransaktionssteuer für kein geeignetes Mittel zur Eindämmung spekulativer Kapitalströme.2

Ergänzt wird dieses Kapitel durch zwei feministische Beiträge von Suzanne Bergeron und Birgit Sauer.

Unter der Überschrift "Globalisierung und die ›Grenzen‹ des Politischen" findet sich ein äußerst lesenswerter demokratiekritischer Essay des bekannten Bürgerrechtlers Wolf-Dieter Narr (Die Verfassung der Globalisierung). Überzeugend seine Ist-Analyse der liberalen Demokratie im globalisierten Kapitalismus: sie "funktioniert nicht". (S.155) Tendenziell schon immer zu beobachten, erfahre die Ausrichtung der Politik an den Interessen des Kapitals durch die Globalisierung neue Dimensionen und entkoppele sich völlig von der Legitimierung von Wählerinnen und Wählern. Demokratie, so Narr weiter, könne nur in überschaubaren Räumen funktionieren. Das müssen nicht die Nationalstaaten sein, wie auch Oliver Schmitke anschließend darlegt.

Dass die Europäische Union nicht umstandslos als Rettungsanker gesehen werden könne, meint Susanne Schunter-Kleemann (Bremen). Sie sieht Gefahren durch undurchschaubare ("männerbündlerische") horizontale und vertikale Verflechtungen und die viel beklagte mangelnde Gewaltenteilung in der europäischen Politik. Dass andererseits die EU als potenzieller Gegenspieler zu den USA gesehen wird und vielfach zum Vorbild regionaler Zusammenschlüsse dient, greifen der Münsteraner Soziologe Reinhart Kößler und Hening Melber (Uppsala) auf. Sie untersuchen "Afrikanische Kooperation im Zeichen der Globalisierung" und kommen, wenig überraschend, zu ernüchternden Ergebnissen.

Dem Slogan vom globalen Denken und lokalen Handeln trägt das 3. Kapitel Rechnung, in dem drei Beiträge diesen Zusammenhang untersuchen. Mit Blick auf die USA zeigt Peter Marcuse (New York), wie der 11. September 2001 von politischen und ökonomischen Machteliten zur Machterweiterung genutzt wurde. Roger Keil und Neil Brenner entwerfen ebenso wie die Berliner Politikwissenschaftlerin Margit Meyer Szenarien von Städten als Orten sozialer Kämpfe, die zunehmend unter globalen Aspekten zu sehen seien.

Im vierten Kapitel wird realen und potenziellen Bewegungen gegen die Entpolitisierung nachgegangen. Sabine Lang (Washington) hofft auf das Internet "die ›Wild Card‹ globaler Öffentlichkeit." Das Internet berge ein großes Potenzial für die Kommunikation von Protest.

Ernsthafter dürfte die von Thomas Greven (Berlin) empirisch behandelte transnationale Gewerkschaftspolitik sein. Ausgehend von der Analyse der die Gewerkschaften in die Defensive treibenden Faktoren, setzt Greven auf transnationale Kampagnen als Lernorte für die gewerkschaftliche Basis.

Dass solche Lernstrategien nicht nur für Gewerkschaften, sondern für die gesamte Linke erforderlich seien, meint im abschließenden, das Thema nochmals umfassend theoretisch aufgreifenden Beitrag Ulrich Brand (Kassel).

Das Buch kann, wenngleich nicht allen Beiträgen uneingeschränkt gefolgt werden kann, allen globalisierungsinteressierten Leserinnen und Lesern mit Vorinformationen zum Thema empfohlen werden.

1 Gerechterweise muss gesagt werden, dass Rot-Grün mit der Armuts-und Reichtumsberichterstattung einer langjährigen Forderung aus der Sozialbewegung nachkam; dass insbesondere mit "Hartz IV" die Veramung Langzeitarbeitsloser verschärft wird, steht auf einem anderen Blatt

2 Der Rezensent erlaubt sich darauf hinzuweisen, dass der über die Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de) kostengünstig zu beziehende Schlussbericht der Enquete- Kommission eine wahre Fundgrube an Material zur Globalisierung bietet.

in: UTOPIE kreativ, H. 165/166 (Juli/August 2004), S. 756-757

 

aus dem Inhalt:

VorSatz, Essay GERHARD WAGNER: "Ich weiß, daß wir diesmal gewinnen". Hollywood, Casablanca und die Befreiung von Paris, Gesellschaft - Analyse & Alternativen MARIO CANDEIAS: Erziehung der Arbeitskräfte. Rekommodifizierung der Arbeit im neoliberalen Workfare-Staat, WOLFGANG WEISS Tragfähigkeit - ein Begriff der Regional-Demographie mit politischen Implikationen, Utopie & Wirklichkeit RICHARD SAAGE Wie zukunftsfähig ist der klassische Utopiebegriff?, JAN VOGELER, HEINRICH FINK Heinrich Vogeler und die Utopie vom neuen Menschen, Reine Lehren MICHAEL BRIE Welcher Marxismus und welche Politik? Uwe-Jens Heuers Buch "Marxismus und Politik" kritisch gelesen, WOLFRAM ADOLPHI Wohlfeile Keule und geistige Selbstverstümmelung. Zwei neue Bücher mit "linkem" Antiamerikanismus-Vorwurf, MAX BRYM Die serbischen Cetniks einst und jetzt, Wieder gelesen Wandlung und Wahrhaftigkeit. Franz Fühmann zum 20. Todestag, PDS - strategische Debatte DIETMAR WITTICH In welcher Gesellschaft leben wir?, THOMAS FALKNER Herausforderungen für sozialistische Politik, ELKE BREITENBACH, KATINA SCHUBERT Opposition und Regierung - Partei und Bewegung - Widersprüche? Überlegungen zur PDS-Strategiedebatte, FRIEDRICH W. SIXEL Die PDS und die Krise der heutigen Gesellschaft, Standorte ULI SCHÖLER Der unbekannte Paul Levi?, Festplatte WOLFGANG SABATH Die Wochen im Rückstau, Bücher & Zeitschriften Wolfgang Ruge: Berlin - Moskau - Sosswa. Stationen einer Emigration (HELMUT BOCK), Albert Scharenberg, Oliver Schmitke (Hrsg.): Das Ende der Politik? Globalisierung und der Strukturwandel des Politischen (FRIEDHELM WOLSKI-PRENGER), Massimiliano Andretta, Donatella della Porta, Lorenzo Mosca, Herbert Reiter: No Global - New Global. Identität und Strategien der Antiglobalisierungsbewegung (ARNDT HOPFMANN), Tanja Busse, Tobias Dürr (Hg.): Das neue Deutschland. Die Zukunft als Chance, (ULRICH BUSCH), Volker Perthes: Geheime Gärten. Die neue arabische Welt (HENNER FÜRTIG), Summaries