Klaus Steinitz: Chancen für eine alternative Entwicklung. Linke Wirtschaftspolitik heute

VSA-Verlag Hamburg 2005, 174 S. (14,80 EUR). "Im medialen Übergewicht neoliberaler Sachzwangapostel verdienen Stimmen besondere Aufmerksamkeit, die sich dem Mythos der Alternativlosigkeit verweigern.

Im medialen Übergewicht neoliberaler Sachzwangapostel verdienen Stimmen besondere Aufmerksamkeit, die sich dem Mythos der Alternativlosigkeit verweigern. Klaus Steinitz - seit Jahrzehnten mit ökonomischer Theorie und Praxis befaßt - meldet sich mit "Chancen für eine alternative Entwicklung" zu Wort. Die Aufgabe linker Wirtschaftspolitik heute sieht er so: Sie darf "nicht nur auf die Verteidigung bisheriger Errungenschaften fixiert sein", sondern muß die im 21. Jahrhundert veränderten welt- und volkswirtschaftlichen Bedingungen berücksichtigen, die Menschen über ökonomische Sachverhalte aufklären und alternative Entwicklungspfade konzipieren. Die sollen sich an folgenden Prinzipien orientieren: Soziale Gerechtigkeit, emanzipatorischer Anspruch, vorrangige Berücksichtigung der Interessen abhängig Beschäftigter und sozial Schwacher, demokratische Mitbestimmung, Zukunftsfähigkeit und internationale Solidarität (S. 98).

Klaus Steinitz wendet sich mit seiner Monographie einem Feld zu, das in den Politikangeboten der Linken bisher nicht seiner Bedeutung entsprechend vertreten war und auch immer noch Kontroversen hervorruft. Er knüpft dabei an Diskussionen an, die - von ihm maßgeblich mit getragen - in der Arbeitsgruppe "Alternative Wirtschaftspolitik" geführt werden. Für ihn steht - da ist ihm zuzustimmen - gegenwärtig die Ausarbeitung eines alternativen wirtschaftspolitischen Gesamtkonzepts nicht im Vordergrund. Zunächst gelte es, "noch beträchtliche Defizite bei der Ausarbeitung praxistauglicher Alternativkonzepte, die auf der Höhe der gegenwärtigen Herausforderungen stehen", zu überwinden (S. 29). Er wirbt dafür, deren Inhalt nach kürzeren sowie längerfristigen Zeiträumen und "für eine lange, nicht konkret bestimmbare Zeit" (S. 11) zu differenzieren, wirtschaftspolitische Projekte stets in wechselseitiger Verflechtung mit anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu konzipieren und ihrer soliden Finanzierbarkeit größere Beachtung zu schenken.

Im Buch dominieren Alternativen im Kapitalismus wie Arbeitszeitverkürzung, öffentlich geförderte Beschäftigung, bedarfsorientierte soziale Grundsicherung, Energiewende, Kurswechsel in Ostdeutschland. Manche Felder und Schwerpunkte alternativer Politik werden leider nur angerissen. Gern hätte man Ausführlicheres dazu gelesen, wie der Autor sich eine "Regulierung der Wirtschaft", eine "neue Verbindung von Markt und gesellschaftlicher Steuerung" oder die "Verringerung regionaler Disparitäten" vorstellt.

Alternativen zum Kapitalismus betreffend schreibt der Autor m. E. zu Recht: "Die Vorstellungen dürfen nicht den Charakter eines weitgehend fertigen Modells des Sozialismus und seiner Funktionsweise annehmen" (S. 128/129). Aber "je besser es durch Veränderungen im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis gelingt, schon heute Veränderungen im Sinne sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit, Demokratisierung der Wirtschaft und Selbstbestimmung sowie Zukunftsfähigkeit durchzusetzen, desto günstiger sind auch die Chancen, langfristig weitere, größere Schritte in Richtung einer Alternative zum Kapitalismus gehen zu können" (S. 126). Diese theoretisch richtige Aussage hätte durch ein paar praktische Beispiele untersetzt an Anschaulichkeit gewonnen. Das hätte unter anderem durch einen Hinweis darauf geschehen können, daß das Grundgesetz der Bundesrepublik nicht nur mit seinen Artikeln 14 und 15 ("Eigentum verpflichtet" und Vergesellschaftungsoption) für linke Wirtschaftspolitik durchaus einen originären Rahmen bietet, den es unter den aktuellen Umständen weit offensiver zu nutzen gilt.

Im Abschnitt "Theoretische Grundlagen" geht Steinitz der Frage nach, ob alternativen wirtschaftspolitischen Vorstellungen bestimmte Theorien zugrunde liegen oder ob sie nur aus praktischen Erfolgen und Erfordernissen abgeleitet sind. Seine Antwort: "Alternative Wirtschaftspolitik läßt sich nicht aus einem umfassenden Theoriensystem - etwa der Neoklassik vergleichbar - begründen, indem aus der abstrakten Konstruktion idealtypischer Wirtschaftszusammenhänge universell gültige wirtschaftspolitische Reformen abgeleitet werden. Alternative Wirtschaftspolitik ist in ihren theoretischen Grundlagen und Quellen pluralistisch " (S. 92). Die marxistische politische Ökonomie und der Linkskeynesianismus spielen jedoch im Vergleich zu anderen Theorien eine überragende Rolle.

Eine übersichtliche Zusammenfassung findet sich im Buch zu grundlegenden Unterschieden zwischen alternativer und neoliberaler Wirtschaftspolitik. Der Kern liegt dabei im unterschiedlichen Herangehen an das Spannungsverhältnis zwischen einzelwirtschaftlichen Interessen und gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen.

Vorliegendes Buch regt gerade angesichts des sich formierenden Linksbündnisses zum weiteren Nachdenken darüber an, inwieweit sich "links", "alternativ" und "sozialistisch" als Synonyme für die Kennzeichnung einer Wirtschaftspolitik jenseits vom neoliberalen Mainstream eignen.

in UTOPIE kreativ, H. 180 (Oktober 2005)