Deutsche Kommunisten

Rezension zu Hermann Weber, Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, 992 S. (49,90 EUR)    Kommunisten lebten gefährlic

Kommunisten lebten gefährlich, und ihr mörderischster Feind war: der Stalinismus. Es wäre verfehlt, das Buch von Hermann Weber und Andreas Herbst auf diese These zu reduzieren. Aber den Leser beschleicht genau dieser Eindruck: Der zum Stalinismus pervertierte Kommunismus war das politische System, das neben seinen Gegnern auch seine Anhänger gnadenlos unterdrückt hat und den Tod der einen ebenso billigend in Kauf nahm wie den Tod der anderen.

Weshalb wurde man dennoch zum Kommunisten? Das biographische Handbuch der deutschen Kommunisten, das die Biographien von 1400 dem Führungskorps der KPD angehörenden Kommunisten zwischen 1918 und 1945 darstellt (was für eine unerhörte Forschungs- und Fleißarbeit!), beantwortet diese Frage implizit. Denn bevor die Autoren sich den Einzelschicksalen auf über 800 Seiten zuwenden, nähern sie sich dem Phänomen der KPD aus historischer und statistischer Sicht. Kapitel 1) "Die KPD in der Weimarer Republik und im Widerstandskampf 1918-1945" schafft durch Darlegung der Entwicklung der KPD den Verstehenshorizont, vor dem dann die Biographien dargelegt werden. Die KPD unterlag in den untersuchten Jahren selbst häufigen Wechseln in Politik und Zusammensetzung, wodurch sich die enorm hohe Zahl an Funktionären (1400) allein in der Führungsschicht erklären lässt. Allein in ihrer frühen revolutionären Phase von 1919-1923 durchlebte sie mehrere Spaltungsszenarien. Genannt seien hier nur die Kommunistische Arbeiter Partei Deutschlands (KAPD 1920) und die kommunistische Arbeitsgemeinschaft (KAG 1921). Diese Prozesse werden von Weber und Herbst ausführlich beschrieben. Weitere Phasen der Entwicklung der KPD, die die Autoren eruieren, sind die KPD und Stabilisierung der Republik 1924-1929 und Die KPD in der Krise 1929-1933 sowie schließlich Widerstand gegen die NS-Diktatur. In den erstgenannten Zeitraum fällt die Stalinisierung der Partei. Doch auch in dieser Phase kam es zu erbitterten politischen Streits: "Bei jedem Kurswechsel kam es zu heftigen internen Kämpfen, aus denen jeweils der Apparat als Gewinner hervorging, aber gleichzeitig ein ständiger Austausch der Kader erfolgte." (S. 14) Die Krise der KPD spiegelt sich eben in der manifesten Stalinisierung und dem Beziehen ultralinker Positionen wider. Bekanntestes Beispiel: die Sozialfaschismusthese, mit der die SPD - und nicht etwa die erstarkende NSDAP - zum politischen Hauptfeind gemacht wurde. Mit folgender Konsequenz: "Der Machtantritt Hitlers 1933 war für die deutschen Kommunisten, insbesondere ihre Kader, ihr Führungskorps, eine Katastrophe. (Â…) Tausende ihrer Funktionäre und Mitglieder verloren von 1933 bis 1945 ihr Leben, sie wurden hingerichtet, in Konzentrationslagern umgebracht, angeblich ›auf der Flucht erschossen‹ oder in den Selbstmord getrieben." (S. 16) Der von den Kommunisten zu entrichtende Blutzoll war gewaltig, wer sich vor dem Hitlerregime retten konnte, kämpfte später in Spanien oder emigrierte in die Sowjetunion. Mit dem Ergebnis, dass "von den führenden politischen Emigranten (Â…) damals in der UdSSR über zwei Drittel eingesperrt und zumeist umgebracht worden (sind)." (S. 17) Das Ergebnis dieses Wahns ist ungeheuerlich. Dem Stalin-Terror fielen laut den Autoren 178 führende deutsche Kommunisten zum Opfer (zum Vergleich: der NS-Diktatur 222).

Im Anschluß an die historischen Ausführungen wird das Führungskorps der KPD im zweiten Kapitel genauer untersucht und hier explizit auf die unterschiedlichen Strömungen und ihre politischen Richtungskämpfe verwiesen (wobei eine Aufgliederung in die Rechten, die Mittelgruppe/Versöhnler, die Linken und die Ultralinken vorgenommen wird). Auch dieser Teil des Buches ist höchst lesenswert und informativ. Die einleitenden Kapitel 3 "Zum Typus des Parteiführers", 4 "Wer leitete die Partei? - das Polbüro" und 5 "Veränderungen des Führungskorps " ergänzen die historischen Betrachtungen mit vielen detailgetreuen, an den Biographien angelehnten Daten und Statistiken, sind somit von kaum zu überschätzendem Wert.

Der Karl Dietz Verlag Berlin hat mit dem biographischen Handbuch Deutscher Kommunisten ein nicht nur für Wissenschaftler interessantes Werk veröffentlicht. Diejenigen, die sich mit der Geschichte des deutschen Kommunismus auseinandersetzen wollen, werden anhand der unterschiedlichsten Biographien erkennen, wie eng diese Bewegung mit den Ereignissen des 20. Jahrhunderts verwoben war. Und mit welcher Radikalität und Brutalität das zurückliegende Jahrhundert gestaltet wurde.

Weshalb wurde man nun zum Kommunisten? Generelle Antworten auf diese Frage kann es nicht geben - und sie werden auch vom Handbuch nicht versucht. Doch gibt es 1 400 ganz persönliche.

in: UTOPIE kreativ, H. 182 (Dezember 2005), S. 1146 f.