Eventisierung im Buch

in (03.03.2013)

In der Soziologie werden Eventisierungen vor allem als neue „Identifizierungs- und Vergemeinschaftungsanlässe“ beschrieben, so etwa im Sammelband Urbane Events. Boxveranstaltungen, Chaostage, Flashmobs, Kulturhauptstädte, Loveparade, Stadtfeste, politische Proteste – die Palette von behandelten Events ist bunt und dementsprechend schwierig ist es offenbar, Kriterien für deren Bewertung oder gar Kritik aufzustellen. Während die HerausgeberInnen institutionelle Events etwa danach befragen, ob sie „glaubhaft inszeniert“ sind, bleibt die Frage nach Events als Vehikel emanzipatorischer Prozesse eher randständig. Zum Beispiel diskutiert Monika Salzbrunn, wie MigrantInnen sich über die Organisation urbaner Events (in Paris und New York) den sozialen Raum aneignen, aber auch von ihm angeeignet werden („es gibt wechselseitige Verankerungsprozesse“). Besonders schwach allerdings fällt der Aufsatz zu Eventisierung politischer Proteste aus. In einem neunseitigen Rundumschlag wird – ohne die relevante Fachliteratur geschweige denn bewegungsinterne Debatten überhaupt zu streifen – heutiger Protest als „Form der Selbstverwirklichung“ (Stephan Wehowsky) herunterinterpretiert. Auch Oliver Marchart nimmt in seinem Buch über die Biennalisierung im Kunstfeld deren Beitrag zur „Konstruktion lokaler, nationaler und kontinentaler Identität“ durchaus wahr, unterzieht sie dann aber einer zugleich genauen und theoretisch anspruchsvollen Kritik. Die politischen Verschiebungen, die mit den Kunstevents der letzten Jahrzehnte einhergingen betreffen, so Marchart, weit mehr als das kulturelle Feld selbst. Denn in dessen Institutionen „reproduziert sich die (bürgerliche) hegemoniale Formation jeweils als Ganze.“ Politisch eher unbestimmt bleibt dagegen die Geschichte der Biennalen von Sabine B. Vogel. Kenntnisreich und informativ zeichnet sie Kontexte des Biennale-Formats und die Diskussionen darum nach. Biennalen werden – sowohl in ihrer nationalstaatsgebunden-modernen, als auch in der identitätskritisch-postmodernen Form – eindeutig als politisches „Werkzeug“ für staatspolitische Imagefragen ausgewiesen, zugleich aber auch als „Plattform für Globalkunst“ gelobt und als rhizomatisch gefeiert („denn Biennalen unterliegen keinerlei Regeln“).
Im Jahrbuch Stadterneuerung weisen Uwe Altrock und Dirk Schubert bezogen auf Stadtpolitiken zumindest darauf hin, dass durch Eventisierung „andere Probleme [...] nachrangig und ausgeblendet“ werden. Stadtevents werden dabei weniger theoretisch und/oder politisch eingeschätzt, als auf ihre Relevanz für Stadtentwicklung hin analysiert: Karneval in Köln, Happenings in New Orleans, UNESCO-Kulturerbestatus in Stralsund und Wismar, Festivalisierung in Belfast. Eher verdeckt denn bearbeitet, heißt es für das letztgenannte Beispiel, werden durch die Events die „tiefer liegenden gesellschaftlichen Probleme“. Um die geht es ganz grundsätzlich auch bei Thomas Seibert. In den gleichsam dicht und didaktisch verfassten Siebenundzwanzig Thesen zum Kommunismus werden die Subjekte der Befreiung durch einen „Prozess ohne Subjekte“ ersetzt und alles geht von den Kämpfen aus. In begrifflicher Anlehnung an Louis Althusser vertritt Seibert einen „aleatorischen Materialismus“ (von Lat. alea = Würfel), der auf Wagnis und Zufall statt Determinismen setzt. Das Ereignis, von dem Seibert titelgebend spricht, ist gerade „kein Event, keine Begebenheit in der Welt, sondern der stets im Kommen begriffene und immer schon entschwundene Bruch“.


Uwe Altrock, Ronald Kunze, Gisela Schmitt, Dirk Schubert (Hg.): Jahrbuch Stadterneuerung 2011: Schwerpunkt „Stadterneuerung und Festivalisierung“. Beiträge aus Lehre und Forschung an deutschsprachigen Hochschulen. Berlin 2011 (Verlag Technische Uni Berlin).

Gregor Betz/ Ronald Hitzler/ Michaela Pfadenhauer (Hg.): Urbane Events. Erlebniswelten. Wiesbaden 2011 (VS Verlag für Sozialwissenschaften).

Oliver Marchart: Hegemonie im Kunstfeld. Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung. Berlin/ Köln 2008 (Neuer Berliner Kunstverein/ Verlag der Buchhandlung Walther König).

Thomas Seibert: Krise und Ereignis. Siebenundzwanzig Thesen zum Kommunismus. Hamburg 2009 (VSA Verlag).

Sabine B. Vogel: Biennalen – Kunst im Weltformat. Wien New York 2010 (Springer Verlag).


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Winter 2012, „Eventisierung“.