Punk im Buch

in (17.02.2017)

Die Anfänge des Punk in den USA waren von Leuten geprägt, die noch richtig rumgammeln und rotzig reden konnten. Es ging vor allem darum, wer mit wem gesoffen, geschlafen und/ oder Musik gemacht hat. Den Eindruck jedenfalls vermittelt der von McNeal und McCain herausgegebene Gesprächsband mit Beteiligten. Diese Oral History bringt lustige Sätze hervor („Godard? Wer interessiert sich schon für Godard? Wir wollen was über Blondie wissen!“ Duncan Hannah) und ermöglicht Einblicke in eine sich in ihren Rock’n’Roll-Mythen suhlende Szene. Ständig „war alles mit Trommeln unterlegt.“ (Ed Sanders). Aber Punk war immerhin Anti-Dekadenz, beim „Punk ging es um Vernichtung“ (Legs McNeil). Vielleicht noch um Dichtung. Aber bloß keine Politik! „Ich bin nicht so eine Frauenbefreiungstante“ (Patti Smith). Ach, und „Ich dachte immer, ein Punk wäre jemand, der sich in den Arsch ficken lässt.“ (William Burroughs). Hm. Ganz anders der Anarcho-Punk. In The Aesthetic of Our Anger wird diese Strömung im Großbritannien der 1970er und 80er Jahre nicht nur in „a wider context of counter-culture“ gestellt. Anarcho-Punk wird als Antwort auf den Thatcherismus gedeutet und zugleich als Auslöser für ein allgemeines Anarchismus-Revival gesehen. Dem expliziten Auftauchen des Feminismus in der Subkultur wird ebenso nachgegangen wie der Bedeutung alternativer Publikationsformen. Bloß der lokal beschränkten Fokus ließe sich dem Band vorwerfen, aber da sagen die Herausgeber selbst, „the globalization of anarcho-punk is a subject that also needs further investigation“. Maria Katharina Wiedlack sieht Punk durch „negativity and anti-social politics“ definiert. Auch sie knüpft in ihrer Geschichte des queer-feministischen Punk an die subkulturellen Dimensionen an, an die Entwicklung neuer Handlungsfähigkeit und die bewusste Abgrenzung von dominanten Lebensstilen. Das zielt auf die Ebene zwischen dem unreflektierten Abfeiern von Ereignissen auf der einen und der akademischen Klassifizierung auf der anderen Seite. Queer feministische Gegenkulturen, argumentiert sie, hätten ein größeres Potenzial für radikalen Widerstand als das akademische Feld jemals haben könne. Warum und inwiefern die Riot Grrrl-Bewegung so entscheidenden Einfluss auf „Plattensammlungen und politische Sozialisation“ (Peglow/ Engelmann) ausgeübt hat, zeichnet der Riot Grrrl-Reader in vielen Facetten nach. Einen Beitrag zur Subkulturforschung leistet auch Marion Schulze mit ihrer ethnografischen Studie zu Hardcore & Gender. Ausgehend von Hardcore als „kollektive Aktivität“ geht sie solchen Praktiken vor und hinter den Bühnen nach, fragt nach Konventionen und wie sie gebrochen werden können. Ihre sehr nah an den AkteurInnen orientierte Arbeit beansprucht auch, den wertenden „Blick einer kritischen Soziologie abzulegen“. Es ist allerdings die Frage, ob das fürs richtige Zuhören notwendig ist. Ach so, und wer wissen will, wie Punk in den deutschsprachigen Raum gekommen ist – nämlich als Haufen von Platten im Kofferraum von Alfred Hilsberg, aus London angeschleppt und dann im Friseursalon und beim Schlüsseldienst um die Ecke verkauft, weil kein Plattenladen sich dafür interessiert hat – muss unbedingt Christoph Meuelers schöne Sozio-Biographie des einflussreichen Labelbetreibers lesen.

Dieser Artikel erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 41, Winter 2016/17, „Punk!“.

Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien.


Mike Dines und Matthew Worley (Hg.): The Aesthetic of Our Anger. Anarcho-Punk, Politics and Music. Colchester/ New York/ port Watson 2016 (Minor Compositions) http://www.minorcompositions.info/?p=791

Christoph Meueler: Das ZickZack-Prinzip. Alfred Hilsberg – Ein Leben für den Underground. München 2016 (Heyne Verlag).

Legs McNeil und Gilian McCain (Hg.): Please Kill Me. Die unzensierte Geschichte des Punk. Höfen 2014 (Hannibal Verlag).

Katja Peglow / Jonas Engelmann (Hg.): Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung. Mainz 2013, 2. Aufl. (Ventil Verlag).

Marion Schulze: Hardcore & Gender. Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur. Bielefeld 2015 (transcript Verlag).

Maria Katharina Wiedlack: Queer Feminist Punk. A Anti-Social History. Wien 2015 (Zaglossus Verlag).