Ein Rückblick

Ein kurzer Kommentar zum Krieg im Kosovo

in (06.04.2000)

78 Tage dauerten die Bombenangriffe der übermächtigen NATO auf Serbien. Das Ausmaß der Zerstörung kann nur geschätzt werden, die Zahl der Toten ebenso.

Krieg in Europa - das wollte eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg niemand mehr und nun kam es doch ganz anders. Wo liegen die Motive? Welche Interessen und Ziele verfolgte die NATO eigentlich mit diesem Krieg?

Wenn wir nach dem Ende der NATO-Bombardements im Kosovokrieg zurückschauen und fragen, ob dieses militärische Unternehmen erfolgreich war, dann ist es sinnvoll, sich noch einmal vor Augen zu halten, welches Ziel die NATO sich selbst vor dem Angriff gesetzt hat und ob sie dies erreicht hat.
Offiziell hieß es, die NATO agiere aus Humanität, im Namen der Menschenrechte, um die furchtbaren Massenvertreibungen zu stoppen. Das Gegenteil ist jedoch eingetreten. Nicht genug, daß der Flüchtlingsstrom aus dem Kosovo im Laufe der NATO-Bombadierung ständig anstieg, sondern nach dem Ende der Angriffe wurden auch die serbischen Flüchtlingskolonen bewußt hingenommen, wenn nicht sogar provoziert, indem die UÇK sich weitgehende Befugnisse im Kosovo nehmen konnte. Von einem Ende der Verteibung konnte und kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Die nun auftretenen Probleme im besetzten Kosovo zeigen deutlicher als je zuvor, daß die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen weiterkochen.
Dennoch tritt die NATO als Siegerin auf. Wenn sie aber ihr offizielles Ziel nicht erreicht hat und dennoch triumphiert, dann liegt es nahe zu vermuten, daß sie andere, offiziell nicht bekanntgegebene Ziele hatte und diese auch erreichte. Erfolg also auf anderen Ebenen.
Warum also interessiert sich die NATO und hier ganz besonders die USA für dieses kleine Fleckchen in Südosteuropa? Es gibt hier keine Rohstoffe, keine wirtschaftlich interessanten Strukturen, keine militärisch-strategisch wichtigen Bereiche.

Drei Gedanken möchte ich hier kurz anführen (wenngleich es sicherlich noch weitere Aspekte gibt):

1. Nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Länder in Mittel- und Osteuropa fehlt der NATO ihr eigentlicher Gegner. Sie hatte ihre Aufgabe im Schutz der westlichen kapitalistischen Staaten vor dem (real-)sozialistischen Ostblock. Nach 1989 verlor sie diese Aufgabe und damit ihre eigentliche Legitimation. Da die NATO inzwischen aber über eine beachtliche Macht verfügte und die Mitgliedsstaaten diese auch nicht preisgeben wollten, mußten sie sich eine neue Aufgabe und Daseinsberechtigung schaffen. Dies im Namen der Moral zu tun, war dabei ein geschickter Schachzug, denn ein Kampf im Namen der Moral endet nie. Da kam der Kosovokonflikt gar nicht so ungünstig. Wahrscheinlich begrüßte die US-amerikanische Führung die Möglichkeit, gerade in Europa einzugreifen, da hier die übrigen NATO-Staaten bereit waren, einen Krieg zu unterstützen. Im Fall von z.B. Nigeria, Sierra Leone oder einem der zahlreichen anderen Staaten, in denen Mord und Vertreibung nach wie vor an der Tagesordnung sind, wäre die Entscheidung wahrscheinlich sehr viel schwieriger durchzusetzen. Im Falle Ost-Timors hält die NATO sich ja auch mehr als deutlich zurück. Im Fall des Kosovos nutze der Nordatlantische Bund also die einmalige Gelegenheit sich als Weltpolizist und Behüter der abendländischen Moralvorstellung zu präsentieren und sich auf diese Weise eine neue Existenz-Legitimation zu verschaffen.

2. Die Rüstungsindustrie insbesondere der USA fuhr ordentliche Gewinne durch den Krieg ein. Die Verteidigungsminister erhielten durch ihren von der UN nicht legitimierten Angriffskrieg (interessantes Wortpaar übrigens: Verteidigungsminister und Angriffskrieg) die Möglichkeit ihre Waffensysteme rundherum zu testen und haben nun ein Argument, mit dem sie den Militäretat vergrößern können, während die Regierungen andererseits die Sozialausgaben weiter kürzen. Außerdem bereiteten sich schon während des Krieges amerikanische und westeuropäische Firmen auf den "Wiederaufbau" des Kosovos vor. Insbesondere die Bau- und Investitionsgüterindustrie wird hier einen neuen Absatzmarkt finden.

3. Trotz der nun stufenweise folgenden Einführung des EURO fehlt es der Europäischen Union an einem gemeinsamen europäischen Gefühl, an einer europäischen Identität. Erfahrungsgemäß schweißt ein Krieg jedoch zusammen. Der gemeinsame Feind auf der anderen Seite (hier: die Serben) läßt zusammenrücken. Ein Krieg in Europa berührt die Europäer weitaus mehr als alle Kriege in Asien oder Afrika, so daß hier auf einmal eine gemeinsame Betroffenheit spürbar wurde. Den Europa-BefürworterInnen kam der Konflikt also auch ganz gelegen, denn nun war auf einmal auch eine politische gemeinsame Aufgabe da, nicht nur eine wirtschaftliche. Da aber das Militärpotential der EU-Staaten für einen schnellen und effektiven Angriff im Kosovo nur unzureichend war, waren sie auf die USA angewiesen, die dann auch den Großteil des Personals und der Waffen stellten. Daraufhin wurde der Ruf laut, es müsse auch ohne Amerika gehen. Jetzt erhalten die Befürworter einer europäischen Aufrüstung neuen Aufwind. GASP, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ist wieder auf der Tagesordnung der EU nach ganz vorne gerückt, obwohl die größte Sorge der europäischen Bevölkerung nach wie vor die Arbeitslosigkeit ist.
Von den USA sind wir es schon gewöhnt, daß Kriege genutzt werden, um von innenpolitischen Problemen abzulenken, in Europa war dies nach dem Zweiten Weltkrieg bisher tabu. Sollte sich dies nun ändern?

Offen bleibt, was aus dem Kosovokrieg für kommende Auseinandersetzungen folgt.
Wird Krieg nun wieder ein legitimes Mittel der Politik? Müssen wir nun öfter damit rechnen, daß die NATO als Weltmoralist auftritt? Wo werden sie als nächstes ohne UN-Mandat eingreifen? Einen klaren Maßstab, ein Kriterium wann und wo die NATO warum auch immer künftig militärisch eingreifen wird, gibt es nicht. Eine gewisse Beliebigkeit macht sich breit, die ausschließlich durch die Interessen der starken NATO-Staaten, v.a. der USA, gelenkt wird. Mit Demokratie und Gleichberechtigung der Staaten hat das nichts mehr zu tun, mit einer friedlichen Zusammenarbeit der Vereinten Nationen schon gar nicht.