Möglichkeiten und Grenzen von NGOs bei der Prävention und Bearbeitung gewaltförmiger Konflikte

Unschätzbare oder überschätzte Akteure?

Gewissermaßen als Kontrapunkt zu den optimistischen und mitunter auch schon einmal euphorischen Zuschreibungen an Entwicklungschancen und Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure

bei der Vorbeugung und Bearbeitung gewaltförmiger Konflikte erschien in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine Reihe von Studien und Veröffentlichungen mit einem eher nachdenklichen oder sogar ausgesprochen kritischen Tenor. Dies geschah in etwa zeitgleich mit der Wende hin zu mehr Nachdenklichkeit und differenzierteren Urteilen auch in anderen Bereichen der NGO-Forschung. Nun war nicht mehr überschwenglich von einem "global shift" die Rede, von der weltweiten Machtverschiebung, die angeblich von den Staaten weg hin zu den Nichtregierungsorganisationen zu beobachten sei (Mathews 1997).

Den neuen sozialen Bewegungen
nahestehende Aktivisten, die an den Aufstieg
zivilgesellschaftlicher Akteure die Hoffnung auf
einer durchschlagskräftigen emanzipatorischer
Politik geknüpft hatten, zeigten sich enttäuscht
und machten ihrem Frust mit bissigen
Abrechnungen Luft (1). In den
Sozialwissenschaften kehrte mit der
systematischen Erforschung des Phänomens
"Nichtregierungsorganisation" eine nüchternere
Betrachtung ein (vgl. z.B. Weiss/Gordenker 1996;
Altvater et al. 1997; Brand 2000).

Auch auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit
und der Konfliktbearbeitung die Möglichkeiten und
Grenzen von NGOs bei der Prävention und Bearbeitung
gewaltförmiger Konflikte. An Hand konkreter Seine
Bilanz nach Untersuchung verschiedener
Interventionsfelder: gibt es inzwischen einige Beispiele
für eine tiefer lotende Analyse des NGO-Handelns
(Anderson 1999; Sorbo/Macrae/Wohlgemuth 1997).
Insbesondere die Studie von Mary Anderson über die
friedenspolitischen Implikationen der
Entwicklungszusammenarbeit setzt Maßstäbe. Sie bleibt
nicht bei der Aufrechnung von Defiziten stehen. Nach
einer detaillierten Untersuchung nicht-intendierter Folge-
und Nebenwirkungen zivilgesellschaftlicher
Entwicklungszusammenarbeit zeigt sie vielmehr an
mehreren Fallbeispielen auf, welche Wege es gibt,
Fehler zu vermeiden und untaugliche Konzepte zu
korrigieren. Sie widersteht - im Unterschied zu manch
anderen - der Versuchung, das Kind mit dem Bade
auszuschütten und weist den Weg zu einer
angemesseneren Dosierung und Qualifizierung des
zivilgesellschaftlichen Engagements in der Friedens- und
Entwicklungszusammenarbeit.

Anders Mark Duffield; er ist auf Provokation aus.
Nachdem der Entwicklungshilfe- und NGO-Experte aus
Birmingham 1997 vom norwegischen Chr. Michelsen
Institut im Rahmen der Evaluierung von International
Alert um eine Zuarbeit zu Fragen der Evaluierung von
NGO-Handeln bei der Konfliktregulierung gebeten
worden war, zerbrach er sich nicht so sehr den Kopf
über Evaluierungsmodelle. Statt dessen nutzte er die
Gelegenheit, um einige grundsätzlichere und streitbare
Thesen zu den Prämissen, zum konzeptionellen
Selbstverständnis und zur Reichweite der Friedens- und
Konfliktarbeit von NGOs zu formulieren (Duffield 1997).
Die durchaus bedenkenswerten Überlegungen fielen so
kritisch aus, dass Duffield von einigen Seiten
"NGO-bashing" vorgeworfen wurde. In jedem Fall
brachten seine Überlegungen jedoch eine produktive
Diskussion innerhalb der auf Konfliktprävention und
-bearbeitung spezialisierten NGO-Forschung in Gang.
Dies ist Grund genug, seine Argumente noch einmal
Revue passieren zu lassen, um sie dann in einem zweiten
Schritt an konkreten Beispielen des Engagements von
NGOs in gewaltförmigen Konflikten zu überprüfen und
schließlich in einer resümierenden Bilanz noch einmal zu
diskutieren.

Die Kritik: Sind NGOs Agenturen neoliberaler
Strukturanpassung?

Mark Duffield sieht einen engen Zusammenhang
zwischen dem entwicklungspolitischen
Paradigmenwechsel hin zum "human development" und
dem rapiden Bedeutungsgewinn der Konfliktprävention
und -bearbeitung in den Ländern des Südens und des
Ostens. Die Friedens- und Konfliktarbeit, in die immer
mehr auch NGOs involviert sind, charakterisiert er als
von NGOs ist eine "extreme Form" dieses
neoliberalenneo-liberalen "human
development"-Paradigmas. Analog zur
Entwicklungspolitik, die nicht mehr vornehmlich darauf
gerichtet seiist, Ungleichheiten durch Umverteilung,
Präferenzmechanismen, Infrastrukturverbesserungen
und Veränderungen der Weltmarktstrukturen
auszugleichen, zielet sie lediglich darauf ab, den
betroffenen Bevölkerungen dabei zu helfen, sich an die
veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
"anzupassen". Ihrem Anspruch nach seiist Friedens-
und Konfliktarbeit soziales Engineering in großem
Maßstabauf großer Stufenleiter., wobei Dabei werde
allerdings weitgehend ignoriert, daß die Beeinflussbarkeit
komplexer sozialer Prozesse bzw. ganzer Gesellschaften
in den Sozialwissenschaften nach wie vor umstritten ist.
(2) Daß durch das Training einzelner Gruppen
gesellschaftliche Instabilität und tief verwurzelte
Feindseligkeit gemildert werden könne, sei für viele
Praktiker in der Konfliktbearbeitung ist dies eher "ein
Glaubensakt als eine bewiesene Gewissheit"
(Duffield 1997: 81).

Duffields Argumentation läuft also auf die Behauptung
hinaus, dass zivilgesellschaftliche Akteure in der
Entwicklungszusammenarbeit und Konfliktbearbeitung
entgegen ihrem Selbstverständnis keine Gegenkraft zum
neoliberalen Mainstream bilden und in vielerlei Hinsicht
und nicht selten an exponierter Stelle zur Umsetzung der
westlichen Hegemonie beitragen. Das wird durch eine
Auswahl wichtiger Kritikpunkte belegt, die im Folgenden
in sechs Thesen zusammengefaßt sind:

1. Der Rückzug des Staates aus der
Entwicklungszusammenarbeit und Konfliktbearbeitung,
von dem NGOs in besonderer Weise profitieren, birgt
erhebliche Risiken. Die Beauftragung von NGOs ist
"der billigste Weg für Geldgeber, den Anschein
globaler Interdependenz aufrechtzuerhalten" (vgl.:
99). Mit der Umwandlung der Konfliktbearbeitung in ein
"kommerzielles Produkt" entsteht zugleich die Gefahr,
dass sich NGOs im Kampf um Marktanteile zunehmend
marktkonform verhalten, weil "die Hilfsindustrie das
öffentliche Eingeständnis von Misserfolg oder
Selbstzweifel nicht honoriert" (ebd.). In dem Maße,
wie Konfliktbearbeitung zu einer "Wachstumsindustrie"
wird, erhöht sich die Abhängigkeit der
zivilgesellschaftlichen Akteure von den Geldgebern und
die Konkurrenz um die knappen Mittel.

2. Im Gefolge des neoliberalen Perspektivwechsels wird
die Schuld für EUnterentwicklungs- und
InsStabilitätsprobleme hauptsächlich auf das interne
Versagen der betroffenen Länder des Südens bzw.
Ostens zurückgeführt (ebd.: 83). Nach dem Niedergang
der alternativen politischen Projekte
(Dritte-Welt-Ideologie und Sozialismus) bildet das
hegemoniale liberaldemokratische Modell des westlichen
Kapitalismus die Orientierung für die innere
Stabilisierung und Transformation. Beinahe zwangsläufig
wird davon das Recht auf Einmischung in innere Krisen
für den Fall abgeleitet, dass negative Folgen für andere
Staaten, die internationale Sicherheit und die (interne)
Menschenrechtslage eintreten. "Gegenwärtig ist die
Fähigkeit des Westens, interne politische Prozesse in
Krisenregionen unmittelbar zu verändern, größer als
zu jeder Zeit seit der kolonialen Periode" (ebd.: 98).
Diese Einflussnahme wäre ohne den Beitrag von NGOs
nicht möglich.

3. Die der Konfliktbearbeitung zugrundeliegende
"Mono-Theorie" des Aufbaus einer "pluralistischen
Zivilgesellschaft" ist das politische Äquivalent und die
Ergänzung der (neoliberalen) Strukturanpassung. Die
undifferenzierte Förderung der Zivilgesellschaften
ignoriert nicht nur weitgehend die konkreten
Bedingungen, Institutionen und die Geschichte im
jeweiligen Krisengebiet, sondern geht vor allem zu
Lasten der unverzichtbaren stabilisierenden Rolle der
Staaten. In unzulässiger Weise verkürzt wird unter
Zivilgesellschaft die Gesamtheit der NGOs, speziell der
lokalen NGOs, verstanden (ebd.: 85/86). Ebenso Wwie
der Demokratisierung, wird der (nationalen und
transnationalen) Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle bei
der Konfliktregelung zugewiesen. Zivilgesellschaftliche
Kräfte werden als stabilisierende Kraft, als Quelle
innererder Stabilität und Sicherheit angesehen. Damit
wandelt sich der Begriff der "internationalen Sicherheit"
von einer zwischenstaatlichen zu einer innerstaatlichen
Angelegenheit.

4. Von den in der Konfliktbearbeitung engagierten
NGOs wird in paternalistischer Weise das westliche
Modell transportiert. Auf der Grundlage eines
sozio-psychologischen Konfliktmodells wird die Ursache
für Konflikte primär in Meinungsverschiedenheiten und
im Zusammenbruch von Kommunikation zwischen
Individuen und Gruppen gesehen; Konflikte erscheinen
als etwas Irrationales. Politische Gewalt wird als ein
relativ begrenztes, lokalisierbares und mithin
behandelbares Phänomen wahrgenommen.
Sozio-psychologische Konfliktmodelle lassen sich von
der Prämisse leiten, dass der natürliche Zustand der
Welt in einer "funktionalen Harmonie" besteht, d.h. in
"einer optimalen Balance von Ressourcen und
Macht zwischen konkurrierenden Gruppen" (ebd.:
90/91). Ziel der aus der Wirtschaft abgeleiteten
Konzepte ist die Herstellung von Konformität und
Einverständnis. Der zutreffende Begriff für diese Art
der Konfliktarbeit ist nicht Training, sondern
Indoktrination (ebd.: 97).

5. In innerstaatlichen Konflikten engagierte
zivilgesellschaftliche Organisationen stehen immer in der
Gefahr, in interne Prozesse sozialen und politischen
Wandels einzugreifen. Deshalb bedarf es eines
"ethischen und politischen Rahmens, der es erlaubt,
zwischen gerechten und ungerechten Forderungen"
von Konfliktparteien zu unterscheiden. Wenn der
Eingriff nicht nur auf die Eindämmung grober Gewalt,
sondern auf die Vorbeugung einer Krise zielt, ist es
kaum möglich, zwischen akzeptablem und inakzeptablem
Wandel zu unterscheiden. Ohne einen klaren ethischen
und politischen Rahmen kann Konfliktbearbeitung
ungewollt dazu beitragen, dringliche soziale
Veränderungen zu blockieren; sie würde dann reaktionär
(ebd.: 98). Das Eingeständnis, dass nicht "jeder"
Konflikt "jederzeit" reguliert werden kann und muss,
würde zwangsläufig die Aufgabe des
sozio-psychologischen KonfliktmModells nach sie
ziehen.

6. Die wirksame Bearbeitung von Konflikten setzt ein
vertieftes Verständnis für deren Ursachen voraus.
Gewaltförmige Konflikte sind weder irrational, noch
lassen sie sich mechanisch allein auf Mangelsituationen
(Unterentwicklung und unzureichend Demokratie)
zurückführen. Innerstaatliche Krieg sind vielmehr
Ausdruck der Herausbildung "wesentlich neuer Typen
sozialer Formation, die an das Überleben an der
Grenze der globalen Ökonomie angepasst sind"
(ebd.: 100). In den Händen der Eliten sind z.B.
Parallelökonomien ein Mittel, den Mangel zu
kontrollieren und zu managen (ebd. 103). Die wichtigste
Ressourcenbasis ist dabei die Zivilbevölkerung, "die
entweder in speziellen Gebieten eingesperrt,
ausgeplündert oder gesäubert wird" (S. 103). Diese
Einschätzung hat mindestens zwei Konsequenzen: Zum
einen muss jede Konfliktintervention die gesamte
gesellschaftliche Konstellation in den Blick nehmen.
Zum anderen sind nicht alle in einen Krieg iInvolvierten
Gruppen und Individuen Opfer; Gewinner und Verlierer,
Opfer und TäterVerbrecher lassen sich wohl
unterscheiden.

Duffield entfaltet ein ganzes Forschungsprogramm. Auf
alle Fragen lässt sich im Rahmen dieses kurzen
Aufsatzes gar nicht eingehen. Auch die dem Autor
zugänglichen Einzelstudien decken längst nicht die ganze
Breite der angesprochenen Themen ab. Es kann nur ein
erster Versuch gemacht werden. Dieser wird sich
sowohl auf ausgewählte empirische Untersuchungen
stützen als auch eine bereits vorliegende
Auseinandersetzung mit Duffields Thesen zu Rate
ziehen (vgl. Ropers 1998). Doch zunächst zur Empirie.

Die Probe aufs Exempel: Das Engagement von
International Alert in Sierra Leone und Burundi.

Es liegt nahe, die kritischen Einwände und Erwägungen
an denkonkreten Fällen konkreten zivilgesellschaftlichen
Engagements in Krisensituationen zu überprüfen.,Dies
soll im folgenden an den im die in demo.g. Gutachten des
Chr. Michelsen Instituts über International Alert (IA)
dargestellen und analysierten Beispielen
geschehendargestellt und analysiert wurden, für das
Mark Duffield seine kritischen Thesen verfasst hat.
Darin werden iIn drei Fallstudien wurden das Konzept
und die Praxis der IA-Intervention in Sri Lanka, Burundi
und Sierra Leone untersucht. Interessanterweise haben
es die Gutachter ihrerseits unterlassen, die allgemeineren
Überlegungen von Duffield mit ihren konkreten
Befunden aus den Krisengebieten zu konfrontieren. Für
unsere Zwecke sind die Einschätzungen zu den
Interventionen von International Alert in Sierra Leone
und Burundi besonders aussagekräftig, wobei erstere
eher für eine kritikwürdige Aktion und letztere für einen
Erfolg steht.

Als International Alert 1995 seine Tätigkeit in Sierra
Leone aufnahm, legte die Organisation dafür vier Ziele
fest: Förderung von Friedensverhandlungen,
Unterstützung einer nationalen Friedensallianz, Aufbau
einer internationalen Unterstützungsgruppe sowie Hilfe
beim Wiederaufbau nach der Beendigung des Konflikts.
Als Methode wurde in dem Konzeptpapier ausdrücklich
ein multi-track-Ansatz ausgewiesen (ebd.: 57). Dies
klingt nach einem schlüssigen Konzept. Doch tat sich
mehr und mehr ein Kluft zwischen den ursprünglichen
Zielen und dem praktischen Vorgehen auf.

Die Aktivisten von International Alert konzentrierten
sich zunächst darauf, Voraussetzungen für das
Zustandekommen von Verhandlungen zwischen der
Rebellenbewegung Revolutionary United Front (RUF)
und der Regierung zu schaffen. Zu diesem Zweck
gingen sie im wahrsten Sinne des Wortes in den
Dschungel, um die Kämpfer und Führer der RUF
aufzuspüren. Mit dem Ziel, die Unausgewogenheit
zwischen den Konfliktparteien in bezug auf Status,
Kontakte und Handlungsfähigkeit auszugleichen,
bemühte sie sich um die Anbahnung der Kommunikation
zwischen der Rebellenbewegung einerseits und der
Regierung, internationalen Organisationen und anderen
NGOs andererseits. Dabei unterliefen der Organisation
jedoch zahlreiche Fehler, die ihr dann auch von den
Gutachtern angekreidet wurden. (3)

Durch die Evaluatoren wird damit in diesem konkreten
Fall ein nicht unbeträchtlicher Teil der Kritikpunkte
Duffields bestätigt. Besonders wurde von ihnen
beanstandet, dass sich International Alert in den Konflikt
eingeschaltet hat, ohne ausreichend mit den Ursachen,
der Dynamik und den Akteuren des Konflikts vertraut
gewesen zu sein. Wie im Gutachten angemerkt wurde,
hat IA zu keiner Zeit ein substantielles Dokument
vorgelegt, in dem der Krieg explizit analysiert wird (ebd.:
195). Mehr noch: IA setzte sich über die abweichenden
Bewertungen anderer Akteure hinweg, die einer
Aufwertung der RUF ausgesprochen kritisch
gegenüberstanden. Die Haltung von IA gegenüber der
RUF wurde zunehmend als parteilich wahrgenommen.
Die Kommunikation mit anderen Organisationen wurde
vernachlässigt und das Gebot der Transparenz und
Selbstreflexivität weitgehend aufgegeben. So hat IA
andere Organisationen nicht über den Inhalt der
Gespräche mit der RUF informiert. All das sind
Anzeichen dafür, dass der anfänglich proklamierte
multi-track-Ansatz fast völlig durch die einseitige
Unterstützung hochrangiger Verhandlungen zwischen
Rebellen und Regierung verdrängt wurde.

In ihrem Streben nach einem Erfolg setzten sich die
IA-Verantwortlichen über "Schwierigkeiten und
potentiellen Dilemmata" hinweg, die sich aus
Verhandlungen mit "einer Bewegung ergeben können,
der es im Land an Unterstützung fehlte und die sich
erheblicher Menschenrechtsverletzungen schuldig
gemacht hatte" (ebd.: 196). Sie ließen sich von der
Einschätzung leiten, dass die Ursache des Konflikts in
einem fundamentalen Mangel an Kommunikation
zwischen beiden Parteien zu suchen sei. Die
IA-Strategen übersahen die "starken Interessen auf
beiden Seiten", die für eine Fortsetzung des Konfliktes
sprachen. Gerade in Sierra Leone war die "Kontrolle
wertvoller Exportressourcen und von Beutegut ein
Hauptfaktor für den Kriegsverlauf" (ebd.). Doch am
schwersten wiegt wohl, dass IA mit seiner Intervention
nicht nur die Verhinderung von Gewalt und den Schutz
der Zivilbevölkerung im Auge hatte, sondern durch die
Aufwertung der RUF zu einer legitimen Bewegung
erheblichen Einfluss auf den Verlauf des Konflikt selbst
genommen hat (ebd.: 197).

Dass ein und dieselbe Organisation ganz
unterschiedliche Vorgehensweisen wählen kann, zeigt
das Beispiel des erfolgreichen Engagements von
International Alert in Burundi. Hier scheint kein einziger
der Beobachtungen und Vorwürfe Duffields zuzutreffen.
Viel hängt offenbar von den Verantwortlichen vor Ort
und deren Einstellung ab. Das aus nur drei Personen
bestehende Team, das seit 1995 in Burundi präsent ist,
setzte von Anfang an auf Abstimmung und Kooperation.
Wichtigster Ansprechpartner war der Sondervertreter
des UN-Generalsekretärs, Ould Abdallah. Das Ziel des
Engagements bestand insbesondere darin, eine weitere
Eskalation des Konflikts zu vermeiden und eine gerechte
und friedliche Lösung zu befördern.

Gewissermaßen als Einstieg folgte IA der Anregung von
Abdallah, das Prestige der Organisation in der
internationalen Szene zu nutzen, um die Ausarbeitung
einer gemeinsamen Agenda der interessierten Parteien -
Geldgeber, NGOs und burundische Behörden - zu
koordinieren. Auf dem sogernannten Burundi
Colloquium, das im Februar 1995 in London
zusammentrat, vereinbarten rund 80 Teilnehmer ein
Aktionsprogramm. Im April 1995 startete IA dann seine
eigene Arbeit. Im Mittelpunkt standen der
Informationsaustausch und die Advocacy-Arbeit, die
Organisation von Studienreisen nach Südafrika, die
Anbahnung von Kontakten zur nationalen Elite
(Compagnie des Apotres de la Paix - CAP), die
Unterstützung der Friedensarbeit der Burundischen
Frauenbewegung sowie begrenzte Projekte zur
Förderung der Friedenserziehung an den Schulen und die
Unterstützung für ein Friedensradio
(Sorbo/Macrae/Wohlgemuth 1997: 51ff.).

Abgesehen von einer kritischen Anmerkung in bezug auf
die Überschätzung möglicher Effekte von
Elitenkontakten durch International Alert fällt der
Burundi betreffende Teil des Gutachtens des Chr.
Michelsen Instituts durchweg dann auch positiv aus. IA
wird bescheinigt, sich mit Erfolg als ein kleine und
neutrale NGO etabliert zu haben. Als besonders nützlich
erwies sich dafür die Zusammenarbeit mit anderen
Partnern und insbesondere mit dem Sondervertreter des
UN-Generalsekretärs. Achtung und Akzeptanz bei allen
wichtigen Akteuren auf der burundischen politischen
Bühne sicherten sich die IA-Vertreter hauptsächlich
dadurch, dass sie bereit waren, zuzuhören und zu lernen
(ebd.: x). Auch die durch das IA-Büro in Burundi
angefertigten Analysen über die politische Entwicklung
im Land fanden für ihre Qualität und Ausgewogenheit
bei den Gutachtern Wertschätzung. Anerkennend wurde
ebenfalls vermerkt, dass ein hohes Maß an
Übereinstimmung zwischen den Analysen und den
Aktivitäten der Organisation bestand (ebd.).

Der Bericht über die Aktivitäten von International Alert
in Burundi liest sich über weite Strecken wie die in die
Praxis kreativer Friedens- und Konfliktarbeit
umgesetzten Schlussfolgerungen aus den kritischen
Anmerkungen Mark Duffields:

-
Im Wissen darum, dass eine Konfliktregelung nicht als schnelle
Patentlösung zu haben ist, wurde ein prozessorientiertes
Vorgehen gewählt.

-
Als Unterpfand für den Erfolg wurde die Fähigkeit zu
Selbstkritik, Kooperation und Partnerschaft mit anderen
Akteuren erkannt und bewusst genutzt.

-
Durch die Organisation von Studienreisen nach Südafrika
wurden nicht-westliche Erfahrungen erfolgreicher
Konfliktbearbeitung vermittelt und propagiert.

-
Im Rahmen der Aktivitäten von IA wurden sowohl Kontakte zu
Vertretern der politischen Elite als auch zur Zivilgesellschaft
(v.a. Frauen) gefördert.

-
Die IA-Vertreter gingen nicht mit fertigen Antworten und
Konzepten nach Burundi, sondern setzten ganz bewusst darauf,
sich über ständiges Zuhören und Lernen die Hintergründe des
Konflikts zu erschließen.

- Friedens- und KonfliktaPräventive Arbeit wurde über konkrete
Schritte vor Ort geleistet (z.B. Advocacy, Training, Medien,
Schule).
- IA verstand sich mehr als Katalysator, fund raiser und
Ffacilitator denn als Träger eigener Projekte usw.

Die Bilanz: Der Beitrag von NGOs ist unschätzbar,
wenn sie sich nicht selbst überschätzen.

Zwei konkrete Interventionen ein und derselben NGO
genügen, um die Vielfalt der Herangehensweisen, Konzepte
und Erfahrungen in der zivilgesellschaftlichen Friedens- und
Konfliktarbeit zu verdeutlichen. Ebenso wie Mary Anderson
(1996) hätte Mark Duffield in der tagtäglichen NGO-Praxis
auch Gegenbeispiele auffinden können, die seine kritischen
Thesen zumindest relativieren. Damit soll jedoch nicht in
Abrede gestellt werden, dass die Mehrzahl seiner Einwände -
zumal in der zweifellos beabsichtigten provokatorischen
Zuspitzung - ihre Berechtigung haben. Sie erinnern an die
Notwendigkeit, sowohl die wissenschaftliche Diskussion und
Forschung auf diesem Feld weiter zu qualifizieren als auch
die praktische Tätigkeit von NGOs in Krisenregionen immer
wieder kritisch zu evaluieren.

Dazu sollen auch die folgenden resümierenden Bemerkungen
beitragen, die sich im wesentlichen als Antwort auf Mark
Duffield verstehen. Bei mehren Punkten wird unmittelbar
Bezug auf eine frühere Auseinandersetzung von Norbert
Ropers mit Duffield genommen (Ropers 1998: 27-33).

1. Nichtregierungsorganisationen sind Träger und Akteure
der Demokratisierung und Vergesellschaftung von
(Außen-)Politik. Sie sind eine Form zivilgesellschaftlicher
Selbstorganisation und Problemlösung und damit Ausdruck
der Krise und des Wandels von Staatlichkeit (Seibert 2000:
48). Zugleich müssen sie sich immer wieder Versuchen der
Indienstnahme und Kooptierung durch staatliche und
wirtschaftliche Akteure im Rahmen neoliberaler
Modernisierungs- und Anpassungspolitik erwehren. Zugleich
müssen sich NGOs gerade auch in der Friedens- und
Konfliktarbeit immer wieder gegenüber Versuchen
neoliberaler Indienstnahme und staatlicher Kooptierung
behaupten.

2. Für die Konfliktbearbeitung und den Friedensaufbau gilt
wie für die Entwicklungszusammenarbeit der Grundsatz,
Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Die damit verbundenen
Aufgaben sollen "vorrangig von lokalen Akteuren
wahrgenommen werden" (Windfuhr 1999: 765). Die
"Einmischung" inter-/transnationaler Akteure sollte
hauptsächlich in der Förderung lokaler Fähigkeiten und der
Unterstützung von "Friedensallianzen" bestehen.

3. Das Zusammenwirken zwischen verschiedenen NGOs
sowie zwischen NGOs, Staaten und internationalen
Organisationen ist unterentwickelt. Regionale Konfliktforen
sind nur ein Beispiel, um eine engere Abstimmung und
Arbeitsteilung auf den Weg zu bringen. Eine wichtige
Voraussetzung dafür ist die Bereitstellung ausreichender
finanzieller, materieller und intellektueller Ressourcen (ebd.:
32/33).

4. Die Dominanz westlicher, v.a. angelsächsischer NGOs in
der zivilgesellschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit und
Konfliktbearbeitung ist eine Tatsache. Umso mehr gilt, dass
Zzivilgesellschaftliche Akteure können jedoch die ihrem
Selbstverständnis und ihremr Funktion Anliegen
entsprechende Rolle nur wahrnehmen können, wenn sie die
unterschiedlichen kulturellen Prägungen ihrer eigenen und
anderer Gesellschaften sensibel zur Kenntnis nehmen und in
ihrem Handeln berücksichtigen. Dies gilt in besonderem
Maße für die Friedens- und Konfliktarbeit.

5. Drittparteien sind nicht nur "Re-Akteure" in bezug auf
Konfliktsituationen. Sie beeinflussen den Konflikt in dem
Maße, wie sie sich für dessen Beilegung engagieren. Jede
intervenierende Partei muss sich auch über die
nicht-intendierten Folgen ihres Engagements Klarheit
verschaffen. Wege dazu sind eine selbstkritische und
selbstreflexive Haltung zur eigenen Arbeit und die
Einbeziehung lokaler zivilgesellschaftlicher Aktivisten (ebd.:
31).

6. Eine dauerhafte Konflikttransformation ist nicht allein das
Ergebnis einer intakten Kommunikation zwischen den
Konfliktparteien, sondern bedarf der Überwindung der
wesentlichen Konfliktursachen (v.a. Ungerechtigkeit).
"Ohne die Unterstützung legitimer Interessen
benachteiligter Personen und Gruppen, ohne ihre
Stärkung ihrer Konfliktfähigkeit, ohne die Arbeit von
Gruppen für den Schutz von Menschenrechten und
Minderheiten wäre Konfliktprävention und
-transformation unvollständig" (Ropers 1998: 29).

Anmerkungen

1
Vgl. die über mehrere Ausgaben gehende NGO-Debatte im
"Freitag" von Januar bis März 2000 und insbesondere den Beitrag
von Jörg Bergstedt: "NGO ist ein Arbeitsstil - und immer falsch.
Lobby-Organisationen. Sie liefern die sozialökologische
Kosmetik", Freitag v. 11. 2. 2000.

2
"Wenn soziales Engineering in dem Maßstab, wie es die
Konfliktbearbeitung impliziert, wirklich möglich wäre, wäre
es schon längst angewandt worden. Dem 20. Jahrhundert
wäre vielleicht die Pein erspart geblieben, das
gewaltträchtigste und barbarischste in der Geschichte zu
sein" (Duffield 1997: 81).

3
Die im Gutachten des Chr. Michelsen Instituts geäußerte Kritik
blieb von Seiten International Alert nicht unwidersprochen. In
einem für ein Evaluierungsteam der EU-Kommission
vorbereiteten "impact assessment" wies IA z.B. folgende
Ergebnisse bzw. Erfolge seines Sierra Leone-Engagements aus:
(1) Verhandlung des Geiselfreilassung und damit Beseitigung
eines fundamentalen Hindernisses für den Dialog zwischen RUF,
Regierung und internationaler Gemeinschaft; (2) Erfolg bei der
Ermutigung der RUF, aus dem Dschungel zu kommen; (3) Hilfe
bei der Vertrauensbildung zwischen Rebellen und internationaler
Gemeinschaft; (4) Schaffung enger Beziehungen und eines guten
Arbeitsverhältnisses mit der Regierung der Elfenbeinküste, die
anbot, die Gespräche zu meditieren und in ihrem Land zu führen;
(5) Herstellung einer ausbalancierten Perspektive in den
verschiedenen Phasen der Verhandlungen, insbesondere im
Hinblick auf die RUF, die in Kommunikation und Verhandlungen
mit intergourvernementalen Organisationen gehandikapt war
(Sorbo/Macrae/Wohlgemuth 1997: 57/58).

Literatur:

Altvater, Elmar/Brunnengräber u.a. (Hrsg.) (1997):
Vernetzt und verstrickt.
Nicht-Regierungsorganisationen als gesellschaftliche
Produktivkraft, Münster.

Anderson, Mary B. (1999): Do No Harm: How Aid
can Support Peace - or War. London.

Brand, Ulrich (2000): Nichtregierungsorganisationen,
Staat und ökologische Krise. Konturen kritischer
NRO-Forschung. Das Beispiel der biologischen
Vielfalt, Münster.

Duffield, Mark (1997): Evaluating Conflict Resolution.
Context, Models and Methodology. A Discussion Paper
Prepared for the Chr. Michelsen Institute, Bergen,
Norway, in: Sorbo, Gunnar M./Macrae,
Joanna/Wohlgemuth, Lennar: NGOs in Conflict - an
Evaluation of International Alert, Chr. Michelsen
Institute, Fantoft-Bergen.

Mathews, Jessica (1997): Power Shift, in: Foreign
Affairs, Vol. 76, No. 1, January/February, S. 50-66.

Ropers, Norbert (1998): Towards a Hippocratic Oath
of Conflict Management? Eight Critical Statements
relating to the Contribution of NGOs in Conflict
Prevention and Conflict Transformation, in: European
Platform for Conflict Prevention (1998): Prevention and
Management of Violent Conflicts. An International
Directory. 1998 Edition, Amsterdam, S. 27-33.

Seibert, Thomas (2000): Das Ende der "humanitären
Neutralität". Staatlichkeit, NROs und soziale
Bewegung im globalisierten Kapitalismus, in: ami, 30.
Jg., Nr. 5, Mai.

Sorbo, Gunnar M./Macrae, Joanna/Wohlgemuth,
Lennart (1997): NGOs in Conflict - an Evaluation of
International Alert, Chr. Michelsen Institute,
Fantoft-Bergen.

Weiss, Thomas G./Gordenker, Leon (1996): NGOs, the
UN, and Global Governance, Boulder.

Westerbaan, Wim (1999): Peace Communities in a
War Zone - An Experience of an international observer
in Urabß, Colombia, CMC/Pax Christi International,
Utrecht 1999, in: European Centre for Conflict
Prevention: People Building Peace. 35 Inspiring Stories
from Around the World, Amsterdam.

Windfuhr, Michael (1999): "Track
Two"-Interventionen. Die Rolle zivilgesellschaftlicher
Akteure in der Konfliktprävention, in: Universitas, 54.
Jg., Nr. 638, August, S. 755-766.

Dr. Lutz Schrader arbeitet in einem Lehr- und
Forschungsprojekt am Institut Frieden und Demokratie
der Fern-Universität Hagen und ist stellvertretender
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens-
und Konfliktforschung (AFK)