BROT UND SPIELE?

in (01.06.2000)

Die Geschichte der sozialen Grundsicherung und der jeweiligen Modelle ist eine Geschichte voller Missverständnisse. ...

Die Geschichte der sozialen Grundsicherung und der jeweiligen Modelle ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Geboren wurde die Idee aus den sozialen Bewegungen und Erwerbsloseninitiativen der achtziger Jahre. Innerhalb der Debatte wurde sehr schnell deutlich, dass der bundesdeutsche Sozialstaat mit der Absicherung sozialer Risiken mehr als überfordert war und ist.

Immer wieder wurden und werden von konservativen Politikern, Medien und Unternehmerverbänden, zunehmend auch von der Bundesregierung verschiedene Säue durchs Dorf getrieben. Sie alle beklagen sich, der Sozialstaat lade zum Schmarotzen ein, sei zu teuer und ,,ineffektiv''. Das soziale Netz wird als Hängematte betrachtet - in der mensch sich auf Kosten der Leistungsträger dieser Gesellschaft ausruht. Nur logisch erscheint dann die Forderung, die Regierung solle dieses Netz zu einem Sprungbrett umbauen, welches den schnellen Wiedereinstieg in das Berufsleben ermöglichen soll. Vergessen wird dabei, das mensch auch neben dem ,,Sprungbrett'' aufschlagen kann. Die Wahrscheinlichkeit für den letzteren Fall wird bei immer kleiner werdenden Sprungbrettern und immer kleiner werdenden Chancen auf Arbeit größer und größer.

DAS SOZIALSYSTEM. Deutschlands ist eng an das Modell des deutschen, männlichen Arbeiters geknüpft. Andere soziale Gruppen werden kaum beachtet oder absichtlich vergessen, also sozial ausgegrenzt. Durch langanhaltende Massenarbeitslosigkeit und Änderung der Altersstruktur in Deutschland wurde das soziale Sicherungsmodell Deutschlands mit seinen eigenen Schwächen konfrontiert. Den Arbeitslosen und sozial Schwachen stehen heute explodierende Unternehmensgewinne, explodierender privater Reichtum und ,,Robert T-Online'' gegenüber. Mit der Forderung nach Umverteilung von privaten Reichtum stößt mensch heutzutage auf taube Ohren. Es scheint, als sei Tina Thatchers Credo zur Wahrheit der Massen geworden: ,,There is no Alternative''. Das herrschende Kapitalismusmodell wird als alternativlos angesehen - der Marktradikalismus, die explodierenden Finanzmärkte und die dem gegenüberstehende Armut und soziale Schwäche werden als Ende der Geschichte angesehen - eine neue unendliche Geschichte?

ARBEIT ANDERS DENKEN! Ein Problem in der Debatte rund um die Soziale Grundsicherung ist der Verlauf der Diskussion in der Linken selbst. Zwar wurde die Forderung nach dem Umbau des Sozialsystems von den Gewerkschaften aufgegriffen, aber in die Kampagne ,,Arbeit für alle!'' eingebaut. Das hatte zur Folge, dass die Zementierung des Modells des deutschen, männlichen Facharbeiters auch in den Gewerkschaften fortgeschrieben wurde. ,,Wer nicht arbeitet, soll nicht fressen'' eine Losung der KPD aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, wurde jetzt auf die ,,Sozialschmarotzer'' übertragen - vorangetrieben auch von konservativen Zeitungen á la Focus & Co. Dabei war doch wohl damals eher der ,,Capitalista in Persona'' gemeint. So wurde der Ruf nach einem Recht auf Faulheit schnell zu einer auch in der Linken sehr umstrittenen Forderung.

Doch kann mensch heute noch von einer geradlinigen Erwerbsbiographie ausgehen, wie diese noch in den fünfziger und sechziger Jahre gegeben war? Heute wird das Arbeitsleben von vielen Brüchen begleitet. Der fordistische Kompromiss der siebziger ist nicht mehr gegeben. Die lebenslange Bindung an nur einen Arbeitgeber ist obsolet. Perspektivisch gehen Wirtschaftswissenschaftler davon aus, dass zwanzig Prozent der heutigen Weltbevölkerung die gesellschaftlich notwendige Arbeit ausführen könnten. Und das von Arbeitslosigkeit hauptsächlich Frauen und soziale Randgruppen betroffen sind, ist schon jetzt eine nicht von der Hand zu weisende Tatsache. Und trotzdem, der in Deutschland herrschende Arbeitsethos betrachtet diese Gruppe als faule, schlechte Menschen. Dem Arbeitslosen an sich und dem Dauer- oder Langzeitarbeitslosen im Besonderen wird mangelnde Bildung und Flexibilität sowie Unlust vorgeworfen: ,,Sozialschmarotzer'' eben.

MISSION IMPOSSIBLE? Dabei bleibt die Frage offen, ob es mit der Forderung nach einem Recht auf Arbeit getan sein kann. Ist zum Beispiel das Schreiben dieses Artikels hier nicht auch Arbeit. Hab ich mir nicht auch eine kleine Belohnung verdient. Oder ist es nur Arbeit, wenn Tüten gepackt werden. Welche Möglichkeiten gibt es, Arbeit zu fördern? Es werden in der SPD immer wieder Stimmen laut, die einen staatlich geförderten Niedriglohnsektor fordern. Doch von diesen durch den Staat subventionierten Löhnen kann mensch nicht leben, geschweige denn sich weitergehende Grundbedürfnisse wie Bildung und Urlaub leisten. Die konservativen Parteien schieben die Verantwortung ganz auf die Arbeitslosen ab. So wurde vor kurzem im ,,Report aus München'' (sic!) eine Doku gezeigt, die arbeitslose Jugendliche aus dem Beitrittsgebiet für Ihre Arbeitslosigkeit und den Mangel an Ausbildungsplätzen selbst verantwortlich machte. Tenor des Beitrages: Ihr seid bloß zu faul und zu unflexibel, nach München zu ziehen, hier gibt es Ausbildungsplätze im Überfluss.

Genau wie die Modelle der Arbeitsförderung gehen auch die Modelle der sozialen Grundsicherung weit auseinander. Diese wurden im breiten Bogen von der FDP bis hin zu den Grünen vorgelegt. Aber sie gehen davon aus, dass nur ArbeiterInnen mit Job berechtigt sind, Leistungen zu erhalten. Arbeitslose erhalten weiterhin Sozialhilfe. Ein Arbeitszwang wird also weiterhin künstlich erhalten. Keines der Modelle von den o.g. Parteien geht davon aus, das es einfach auch Menschen gibt, die sich nicht dem vorherrschenden Modell von Ausbeutung der Arbeitskraft unterwerfen wollen. Warum also sollen diese Menschen gezwungen werden, Ihre Arbeitskraft auf dem Markt anzubieten. Benachteiligungen einzelner Bevölkerungsgruppen (z.B. Frauen durch den Prozess der körperlichen Reproduktion) werden ebenso außer acht gelassen. So ist die derzeitige Sozialhilfe eher als Hilfe zur Selbsthilfe angelegt. Der Höchstsatz liegt bei ca. 700 DM, die Armutsgrenze hingegen bei 1.400 DM. Die PDS Bundestagsfraktion hat bereits in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur sozialen Grundsicherung vorgelegt , der sinngemäß eine ,,existentielle Absicherung, die dem gesellschaftlichen Reichtum angemessen ist, ohne Arbeitszwang, aber dem Recht auf Arbeit unabhängig von Status, Herkunft, Nationalität, Geschlecht etc.'' darstellt und fordert. Dabei steht das Konzept nicht isoliert im Raum sozialer Gesetzgebung, sondern soll und muss von einer anderen Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik flankiert werden (ÖBS, Arbeitszeitverkürzung u.ä.).

THESEN ZUR SOZIALEN GRUNDSICHERUNG. Wir stehen vor dem Problem, das die Debatte um Soziale Grundsicherung so ziemlich eingeschlafen ist. Aus diesem Grund plant ,,['solid] - die sozialistische jugend'' noch in für diesen Sommer eine Kampagne, welche die Debatte wieder auf die Beine und in einen breiten, gesellschaftlichen Rahmen stellen soll.

Die soziale Grundsicherung muss folgenden Grundsätzen gerecht werden:

Steuerfinanzierung. Wir wollen ein Grundsicherungskonzept, welches sich durch die Umverteilung von Reichtum von oben nach unten finanziert. Eine Vermögensabgabe wäre denkbar. Wenn zum Beispiel nur ein Prozent von großen Vermögen abgekappt wird, hätten wir genug Kohle.

Individuell. Es kann natürlich nicht in unserem Sinn sein, wenn ein arbeitsloser Bauingenieur genau soviel Kohle bekommt wie ein Student im 3. Semester. Es kann davon ausgegangen werden, das der Bauingenieur Rücklagen bilden kann. Ob das dem Student möglich ist, bleibt fraglich. Das dies eine alleinerziehende Mutter mit 3 Kindern hinbekommen kann, ist unwahrscheinlich.

Bedarfsorientiert. Soziale Grundsicherung muss sich, wie im Namen angelegt, an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Wir wollen nicht, das auch die Reichen gefördert werden, weil sie sich durch Steuertricks und ähnliches armlügen. Es soll geprüft werden, ob und wie eine Förderung nötig und möglich ist. Soziale Grundsicherung darf nicht am ,,Förderobjekt'' - den sozial Schwachen, vorbeigehen.

Keine Bedürftigkeitsprüfung oder Arbeitszwang. Unabhängig davon müssen alle, die Grundsicherung benötigen, gefördert werden. Es soll nicht, wie bei der Sozialhilfe von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig werden. Diese Bedürftigkeitsprüfung, die zur Zeit angewendet wird, bezieht sich auf den sogenannten Hausvorstand (und schon wieder der männliche Facharbeiter). Dieser müsste eigentlich das Familieneinkommen bestreiten können. Schafft er dies nicht, ist die erste Hürde zur Sozialhilfe genommen. Es kommen jedoch noch weitere Überprüfungen dazu, die jedes weitere Einkommen betreffen.

Ausserdem muss der in Deutschland vorherrschende Arbeitsethos überdacht und diskutiert werden. Wir wollen nicht, das jeder Arbeit hat oder Arbeiten muss, wenn er oder sie nicht im herkömmlichen Sinne arbeiten will. Das Recht auf Faulheit ist ebenso elementar wie das Recht auf Arbeit. Auch Kritik an der Lohnarbeit und ein Nachdenken über Reformen der klassischen Erwerbsstrukturen müssen in eine Kampagne einfliessen.

SO GEHT'S AUCH:

EINE STEUERFINANZIERTE, INDIVIDUELLE UND BEDARFSORIENTIERTE GRUNDISCHERUNG FÜR ALLE MENSCHEN IN DEUTSCHLAND.

- KEIN ARBEITSZWANG, KEINE BEDÜRFTIGKEITSPRÜFUNG

- AUSWEITUNG ÖFFENTLICHRECHTLICHER BETREUUNGSQUALITÄT

- INFORMATIONSKAMPAGNEN ZUR AUFKLÄRUNG ÜBER ANSPRÜCHE

- ENTKOPPELUNG VON ERWERBSARBEIT

- AUFHEBUNG DER BEITRAGSBEMESSUNGSGRENZUNG

- UMVERTEILUNG VON REICHTUM UND ARBEIT (VERMÖGENSSTEUER, ARBEITSZEITVERKÜRZUNG, AUFKOMMENSNEUTRALE UNTERNEHMENSBESTEUERUNG)

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