Auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft

Einleitende Bemerkungen zum Heftschwerpunkt (SPW 114)

Der Beginn des neuen Jahrhunderts markiert zugleich den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, so oder ähnlich heißt es nahezu übereinstimmend.

Dr. Uta Biermann arbeitet in der Arbeitsgruppe Luftchemie der BTU Cottbus in Berlin-Adlershof und lebt in Berlin, Dirk Meyer, Historiker, arbeitet als Regierungsangestellter in Düsseldorf und lebt in Bünde

Der Beginn des neuen Jahrhunderts markiert zugleich den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, so oder ähnlich heißt es nahezu übereinstimmend in Medien, Institutionen, Parteien etc. Dienstleistung ist zum zentralen Begriff der gesellschaftlichen Debatte geworden, nachgerade zum Synonym für das 21. Jahrhundert, in dem sich unsere Arbeits- und Lebenswelt nach Einschätzung der Fachwelt dramatisch verändern wird.

Und dennoch: Kratzt man an der Fassade großer Übereinstimmung, so wird ein Begriff freigelegt, der einige Unschärfen aufweist. Überdies zeigt sich, daß die Dienstleistungsgesellschaft ein großes begriffliches Gefäß darstellt, in das durchaus konträre Konzepte mit jeweils sehr unterschiedlichen Interessen gegossen werden.

Entsprechend der umfassenden Bedeutung und Vielschichtigkeit des Themas hat es auch in der spw in vergangenen Heften (vgl. z.B. spw 102, Innovativer Kapitlismus? sowie spw 104, Postindustrieller Kapitalismus?) bereits Beiträge und Debatten über die Zukunft des Arbeitens und Wirtschaftens unter den Vorzeichen zunehmender Bedeutung von Informationstechnologien und Dienstleistungstätigkeiten gegeben. Für uns steht fest, dass sich hinter dem Begriff der Dienstleistungsgesellschaft z.B. nicht die vollständige Aufhebung geregelter Arbeits- bzw. ordnender Zeitstrukturen verbergen darf. Dennoch zeichnet sich in der herrschenden gesellschaftlichen Debatte immer mehr ein Bild ab, in dem eine Dienstleistungsgesellschaft dann besonders gut funktioniert, wenn -pointiert formuliert- alle Geschäfte an jedem Tag von 0 - 24 Uhr geöffnet haben und man auch noch am späten Abend ins Rathaus gehen kann und immer jemand da ist, der zu diesen Zeiten Dienste leistet! Im vorliegenden Schwerpunkt "Neue Dienstleistungsberufe" möchten wir die komplexe, vielschichtige und zum Teil verworrene Debatte um den Übergang von der Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaft unter dem Aspekten der entstehenden Berufsfelder und damit verknüpft den Implikationen für die Qualität des Sozialstaates und seiner (Dienst-)leistungen beleuchten, wobei Chancen und Risiken gleichermaßen diskutiert werden.

Fest steht schon jetzt: Es arbeiten inzwischen mehr Menschen in Dienstleistungsberufen als im produzierenden Sektor, und die Tendenz ist steigend. Von dieser Entwicklung sind gleich mehrere Politikbereiche berührt. Insofern ist es ein strategisch äußerst wichtiges Themenfeld, als dass "richtige" Politik Quantensprünge in Richtung steigender Lebens- und Arbeitsqualität bewirken kann, gleichzeitig eine mangelnde Nutzung der innewohnenden Potenziale aber sträfliche Konsequenzen in einer Vielzahl von zentralen Lebensfeldern nach sich ziehen wird

(Soziale) Dienstleistungsberufe sind seit jeher eine Domäne der Frauen. und der "Scheideweg" zwischen Chancen (dass "ihre" Berufe und Qualifikationen endlich eine angemessene (ökonomische) Bedeutung bekommen) und Risiken (dass sie in prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder gar Ehrenamt abgedrängt werden) ist besonders prägnant.

Maria-Eleonora Karsten entwickelt in ihrem Beitrag "Personenbezogene Dienstleistungen für Frauen: Aktuelle Tendenzen und Entwicklungserfordernisse" ein Szenario, in dem der stark wachsende Anteil von personenbezogenen Dienstleistungen - aktuell ein Berufsfeld, in dem mehr als 75% Frauen beschäftigt sind, häufig allerdings unter im Vergleich zum Gesamtarbeitsmarkt eher schlechten Bedingungen - zu einem Hebel werden kann, um die geschlechtsspezifische Segmentierung des Erwerbsarbeitsmarktes aufzuweichen und gleichzeitig den gestiegenen Anforderungen an qualifizierte Dienstleistungen in unserer Gesellschaft gerecht zu werden. Als Grundlage einer fortschrittlichen Neuordnung des Berufsfeldes fordert sie "nachhaltiges Denken", um unter Einbeziehung der Interessen sowohl der Arbeitenden wie auch der LeistungsempfängerInnen eine hochwertige Versorgung in zentralen Lebensbereichen sichern zu können.

Margrit Zauner und Mechthild Rawert setzen in ihrem Beitrag diesen Forschungsansatz in konkrete Politikansätze um und entwickeln das Berufsfeld der personenbezogenen Dienstleistungen als ein konkretes Handlungsfeld von Frauenpolitik und Gender-MainstreamingBeide Artikel stehen in engem Zusammenhang mit der Diskussion zur Zukunft der Frauenerwerbstätigkeit in der Dienstleistungsgesellschaft, die - im Sinne einer zukunftsorientierten Debatte - auf einer eigenen Homepage www.globalcare.doc dokumentiert, aber auch für weitere Beiträge offen ist. Ein Link zu einem Antragstext der ASF Berlin zum gleichen Thma ist auf der Internetseite der spw gelegt. Hinweisen möchten wir in diesem Zusammenhang auch nochmals auf den Artikel von Barbara Stiegler in spw 108, der Teil der theoretischen Grundlage der ÖTV-Kampagne "Maß nehmen - Frauenarbeit aufwerten" ist, die bereits aktuell läuft, um eine (tarifliche) Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen im Dienstleistungssektor zu erreichen.In der Debatte um neue Dienstleistungen geht es neben dem Bereich der sozialen Dienstleistungen auch um einen Bereich, der leicht in Vergessenheit gerät: so liegt in der Industrie der Anteil der gewerblich produzierenden Beschäftigten in vielen Betrieben bereits heute schon deutlich unter 50 %. Damit sind Veränderungen der Arbeitsorganisation, der Arbeitszeitregelungen und der Qualifikationsprofile verbunden. Und damit stellt auch im industriellen Bereich, im gleichen Maße wie in den sozialen Dienstleistungen, die Qualifikation der Arbeitskräfte neue Anforderungen an die berufliche Aus- und auch Weiterbildung. Michael Ehrke führt die Auswirkungen der IT-Technologisierung auf den industriellen Sektor in einem Interview mit der spw aus und entwickelt die veränderten Erfordernisse für das System der dualen Ausbildung

An dieser Stelle ist ein weiteres für den spw-Zusammenhang zentrales Arbeitsfeld mit der Diskussion um neue Dienstleistungsberufe verzahnt: Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Unseren ursprünglichen Plan, diesen Themenkomplex im Rahmen dieses spw-Heftes mitzubearbeiten, haben wir aufgegeben, weil es die Möglcihkeiten eines Schwerpunktes trotz der inhaltichen Verwobenheit gesprengt hätte. Ein Schwerpunkt zu diesemThema ist für eines der kommenden Hefte geplantDen unbestritten positiven Entwicklungspotenzialen der neuen Dienstleistungsberufe wird häufig eine eher düstere Prognose für die Folgewirkungen auf den Sozialstaat entgegengestellt. "Wer soll das bezahlen?" ist die oft gestellte Frage vieler Menschen, die fest im Bild einer Arbeitsgesellschaft verhaftet sind, deren Werte durch Produktion geschaffen werden. Thomas Ebert tritt der These des Zusammenbruchs der sozialen Sicherungssysteme durch einen wachsenden Anteil an Dienstleistungen mit einer differenzierten Betrachtungsweise der neuen Berufsfelder und ihrer unterschiedlichen ökonomischen Potenziale entgegen.

Eine nahezu ausschließlich positive Perspektive entwickeln Lothar Beyer, Josef Hilbert und Brigitte Micheel vom Gelsenkirchener Institut Arbeit und Technik. Sie sehen große Chancen für den Sozialstaat im weiteren Ausbau seiner Dienstleistungen, schlagen allerdings politisch keineswegs unumstrittene Wege zu seiner Finanzierung vor.

Einen etwas anderen Blick auf die wachsende Bedeutung sozialstaatlicher Dienstleistungen werfen Hildegard Kaluza und Dirk Meyer in ihrem Artikel "Sozialstaat, soziale Dienstleistungen und ihre Qualität - Sozialmanagement professionalisieren". Nach ihrer Auffassung ist die Finanzierungsfrage eine wichtige, aber nicht die einzig bedeutsame Frage bei der gesellschaftspolitisch notwendigen Weiterentwicklung sozialer Dienste. Vielmehr fordern sie eine umfassende Debatte über das Profil und die Qualität der angebotenen Leistungen ein, um über kontinuierliche Qualitätsverbesserungen die Angebote passgenauer ausrichten zu können. Dazu bedürfe es des beschleunigten Ausbaus der sozialpolitischen Instrumente. Hilfreich dabei könne ein sozialpolitisches Controlling sein, an dessen Anfang eine alle Akteure des Sozialstaates einschließende Zieldefinition stehen müsse. Voraussetzung für ein erfolgreiches Management dieser Prozesse sei seine Professionalisierung vor allem auf der Ebene der Länder und Kommunen.

Insgesamt möchten wir den Schwerpunkt "Neue Dienstleistungsberufe" als einen weiteren Baustein in einer noch offenen Debatte um Quantität und Qualität der Erwerbsarbeit in unserer zukünftigen Gesellschaft sehen. Es ist aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt, dass im Dienstleistungssektor der Faktor Arbeit alles andere als mehr oder minder qualifizierte "Hilfstätigkeiten" sind, die ohne Not in einen Niedriglohnsektor abgedrängt werden können! Es kommt entscheidend darauf an, die Ansprüche an Arbeit - sei es aus Sicht derer, die sei leisten oder für die sie geleistet wird - hoch zu halten.