Die Kunst eine Orange zu teilen

oder: Wer bekommt das größte Stück vom Kuchen

Zwei Geschwister streiten sich um eine Orange. Die Orange zu teilen wäre ein Kompromiß. Auf ihre Interessen angesprochen, stellt sich heraus...

Zwei Geschwister streiten sich um eine Orange. Die Orange zu teilen wäre ein Kompromiß. Auf ihre Interessen angesprochen, stellt sich heraus, daß der Junge die Schale zum Kuchenbacken braucht; das Mädchen will den Saft trinken. Also reibt der Junge zunächst die Schale ab und gibt den Rest der Schwester zum Auspressen. Konsens. Die Geschichte ist das Paradebeispiel für eine Form der Konfliktlösung, die derzeit in aller Munde ist: Mediation. Ihr Anwendungsbereich ist vielfältig: Konfliktlotsen in Schulen, Ehe- und Familienberatung, Täter-Opfer-Ausgleich, Konflikte zwischen BürgerInneninitiativen, Verwaltung und Industrie, Friedensfachkräfte als VermittlerInnen in Krisengebieten...

Inzwischen haben auch JuristInnen den Bereich der Mediation für sich entdeckt: Streitschlichtung sei (aus)schließlich Anwaltssache, so der Tenor des Anwaltstages 1997 in Frankfurt/M. Im Internet finden sich zum Stichwort Mediation 1300 Links; mindestens die Hälfte davon aus dem juristischen Bereich. Der Ausbildungsmarkt, insbesondere im Bereich der Familien- und Scheidungsmediation, boomt. An juristischen Fakultäten werden Seminare und weiterbildende Studiengänge angeboten. Im Rahmen der Justizreform wird u.a. auch Mediation als Möglichkeit vor- und außergerichtlicher Streitschlichtung diskutiert, um Gerichte zu entlasten und (dauerhafteren) Rechtsfrieden zu schaffen. Der befürchtete Verlust von Streitigkeiten vor Gericht und die gleichzeitige Eröffnung neuer Möglichkeiten von Konfliktlösung auch für nichtjuristische Berufsgruppen läßt viele JuristInnen um ihren Anteil am Kuchen Mediation bangen. Die Ansicht Mediation sei allein Sache der JuristInnen wird im folgenden kritisch hinterfragt. Zuvor werden der Begriff der Mediation erläutert, sowie Prinzipien mediativer und juristischer Konfliktregelung verglichen.

Wenn zwei sich streiten...

Die Grundgedanken der Mediation sind eine Mischung aus Konfliktlösungspraktiken verschiedenster Völker, Kulturen und Religionen. So war beispielsweise selbstverantwortliche Streitbeilegung durch VermittlerInnen im alten China weit verbreitet und findet noch heute in Volksversöhnungs-Komitees Anwendung. Auch im antiken Griechenland, in vielen Volksstämmen Afrikas, in Lateinamerika, bei den QuäkerInnen und MennonitInnen wurden und werden Prinzipien der Mediation praktiziert.

Das Mediationskonzept, wie wir es in Deutschland kennen, wurde in den 60er und 70er Jahren in den USA entwickelt. Gedanken u.a. aus der Bürgerrechtsbewegung führten dort dazu, Alternativen zu dem als unzulänglich empfundenen herkömmlichen Rechtssystem zu entwickeln. In den USA hat sich Mediation in sozialen, kommunalen, rechtlichen und politischen Bereichen etabliert.

Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, ist Mediation die Vermittlung in einem Konflikt in Zwei- oder Mehrpersonenverhältnissen durch unparteiische oder vielmehr allparteiliche Dritte, mit dem Ziel einer Einigung. Aufgabe der MediatorInnen ist es, eine konstruktive Kommunikation zwischen den Streitenden zu ermöglichen und deren eigentliche Interessen und Wünsche mit gleichem Respekt hervorzuheben. Sie fällen keine Entscheidung in der Sache, sondern sind lediglich für das Verfahren verantwortlich. Die Streitenden entscheiden freiwillig über Aufnahme, Fortsetzung und Beendigung des Mediationsverfahrens. (Diese Freiwilligkeit macht die Einordnung des Täter-Opfer-Ausgleichs in den Bereich der Mediation problematisch).

Im zwischenmenschlichen und Kleingruppenbereich wird in der Mediation großer Wert auf die Erkundung von Hintergrundinteressen und Gefühlen gelegt. In einer Scheidungsmediation können beispielsweise enttäuschtes Vertrauen und Furcht vor dem Verlust der Kinder aufgegriffen und in die Lösung einbezogen werden. Dabei ist Scheidungsmediation nicht mit Paartherapie gleichzusetzen. Im Mittelpunkt der Mediation steht die Regelung konkreter Streitfälle, die durch die Trennung entstehen, nicht der Konflikt, der Anlaß der Trennung ist.

Im politischen Bereich oder bei Umweltkonflikten spielen persönliche Gefühlszustände eine untergeordnete Rolle. Hier gilt es vor allem die vorrangigen Interessen der Beteiligten herauszuarbeiten, um darauf eine Lösung aufzubauen. So standen im Mediationsverfahren um den Ausbau oder Nichtausbau des Frankfurter Flughafens wirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische, ökologische und gesundheitliche Interessen im Mittelpunkt der Diskussion.

Recht versus Mediation?

Die juristische Sichtweise geht davon aus, daß es eine objektive (juristisch definierte) Wirklichkeit gibt, die es zu erkennen gilt. In einem Rechtsstreit geht es in erster Linie um Positionen und Ansprüche: Wer will was, von wem, woraus. Dies hat zur Folge, daß Lebenssachverhalte auf juristisch relevante Tatsachen reduziert werden. Ein Baum ist kein Baum, sondern eine Sache. Weiterhin greifen Gerichte bei Streitigkeiten häufig auf das Leitbild des "vernünftigen Dritten" zurück. Dabei ist der Dritte in der Regel erstens männlich und zweitens wird "vernünftig" mit egozentrischem und anspruchsorientiertem Verhalten gleichgesetzt. Auf dieser Grundlage basierende Lösungen sind nur im Rahmen rechtlicher bzw. als Norm(alität) angesehener Maßstäbe möglich und können individuelle Lebensrealitäten und -bedürfnisse nicht berücksichtigen.
In der Mediation wird davon ausgegangen, daß Menschen den gleichen Sachverhalt unterschiedlich wahrnehmen bzw. verschiedene Vorstellungen von einer Sache haben. Diese subjektiven Wahrnehmungen, Wertvorstellungen, Ziele und Wünsche gilt es herauszufinden und miteinander zu vereinbaren.

Auf der Suche nach sachgerechteren Lösungen in Verhandlungen wurde im Rahmen des Harvard-Negotiation-Projektes das sogenannte Harvard-Prinzip entwickelt, auf das auch in der Mediation Bezug genommen wird. Konsensuale interessengerechte Lösungen sind danach durch vier Grundregeln zu erreichen. Erstens gilt es, die Beziehungsebene und die Sachprobleme eines Konfliktes zu trennen. In Verhandlungen beeinflußt die Beziehung der Beteiligten auch immer die jeweiligen Positionen und die Art der Kommunikation und erschwert so eine Lösung. Zweitens sollen in Verhandlungen Interessen, nicht Positionen diskutiert werden. Interessen lassen sich durch verschiedene Positionen befriedigen und ermöglichen so eine Fülle von Lösungen. Drittens kommt es darauf an, Wahlmöglichkeiten zum beiderseitigen Vorteil zu entwickeln, um der Vorstellung vom begrenzten Kuchen oder der einzig richtigen Lösung abzuhelfen. Und endlich sind viertens gemeinsame neutrale Beurteilungskriterien zu entwickeln, die eine faire Lösung für alle Beteiligten ermöglichen sollen.

In der juristischen Auseinandersetzung verhindert das Parteilichkeitsgebot für AnwältInnen weitgehend eine einverständliche Lösung. Als "Legionär" ihrer MandantInnen sind sie verpflichtet, das Bestmögliche, meist in Form von Geld, für ihre Partei herauszuholen. Vor Gericht geht es darum, wer an einem bereits vergangenen Streit "Schuld" hatte und wer Recht hat. Konflikte werden Machtauseinandersetzungen und verhindern Wachstum und Entwicklung menschlicher Beziehungen, die Konflikten innewohnen. Im Rahmen der mediativen Konfliktlösung wird demgegenüber nach den individuellen Zielen der Parteien gefragt, um den Konflikt für die Gegenwart und Zukunft zu regeln, ohne nach Schuld oder "Schuldigem" suchen zu müssen.

Menschliche Beziehungen können aufgebaut oder erhalten werden. Die selbstverantwortliche Lösungsfindung fördert die Konfliktfähigkeit im Umgang miteinander.

Um zwei zu sein, bedarf es eines Dritten

Bleibt die Frage, wer als MediatorIn tätig werden kann. Derzeit bieten u.a. SozialpädagogInnen, PsychologInnen, JuristInnen und UnternehmensberaterInnen Mediation an. Die Berufsbezeichnung ist bislang nicht geschützt. Besorgt um den Verlust eines weiteren attraktiven Betätigungsfeldes führen insbesondere Anwaltskammern das Rechtsberatungsgesetz ins Feld. Das Gesetz soll fachlich ungeeigneten und unzuverlässigen Personen bei der geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten das Handwerk legen. Ausgenommen von der im Gesetz vorgeschriebenen Erlaubnispflicht ist neben der Anwaltschaft u.a. die Rechtsberatung von Behörden, wie beispielsweise der Jugendgerichtshilfe, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit ausgeübt wird. Eine Rechtsberatungserlaubnis für MediatorInnen außerhalb dieser Arbeitsgebiete wäre danach nicht möglich.

Die Tätigkeit nichtanwaltlicher privater MediatorInnen wäre somit nur dann zulässig, wenn sie nicht primär die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten zum Gegenstand hätte. Von Seiten der Anwaltskammern wird argumentiert, daß es sich bei der Mediation um privatautonome Rechtssetzung handele. Mit der Eingehung eines rechtsverbindlichen Vertrages mit Begründung wechselseitiger Rechte und Pflichten als Ziel der Mediation schaffen die Parteien sich "ihr Gesetz" selbst. Den Parteien müsse an dem rechtlichen Rahmen für den konkreten Einzelfall gelegen sein. Damit handele es ich nicht um Rechtsbelehrungen allgemeiner Art, sondern um konkrete Rechtsgestaltung im Sinne des RBerG. Zudem sei eine Einigung nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen effektiv.

Als Folge dieser Auffassung haben denn schon einige Anwaltskammern in alter juristischer Tradition nichtanwaltliche MediatorInnen wegen Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz abgemahnt. Bisher behilft sich zumindest die Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation (BAFM), die Mediation auch durch PsychologInnen befürwortet, mit der Verpflichtung (gegenüber den Anwaltskammern), die Parteien zwecks Rechtsberatung zu AußenanwältInnen zu schicken. Vereinzelt wird in der juristischen Literatur vertreten, daß die notwendige rechtliche Beratung im Rahmen der Mediation lediglich den Charakter einer Hilfs- oder Nebentätigkeit habe. Dann wäre § 5 RBerG einschlägig, wonach "notwendige Hilfsgeschäfte" einer außerhalb des RBerG gelegenen Berufstätigkeit von der Erlaubnispflicht ausgeschlossen sind. So argumentieren auch Angehörige psychosozialer Berufsgruppen. MediatorInnen komme die Funktion von KommunikationshelferInnen oder ModeratorInnen zu, die Sachkompetenz haben sollten, aber nicht Fachfrau sein müßten. Das primäre Abstellen auf das juristische Wissen gehe am Kern der Mediation vorbei. Unterstützt wird diese Ansicht durch die Empfehlung des Europarats zur Familienmediation. Danach sollten MediatorInnen zwar Rechtsauskünfte, jedoch keine Rechtsberatung erteilen. In geeigneten Fällen sollten die Parteien über die Möglichkeiten juristischer Beratung informiert werden.

Streitschlichtung - (aus)schließlich Anwaltssache?

Selbstverständlich hat das Recht seinen Platz in der Mediation. Eine Mediation ist nur dann effektiv, wenn der am Ende geschlossene privatrechtliche Vertrag rechtliche Gültigkeit besitzt. Im Rahmen einer Scheidungsmediation ist es beispielsweise wichtig zu wissen, daß auf Kindesunterhalt nicht verzichtet werden kann. Fristversäumnisse der Beteiligten müssen vermieden werden. Recht kann, wenn von den Beteiligten gewollt, als Fairneßkontrolle dienen.

Die oben dargestellten Prinzipien zeigen jedoch, daß es in der Mediation gerade nicht um einen objektiven Standard, sondern um die subjektiven Werte der am Konflikt Beteiligten geht. Die Aufgabe von MediatorInnen ist es einen sicheren Rahmen als Grundlage einer konstruktiven Kommunikation herzustellen, die Interessen und Wünsche der Parteien herauszuarbeiten und diese bei einer individuellen Lösungsfindung zu unterstützen. Damit geht es in der Mediation gerade nicht um rechtliche Beratung. Fraglich ist vielmehr, ob nicht gerade RechtsanwältInnen durch rechtliche Methodik, ihre eigene Vorstellung von Gerechtigkeit und der Tendenz rechtliches Wissen in die Mediation einzubringen, Gefahr laufen, ihre allparteiliche Rolle zu verlassen.

Es ließe sich argumentieren, daß sich die Konfliktbeteiligten nur dann frei entscheiden können, wenn sie über alle Lösungsmöglichkeiten und damit auch über ihre rechtlichen Positionen informiert seien. In diesem Fall können MediatorInnen aber über Möglichkeiten informieren, sich rechtlich durch Rechtsberatungsstellen oder AußenanwältInnen beraten zu lassen. Eine solche in der Regel parteiliche Beratung könnten auch die zu Neutraliät und Allparteilichkeit verpflichteten juristischen MediatorInnen nicht durchführen. Den Konfliktbeteiligten entstehen dabei allerdings Kosten für die Mediation und die rechtliche Beratung.

Kooperation statt Konfrontation

Weiterhin stellt sich die Frage, ob und wie lange noch sich die VertreterInnen der juristischen Profession auf das Rechtsberatungsgesetz stützen sollten. Von den NationalsozialistInnen erlassen, um jüdischen JuristInnen nach dem Berufsverbot auch die Beratungsmöglichkeit zu entziehen, ist es einzigartig in Europa. Die Abschaffung ist hoffentlich eine Frage der Zeit. In anderen Ländern Europas, beispielsweise Irland und Großbritannien, arbeiten sowohl AnwältInnen als auch nichtanwaltliche Berufsgruppen als MediatorInnen. Vorausgesetzt werden dort eine mediative Ausbildung und die Einhaltung berufsethischer Richtlinien.

Die Drohung seitens der Anwaltskammern, ihr "Recht" notfalls gerichtlich durchzusetzen, zeigt, wie wenig das Konzept einer neuen Form der Konfliktlösung verinnerlicht ist. Weder geht es um einen Interessenausgleich der beteiligten Berufsgruppen, noch um die Suche nach neuen Kooperationsmöglichkeiten. Mediation integriert Fächer und disziplinäre Zugänge mit dem Ziel einer besseren Kommunikationskultur. Gerade das Zusammenwirken verschiedener Berufsgruppen und damit interdisziplinärer Erfahrungen und Denkmuster könnten Ausbildung und Arbeit im Bereich der Mediation bereichern, ohne dabei Qualität zu vernachlässigen.

Ulrike Spankenberg ist Referendarin in Potsdam und Mediatorin in Ausbildung beim Deutschen Familienverband, Sachsen-Anhalt.

Fußnoten:

1 ausführlich dazu Besemer, Mediation, 46 ff.
2 Besemer, Mediation, 48 ff; Gottwald, Verrechtlichung, Konsens 1999, 332ff.
3 Besemer, Mediation, 14, 51; Strempel, Neue Justiz 1999, 462.
4 http.//www. mediation-flughafen.de.
5 vgl. Ponschab/Schweizer, Kooperation, 31 ff.
6 Emmenegger, Vertragsrecht, 113 ff.
7 Besemer, Mediation, 36.
8 Fisher/Ury/Patton, Harvard-Prinzip.
9 Hatlapa, Es muß nicht vor dem Kadi enden; Besemer, Mediation, 41; Ponschab/Schweizer, Kooperation, 23 ff.
10 Henssler, Berufsrecht, 82 f.
11 Strempel, AnwBl. 1993, 434.
12 Empfehlung Nr. R (98) 1.
13 Henssler, BerufsR und Mediation, § 3 Rn. 80ff.

Literatur

Besemer, Christoph, Mediation, 5.Aufl., Darmstadt 1998.

Emmenegger, Susan, Feministische Kritik am Vertragsrecht, Freiburg (Schweiz) 1999.

Fisher, Roger/ Ury, William/ Patton, Bruce, Das Harvard-Konzept, 16.Aufl., Frankfurt/M.1997.

Gottwald, Walther, Verrechtlichung der Mediation, Konsens, 1999, 331-334.

Hatlapa, Christoph, Notizbuch, 17.12.91, Es muß nicht vor dem Kadi enden: Mediation - konstruktiv mit Konflikten umgehen, Bayer. Rundfunk, Familienfunk.

Henssler, Martin, Anwaltliches Berufsrecht und Mediation in: Breidenbach,
Stephan/ Henssler, Martin (Hrsg.), Mediation für Juristen, Köln 1997 (zit. Berufsrecht).

Henssler, Martin, Anwaltliches Berufsrecht und Mediation in: Henssler, Martin/ Koch, Ludwig (Hrsg.), Mediation in der Anwaltspraxis, Bonn 2000 (zit. Berufsrecht und Mediation).

Ponschab, Reiner/ Schweizer, Adrian, Kooperation statt Konfrontation, Köln 1998.

Strempel, Dieter, Anwaltliche Schlichtung - Privatisierung der Justiz, Interessenwahrnehmung oder Parteiverrat, AnwBl. 1993,. 434 - 436.