Friedliche Konfliktregelung

Voraussetzungen für Erfolge

Gemäß der Devise "Bad news are good news" berichten die Medien eher über Kriege als über Friedensbemühungen.

Im Unterschied zu Kriegen sind Friedensbemühungen oder die Verhinderung eines Kriegsausbruchs nicht spektakulär und aktionsträchtig, sondern unauffällige, bestenfalls in kleinen Schritten vorankommende Prozesse, die sich noch dazu häufig im Verborgenen abspielen. Aus diesen Gründen wird allenfalls über weltpolitisch als wichtig angesehene Friedensprozesse wie im Nahen Osten oder im ehemaligen Jugoslawien ausführlicher berichtet.

Hinzu kommt, daß die Informationslage über Bemühungen der friedlichen Streitbeilegung in Bezug auf aktuelle Konflikte in der Regel sehr spärlich ausfällt. Darüber hinaus besteht immer die Gefahr, einer Falschmeldung zu unterliegen, die insbesondere unter den erschwerten Arbeitsbedingungen in einem Krisengebiet leicht auftreten kann. Denn oft sind die Korrespondenten oder Korrespondentinnen nicht vor Ort in dem betreffenden Krisengebiet, geschweige denn als Beobachter/innen bei den Bemühungen um die Streitbeilegung zugelassen. Selbst wenn dieser Zugang zu den Konfliktparteien bestehen sollte, kann es zu Falschmeldungen kommen. Denn im Verlauf von Bemühungen um die friedliche Streitbeilegung können die Konfliktparteien unter Umständen ein Interesse daran haben, die Öffentlichkeit zu ihren Gunsten zu manipulieren, indem sie über die eigene Position oder die der Gegenseite falsche Auskünfte geben. Das größte Hindernis für die Berichterstattung und die Forschung über friedliche Streitbeilegung besteht aber darin, daß die Konfliktparteien häufig während des Verhandlungs- oder Vermittlungsprozesses Diskretion vereinbaren. Laufende oder bereits gescheiterte Friedensprozesse geraten daher oft nicht an die Öffentlichkeit. Das bekannteste Beispiel der letzten Zeit für "Geheimdiplomatie" sind sicher die Gespräche zwischen Israel und der PLO in Norwegen in Vorbereitung der Unterzeichnung des Gaza-Jericho-Abkommens.

Erst ein Mindestmaß eines historischen Abstands und der Zugang zu den diesbezüglichen offiziellen Quellen würden eine gesicherte Aussage über den genauen Ablauf des jeweiligen Versuchs der Streitbeilegung und über die Umsetzung einer eventuellen Vereinbarung erlauben.

Definition des Konfliktbegriffs

Ein Konflikt im hier verstandenen Sinne ist dadurch gekennzeichnet, daß sich mindestens zwei Konfliktparteien gegenüber stehen, die über einen längeren Zeitraum hinweg in Bezug auf ein bestimmtes Gut antagonistische Interessen mit bestimmten Mitteln verfolgen.

Als direkt beteiligte Konfliktparteien kommen dabei in Frage:

  • Die Regierungen von Staaten. In diesem Fall handelt es sich um einen zwischenstaatlichen Konflikt (z.B. die Grenzstreitigkeiten zwischen dem Jemen und Eritrea).
  • Die Regierung eines Staates und mindestens eine Oppositionsgruppe (Guerilla, Clan, Miliz) desselben Staates. In diesem Fall handelt es sich um einen internen Konflikt (z.B. der Tamilenkonflikt in Sri Lanka und der Kurdenkonflikt in der Türkei).
  • Mehrere gesellschaftliche Gruppen (z.B. Clans oder Milizen) in einem Land, das über keine bzw. keine international anerkannte Regierung verfügt und/oder in dem sich mehrere untereinander rivalisierende Gruppen zur nationalen Regierung erklären (z.B. Afghanistan, Somalia, Liberia).

Neben diesen direkt beteiligten Konfliktparteien können auch indirekt Beteiligte (Regierungen von Staaten, Staatengruppen oder gesellschaftliche Gruppen) außerhalb des eigentlichen Konfliktgebiets in den Konflikt eingreifen, woraus sich mindestens eine triadische Beziehung ergibt. Die direkt beteiligten Konfliktparteien können von den indirekt Beteiligten unterstützt oder bekämpft werden. Die dritte Partei kann auch zwischen den direkt beteiligten Konfliktparteien vermitteln oder versuchen, mittels eines Schiedsspruchs den Konflikt beizulegen.

Im Falle der Beteiligung dritter Parteien entstehen aus den drei oben genannten Konflikttypen Mischtypen wie beispielsweise internationalisierte interne Konflikte.

Die Interessengegensätze der Konfliktparteien beziehen sich auf die Merkmale, die einen Staat oder eine Regierung auszeichnen, wie die Unabhängigkeit einer Kolonie, die Sezession eines Teils des Staatsgebiets, die Grenzen des Staates, den Besitz eines Territoriums, die Ausübung der Regierungsgewalt, die Art des politischen Systems und die Regelung des Zusammenlebens der verschiedenen innerhalb desselben Staates siedelnden ethnischen oder sozialen Gruppen.

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Mittel können nicht-militärischer (ziviler) oder militärischer Art sein. Die nicht-militärischen Mittel umfassen ein weites Spektrum von der verbal geäußerten Interessenartikulation gegenüber der anderen Konfliktpartei bis zur Androhung oder Verhängung von Sanktionen bzw. des Angebots oder der Gewährung materieller oder sonstiger Anreize für den Fall, daß die andere Seite das gewünschte Verhalten zeigt. Die militärischen Mittel reichen von vereinzelten Scharmützeln bis zum Krieg.

Möglichkeiten der Konfliktbeendigung

Ein Konflikt kann auf verschiedene Art beendet werden:

  • Eine Konfliktpartei gewinnt (militärisch) die Oberhand und setzt ihre Interessen zu Lasten der anderen durch.
  • Eine Konfliktpartei gibt nach, indem sie ihre Interessen gegenüber der anderen nicht mehr verfolgt und dieser damit Zugeständnisse macht, d.h. der Konflikt wird passiv beigelegt.
  • Die Konfliktparteien einigen sich entweder direkt mittels Verhandlungen oder mit Hilfe einer dritten, vermittelnden Partei auf eine Vereinbarung zur Lösung oder zumindest zur Regelung des Konflikts

Voraussetzungen einer friedlichen Konfliktregelung

Die Konfliktparteien sind eher dazu bereit, eine Konfliktregelung zu akzeptieren und umzusetzen, wenn sie die Erwartung hegen, dadurch ihre Lage zu verbessern bzw. wenigstens nicht zu verschlechtern. Dazu muß ihnen eine attraktive Alternative zur Fortsetzung der Auseinandersetzungen geboten werden.

Ein militärisches Patt zwischen den Konfliktparteien oder aber der (militärische) Erfolg der Gegenseite(n) und hohe eigene Verluste können ebenso die Kompromißbereitschaft einer Konfliktpartei erhöhen wie die Veränderung ihrer Binnenstruktur (wie ein Führungswechsel auf Oppositions- oder Regierungsseite oder ein Systemwechsel innerhalb eines Staates) oder die Veränderung des internationalen Umfelds (z.B. durch Entzug der wirtschaftlichen oder militärischen Hilfe durch indirekt Beteiligte).

Bezüglich der Interessengegensätze sollte ein Kompromiß oder Tauschhandel möglich sein. Nullsummenspiele, bei denen der Gewinn der einen Seite gleichbedeutend mit dem Verlust der anderen ist, müssen in der Weise veränderbar sein, daß alle Konfliktparteien teils Zugeständnisse machen und teils Zugeständnisse gewährt bekommen.

Der konkrete Inhalt der Vereinbarung muß allgemein dazu in der Lage sein, das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien (wieder)herzustellen und aufrechtzuerhalten und auf diese Weise eine Deeskalation zwischen ihnen zu ermöglichen.

Vereinbarungen, durch die interne Konflikte gelöst werden sollen, können je nach Sachlage des konkreten Konflikts die Aufnahme der vormaligen Rebellen in die Regierung und ihrer Militärverbände in die offizielle staatliche Armee und in die Polizei, Veränderungen des politischen Systems in Richtung auf Demokratisierung und Föderalisierung, die Einführung eines der ethnischen Zusammensetzung der auf dem Staatsgebiet lebenden Bevölkerung entsprechenden Proporzes bei der Sitzverteilung im Parlament und der Vergabe von Stellen im öffentlichen Sektor, allgemeine Parlaments- und Staatsoberhauptswahlen unter uneingeschränkter Teilnahme der Opposition, eine Amnestie der vormaligen Kämpfer und deren Demobilisierung und Reintegration in das Zivilleben, die Verfolgung von Kriegsverbrechern durch ein Strafgericht und soziale Reformen wie Landreformen vorsehen. (Die Mehrzahl dieser Elemente sind beispielsweise in den umfangreichen Vereinbarungen zur Beendigung der langfristigen Bürgerkriege in Mosambique, vom 07.08.92, und Guatemala, vom 29.12.96, enthalten.)

Kriterien einer erfolgreichen friedlichen Konfliktregelung

Eine entweder durch Verhandlungen oder durch Vermittlung oder durch einen Schiedsspruch zustande gekommene, auf dem Konsens der Konfliktparteien beruhende Vereinbarung wird als gelungene friedliche Konfliktlösung betrachtet, wenn sämtliche der folgenden Bedingungen vorliegen:

  • Alle Konfliktparteien, die über ausreichend Macht verfügen, um gegebenenfalls die Umsetzung einer Vereinbarung verhindern zu können (im folgenden: alle relevanten Konfliktparteien) sind in den Friedensprozeß eingebunden und respektieren sich gegenseitig als legitime Verhandlungspartner. Bei ihren Anhängern oder ihrer Gefolgschaft, insbesondere bei den bewaffneten Einheiten, verfügen die Führer der Oppositionsgruppen beziehungsweise die Regierungsmitglieder über so viel Rückhalt, daß sie ihnen gegenüber Zugeständnisse, die sie der jeweils anderen Verhandlungsdelegation zusagen, auch durchsetzen können.
  • Die Vereinbarung löst möglichst alle oder wenigstens möglichst viele derjenigen Probleme, die zum Ausbruch des Konflikts beigetragen haben. Dazu müssen sich die Konfliktparteien darüber einig werden, welche Sachverhalte als Konfliktursachen anzusehen und wie diese zu beheben sind. Die Vereinbarung muß widerspruchsfrei und eindeutig formuliert sein, um einen Streit um ihre Auslegung und Umsetzung zu vermeiden. Eventuell vereinbarte Fristen, innerhalb derer die Konfliktparteien bestimmte Maßnahmen ergriffen haben müssen, sollen einhaltbar sein. Die Vereinbarung muß von allen relevanten Konfliktparteien ohne Vorbehalt akzeptiert werden. Darüber hinaus darf sie nicht auf Kosten Dritter geschlossen werden.
  • Zwischen den relevanten Konfliktparteien kommt es nicht erneut zum Ausbruch eines Konflikts, dem dieselben Interessengegensätze zu Grunde liegen, die in der Vereinbarung geregelt werden sollten.

Nicht immer werden bei einer Konfliktregelung sämtliche vorgenannten Anforderungen an eine gelungene friedliche Konfliktlösung erfüllt. Als eine teilweise oder zeitweise gelungene Konfliktlösung werden Vereinbarungen angesehen, bei denen entweder

  • nicht alle relevanten Konfliktparteien in den Friedensprozeß eingebunden sind (Der Vertrag über die Befriedung der südphilipinischen Insel Mindanao vom 02.09.96 wurde z.B. nur von Vertretern der Regierung und einer Rebellengruppe unterzeichnet. Die übrigen Gruppen und Teile der Bevölkerung fühlen sich an die Vereinbarung nicht gebunden);
  • sich mindestens eine Konfliktpartei nur vorübergehend oder nur zum Teil an die getroffene Vereinbarung hält (siehe z.B. den Konfliktverlauf in Afghanistan und Angola);
  • oder in denen nicht alle zwischen den Konfliktparteien existierenden Probleme gelöst werden (Die Erklärung über die Grundlagen der gegenseitigen Beziehung zwischen der Russischen Föderation und Tschetschenien vom 31.08.96 klammert z.B. den Hauptstreitpunkt, den politischen Status Tschetscheniens, aus).

Schwierigkeiten bei der Regelung oder Lösung interner Konflikte

Formalisierte, von den relevanten Konfliktparteien dauerhaft eingehaltene friedliche Konfliktregelungen sind bei zwischenstaatlichen Konflikten eher zu erreichen als bei ausschließlich internen oder internationalisierten internen Konflikten. Das ist darauf zurückzuführen, daß bei zwischenstaatlichen Konflikten in der Regel weniger Konfliktgegenstände zwischen weniger Konfliktparteien umstritten sind und die Führer der Konfliktparteien in den meisten Fällen über genügend Autorität verfügen, um die mit der anderen Konfliktpartei getroffenen Vereinbarungen gegenüber den eigenen Gefolgsleuten auch durchzusetzen.

Interne Konflikte, insbesondere solche in Ländern, in denen die staatliche Autorität zerfällt oder bereits zerfallen ist, sind schwerer zu lösen als andere Konflikte, da es sich bei den Konfliktgegenständen oft um nicht teilbare Güter wie Identitätsfragen von mehreren sich gemäß ihrer ethnischen Zugehörigkeit definierenden Gruppen handelt. Darüber hinaus ist bei internen Konflikten oft ein Vielzahl von Konfliktparteien beteiligt, die (wie z.B. in Afghanistan) häufig wechselnde Allianzen bilden und sich oft in untereinander verfeindete Splittergruppen weiter aufspalten.

Häufig verschärfen Bemühungen um die friedliche Streitbeilegung den Zersplitterungsprozeß zwischen den diversen Rebellen. Denn werden die mit einem Abkommen verbundenen hohen Erwartungen an die Verbesserung der materiellen und sozialen Lage der (vormaligen) Rebellen nicht baldmöglichst erfüllt - was gerade in einem vom Bürgerkrieg zerstörten Land besonders schwierig zu bewerkstelligen ist - setzt oftmals der radikale Flügel der Rebellen den Kampf fort. Hinzu kommt, daß sich bei lang anhaltenden internen Konflikten eine Gruppe von Kriegsgewinnlern (warlords) herausbildet, deren Interesse gerade nicht darin liegt, den Konflikt zu beenden, sondern ihn fortzuführen.

Bei Bürgerkriegen sind auch häufig mehr Opfer zu beklagen als bei zwischenstaatlichen Kriegen. Aufgrund des uneindeutigen Frontverlaufs ist bei Bürgerkriegen der Anteil der zivilen Opfer besonders hoch. Gerade die hohe Anzahl der Opfer kann aufgrund der auf allen Seiten vorhandenen Verbitterung und Rachegefühle die Konfliktbeilegung erschweren, zumal die Konfliktbeteiligten in unmittelbarer physischer Nähe nebeneinander leben.

Die in der UN-Charta vorgesehenen Mittel zur friedlichen Streitbeilegung wie die Einschaltung eines Schiedsgerichts, die Verhandlung oder die Vermittlung beziehen sich auf zwischenstaatliche Konflikte. Demgegenüber sind den Möglichkeiten, von außen auf interne Konflikte einzuwirken, aufgrund des im Völkerrecht verankerten Prinzips der Nichteinmischung in interne Angelegenheiten anderer Staaten Grenzen gesetzt. Mangelt es am Willen oder an der Fähigkeit der Parteien in internen Konflikten, ihre Interessengegensätze friedlich zu lösen, gibt es daher kaum Möglichkeiten, sie von außen dazu zu veranlassen.

Literatur

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Pfetsch, Frank R. (Hrsg.) 1996: Globales Konfliktpanorama 1990 - 1995. Heidelberger Studien zur internationalen Politik Band 1. Münster.

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Antimilitarismus Information 1995: Gewaltfreie Konfliktbearbeitung. Jg. 25. Nr. 12.

Der Überblick. Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit 1995: Die Herren des Krieges. Jg. 31. Nr. 2.

Sabine Klotz, M.A., Freie Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg.