Mit Schill & Schily gegen das Böse

in (11.10.2001)

Ein in den letzten Wochen vielgehörter Satz klingt immer deutlicher wie eine unheilvolle Drohung: Nach dem 11. September 2001 werde nichts mehr so sein wie zuvor.

Die grauenhaften Anschläge sprengten alle Vorstellungen außerhalb eines konventionellen Krieges oder eines amerikanischen Horrorfilms. Die hinterhältigen Selbstmord-Attentate gegen Tausende Zivilpersonen lösten eine Welle der Trauer, der Solidarität und Hilfsbereitschaft aus, aber auch abgrundtiefe Unsicherheit, Angst und Gewaltphantasien. Es ist nicht auszuschließen, daß weitere verheerende Terroranschläge gegen die Zivilbevölkerung der reichen Industrienationen und gegen Einrichtungen ihrer Risikogesellschaften drohen. Schon heute wird von einem "neuen Krieg" gesprochen, dem mit einem entgrenzten und lang andauernden "Krieg gegen den Terrorismus" begegnet werden müsse. Zunehmende Eskalation und Kollateralschäden inbegriffen.

Neben dem militärischen Alarm ist aus der Prophezeiung, nichts werde mehr so sein wie zuvor, auch eine massive innenpolitische Drohung herauszuhören, die in der Bundesrepublik schon mit Eifer umgesetzt wird. Die Stunde der autoritären Sicherheitsstrategen hat geschlagen - und damit womöglich das letzte Stündlein eines ohnehin schon kräftig gerupften liberalen Rechtsstaates. In hektischer Betriebsamkeit wird der Durchmarsch des Überwachungsstaates geprobt, werden ganze Lebensbereiche problematischen Rasterfahndungen unterzogen und umfangreiche "Anti-Terror-Pakete" geschnürt: Neben sinnvollen oder zumindest nachvollziehbaren Vorhaben, etwa der Erhöhung der Flugsicherheit, verbesserter Kontrolle transnationaler Finanzströme oder der Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht, sind darunter auch so zweifelhafte wie die Ausweitung schon bestehender Anti-Terror-Gesetze, Regelanfragen an den Verfassungsschutz in Einbürgerungs- und Asylverfahren, Fingerabdrücke im Paß sowie Lockerungen des Datenschutzes im Angebot - frei nach dem Motto von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der Datenschutz sei hierzulande ohnehin "übertrieben" worden. Will Schily der Bevölkerung wirklich weismachen, mit weniger Datenschutz hätten die Terroranschläge in New York und Washington verhindert werden können?

Es ist ja richtig, daß angesichts der Bedrohungslage nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kann, daß eine Regierung für die Sicherheit ihrer Bürger sorgen und dem angeschlagenen Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung Tribut zollen muß. Doch die berechtigte Frage, ob die staatlichen Reaktionen tatsächlich mehr Sicherheit bringen und ob sie bürgerrechtsverträglich sind, wird kaum noch gestellt, geschweige denn beantwortet. Wäre die eine oder andere Maßnahme überhaupt geeignet gewesen, unauffällige Studenten als potentielle Massenmörder bereits im Vorfeld aufzuspüren? Eine differenzierte Beurteilung ist in dieser aufgeheizten Debatte wenig gefragt, weshalb auch die mitregierenden Bündnisgrünen mit ihrer Warnung vor "überzogenen Forderungen", ihren Appellen an "Vernunft" und "rechtsstaatliches Augenmaß" zunehmend unter Druck geraten, dem sie, so hat es den Anschein, kaum noch standhalten können.

Ein solcher Anti-Terror-Aktionismus ist hierzulande nicht neu, sondern entspricht einem alten Ritual, das schon viele Sicherheitspolitiker und Polizeiminister, jeder zu seiner Zeit, bestens beherrschten - ob FDP-Maihofer, CSU-Zimmermann, CDU-Kanther, SPD-Schily oder jüngst der designierte Innensenator Ronald Barnabas Schill ("Richter Gnadenlos"), der jüngst in Hamburg, wo einige mutmaßliche Attentäter unauffällig studiert und gelebt hatten, auf Anhieb fast 20 Prozent der Wählerstimmen errungen hat.
Schill & Schily - die starken Männer des nicht erklärten Ausnahmezustands. Ungeachtet aller Risiken und Nebenwirkungen dient dieser in Teilen irrational wirkende Sicherheitsaktionismus der Beruhigung einer verunsicherten Bevölkerung, etwa nach dem Motto "Seht her, wir sind handlungsfähig und tun etwas in dunkler Zeit". Da weiß die rot-grüne Bundesregierung nur zu genau, was sie gerade jetzt an ihrem scharfen Schily hat, der seit dem 11. September beängstigend an Wählergunst hinzugewonnen hat. Umfragen zufolge ist die Bevölkerung tatsächlich zu über achtzig Prozent bereit, zugunsten von vermeintlich mehr Sicherheit auf ihre persönlichen Freiheitsrechte zu verzichten. Was der Bundesinnenminister sogleich "mit äußerster Konsequenz und mit der gebotenen Härte" in die Tat umzusetzen verspricht: Er werde, so verkündete er im Bundestag, "alle polizeilichen und militärischen Mittel aufbieten, über die die freiheitlich-demokratische Staatsordnung, die wehrhafte Demokratie verfügt" - obgleich wirkliche Sicherheitslücken nach dem Terroranschlag bislang kaum ausgemacht worden sind. "Derjenige, der die Freiheit einschränkt, sollte die Beweislast tragen", mahnt der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) zurecht, "nicht derjenige, der sie gegen unsinnige Forderungen verteidigt, die doch nur symbolischen Charakter haben".

Nach drei Jahrzehnten permanenten Nachrüstens des Sicherheitsarsenals, an dem sich Otto Schily schon in Oppositionszeiten unter anderem mit der Aushebelung des Asylrechts und dem Großen Lauschangriff tatkräftig beteiligte, ist das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht. Da denkt Schily, nicht Schill, schon mal laut über den Einsatz der Bundeswehr im Innern nach - eine Notstandsmaßnahme, die nach geltendem Verfassungsrecht und den umstrittenen Notstandsgesetzen der 60er Jahre nur möglich ist, wenn der Bundestag einen "Notstandsfall" mit Zwei-Drittel-Mehrheit förmlich festgestellt hat. So weit ist es nun wirklich noch nicht gekommen. Doch, so Schily, "in meinem Haus gilt der Grundsatz..., daß sich niemand dadurch auszeichnet, daß er mir umständlich erklärt, was angeblich nicht geht." Und Schily hat nicht lediglich Objektschutz oder logistische Hilfestellung der Bundeswehr bei Katastropheneinsätzen im Sinn, sondern ein "Ineinandergreifen von militärischen und polizeilichen Operationen und Strategien", wie er am 19. September im Bundestag verkündete. Schily - selbst ein Sicherheitsrisiko, eine Gefahr für die Bürgerrechte?
Angesichts solch aufgeputschter Politstimmungen sehnt man sich geradezu nach besonnenen Stimmen. Und die kommen mitunter von ungewohnter Seite. So fürchtet selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) um die "Bürgernähe der Sicherheitskräfte" und den "liberalen Staat": "Es wird einen Bruch geben, wenn all die angekündigten Konsequenzen ... gezogen werden", prophezeit der niedersächsische GdP-Landesvorsitzende, Bernhard Witthaut. "Wenn die Polizei jetzt größere Kompetenzen erhält, wird uns das zurückwerfen in die Zeit der 70er und 80er Jahre."

Die Anschlagsserie in den USA gilt vielen Politikern von CDU, SPD und Grünen als Angriff gegen die Demokratie, gegen Freiheit und die offene Gesellschaft schlechthin. Doch die staatlichen Reaktionen auf diese Terroranschläge werden wesentlich größeren und nachhaltigeren Schaden an Demokratie, Freiheit und Bürgerrechten anrichten, als es die Anschläge selbst vermochten.