Gravierende Mängel in prinzipiellen Fragen

Die Diskussion um das Embryonenschutzgesetz

Kein forschungspolitisches Gesetz steht derzeit so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wie das Embryonenschutzgesetz - obwohl es in seinen konkreten Inhalten nur den wenigsten bekannt ist.

Ist heutzutage von neuen genetischen Forschungsrichtungen oder Diagnoseverfahren wie Stammzellenforschung oder Präimplantationsdiagnostik die Rede, dann bleibt - ob in zustimmender oder abgrenzender Absicht - der Verweis auf das Embryonenschutzgesetz nicht aus. Während die Fraktion der bekennenden GenforscherInnen das Gesetz als Hemmschuh der Forschung beklagt und unter Umgehung des Gesetzes zum Beispiel Stammzellenlinien aus dem Ausland importiert1 oder gar ins Ausland ausweicht, sehen es die SkeptikerInnen als notwendigen politischen Sperrriegel, der die ungebremste Forschung in ihre Schranken verweist und einen möglichen "Dammbruch" verhindert. Dabei hatte das Argument, "was nicht wir machen, machen die anderen", in dem sich die Angst vor nationalen Standortnachteilen, Forscherehrgeiz und persönliche Karriereambitionen unauflösbar vermischen, die Diskussion in den vergangenen zwei Jahren so polarisiert, dass die Anschlussfähigkeit der Wissenschaftsrepublik an das 21. Jahrhundert plötzlich nur noch von diesem Gesetzeswerk abhängig schien.

Kein Zufall war es deshalb, dass die richtungsweisende politische Entscheidung von Präsident Bush zum Klonverbot und zur Nutzung bereits existierender Stammzellenlinien2 im August dieses Jahres in der Bundesrepublik wie ein politischer Lackmustest wirkte, von dem sich jede Fraktion bestätigt fühlte. So begrüßte etwa der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, den amerikanischen Weg als unterstützend für die Vorgehensweise der DFG3, während die FAZ sogar ein "Votum für das deutsche Embryonenschutzgesetz" erkennen wollte.4 Von "Meilenstein" und "Signalwirkung" sprachen auch die Mitglieder des Enquête-Ausschusses des deutschen Bundestages Recht und Ethik der modernen Medizin Monika Knoche (Grüne) und Wolfgang Wodarg (SPD), und selbst der als radikaler Lebensschützer bekannte Hubert Hüppe (CDU) betonte die bestärkende Wirkung für die deutsche Rechtslage.5 Unabhängig davon wie man die US-amerikanische Forschungssituation und die Entscheidung Präsident Bushs einschätzt, ist ihre direktive Wirkung auf die deutsche Diskussion unübersehbar. Für die derzeitige Haltung vieler Politiker und Politikerinnen steht stellvertretend Forschungsministerin Edelgard Bulmahn, die die Forschung mit "überzähligen Embryonen" für "vertretbar" hält, im Übrigen am geltenden Recht ebenfalls nicht rütteln will, bis der Nationale Ethikrat im Herbst dieses Jahres seine Empfehlungen abgegeben hat.6

Der Embryo als "selbstständiges Rechtsgut"

Stammzellenforschung, "therapeutisches" Klonen oder die Präimplantationsdiagnostik - Begriffe also, die uns heutzutage ganz selbstverständlich begegnen - waren zur Entstehungszeit des Embryonenschutzgesetzes Ende der achtziger Jahre noch kein medizinisches Alltagsthema, obwohl Experimente mit Fötalgewebe in der Transplantationsmedizin in die sechziger Jahre zurückreichen und in den Achtzigern zu einer medizinisch ernsthaft verhandelten Alternative wurden.7 Entscheidender Anlass für die Notwendigkeit, den Embryo gesetzlich zu schützen, waren vielmehr die Entwicklungen in der Reproduktionstechnologie, die künstliche Befruchtung und die Geburt des ersten Retortenbabys Louise Brown 1978. Im Unterschied zu den verschiedenen Strafrechtsregelungen des § 218 StGB, der das Lebensrecht des Embryo gegen die abtreibungswillige Frau zu verteidigen vorgab und in diesem Sinn vor allem eine patriarchale Disziplinierungsmaßnahme darstellte, sollte das Embryonenschutzgesetz den Embryo gegen Missbrauch durch Dritte schützen. Mit der Auslagerung der befruchteten Eizelle aus dem Körper der Frau ins Labor wuchsen auch die fremden Zugriffsmöglichkeiten auf den neuen, viel versprechenden "Geweberohstoff".

Neue Koalitionen

Dennoch war es gerade die Strafrechtsreform des § 218 StGB von 1974 und insbesondere das darauf folgende Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein Jahr später, das für das Embryonenschutzgesetz von Bedeutung werden sollte. Unter Berufung auf Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes erklärten die Karlsruher Richter und Richterinnen "das sich im Mutterleib entwickelnde Leben" als "selbständiges Rechtsgut", das unter dem besonderen Schutz der Verfassung steht.8 Entscheidend für die späteren Diskussionen war das Urteil zum einen im Hinblick auf die erstmals juristisch vollzogene Trennung von Fetus - der Begriff "Embryo" bürgerte sich erst mit der aufkommenden Forschung am Embryo ein - und der schwangeren Frau; zum anderen aber auch hinsichtlich des Lebensbeginns, da eine natürliche Schwangerschaft in der Regel erst nach ca. 14 Tagen erkannt wird; eben jene 14 Tage, während der die für die Embryonenforschung entscheidende Kernverschmelzung stattfindet.

Der 1990 vom damaligen Justizminister Engelhardt (FDP) vorgelegte Regierungsentwurf nahm diese heikle Zeitspanne in den Blick, indem er von der Annahme ausging, dass bereits die befruchtete Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an ein "Embryo" und damit schützenswert sei. Dies sollte, so der Wille des Gesetzgebers, die fremdnützige Verwendung von Embryonen - etwa zu Forschungszwecken - ebenso verhindern wie die missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken. "Nicht alles, was technisch machbar ist", so die damalige Richtschnur des Bundesjustizministers, "darf auch gemacht werden."

Von politischem Interesse ist diese Entstehungsgeschichte auch deshalb, weil sich bei diesem Thema erstmals neuartige Koalitionen abzeichneten: Im Unterschied zu den damals sonst üblichen Koalitionen zeichneten sich überraschende Übereinstimmungen zwischen Konservativen und Grünen ab, die aus den unterschiedlichsten Motiven heraus einen möglichst weit gehenden Schutz des Embryos durchsetzen wollten. Die (als Minderheit operierenden) sozialdemokratischen und liberalen ModernisiererInnen dagegen versuchten eine Lanze für die Forschungsfreiheit zu brechen, indem sie eine weit gehende Liberalisierung der Fortpflanzungstechnik, allerdings auch familienpolitische Innovationen durchzusetzen versuchten. Dass die Grünen am Ende doch gegen den Regierungsentwurf votierten, lässt sich zum einen ganz sicher auf parlamentarisch-taktische Erwägungen zurückführen, teilweise aber auch auf die Kritik vor allem aus feministischen Kreisen, die bemängelte, dass es sich beim Embryonenschutzgesetz um ein reines Strafgesetz handelte, das von der frauenpolitischen Bedeutung der Sache absehe. Der nachgeschobene grüne Entschließungsantrag, die gesamte Embryonenforschung und künstliche Befruchtung generell zu verbieten, scheiterte. Dennoch wurde das am 24.10.1990 schließlich verabschiedete Gesetz9 als weltweit restriktivste Regelung im Bereich des Embryonenschutzes gefeiert.

Embryonenschutz mit Lücken

Was einmal ein auch von den Bundesländern getragenes weit gehendes Gesundheitsrecht hätte werden sollen, endete als reines Strafrecht. Der zwölf dürre Paragraphen umfassende Verbotskatalog regelt den Umgang mit invitro erzeugten, also außerhalb der Gebärmutter befruchteten Embryonen.10 Voraussetzung und einziger Zweck der Invitro-Fertilisation, so das Gesetz unmissverständlich, ist die Herbeiführung der Schwangerschaft der Frau, von der auch die Eizelle stammt. Dies impliziert das Verbot der Eizellspende ("gespaltene" Mutterschaft) und der Leihmutterschaft ebenso wie die "Vernützlichung" von "überzähligen" Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung anfallen könnten: §1 Abs. 3 und 4 untersagen, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Eizellen zu befruchten und auf eine Frau zu übertragen.

Nicht verboten indessen ist das "ausnahmsweise" Tieffrieren (Kryokonservierung) von Embryonen, sollten diese zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nicht eingepflanzt werden können - aus Gründen des Embryonenschutzes, wie die Union damals argumentierte. Generell untersagt ist das Klonen von Menschen (§ 6) und die Herstellung von so genannten Hybridwesen, also Mischwesen zwischen Tier und Mensch (§ 7). Deutlich konservative Züge offenbart das Gesetz, wo es die Fortpflanzungstechniken beschränkt auf Ehepartner: Mit ihrer Forderung, diese auch den auf Dauer angelegten, möglicherweise auch gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu öffnen, konnte sich die SPD damals nicht durchsetzen. Völlig offen lässt das Gesetz auch, wie die Verbote kontrolliert werden sollen und wer für die Kontrolle zuständig ist.

Konfliktlinien

Bereits die dem Embryonenschutzgesetz vorausgegangenen Debatten haben auf einige der uns heute bewegenden Probleme vorausgewiesen. Dass unter dem Vorwand, kinderlosen Paaren helfen zu wollen, in Wirklichkeit "die rechtlichen Voraussetzungen für die Manipulation am menschlichen Erbgut" geschaffen würden, hatte die damalige grüne Bundestagsabgeordnete Marie-Luise Schmidt kritisiert.11 "Gravierende Mängel in prinzipiellen Fragen"12 beklagte auch die SPD-Abgeordnete Hertha Däubler-Gmelin, die als Bundesjustizministerin mittlerweile mit den Lücken im Gesetz und der von ihr befürchteten "Grauzone der Forschung" konfrontiert ist. Das Parlament hatte sich in dieser Frage also keineswegs "blind" gezeigt, doch insgesamt weder die Konsequenzen juristischer Unentschiedenheit erwogen noch realistisch einzuschätzen vermocht, wie rasch sich die Entwicklungen im Bereich der Gen- und Repromedizin vollziehen würden.

Immerhin ist das im Embryonenschutzgesetz zumindest prinzipiell festgehaltene Verbot so genannter verbrauchender Forschung an Embryonen13 - mit entscheidenden Ausnahmen in § 5 Abs. 4, 1 und 214 - heute einer der wichtigsten Auseinandersetzungspunkte. War bei der Vorbereitung der Gesetzes das oben genannte Argument, kinderlosen Paaren helfen zu wollen, in den Vordergrund geschoben worden, sind es nun die unheilbar Kranken, die gegen den schützenswerten Embryo in Anschlag gebracht und einer unzulässigen Güterabwägung ausgesetzt werden. So begründet etwa Brüstles Kollege Otmar Wiestler den Antrieb für die Forschung an Embryonen damit, Neuropathologen arbeiteten auf einem Gebiet, auf dem sie häufig mit leeren Händen dastünden und man den betroffenen Patienten gegenüber eine "besondere Verpflichtung habe".15 Wiestler und Brüstle stehen hier nur stellvertretend für eine Forscherlobby, die der Forschungsfreiheit den Vorrang vor dem Embryonenschutz einräumt. So bekennt sich Brüstle auch unverhüllt zur Änderung des Embryonenschutzgesetzes, da "man sonst zu sehr von ausländischen Lieferanten abhängig werde."16
Um diese unterschiedlichen Rechtsgüter kreist die seit vielen Monaten andauernde bioethische und forschungspolitische Debatte, die an dieser Stelle kaum nachgezeichnet werden kann. Einen neuen Höhepunkt fand sie im Sommer mit der Rede von Bundespräsident Rau, der eine explizite Stellungnahme des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Hubert Markl folgte.17 Während Johannes Rau in sehr nachdenklicher Art den bioethischen Bedenken hohen Stellenwert einräumte und vor der "Überschreitung des Rubikon" warnte, erklärte Markl es als gesellschaftliche Verpflichtung, diesen ohne Bedauern und falsche Rücksicht zu überqueren - just in einem Augenblick übrigens, wo die Max-Planck-Gesellschaft sich erstmals ernsthaft mit ihrer NS-Geschichte auseinander zu setzen hat.18

Den wissenschaftlichen Begehrlichkeiten nach den so genannten totipotenten Zellen19 steht derzeit also das Embryonenschutzgesetz im Wege. Wollen sich Forscher nicht auf Experimente an adulten Stammzellen beschränken20, sind sie derzeit entweder darauf angewiesen, Embryonen, die bei Schwangerschaftsabbrüchen "anfallen", zu verwenden21 oder diese aus dem Ausland zu importieren. Beides ist dem Gesetz nach zwar nicht verboten, aber ethisch höchst umstritten.

Embryonenschutz
versus Selbstbestimmung

Dass die Zulassung der In-vitro-Fertilisation und weiter gehende Reprotechniken - etwa die gezielte künstliche Insemination (ICSI) - die betroffenen Frauen bald in unlösbare Dilemmata führen könnten, fürchteten vor allem feministische Kritikerinnen schon früh. In den späten achtziger Jahren ging es noch um die erlaubte Geschlechtswahl des Kindes, wenn dadurch perspektivisch bestimmte schwere Erbkrankheiten wie Mukoviszidose verhindert werden können. Mittlerweile hat sich die gendiagnostische Forschung so sprunghaft entwickelt, dass eine mögliche Schädigung des Embryos unter Umständen bereits invitro, also vor dessen Übertragung in die Gebärmutter, erkannt werden kann. In diesem frühen Stadium sind nach herrschender Auffassung die Zellen, die dem Embryo zur Untersuchung entnommen werden müssen, jedoch totipotent, das heißt, sie haben die Fähigkeit, sich zu einem vollständigen Individuum weiter zu entwickeln. Wenn sie im Rahmen des Diagnoseverfahren zerstört würden, bedeutete dies einen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz.

Die so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID) ist derzeit Anlass kontroverser bioethischer Stellungnahmen: Während die einen für das Recht der Eltern auf möglichst gesunden Nachwuchs plädieren und die PID für eng begrenzte Krankheitsbilder zugelassen sehen wollen, weisen KritikerInnen darauf hin, dass diese Krankheitsbilder zwar frühdiagnostisch erfasst werden können, für die Krankheit selbst aber keine Therapie zur Verfügung steht. Das hat die Folge, dass ein als "geschädigt" eingestufter Embryo unweigerlich aussortiert und vernichtet würde. Darüber hinaus, so etwa die Münsteraner Frauengesundheitsforscherin Irmgard Nippert22, zeigen die Erfahrungen mit der pränatalen Diagnostik, dass es fast unmöglich ist diagnostische Verfahren auf wenige Fälle zu begrenzen; die Technik selbst habe die Neigung auf andere Bereiche zu expandieren und sich - wie mittlerweile die vorgeburtliche Diagnostik - von einer Ausnahmediagnostik zu einem screening-Verfahren auszuweiten.

Nicht nur die Behindertenverbände laufen gegen diese neue frühe Form der Selektion Sturm; auch vom Enqueteausschusses des Deutschen Bundestages ist eine skeptische Stellungnahme zur PID zu erwarten. Dass das Problem mit einem einfachen Verbot inzwischen kaum mehr gelöst werden kann, zeigt der PID-"Tourismus" nach Belgien oder in die USA, wo PID erlaubt ist. Neuerdings bieten mehrere amerikanische Reproduktionskliniken sogar die "freie Geschlechtswahl" des zukünftigen Kindes an.23 Interessanterweise sind im Zusammenhang mit PID auch erstmals Ermittlungsverfahren nach dem Embryonenschutzgesetz eingeleitet worden.24 Das Embryonenschutzgesetz sieht neben Geldstrafen bei groben Verstößen auch Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren vor, die Missachtung des Klonverbots, der Keimbahnintervention und der Chimärenbildung zieht Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren nach sich. Bedenkt man die unabsehbaren Wirkungen solcher missbräuchlicher Forschung und Anwendung, ein relativ niedriges Strafmaß.

Gesellschaftspolitische Perspektiven

Kein moderne Forschungsgegenstände betreffendes Gesetz25 steht derzeit so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wie das Embryonenschutzgesetz - obwohl es in seinen konkreten Inhalten wahrscheinlich nur den wenigsten bekannt ist. Zur Publizität des Gesetzes beigetragen haben nicht nur die Debatten über Stammzellenforschung oder Präimplantationsdiagnostik, sondern auch das von der ehemaligen Gesundheitsministerin Fischer vorangetriebene, aber nicht mehr realisierte Fortpflanzungsmedizingesetz, das nicht nur die Lücken im bestehenden Recht schließen, sondern den Geist des einmal geplanten Embryonenschutzgesetzes einlösen und ein umfassendes, gesellschaftlich breit diskutiertes, auch familienrechtliche Fragen regulierendes Gesundheitsgesetz werden sollte.

Auf dem von Ministerin Fischer damals ausgerichteten Vorbereitungskongress kam eine Ahnung davon auf, in welcher Weise diese Diskussion organisiert werden müsste.26 Über die einzelnen Aspekte hinaus nämlich öffnete sich die Debatte damals auch Fragestellungen, die seit den großen Auseinandersetzungen um den § 218 StGB völlig in der Hintergrund gedrängt worden waren, aber durch die Fortpflanzungsmedizin und -forschung in ein neues Licht rücken: Statt nur mehr das "Lebensrecht" des Embryos entweder gegen die (berechtigten) Interessen von Eltern oder Patienten auszuspielen oder den Forschungsinteressen gegenüberzustellen, klang gelegentlich auch einmal die Frage nach den "Produzentinnen" des embryonalen "Materials" oder der für das "therapeutische" Klonen notwendigen Eizellen auf. Dass es immer noch schwangere Frauen sind und nicht Ärzte oder Repro-Mediziner, die Kinder auf die Welt bringen, wird in der Diskussion nämlich häufig vergessen, und diese Tatsache verschwindet auch im Embryonenschutzgesetz, das die Rechte der Embryonen gegen den Rest der Welt zu verteidigen vorgibt. Immer wieder sollte jedenfalls daran erinnert werden, dass mit verbrauchender Embryonenforschung oder der Zumutung, unter Embryonen auswählen zu sollen, zuvörderst nicht die normativ gesetzte Würde eines Embryos, sondern die konkrete Würde der Frau verletzt wird.

Seitdem allerdings Kanzler Schröder die Gentechnologie und damit auch die Fortpflanzungsmedizin zur "Chefsache" erklärt hat, sind diese vorsichtigen Berührungen und Verständigungen zwischen den verschiedenen Lobbyisten und gesellschaftlichen Gruppen abgerissen zugunsten eines im Jahr der Lebenswissenschaften organisierten Diskurses von oben nach unten.27 Dass sich Forscher allerdings überhaupt bemüßigt fühlen, in einen solchen Austausch einzutreten, muss als zivilgesellschaftlicher Erfolg bewertet werden. Wenn etwa der Leiter des Delbrück-Centrums in Berlin-Buch und mittlerweile Mitglied des Nationalen Ethikrats, Detlev Ganten, vor anderthalb Jahren das Embryonenschutzgesetz noch als unbillige Einschränkung der Forschungsfreiheit geißelte und heute zubilligt, dass die Gesellschaft mitzureden hat darüber, worüber geforscht wird und mit welchen Ziel28, dann ist dies eine Folge davon, dass Forschung sich nicht nur auf einem Markt von Konkurrenten durchsetzen muss, sondern auch auf einem öffentlich zugänglichen und demokratisch kontrollierbaren Meinungsmarkt.

Anmerkungen

1)
Zuletzt im Sommer dieses Jahres durch den umstrittenen und vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Clement gedeckten Versuch, Stammzellen aus Israel zu importieren, um das Forschungsprojekt um den Bonner Forscher Oliver Brüstle voranzutreiben.

2)
Am 9. August 2001 gab der US-amerikanische Präsident George W. Bush eine Erklärung ab, die das vorangegangene Votum des Repräsentantenhauses zum Klonverbot noch einmal bekräftigte, gleichzeitig aber staatliche Mittel für die Forschung an bereits existierenden Stammzelllinien zusagte. In Widersprüche verwickelte sich Bush in Bezug auf eingefrorene Embryonen, auf die diese Forschung nicht ausgedehnt werden soll, der Präsident gleichzeitig jedoch die rhetorische Frage stellt, ob eingefrorene Embryonen, da sie ohnehin zerstört werden, nicht besser der Forschung zur Verfügung zu stellen seien. Dieser Vernützlichungsgedanke treibt offenbar nicht nur die Transplantationsmedizin voran, sondern auch die Stammzellenforschung.

3)
Nach den öffentlichen Protesten gegen das Bonner Forschungsprojekt hatte die DFG ihre Zustimmung zurückgezogen und die Entscheidung vertagt, bis der Nationale Ethikrat seine Stellungnahme abgegeben hat.

4)
Vgl. Christian Schwägerl, Rückenwind, FAZ vom 11.8.2001; diese euphorische Sicht allerdings relativiert etwa Achim Bahnen in der FAZ vom 3.8.2001

5)
Vgl. FR vom 2.8.2001

6)
Interview mit Edelgard Bulmahn in der FR vom 18.7.2001

7)
Vgl. in kritischer Lesart Ingrid Schneider, Der neue medizinische Rohstoff, Frankfurt 1995, S. 44ff.; diese euphorischen Erwartungen haben sich, wie selbst der US-Präsident in seiner Rede einräumte, nicht erfülltt.

8)
Vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25.2.1975

9)
Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) in Bundesgesetzblatt 1990, Teil I, Seite 2746

10)
Weder hier noch im § 218 noch im Transplantationsgesetz regelt der Gesetzgeber den Umgang mit Embryonen, die aus Abtreibungen stammen. Deshalb bedienen sich die Stammzellforscher bis heute aus dieser "Geweberessource".

11)
taz vom 9.12.1989

12)
taz vom 25.10.1989

13)
Soweit die Embryonen erhalten werden, ist die Forschung an Embryonen - vor allem im Vorkernstadium - möglich, aber eingeschränkt durch das gleichzeitige Verbot, diese einzufrieren. Dass derlei Stammzelllinien auch in der Bundesrepublik existieren, wurde in der kürzlich geführten Auseinandersetzung um die Bonner Wissenschaftler deutlich. Das "ausnahmsweise" Einfrieren, das im Namen der Union eigentlich dem Embryonenschutz dienen sollte, wird nun zum Einfallstor für die verbrauchende Embryonenforschung.

14)
Danach ist die Veränderung menschlicher Keimbahnzellen erlaubt, wenn ausgeschlossen ist, dass diese zur Befruchtung verwendet werden; soweit es sich um eine Keimbahnzelle einer toten Leibesfrucht oder eines Verstorbenen handelt, ist unter der Voraussetzung, dass aus dieser kein neues Leben entsteht, die künstliche Veränderung der Erbinformation gestattet.

15)
Holger Wormer: Was man aus Kurzschlüssen lernen kann, in: SZ vom 11. Juni 2001

16)
Ebd.

17)
Die Rede von Hubert Markl ist dokumentiert in der FAZ vom 25.6.2001 und unter www.mpg.de nachzulesen

18)
Die verschiedenen Vorgängereinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft, die Kaiser-Wilhem-Institute, waren in unterschiedlicher Weise in die Vernichtungs- und Kriegspolitik der Nationalsozialisten involviert, deren Ausmaß und Form eine unabhängige Historikerkommission derzeit aufzuhellen versucht.

19)
Diese haben bekanntlich die Fähigkeit, sich unendlich zu vermehren und sind gleichzeitig so wenig festgelegt, dass sie dazu gebracht werden können, sich in unterschiedlichstes Gewebe zu entwickeln

20)
Wie wichtig es ist, alternative Forschungsmöglichkeiten zu verfolgen, beweisen die kürzlich dokumentierten Erfolge mit adulten Stammzellen an der Universitätsklinik Düsseldorf.

21)
Vgl. hierzu die aufschlussreiche Studie von Ingrid Schneider

22)
Vgl. Freitag vom 5. Januar 2001

23)
Washington Post

24)
Noch im Mai 2000 wies der Reproduktionsmediziner Henning Beier darauf hin, dass das Embryonenschutzgesetz bislang nie relevant geworden sei, was zum einen an der abgeschirmten Situation der Forschung liegen dürfte, zum anderen sicher auch am Desinteresse sowohl der Beteiligten an Aufdeckung derartiger Unregelmäßigkeiten als auch der Staatsanwaltschaften, in dieser Richtung zu ermitteln. Erst durch die hohe Publizität der PID ist der Fall des Lübecker Arztes Klaus Diedrich und anderer bekannt geworden, die Paare ins Ausland vermittelt haben, um dort in Deutschland nicht erlaubte Gentests vornehmen zu lassen (vgl. Tagesspiegel vom 7.4.2001) Dem Spiegel gegenüber hatte Diedrichs im März bestätigt, dass dies Praxis vieler Reproduktionsmediziner sei, "wenn das aber jemand sehr ungünstig auslegt, könnte es Beihilfe zur Durchführung einer Straftat sein." Nach Expertenangaben reisen bis zu hundert deutsche Paare jährlich zu PID-Tests nach Holland oder Belgien. In Deutschland könnten Ärzte dafür mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren bestraft werden.

25)
Dies gilt für das Gentechnikgesetz ebenso wie für die neuen Regelungen der Genpatente.

26)
Das Symposium fand vom 24.-26. Mai 2000 statt und zeichnete sich durch eine außerordentlich sachliche Kontroverse teilweise kaum zu vereinbarenden Positionen aus (vgl. meinen ausführlichen Bericht in Freitag vom 2.6.2000.)

27)
Vgl. dazu den Artikel von Vanessa Lux in diesem Heft

28)
Interview mit Detlev Ganten im Tagesspiegel vom 11.8.2001

Ulrike Baureithel ist Wissenschaftsredakteurin bei der Wochenzeitung Freitag und freie Publizistin in Berlin.

aus: Forum Wissenschaft 4/2001