Islam, Islamismus und Terrorismus

Islam, islamischer Fundamentalismus, islamistischer Terrorismus - wie verhalten sich diese Begriffe zueinander? Sind sie deckungsgleich oder haben sie nichts miteinander zu tun?

Mit den Terroranschlägen auf wirtschaftliche und militärische Wahrzeichen der westlichen Führungsmacht erhielt das junge 21. Jahrhundert sein erstes weltweites Diskussionsthema: Was ist der Islam, was wollen die Muslime, entsteht nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation eine neue globale Konfliktachse?

Zwar fiel in den unzähligen Medienberichten und Talkshows hierzulande manches kluge, abwägende und erhellende Wort zum Problem, das Gros der Berichte wurde aber einmal mehr von grob vereinfachenden Positionen beherrscht, die den Westen und die parlamentarische Demokratie im Entscheidungskampf mit dem Islam und Terrorismus sahen und - wenn sie noch die Geschichte bemühten - das christliche Abendland in seiner jahrhundertealten Auseinandersetzung mit morgenländischem Dunkelmännertum. Dieses Bild vermitteln nicht nur die Balkenüberschriften der Boulevardzeitungen, sondern auch die Kolumnen manch ›seriösen‹ Blattes und selbst wissenschaftliche Werke, von denen Samuel Huntingtons Kampf der Kulturen, das unlängst eine weitere deutsche (Taschenbuch)Ausgabe erfuhr, wohl das prominenteste ist. Als prägend müssen aber auch die Positionen westlicher Politiker und Militärstrategen gelten, die bis in die jüngste Vergangenheit hinein weniger als Korrektiv, sondern eher als Katalysator wirkten.

Seitdem 1979 Schah Mohammed Reza Pahlavi durch islamische Revolutionäre vom iranischen Pfauenthron gestoßen wurde, hatte noch jeder amerikanische Präsident einen ›Erzfeind‹ in der islamischen Welt. Mit dem Sturz des Schahs, ihres damaligen Hauptverbündeten im Mittleren Osten, mußten die USA eine strategische Schlappe hinnehmen. Nicht nur, daß Iran, das Land mit der zweitlängsten Landesgrenze zur damaligen Sowjetunion, aus dem westlichen Lager ausschied, auch der Militärpakt CENTO brach auseinander. Die amerikanische Präsenz am Persischen Golf, der wichtigsten Region für die Weltenergieversorgung, die Präsident Carter noch 1977 als von "vitalem Interesse" für sein Land erklärt hatte, war gefährdet. Ihn kostete der Fehlschlag der US-amerikanischen Iran-Politik zunächst einmal die Wiederwahl. Sein Nachfolger, Ronald Reagan, pflegte die Gegnerschaft zum iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini, erkor sich dann aber doch den libyschen Präsidenten Gaddafi zum Hauptfeind. Bush senior führte den zweiten Golfkrieg gegen den irakischen Präsidenten Saddam Hussain, sein Nachfolger Bill Clinton verteilte seine Antipathie in seiner ›dual-containment‹-Politik auf den irakischen und den iranischen Staatsführer. Mit dem "Kreuzzug" von Bush junior gegen Usama bin Laden beginnt nicht etwa ein neuer Konflikt, damit endet (vorläufig?) eine lange Reihe von Auseinandersetzungen.

Gleichwohl verfügte und verfügt die US-amerikanische Regierung über verläßliche Verbündete in der islamischen Welt: seien es die ägyptischen Präsidenten Sadat und Mubarak oder die saudi-arabischen Könige Faisal, Khalid und Fahd. Nur wurden und werden diese, wie viele ihrer muslimischen Landsleute, immer wieder durch die traditionelle Parteinahme der USA im Nahostkonflikt für Israel düpiert. Damit wird die Ebene der Personalisierung des Konfliktes verlassen, die zwar das Bild schärft, es jedoch auch vereinfacht. Zur Vervollständigung des Überblicks gehört zudem unbedingt die Neuorientierung des westlichen Verteidigungsbündnisses nach dem Ende des Kalten Krieges. Mag diese auch dadurch geprägt worden sein, daß der in diesem Krieg siegreiche Westen den ersten Waffengang danach mit der Operation ›Wüstensturm‹ gegen ein islamisches Land richtete, ihre Substanz ist klar und findet sich in Äußerungen führender NATO-Vertreter wieder. Der damalige Oberbefehlshaber John Galvin verabschiedete sich aus Brüssel nicht ohne die neue Richtung vorzugeben: "Den Kalten Krieg haben wir gewonnen. Nach einer siebzigjährigen Abirrung kommen wir nun zur eigentlichen Konfliktachse der letzten 1300 Jahre zurück. Das ist die große Auseinandersetzung mit dem Islam." 1 Und Generalsekretär Willy Claes erklärte 1995, daß der islamische Fundamentalismus eine ebenso große Gefahr für den Westen bedeute wie vordem der Kommunismus.

Nun soll hier keine einseitige Schuldzuweisung vorgenommen oder gar eine Umkehrung der Tatbestände versucht werden. Aber der 11. September hatte eine Vorgeschichte. Und auch wenn die Opfer dieses Schreckenstages bekannt sind, die Täter sind es nicht - zumindest nicht eindeutig und nicht für jedermann. Schon die Projektionen der zitierten NATO-Repräsentanten zeigen sich widersprüchlich. Für Galvin hieß der Gegner "der Islam", für Claes "islamischer Fundamentalismus", für seinen Amtsnachfolger Robertson heißt er "islamistischer Terrorismus". Wie verhalten sich diese Begriffe zueinander? Sind sie deckungsgleich oder haben sie nichts miteinander zu tun? Zwischen diesen Polen suchen die folgenden Ausführungen ihren Platz.

Islam

Der Islam ist in erster Linie eine monotheistische Weltreligion, die in ihrer jahrhundertelangen Geschichte ein reiches und vielfältiges historisches Erbe entwickelte. Die gegenwärtig mit dem Islam in Zusammenhang gebrachten Erscheinungen können schon allein deshalb nicht zur ausschließlichen Wesensbestimmung herangezogen werden, weil sie nur auf einen außerordentlich kleinen und häufig genug auch willkürlich gewählten Ausschnitt dieser Geschichte zurückgreifen. Aber: Auch der Islam des - hier willkürlich gewählten - 14. Jahrhunderts bleibt Islam. Im Kern bedeutet das, daß sich in seiner langen Geschichte stets Phasen der Reaktion und Besinnung mit Phasen der Aktion und Erneuerung ablösten, nicht ausschließlich chronologisch, sondern sich an vielen Orten gleichzeitig entwickelnd, überlappend oder ablösend. Der ›Atem‹ der Religion ist ruhig und gemessen, seine Bewegungen schlagen lange Bögen.

Zum Islam bekennen sich gegenwärtig über eine Milliarde Menschen auf verschiedenen Kontinenten. Er besitzt mithin so viele lokale ›Färbungen‹, daß von ›dem Islam‹ nicht gesprochen werden kann. Selbst der Verweis auf seine theologischen Grundlagen widerspricht dieser Aussage nicht. Die Religion zeigt sich extrem differenziert, nicht nur zwischen Sunniten und Schiiten, sondern auch innerhalb dieser großen Konfessionen, die etwa verschiedene Rechtsschulen entwickelten oder unterschiedlichen Imamen folgten und folgen; ganz zu schweigen von den verschiedenen Spielarten des Volksislam oder der islamischen Mystik, zum Beispiel des Sufismus.

Erst vor diesem Hintergrund als traditions- und facettenreiche Religion kann der Islam auch als Lebensweise, Weltanschauung und Kultur beschrieben werden, der moralische und ethische Wertvorstellungen seiner Anhänger prägt und somit auch in ihr soziales, politisches und kulturelles (Alltags)Leben hineinreicht. Deshalb hat es zum Beispiel auch zu allen Zeiten Bestrebungen gegeben, den Islam politisch zu instrumentalisieren. Ebenso gab und gibt es in Vergangenheit und Gegenwart immer einen hohen Prozentsatz an Muslimen, die sich einer Politisierung ihrer Religion verweigern, weil sie darin eine ›Beschädigung‹ oder gar ›Entweihung‹ sehen. Allerdings läßt sich feststellen, daß die Tendenzen zur Politisierung immer dann zunahmen, wenn sich die islamische Welt in Umbruchs-, Krisen-oder Bedrohungssituationen wähnte oder tatsächlich befand.

Eine besonders einschneidende derartige Situation entstand mit dem neuerlichen (nach den Kreuzzügen) massiven ›Einbruch‹ des Westens in die islamische Welt. Napoleons Sieg bei den Pyramiden 1798 war eben mehr als nur eine Episode, denn er bereitete dem Kolonialismus und Imperialismus des 19. und 20. Jahrhunderts den Boden. Neben den primären Folgen von Ausplünderung und Unterjochung beschäftigte die Muslime auf geistiger Ebene jetzt vor allem die Frage, wie es dem Westen so nachhaltig gelingen konnte, die doch im eigenen Selbstverständnis überlegene, da zuletzt verkündete und somit vollendete Buchreligion und die aus ihr hervorgegangene Kultur und Gesellschaft zu besiegen?

Eine der Antworten bestand im Entstehen einer Reform- und Erneuerungsbewegung des Islam im ausgehenden 19. Jahrhundert, die allein schon durch die Tatsachen, daß sie Bestehendes in Frage stellte, politisch wirkte.

Etappen der Politisierung

Die erste Generation der Reformer stand dem Westen und damit Begriffen wie Modernisierung, Reform und Entwicklung im allgemeinen positiv gegenüber und versuchte nicht nur auf materiellem, sondern auch auf geistigem Gebiet, Anschluß zu finden beziehungsweise Übereinstimmungen herzustellen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand eine zweite Generation, geprägt von den Erfahrungen des Kolonialismus, des Sozialismus, des Faschismus, der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkrieges. Während die erste Generation den Westen und seine Errungenschaften im wesentlichen schätzte, verband sich in der zweiten Generation die Anerkennung der industriellen und technischen Überlegenheit des Westens mit Zweifeln an den Folgen von Modernisierung und Entwicklung. Es wurde eine Kluft zwischen materieller Macht und geistigen, insbesondere moralischen und ethischen Mängeln ausgemacht. Schon diese Generation prägte das im gegenwärtigen politischen Islam virulente Axiom von der materiellen Überlegenheit des Okzidents bei gleichzeitiger geistiger Überlegenheit des Orients. Sie legte den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten deshalb in den Kultur-, vor allem in den Bildungsbereich. Explizit politische Forderungen und Aktionen blieben demgegenüber die Ausnahme. 2

Politischer Kampf hieß in dieser Periode vor allem antikolonialer Kampf und dieser fand vornehmlich unter der Flagge des Nationalismus statt. Das Ziel bestand darin, in den von den Kolonialmächten definierten Grenzen die ›nationale‹ Unabhängigkeit zu erreichen. Als sich an der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von den ›Mutterländern‹ auch nach dem Erreichen dieses Zieles nichts Grundlegendes änderte, wurde der Nationalismus in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vielfach durch (Proto)Sozialismus ergänzt oder ersetzt. Die sich ab diesem Zeitpunkt formierende ›Zweite Welt‹ versprach Beistand, Beispiel, Modell und Kontrastprogramm gegenüber und zu den bisherigen Hegemonialmächten, die im islamischen Kerngebiet des Mittleren Ostens und Nordafrikas ausschließlich aus dem Westen kamen. Um so größer die Ernüchterung, als sich die Erkenntnis durchsetzte, daß damit im Regelfall nur eine Abhängigkeit gegen eine andere ausgetauscht worden war.

Erst vor diesem Hintergrund erhielt eine dritte Generation islamischer Reformer Zulauf, die sich gegen jede weitere Übernahme fremder ›-ismen‹ wandte und die Lösung der Probleme in der Rückbesinnung auf das Eigene und Authentische, den Islam, propagierte. Der Westen wurde jetzt nicht länger als Quelle von Fortschritt und Entwicklung angesehen, sondern als ›Krankheit‹, deren Erreger auch auf die islamische Welt übergegriffen hätten und die es zu eliminieren galt. 3 Aus dieser Positionierung erwuchs auch die bis in die Gegenwart zu beobachtende Manie, den Westen für alle Mängel, Ungerechtigkeiten und Gebrechen im eigenen Lebensumfeld verantwortlich zu machen und so endogene Verursachungszusammenhänge entweder nicht wahrzunehmen oder zu negieren. 4

Globalisierung

Historischer Zufall oder nicht, bestechend ist die zeitliche Übereinstimmung der Herausbildung und Reife dieser dritten Generation mit der rasant beschleunigten Globalisierung im ausgehenden 20. Jahrhundert. Um dieses Wechselverhältnis zu verstehen, hilft die in vielen Fällen nützliche, weil instrumentelle und abstrahierende Definition von Globalisierung als immer dichtere und schnellere, tendenziell den gesamten Erdball umfassende Verflechtung zwischen räumlich weit entfernten Strukturen, Prozessen und Ereignissen, wie sie 1990 von Anthony Giddens vorgenommen wurde 5 , nicht. In der islamischen Welt werden nämlich die prinzipiellen Asymmetrien dieser wachsenden globalen Verflechtungen viel stärker wahrgenommen. Globalisierung wird hier nicht so sehr als weltweite Homogenisierung erfahren, sondern vielfach mit der Durchsetzung von Interessen, Werten und Lebensformen ›des Westens‹ gleichgesetzt.

Zu dieser Sichtweise trug gleichfalls bei, daß die Mehrzahl der muslimischen Intellektuellen und Politiker - wie übrigens auch ihre Kollegen im Westen - der Globalisierung jede historische Tiefe absprachen und sie in ursächlichen Zusammenhang mit dem Sieg des Westens im Kalten Krieg setzten. "Wissenschaftler quer durch alle sozialwissenschaftlichen Disziplinen glauben, daß sie Zeugen der Entstehung einer neuen Welt sind. Übereinstimmend wird 1989, jenes memorable Jahr, in dem die alte bipolare Ordnung zusammenbrach, als Wendepunkt angesehen... Es wurde notwendig, neue Konzepte zu entwerfen, unter denen ausführliche Bestimmungen von Globalität einen zentralen Platz einnehmen. Globalität, so scheint es, ist genau der Begriff, der treffend die entstehende neue Welt bescheibt." 6 So beschrieb 1993 der damalige Direktor des renommierten Al-Ahram-Zentrums für Strategische Studien in Kairo, Sayyid Yasin, seine Sicht auf die neue Ära. Globalisierung wäre nicht entstanden, wenn die ›Zweite Welt‹, das ›Evil Empire‹, noch bestehen würde, ist sich Zuhair Dibaya sicher. 7 Vor diesem Hintergrund lassen sich drei wesentliche muslimische Wahrnehmungen von Globalisierung ausmachen:

Erstens führt Globalisierung zur politischen Marginalisierung der islamischen Welt. Bei der ›Neueinrichtung‹ der Welt unter Globalisierungsbedingungen scheint der Westen den islamischen Staaten offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle zugestehen zu wollen. 8

Zweitens bewirkt Globalisierung wirtschaftliche Abkoppelung. Viele Experten in der islamischen Welt teilen die weltweit vorherrschende Meinung, daß sich der Schwerpunkt des internationalen Wettbewerbs unter Globalisierungsbedingungen vom kulturellen, ideologischen oder militärischen auf das wirtschaftliche Feld verlagert hat. 9 Die islamischen Staaten können sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Allerdings scheinen die Rollen verteilt; Muslime werden einerseits als Konsumenten westlicher Produkte, westlicher Produktionstechniken und Technologien sowie andererseits als Lieferanten billiger Arbeitskraft und billiger Rohstoffe geschätzt. 10 Die den Muslimen zu Gebote stehenden ökonomischen Voraussetzungen, um daran Grundsätzliches zu ändern, sind allerdings nur gering entwickelt. Per Saldo wird ökonomische Globalisierung daher als weitere Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich, als Verelendung großer Bevölkerungsteile, grassierende Korruption und Verschuldung sowie als steigende Abhängigkeit von ausländischem know-how und Technologietransfer wahrgenommen. 11

Drittens schafft Globalisierung kulturelle Identitätsprobleme. Ungeachtet der Anerkennung des Primats ökonomischer Faktoren bei der Positionsbestimmung in der Globalisierung, überwiegen in der islamischen Welt zahlenmäßig Wortmeldungen zu kulturellen Aspekten. Das ist möglicherweise auch ein Ausdruck der tiefen Wirkung, die Huntingtons ›Kriegserklärung‹ an den Islam - Zivilisation und Kultur zum Schlachtfeld bestimmend - hinterlassen hat. Viele Muslime vertreten die Meinung, daß der Westen sein ökonomisches, finanzielles und technologisches Übergewicht nutzt, um den Globalisierungsprozeß zu dominieren. Im kulturellen Austausch bestünden erhebliche Diskrepanzen. So würden zum Beispiel westliche Seifenopern auch in arabischen und afrikanischen Städten die Straßen leeren. Immer blieben Quelle und Richtung des Gebens gleich; von Nord nach Süd beziehungsweise von West nach Ost. Es existiere stets nur ein Sender: der Westen, während die Empfänger immer im Süden säßen. 12 Diese mediale Omnipräsenz westlicher sozialer Normen, Lebens- und Denkweisen erzeugt deshalb bei vielen muslimischen Konsumenten einerseits Gefühle der Unterlegenheit und Unzulänglichkeit 13 und andererseits der Gefährdung eigener Normen und Werte.

Hier schließt sich der Kreis zum oben erwähnten Wechselverhältnis zwischen der ›dritten Generation‹ muslimischer Reformer und der Globalisierung. "Sie (die Muslime) befürchten, daß ... (Globalisierung) ihre Sprache ausrotten wird. Ihre Religion. Ihre Art zu leben. Verwestlichung als der herrschende Lebensstil. Kapitalismus als das überlegene Wirtschaftssystem. Englisch als dominierende Sprache. Tourismus als führender Industriezweig. Diese Erscheinungen werden als bedrohlich empfunden, und das nicht nur von einigen Verrückten." 14 In der Quintessenz bedeutet dies, daß weder Kolonialismus noch Imperialismus den Muslim in seiner eigentlichen Substanz und Identität so gefährdeten wie die Globalisierung. Den Kolonial- wie den imperialistischen Mächten ging es um die Muslime als Arbeitskräfte und Konsumenten beziehungsweise (später) als ›Verfügungsmasse‹ im Kalten Krieg. Wenn sich im Verlauf der jahrzehntelangen Einflußnahme in den islamischen Ländern eine prowestliche beziehungsweise ›verwestlichte‹ Schicht herausbildete, so blieb sie doch immer Minderheit. Globalisierung durchdringt jedoch alle Lebensbereiche und verfügt nicht über ein identifizierbares ›Gesicht‹. Es hält sich nur der diffuse Eindruck, daß sie vom Westen ausgeht und von dort geprägt wird.

Vor diesem Hintergrund erscheint nur der Islam als immun, verheißt nur er einen authentischen Ruhe- beziehungsweise Fluchtpunkt, so erklärt sich auch seine Bedeutung als am schnellsten wachsende Weltreligion. Aber, wie bereits angeführt, nicht jeder Muslim, der in der Moschee Zuflucht und Geborgenheit sucht, vertritt die Absicht, aus seiner Religion eine Politik zu machen. Nur die Anhänger dieser Richtung, die eine Rückkehr zu den idealisierten Zeiten des Propheten Muhammad und der vier rechtgeleiteten Kalifen fordern und die Einheit von Religion und Staat (din wa daula) predigen, werden im allgemeinen als islamische Fundamentalisten bezeichnet.

Islamismus

Der Begriff Fundamentalismus entstand ursprünglich im Zusammenhang mit Erneuerungsbewegungen innerhalb der protestantischen Kirche und scheint damit ›besetzt‹ zu sein. Außerdem beschreibt er die politische Ausrichtung nicht präzise genug. Viele Experten bevorzugen deshalb den Begriff Islamismus.

Für Islamisten muß der Islam als das ursächlich Eigene nur von ›folkloristischen Zutaten‹ und ›fremden Hinzufügungen‹ befreit werden, um als den Muslimen gemäßer, dynamischer und progressiver politischer Faktor zu wirken. 15 Politische Modelle und Modernisierungsversuche nach westlichem Vorbild hätten Muslime dagegen stets zu Objekten degradiert und damit verhindert, daß sie sich zu aktiv handelnden Subjekten entwickelten. 16 Da der Islam aber die höchste Vollkommenheit verkörpere, halte er auch eine Lösung für jedes mögliche soziale, politische, wirtschaftliche oder kulturelle Problem bereit (al-Islam huwa al-hall - Der Islam ist die Lösung!).

Einer wünschenswerten, vollständigen Durchsetzung des Islam stellen sich aus islamistischer Sicht vor allem zwei Kräfte in den Weg: erwartungsgemäß Â›der Westen‹ als geistig-kulturelle, wirtschaftliche und politische Macht sowie die existierenden Regimes in der islamischen Welt mit ihren Repräsentanten, denen Komplizenschaft mit dem Westen vorgeworfen wird. Nicht von ungefähr ist der Islamismus in den Ländern, deren außenpolitische Ausrichtung als prowestlich gilt (Ägypten, Jordanien, Algerien, Tunesien) oder die sogar Mitglied der NATO sind (Türkei), am stärksten.

Wie diese Aufzählung zeigt, ist der Islamismus hier vor allem Oppositionsbewegung. Seine Protagonisten stammen im wesentlichen aus der erwähnten ›dritten Generation‹ von Reformern und hierbei exemplarisch aus der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft; entweder aus ihr selbst oder aus ihren zahlreichen Ablegern, Zweigorganisationen oder Neugründungen. Die Verheißung eines ›gerechten und egalitären islamischen Staates‹ schon im Diesseits verschaffte und verschafft ihnen ungebrochenen Zulauf aus jener Mehrheit der Muslime, die sowohl unter kolonialen Bedingungen der Vergangenheit als auch unter den gegenwärtigen realen Gegebenheiten der meisten islamischen Länder überzeugt war beziehungsweise ist, bei der Verteilung des materiellen und geistigen Reichtums sowie der politischen Macht nur unzureichend beteiligt zu sein. Gerade die ägyptische Muslimbruderschaft beweist aber auch, daß Islamismus und Gewalt sich nicht zwangsläufig bedingen. Schon vor langer Zeit hat die Organisation der Gewalt zur Erreichung ihrer politischen Ziele abgeschworen und plädiert für die friedliche Etablierung einer ›islamischen Gesellschaft‹. Erst nach deren Vollendung könnten dann Politik und Religion in einem ›islamischen Staat‹ verschmelzen.

Radikalität, wenn auch nur verbaler Natur, zeigt sie lediglich in der Ablehnung des Westens. Die Weltpolitik unterliegt ihren Dogmen zufolge westlichem Diktat. Muslimische Belange und Anliegen würden in der Regel ignoriert; in jüngster Zeit besonders exemplarisch bei der Lösung des Nahostkonflikts, im Bürgerkrieg in Jugoslawien und bei der Kuwaitkrise. 17 Besonders das zuletzt genannte Ereignis bildete einen wichtigen Bezugspunkt für die islamistische Wahrnehmung von Globalisierung. Die im Zusammenhang mit dem zweiten Golfkrieg von Präsident Bush senior proklamierte ›Neue Weltordnung‹ war offensichtlich als universeller Rahmen zukünftiger internationaler Beziehungen gedacht. Für Islamisten war aber vor allem entscheidend, daß sich diese neue Ordnung gerade über die Niederlage eines Landes der islamischen Welt profilierte. Durch Verlauf und Ausgang des zweiten Golfkriegs ausgelöst und durch die weitere Entwicklung in den neunziger Jahren bestärkt, gewann nun eine Position die Oberhand, die Globalisierung als ›alten Wein in neuen Schläuchen‹, als westlichen Imperialismus in neuem Gewande, ja als höchste Entwicklungsform des westlichen Imperialismus definierte. 18

Auch wenn ihnen diese Sichtweise gemeinsam war, so entstand doch mit der iranischen Revolution 1979 - neben der fortbestehenden ›dritten‹ - eine ›vierte‹ Generation islamischer ›Politiker‹. Sie unterscheidet sich in Anspruch und Aufgabe dadurch von der dritten Generation, daß sie versucht, aus deren abstrakten Theorien eine funktionierende Praxis werden zu lassen. Mit ihrem Sieg formierten die iranischen Islamisten aus der Protest- und Oppositionsbewegung heraus eine machtausübende Bewegung. Revolutionsführer Ajatollah Khomeini wurde zur Galionsfigur der vierten Generation. 19 In seinem Hauptwerk Velayat-e Faqih (Die Herrschaft des Rechtsgelehrten, auch unter "Der islamische Staat" bekannt) begründete Khomeini seine Auffassung, daß die Trennung der Religion von der Politik und ihre Beschreibung als Regelwerk von Gebet und Ritual dem Geist und den Lehren des Islam fundamental widersprächen. Damit kann Der islamische Staat als das Standardwerk des politischen Islam und dessen Kernthese von der Untrennbarkeit von Religion und Politik im Islam gelten. Der Islam sei vor allem ein göttliches Gesetz, nicht dazu gegeben, um studiert und in religiösen Schulen gelehrt zu werden, sondern angewendet und in Form eines Staates institutionalisiert zu werden. Der Prophet habe eindeutig einen islamischen Staat vorgesehen. 20 Die Trennung sei daher künstlich und den Muslimen vom imperialistischen Westen aufgezwungen worden, um sie besser kontrollieren und ausplündern zu können. "Während der Besetzung Iraks fragte einmal so ein Kerl, ein englischer Militär, ob das, was der Gebetsrufer vom Minarett ausruft, der Politik Englands schadet. Die Antwort war: ›Nein‹. Dann sagte er: ›Laßt ihn rufen!‹

Wenn ihr euch nicht gegen die Politik der Kolonialisten wendet, wenn ihr den Islam nur als Bündel Gesetze betrachtet, immer nur von ihnen redet und diese Sphäre nie verlaßt, unternimmt niemand etwas gegen euch. Ihr könnt rituelle Gebete verrichten, soviel ihr wollt. Sie wollen euer Erdöl. Um eure rituellen Gebete kümmern sie sich nicht. Sie wollen unsere Bodenschätze. Sie wollen unser Land zu einem Absatzmarkt für ihre Waren machen..." 21

Die unmittelbar nach dem Sieg der Revolution einsetzenden Versuche, sie selbst und damit das islamistische Staatsmodell zu exportieren (sudur-e enqelab), scheiterten aus vielen Gründen, unter anderem an ihrem schiitischen Charakter angesichts einer achtzig-prozentigen sunnitischen Mehrheit unter den Muslimen der Welt. Die iranische Führung sah sich gezwungen, den ›islamischen Staat‹ zunächst in den Landesgrenzen zu errichten und ihm möglichst Beispielcharakter zu verleihen. Das führte zur charakteristischen ›Zerrissenheit‹ iranischer Politik zwischen der Verfolgung nationalstaatlicher Interessen und islamischem Sendungsbewußtsein.

Für letzteres fühlt sich vor allem die geistliche Führung verantwortlich. Sie sah nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine neue Chance gekommen, das fast zeitgleiche Scheitern des Revolutionsexports, den Tod Khomeinis und die faktische Niederlage im Krieg gegen Irak zu kompensieren. Dabei beriefen sie sich auf den - auch für andere Weltreligionen typischen - Anspruch des Islam, universell gültig zu sein. Der Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems habe nun eine einzigartige Gelegenheit geboten, der Menschheit den Islam als das ›gerechteste‹ soziale und politische Ordnungsangebot zu unterbreiten 22 und ihn als neue, in sich geschlossene Alternative zum westlichen Kapitalismus zu propagieren. Die geistlichen Führer Irans verkündeten deshalb mit Bedacht eine neue Bipolarität in der Weltpolitik, auf deren einem Pol sie sich selbst als Kern eines revitalisierten und politisierten Islam ausmachten, während der andere Pol dem Westen und insbesondere seiner amerikanischen Führungsmacht zugeschrieben wurde. Dieser Anspruch wurde nicht nur von sunnitischen Muslimen, sondern auch im Westen aufgegriffen beziehungsweise kommentiert. So behauptete Musa Saleem, der Direktor des Islamischen Instituts in London: "Wie auch der Kommunismus, dessen unausweichlicher Untergang sich früher als erwartet ereignete, kommt nun mit großen Schritten auch die Zeit des Untergangs des westlichen Systems, wie wir es bisher kannten. Es gibt aus unserer Sicht kein anderes System als den Islam, der dieses ersetzen könnte. Eher früher als später werden islamische Werte und Ideale in unterschiedlichem Maße in die westliche Kultur und Politik vordringen. Wir sagen voraus, daß sich dieser Prozeß in den kommenden 25 Jahren vollziehen wird." 23 Und der bekannte US-amerikanische Experte Graham Fuller bestätigte: "Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gibt es außer dem radikalen Islam kein anderes in sich geschlossenes Glaubenssystem, das über ein großes geographisches Gebiet verbreitet ist und das scharf, eindeutig und systematisch den Westen kritisiert". 24 Für die iranische vierte Generation war dabei vor allem von Bedeutung, daß die Islamische Republik Iran als Zentrum dieses islamischen Pols anerkannt war.

Von diesem Bestreben beseelt, beteiligten sich ihre Repräsentanten auch am Globalisierungsdiskurs. Die iranischen Argumente betonten nicht so sehr das Eigene beziehungsweise die Abgrenzung vom Globalisierungsprozeß, sondern sie versuchten, den islamischen Universalismus mit der Globalisierung zu amalgamieren, indem man das Wesen letzterer veränderte, faktisch eine ›Gegenglobalisierung‹ einleitete. Wenn Globalisierung nichts anderes ist als ein Synonym für "permanente Versuche des Westens, sein Wertesystem weltweit zu exportieren" 25 , dann müsse der Islam dem sein eigenes Wertesystem entgegenstellen, also zum Beispiel Gerechtigkeit, Genügsamkeit und Egalitarismus. Wenn die westliche Moderne auf säkularem Materialismus basiere und Wissenschaft sowie Vernunft vor Ethik und Moral rangierten, dann müsse der Islam dem eine Moderne gegenüberstellen, die sich auf Glauben, Geduld, Augenmaß und Ausgleich stützt. 26 Im Kern der ›Gegenglobalisierung‹ stünden der Koran und seine Botschaft, das heißt das beständige Bestreben der Menschheit, "auf zwei Ebenen zu reagieren ... mit dem äußeren Projekt der Schaffung einer gerechten sozialen Ordnung und dem inneren Ziel der Annäherung der Menschen an ihren Schöpfer" 27 . Die islamische ›Gegenglobalisierung‹ verdient ihren Namen, denn sie zielt auf den gesamten Erdball. Sie ist ein Versuch, "auf der globalen Ebene eine neue Gemeinschaft zu schaffen..." 28 , ein Versuch, die islamische Gemeinschaft, die umma, in einem ›Weltstaat‹ zu einen, damit sie ihre göttliche Verpflichtung erfüllen kann, "die Welt zu führen..." 29

Es kann hier nicht darum gehen, den Realitätsgehalt der ›Gegenglobalisierung‹ zu bewerten, der sogar von vielen Muslimen bezweifelt wird. Für die geistliche Führung Irans manifestiert sie trotzdem einen Teil der Staatsdoktrin, weil islamisches Sendungsbewußtsein eine der Säulen bleibt, auf der die Islamische Republik Iran ruht.

Die hier vorgestellten Muster der dritten, oppositionellen und der vierten, staatstragenden Generation muslimischer ›Politiker‹ wurden als besonders plastische Beispiele ausgewählt und nicht mit dem Anspruch der Vollständigkeit. Dafür existieren zu viele Sonder-, Zwischen- und Mischformen; man denke nur an die Staatsführung in Sudan oder das Taliban-Regime in Afghanistan.

Terrorismus

Das afghanische Taliban-Regime verkörpert einen naheliegenden Übergang zum Terrorismus. Nicht nur der Überschaubarkeit halber sollen aber die folgenden Beispiele an die bisher genannten anknüpfen, denn es gilt festzuhalten, daß der Terrorismus wiederum nur einen kleinen Teil, und dabei wiederum auch nur des gewaltbereiten IslamismusÂ’, ausmacht.

Aus den Reihen der dritten, vornehmlich sunnitischen Generation entstanden viele Terrorgruppen als Abspaltungen von der Muslimbruderschaft. Zu den namhaftesten ägyptischen extremistischen Splittergruppen zählen die jamaÂ’a islamiyya (islamische Gemeinschaft) und der jihad al-islami (islamischer Heiliger Krieg). Bei beiden Organisationen ersetzen Aktionismus und die Bereitschaft zur Anwendung terroristischer Mittel bei der Überwindung der ›unhaltbaren unislamischen Zustände‹ die Programmatik.

Vielen ihrer Mitglieder und Sympathisanten kann möglicherweise nicht abgesprochen werden, aus einer - wenn auch nur bruchstückhaft geistig verarbeiteten - gleichwohl aber tiefen Religiosität heraus zu handeln und nach den als richtig angesehenen Grundsätzen zu leben. Das schützte jedoch nie vor wachsender, profaner Kriminalisierung. Ausgehend vom gelungenen Anschlag auf Präsident Sadat (1981), der ihnen unter ihresgleichen ein gewisses Renommee verschaffte, wiesen viele weitere Attentatsversuche des islamistischen Untergrundes deutliche Anzeichen von Querverbindungen zur Rauschgift- und Devisenmafia Ägyptens auf, insbesondere im Bereich der Waffen- und Sprengmittelbeschaffung aber auch bei der Bereitstellung gefälschter Personaldokumente, von Fluchtfahrzeugen usw.

Für die jamaÂ’a islamiyya und den jihad al-islami stehen alle Muslime, die sich ihnen nicht anschließen, auf der gleichen Stufe wie Ungläubige. Schneidend ist ihre Kritik an den anerkannten islamischen Rechtsgelehrten als ›Marionetten des Regimes‹ und den "korrumpierten staatlichen Moscheen, besonders der al-Azhar-Moschee" 30 . Auch ihren geistigen und organisatorischen Ahnen, den Muslimbrüdern, warfen sie Kapitulantentum und Verrat vor. Seit Mitte der achtziger Jahre kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Muslimbruderschaft und des jihad al-islami.

Drei herausragende Führer sollen hier genannt werden, um eine Linie aufzuzeigen: Abd as-Salam Faraj, den 1982 hingerichteten Hauptinitiator des Attentats auf Sadat, Umar Abd ar-Rahman, der sich wiederholt selbst als "Terroristen und Zeloten im Namen Gottes" 31 bezeichnete und der im Zusammenhang mit dem Anschlag auf das World Trade Center 1993 in den USA verhaftet und verurteilt wurde, sowie Aiman az-Zawahiri, die rechte Hand und für viele auch der Ideengeber Usama bin Ladens.

Bleibt ein letztes Wort zu den staatstragenden Islamisten in Teheran. Trotz aller anders lautenden Rhetorik, stellten diese schon unter Ajatollah Khomeini - und seitdem immer offensichtlicher - nationale vor islamische Interessen und agieren damit realpolitisch. Es existiert eine - den Beobachter oft verwirrende - Arbeitsteilung zwischen Regierung und geistlicher Führung. Während erstere auf das traditionelle, das heißt im wesentlichen friedliche Kompendium außenpolitischer Instrumente setzt, wurde letztere häufig terroristischer Aktivitäten verdächtigt, und zumindest in einem Fall, dem Mykonos-Prozeß, auch überführt.

Fazit

Die Untersuchung des Ordnungsverhältnisses Islam - Islamismus - Terrorismus blendet einen muslimischen Standpunkt aus, der sich für eine, zumindest selektive, Aneignung von Elementen moderner Weltsicht und Ordnung ausspricht, die er als unverzichtbare Grundlage für die gleichberechtigte Teilhabe an der Moderne, für Adaption in der Globalisierung ansieht. 32 Auch wenn er hier nicht Gegenstand ist, sollte er doch Erwähnung finden. Diese als ›islamisch-säkular‹ oder ›modernistisch‹ zu beschreibende Position betont, daß der Islam keine statische Sicht auf die materielle Welt verlange, sondern Vernunftentscheidungen herausfordere. Ihre Anhänger streben eine Erneuerung der religiösen Konzepte an, um sie in der Globalisierung vital zu erhalten. Sie propagieren einen Islam, der seinen Anhängern Willensfreiheit zugesteht und sie in die Lage versetzt, die moderne Welt zu interpretieren und in ihr einen Platz zu finden. Hierzu gehören auch die Ansichten des syrischen Historikers George Tarabischi, der daran erinnerte, daß das ›goldene Zeitalter‹ des Islam gleichzeitig auch eine Zeit kultureller Offenheit und des intensiven Kulturaustauschs zwischen den Zivilisationen gewesen sei. 33

Der traditionsreiche und vielgestaltige Islam ist neben Lebensweise, Kultur und Wertesystem in erster Linie Religion. Der mit Verweisen auf den und unter Verwendung von Versatzstücken des Islam agierende Islamismus verkörpert dagegen primär eine Ideologie und politische Bewegung, die sich sowohl politischer als auch gewaltsamer Mittel und Methoden bedient. Islamistischer Terrorismus stellt lediglich die extremste Zuspitzung innerhalb seiner gewaltbereiten Strömung dar. Verbale ›Kriegserklärungen‹ gegen den Westen ergingen aus verschiedenen Lagern des Islamismus, aber nur dessen terroristischer Zweig überschritt den Rubikon und erklärte damit nicht nur dem Westen, sondern auch eigenen friedlichen Glaubensbrüdern, letztlich der gesamten zivilisierten Menschheit den Krieg. Ergo herrscht auch nach dem 11. September 2001 kein Krieg zwischen dem Islam und dem Westen, sondern zwischen Zivilisation und Terror.

 

Henner Fürtig - Jg. 1953; Dr. phil. habil., studierte in Leipzig Arabistik und Geschichte, arbeitete an der Universität Leipzig, in Teheran, Kairo und am Zentrum Moderner Orient, Berlin, zahlreiche Arbeiten zur Zeitgeschichte und Politik des Vorderen Orients, insbesondere der Golfregion; kürzlich erschien: "Islamische Welt und Globalisierung. Aneignung, Abgrenzung, Gegenentwürfe" (Würzburg 2001).

1 Zit. nach: Der Islam - eine Gefahr für die Welt? In: Zeit-Punkte, Hamburg, (1993)1, S. 24.

2 Vgl. Rajaee, Farhang: Globalization and Factionalism in Revolutionary Iran, Draft Paper, o. O., o. J., p. 4f.

3 Vgl. Arkoun, Muhammad: Rethinking Islam; Common Questions, Uncommon Answers, Boulder u. a. 1994, p. 12.

4 Vgl. Massarat, Mohssen: Einleitung: Aufstieg des Okzidents und Fall des Orients, in: Ders. (Hg.), Mittlerer und Naher Osten: Geschichte und Gegenwart. Eine problemorientierte Einführung, Münster 1996, S. 13.

5 Vgl. Giddens, Anthony: The Consequences of Modernity, Cambridge 1997, p. 64.

6 Yasin, Sayyid: Future mapping of the new global order, in: The Arab Strategic Report 1993, Kairo 1994, p. 2.

7 Vgl. Dibaya, Zuhair: Globalization: The Last Sky. Helsinki: Institute of Development Studies, Working Papers No. 11, 1996, p. 5.

8 Vgl. Said, Abdel Moneim: After the Cold War: The International System between Chaos and Stability, in: The Arab Strategic Report 1993, a. a. O., p. 3 f.

9 Vgl. Najjar, Said: An-nizam al-iqtisadi al-‘alami ala ‘ataba al-qarn al-hadi wa'l-ishrin (Das globale Wirtschaftssystem an der Schwelle zum 21. Jahrhundert), in: Ders. (Hg.), Tajdid an-nizam al-iqtisadi wa's-siyasi fi Misr (Die Erneuerung des wirtschaftlichen und politischen Systems in Ägypten). Bd. 2, Kairo 1997, S. 13-41.

10 Vgl. Ehteshami, Anoushiravan: Islamic Fundamentalism and Political Islam, in: White, B./Little, R./Smith, M. (eds.), Issues in World Politics, Basingstoke 1997, p. 197.

11 Vgl. Azzam, Mahmoud: Islamist Attitudes to the Current World Order, in: Islam and Christian Muslim Relations, (1993)2, p. 254 f.

12 Vgl. Muhammad, Ali Abdel: The Arabs and the West: Towards a Constructive Dialogue, in: Strategic Papers, (1995)36, p. 18 f.

13 Vgl. Ali, Hussein: The New World Order and the Islamic World, in: The American Journal of Islamic Social Sciences, (1991)3, p. 465.

14 Lamy, Peter in: TIME Magazine, New York, 24. September 2001, p. 42.

15 Vgl. auch Turner, Bryan S.: Politics and Culture in Islamic Globalism, in: Robertson, R./Garrett, W. R. (eds.), Religion and Global Order, New York 1991, p. 172.

16 Vgl. Kamal Pasha, Muhammad/Samatar, Ali: The Resurgence of Islam, in: Mittelman, J.H. (ed.), Globalization: Critical Reflections, Boulder 1996, p. 188.

17 Vgl. Azzam, Mahmoud: Islamist..., a. a. O., p. 255 f.

18 Vgl. Yasin, Sayyid: Fi mafhum al-aulama (Zum Verständnis der Globalisierung), in: Huli, U. A. al-( Hg.), Al-arab waÂ’l-aulama (Die Araber und die Globalisierung), Beirut 1998, S. 23-34.

19 Vgl. Rajaee, Farhang: Globalization..., a. a. O., p. 5.

20 Vgl. Zubaida, Sami: Islam. The People & The State, London, New York 1993, p. 16.

21 Itscherenska, Ilse/ Hassan, Nader (Hg.): Ajatollah Chomeini: Der islamische Staat, Berlin 1983, S. 30.

22 Vgl. Hazim Shah, Muhammad: Islam and Contemporary Western Thought: Islam and Postmodernism, in: The American Journal of Islamic Social Sciences, (1996)2, p. 260.

23 Saleem, Musa: The Muslims and the New World Order, London 1993, p. 4.

24 Fuller, Graham E./ Lesser, Ian O.: A Sense of Siege, New York 1998, p. 2.

25 Sanjar, Ibrahim: Nofuz-e Amrika dar Iran: Barra-si- ye siyasat-e khariji-ye Amrika va ravabet-e ba Iran (Der amerikanische Einfluß in Iran. Die Ziele der amerikanischen Außenpolitik und die Beziehungen zu Iran), Teheran 1989, S. 33.

26 Vgl. Ahmad, Ali S.: Media Mongols at the Gates of Baghdad, in: New Perspectives Quarterly, (1993)3, p. 10.

27 Eaton, Roul M.: Islamic History as Global History, in: Adas, M. (ed.), Islamic & European Expansion. The Forging of a Global Order, Philadelphia 1993, p. 31.

28 Turner, Bryan S.: Politics and Culture..., a. a. O., p. 178.

29 Issawi, Charles: Cross-Cultural Encounters and Conflicts, Oxford 1998, p. 15.

30 Vgl. Gordon, John: Political Opposition in Egypt, in: Current History, Washington DC., (1990)2, p. 68.

31 Al-Watan, Kuwait, vom 23. Februar 1989.

32 Vgl. Krämer, Gudrun: Politischer Islam, Kurseinheit 1, Hagen 1994, S. 32.

33 Vgl. Heller, Erdmute/ Mosbahi, Hushang (Hg.): Islam, Demokratie, Moderne: Aktuelle Antworten arabischer Denker, München 1998, S. 19