Das niederländische Laboratorium

Der Mord an dem Rechtspopulisten Pim Fortuyn

Auch in den Niederlanden ist die politische Führungskraft der Sozialdemokratie und der "Koalition der Mitte" verbraucht.

Große Teile der Bevölkerung der Niederlande sind nach dem politischen Mord an dem Rechtspopulisten Pim Fortuyn erschüttert. Bislang herrschte die Auffassung vor, dass in den liberal-libertären Niederlanden politische Differenzen ohne Gewalt ausgetragen werden. Der Mord an einem Repräsentanten einer rechtspopulistischen Wählervereinigung ist insofern Ausdruck einer wachsenden Entfremdung und Brutalisierung der politischen Kultur. Allerdings registrieren erst jetzt viele BürgerInnen die tiefgreifenden Veränderungen, die sich in den letzten Jahren hinter ihrem Rücken vollzogen haben.

Der Museumsdirektor Chris Dercon bringt auf den Punkt, was hinter dem Verbrechen steht: "Sofort nach den Kommunalwahlen vom 21. März in Rotterdam, als Fortuyn die Mehrheit im Stadrat erorbert hatte, habe ich Zweifel geäußert, dass das Wahlergebnis überhaupt eine ernst zu nehmende politische Debatte auslösen würde. Tatsächlich fand sie nicht statt. Was eintrat, war etwas anderes: Der immer schon latent vorhandene niederländische Populismus trat stärker ans Licht der Öffentlichkeit. Ich fürchte um das vielversprechende kulturelle Laboratorium Rotterdam."

Selbstverständlich ist die Formation "leefbar Nederland" - die in Rotterdam aus dem Stand 35% der WählerInnen mobilisierte und damit zur stärkten politischen Kraft der Stadt wurde - nicht mit der Wählerliste Fortuyn gleichzusetzen. Denn immerhin wurde dem rechten Politiker die Spitzenkandidatur wegen politischer Radikalität entzogen. Aber sowohl die Regional- wie die Nationalwahlen zeigen einen massiven Aufschwung von rechtspopulistischen Mentalitäten und Bewegungen, die durch das Attentat eher noch gestärkt werden. Denn im öffentlichen Diskurs dominieren Beschwichtigungsformeln; eine Auseinandersetzung über die Gefahr des Rechtspopulismus findet jetzt noch weniger statt als zuvor.

Auf Fortuyn passten alle Merkmale eines modernen Rechtspopulismus: klare Abgrenzung von der politischen Klasse, Erklärung der gesellschaftlichen Probleme und der großen Unzufriedenheit mit einfachen Lösungen wie die, dass Ausländer und Immigranten die Gesellschaft überfordern. Daher war er für die Beseitigung des niederländischen Anti-Diskriminierungsgesetzes, für eine massive Verschärfung der Ausländerpolitik, für Abgrenzung gegenüber dem Islam und für eine Ausweitung der staatlichen Repression. Das Anprangern von seit Jahren verschleppten und von den etablierten politischen Parteien kleingeredeten Probleme und das Angebot einfacher Antworten markiert das Erfolgsrezept der rechten Populisten. Selbstverständlich weisen die rechtspopulistischen Bewegungen unterschiedliche nationale Färbungen auf. Der bekennende Homosexuelle Fortuyn hätte auf europäischer Ebene sicherlich massive Differenzen mit den Fanatikern von der sexuellen Reinheit des Front National ausgetragen. Aber in Sachen Ausländerpolitik, Anti-Islamismus, Ablehnung der Ost-Erweiterung der EU etc. ist die politische Übereinstimmung in den wesentlichen Streitfragen offenkundig.

Auch in den Niederlanden ist die politische Führungskraft der Sozialdemokratie und der "Koalition der Mitte" verbraucht. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wurde in den letzten Jahren gestärkt. Aber auf Seiten der arbeitenden Bevölkerung häufen sich jedoch die Probleme: hohe Invalidität, miserable Krankenversorgung, viele mehr oder minder verdeckte Kürzungen öffentlicher Leistungen (Ausbildung, öffentlicher Nahverkehr, Freizeiteinrichtungen, soziale Infrastruktur). Die "Modernisierungspolitik" hat zudem eine Auflösung gesellschaftlicher Normen und kultureller Standards befördert, was sich eben auch in einer wachsenden Furcht vor "Sicherheitsproblemen" niederschlug.

Der politische Mord hat die sozialen Spannungen schlagartig sichtbar gemacht. Zu befürchten ist allerdings, dass der Museumsdirektor Decron auch dieses Mal Recht behält. Die Mehrheit der politischen Klasse ist zu keinem Kurswechsel fähig und willig. Nach einer kurzen Zeit der Erschütterung läuft die Politik in den ausgetretenen Pfaden weiter. Angst, Nostalgie und dunkle Instinkte werden folglich das Gewicht der Rechtspopulisten erhöhen.