Rechte Wellenbewegung

Um 1998, nachdem die SPD ihren deutlichen Wahlsieg gegen Kohls CDU errungen hatte, in London Blair sowie in Rom linke Koalitionen regierten und in Paris Jospin Premierminister geworden war, ...

... ging der Gedanke um, die westeuropäische Sozialdemokratie könnte eine neue Regelungskompetenz in der europäischen Politik erreichen, nachdem zwei Jahrzehnte lang die Konservativen dominiert und die neoliberale Globalisierung vorangetrieben hatten. Das scheint nach vier Jahren bereits Vergangenheit. In Wien koalierten die Bürgerlichen mit Haider, in Hamburg mit Schill, in Dänemark ebenfalls mit den Rechtspopulisten, in Italien kam Berlusconi an die Regierung, und nun schied in Frankreich Jospin aus der Präsidentenwahl. In Deutschland steht Stoiber vor der Tür.

Im Einzelfall haben die Wahl- und Parteienforscher stets probate Argumentationsfiguren zur Hand. Im Falle Österreichs, Hamburgs und Dänemarks wurde über die im Amt verknöcherte Sozialdemokratie geredet, in dem Italiens über die Zerstrittenheit der Linken. Zum Fall Jospins wird auf die Algerienfranzosen als Klientel Le Pens verwiesen. Alles dies zusammen genommen weist jedoch auf tiefere Zusammenhänge hin. Einer ist wohl der, daß das Karussell der politischen Abwechselung sich schneller zu drehen scheint. Die Berufspolitiker lassen sich von Agenturen beraten, die sonst Waschmittel oder Damenwäsche verkaufen, die Sozialwissenschaftler reden von der Entmannung der Politik, versteckt in der These von der schwindenden Regelungskompetenz der Politik im Angesicht der Globalisierung, und konstatieren nunmehr das Eintreffen ihrer Prophezeihung. Mit anderen Worten: Die national bezogenen Politiker kommen und gehen, das internationale Großkapital aber bleibt.

Dafür gibt es Indizien. Sven Papcke verwies kürzlich darauf, daß die Milliardäre der USA zusammen genommen 1999 wohlhabender waren als die vereinigte Kaufkraft der riesigen Volksrepublik China, 2001 verfügten die reichsten 365 Personen der Welt über ein größeres Einkommen als die 1,2 Milliarden der ärmsten Erdenbürger. Er vergleicht diese "neue Nobilität" der Superreichen mit dem vormodernen Adel im Niedergang: Er besaß Vorrechte aller Art, nahm jedoch keine sinnvollen politischen, kulturellen oder zivilisatorischen Funktionen mehr wahr. Heute treten offenbar "Hyperfinanzkapital und Sozialzuständigkeit dauerhaft auseinander" (Gewerkschaftliche Monatshefte 1/2002).

Die Absenkung der Unternehmenssteuern und die Reduzierung der Sozialbudgets schränken die Bewegungsräume der Staaten weiter ein, die (inländischen) Verlierer dieses Globalisierungsprozesses sozial aufzufangen. Die Dritte, Vierte oder Fünfte Welt als Verlierer ist stets mitzudenken, hier geht es jedoch um die Folgen in den "reichen" Ländern des Nordens/Westens.

Und wie reagieren diese "Verlierer"? Schon der Begriff ist irreführend und gibt vor, ein Spiel zu bezeichnen. Es ist aber Ernst. Die Arbeiterklasse, die sich aus den Qualen der Industrialisierung heraus die Anerkennung ihrer Menschlichkeit und ihres Anspruchs auf Wohnung, Bildung und ein auskömmliches Leben erkämpft hatte, wird heruntergedrängt. Die großbürgerlichen Medien ironisieren die alte Bildungsvereinsmentalität, produzieren mit ihrer Unterhaltungsindustrie jedoch Tag für Tag strukturelle Unbildung und fordern zugleich Eliteuniversitäten für die Reichen. Die Gewaltbilder in den Medien fördern Gewaltbereitschaft - bis zum Mordtreiben in Erfurt, und wer gewaltbereit ist in dieser Form, hat nicht Empathie oder Solidarität mit dem Nächsten. Höchstens sucht er Zuflucht bei der Clique - wie bei den rechten Gruppierungen in Deutschland -, aus denen heraus hordenmäßig Gewaltakte verübt werden. Der politische Ausdruck dieser Tendenz ist die Wahl rechter beziehungsweise rechtspopulistischer Parteien und Politiker.

Die sozialen Demokraten oder demokratischen Sozialisten denken zumeist als Intellektuelle, kritisieren - mehr oder weniger - die Globalisierungsfolgen, beziehen sich aber politisch auf ihr je nationales Gemeinwesen - wie auch anders -, für das jene globale Nobilität aber keine Verantwortung trägt. Die früheren Arbeiter und neuen Unterschichten erreichen sie jedoch immer weniger. Das zeigt sich jetzt, wenn man die Wahlergebnisse Le Pens in den früheren Hochburgen der französischen Kommunisten ansieht.

Die Sozialdemokratie und die Linke können all dem nur dann etwas entgegensetzen, wenn sie auf der einen Seite wieder um die Unterschichten kämpfen, und auf der anderen jenem Großkapital etwas abzutrotzen versuchen, das "die unten" auch sehen. Eine uneingeschränkte Herrschaft jener Nobilität wird nur weiteren Verfall der sozialen Bindungen, Anomie und Barbarei zur Folge haben. Der Streit geht allerdings darum, ob politische Handlungsräume dagegen noch errungen werden können. Derzeit scheint er offen.