Die UNO als Subunternehmer

in (01.01.2002)

Seit einem Vierteljahr durchpflügt die modernste und spektakulärste Militärmaschinerie der Welt eines der ärmsten und schwächsten Länder des Globus - mit Mitteln, über die das allgegenwärtige

... der Generalität sein Schweigen gelobte. Zugleich ist eine gewiß wenig attraktive Herrschaftsstruktur vollständig umgekrempelt und durch eine hoffentlich vertrauenswürdigere ausgewechselt worden. Die USA und ihre europäischen Vasallen sind um ein Protektorat reicher und arbeiten daran, es zumindest militärisch vollständig in den Griff zu bekommen. Das alles läuft unter der offiziellen Begründung der Selbstverteidigung (Art. 51 UNO-Charta) gegen den Terrorismus. Das wird wohl auch noch eine Zeit lang so laufen und droht auf andere Länder (Somalia, Irak, Jemen etc.) überzugreifen, ohne daß die immer krasser werdende Absurdität des Selbstverteidigungsarguments die Akteure sonderlich stört.
Man kann den USA diesmal nicht wie im Falle des NATO-Krieges gegen Jugoslawien vorwerfen, die UNO schlicht übergangen zu haben. Sie haben sie gleich am Tag nach den Terroranschlägen um Unterstützung ersucht und in zwei Resolutionen (1368 und 1373) vom Sicherheitsrat signalisiert bekommen, er werde den geplanten Feldzug gegen den Terrorismus nicht mit eigenen Initiativen und Begrenzungen stören. Er hat den USA zwar kein Mandat gegeben, ihnen aber den Vortritt gelassen in der resignierenden Erkenntnis, daß sie sich ihn auch ohne sein Votum genommen hätten. Doch nun haben US-Militär und Geheimdienst so viele Fakten geschaffen, daß die verstärkte Einschaltung der UNO keine Gefahr querlaufender Interessen im Neuordnungsprozeß mehr befürchten läßt. Im Gegenteil, die aktive Beteiligung der UNO bringt verschiedene Vorteile. Der größte ist wohl der Anschein nachträglicher Legitimation der kriegerischen Operationen, der auch von den schärfsten Kritikern nur schwer widerlegt werden kann. Zudem erweitert die Einbeziehung der UNO die Legitimations- und Operationsbasis durch Arbeitsteilung: Andere Staaten erhalten Sicherungs- und Ordnungsaufgaben, die nicht unbedingt von den USA selbst übernommen werden müssen - sofern ihr strategisches Oberkommando unangetastet bleibt.
Das sind die politischen Voraussetzungen für die jüngste Resolution 1386 des UNO-Sicherheitsrats, für die er am 20. Dezember 2001 nur wenige Minuten benötigte, um sie einstimmig zu verabschieden. Sie schafft die völkerrechtliche Voraussetzung für die Einsetzung einer "International Security Assistance Force" (ISAF) für Afghanistan, zu deutsch in freimütiger Anknüpfung an die unvergessene Kolonialpraxis "Schutztruppe" genannt. Die ISAF ist keine Truppe sogenannter Blauhelme, "peace-keeping-forces", die der Zustimmung der Regierung des Gaststaates bedürfen. Die schnell sichtbare Abneigung der noch nicht einmal installierten neuen Machthaber in Kabul gegen zu viele ausländische Truppen und der fehlende Kampfauftrag für Blauhelme ließen eine wesentlich robustere Truppe angebracht erscheinen. So bediente sich der Sicherheitsrat des VII. Kapitels der UNO-Charta und erklärte die Situation in Afghanistan "weiterhin" zu einer "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (Art. 39 UNO-Charta). Damit genehmigte er Militäraktionen nach Art. 42 und ermächtigte "die an der Sicherheitsbeistandstruppe (ISAF) teilnehmenden Mitgliedstaaten, alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen". Diese Formulierung, die er schon in der Resolution 678 vom November 1990 benutzt hatte, um die Truppen des Irak aus Kuwait zu vertreiben, eröffnet weitreichende Operationsperspektiven. Ihre Begrenzung auf die "Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und seiner Umgebung" entspricht schon nicht mehr dem neuesten Stand der Dinge; über eine Ausweitung auf weitere Städte und Regionen wird bereits verhandelt.
Zwei Elemente dieser Resolution stimmen bedenklich. Zum einen geht sie von dem bis dahin gewahrten sogenannten Solidaritätsprinzip ab, welches alle Mitgliedstaaten mit abgestuften Beiträgen zu den Kosten von Militärmissionen heranzieht. Die an der ISAF beteiligten Staaten sollen ihren Einsatz selbst bezahlen. Das privilegiert die NATO-Staaten, die trotz allen Gejammers immer zahlungskräftig sind, wenn es ums Militär geht. Die Regelung schließt aber von vornherein die Beteiligung jener ärmeren Staaten aus, die allemal weniger im Verdacht stehen, bei einem solchen Einsatz eigene ökonomische und strategische Ziele zu verfolgen. Der geplante Treuhandfonds für freiwillige Beiträge wird diese Benachteiligung nicht kompensieren können.
Die Bedenken bestätigen sich, wenn man sich zum zweiten das Angebot der Briten anschaut, die Führung der Streitkräfte zu übernehmen. Der Sicherheitsrat hat das Angebot akzeptiert und auf das Schreiben von Außenminister Straw "mit Genugtuung" verwiesen, ohne allerdings in der Resolution auf seinen weiteren Inhalt einzugehen. Straw unterstellt darin die ISAF der Autorität des "United States Central Command" der "Enduring Freedom"-Truppe, um von vornherein Konflikte der parallel zueinander operierenden Kontingente zu vermeiden. Das "Central Command" in Florida hat eine Dependance in Kabul, den "Joint Coordinating Body", dem nun auch die ISAF angegliedert wird. Die Nachfolger der Briten, die Türken, werden an dieser Befehlskette nichts ändern.
Die UNO wird so zum Subunternehmer der USA. Diese dehnen ihre Militär-einsätze zeitlich und territorial beliebig aus, da auch noch im letzten Wüstenloch ein Al-Kaida-Terrorist vermutet werden kann. Während dessen wird der UNO die weit schwierigere Aufgabe übertragen, die rivalisierenden Fraktionen der labilen Regierungsallianz in Schach zu halten, worüber das "US-Central Command" wacht. Dies mag man als Meisterleistung der US-Diplomatie bewundern und als Vollendung der Neuen Bush-Weltordnung begrüßen - eine Perspektive für die UNO und den Frieden in der Welt bietet es allerdings nicht.