Der Trick mit den Kombilöhnen

in (16.01.2002)

So hätten sie es gern: Weg mit Rechtsansprüchen auf soziale Leistungen, der Sozialstaat ein Auslaufmodell, stattdessen ungehemmte Profitwirtschaft, ...

... Absenkung der unteren Löhne um 20 bis 30 Prozent, Arbeitszwang für alle Arbeitsfähigen, nur noch ein Minimum an Unterstützung für "wirklich Bedürftige". Was Arbeitgeberverbände, CDU und FDP seit langem fordern und hochdotierte Wissenschaftler als Reformbedarf proklamieren, setzt die Bundesregierung nun Schritt für Schritt um. Sie schloß diejenigen Arbeitslosen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, auch von der Arbeitslosenhilfe aus. Sie kürzte die Rentenbeiträge für Arbeitslosenhilfe-BezieherInnen. Dann kam der Ausstieg aus der solidarischen Rentenversicherung mit schwersten Folgen für Arbeitslose und Bezieher niedriger Einkommen. Weitere Einschnitte drohen bei der Kranken- und Arbeitslosenversicherung. So hat Arbeitsminister Riester letztes Jahr den Arbeitgebern zugesagt, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zügig zusammenzulegen.
Im Wirtschaftsmagazin Focus Money forderte jüngst Horst Siebert, einer der angeblichen "Wirtschaftsweisen", der durch die Sozialsysteme definierte "Anspruchslohn" müsse überdacht werden. Er sagte auch gleich, zu welchem Ergebnis das Überdenken zu führen hat: Arbeitslosengeld soll es nur noch maximal zwölf Monate geben (bisher für Ältere 32 Monate), die Arbeitslosenhilfe soll ganz wegfallen, und dann will er auch noch die Sozialhilfe für Arbeitsfähige kürzen.
Jede soziale Mark, jeder soziale Euro für Profitinteressen, das ist die Devise. Da eine soziale Sicherung, die so bemessen ist, daß sie nicht weit unter das Niveau von Tariflöhnen sinkt, dem Hauptziel der Arbeitgeber, die unteren Löhne um bis zu 30 Prozent zu senken, entgegensteht, sollen die Sozialleistungen ebenfalls gesenkt werden. Erst dann, so wird der Öffentlichkeit eingeredet, sind Arbeitslose und SozialhilfebezieherInnen "motiviert", zu Löhnen weit unter dem bisherigen Niveau zu arbeiten. Wenn die Sozialleistungen mit einem Schlage drastisch gesenkt würden, wäre allerdings mit Widerstand zu rechnen. Deshalb hat man sich einen Trick einfallen lassen: den sogenannten Kombilohn. Man kombiniert Niedriglöhne mit Sozialleistungen, um sie attraktiver zu machen.
Das "Bündnis für Arbeit" hatte schon im Dezember 1999 beschlossen, sogenannte "Beschäftigungshilfen für Geringqualifizierte" in Modellversuchen zu erproben. Das "Mainzer Modell" (Zuschuß zum Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung plus Kindergeldzuschlag) sowie das "Saar-Modell" (Zuschuß zum Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung) sollten je in einem ost- und westdeutschen Bundesland drei Jahre lang getestet werden. Zwar wird auch bei diesen Modellen schlechte Bezahlung mit staatlichem Zuschuß kombiniert, sie unterscheiden sich jedoch erheblich von dem erwähnten Kombilohn-Modell, wie es vor allem die Arbeitgeberverbände forderten.
Die Feststellung, daß die "Bündnis für Arbeit"-Modelle nicht ganz so verheerend sind wie andere, bedeutet nicht, daß sich Erwerbslose und ArbeitnehmerInnen von ihnen Gutes versprechen könnten. Zwar ist das Mainzer Modell aus gewerkschaftlicher Perspektive am ehesten akzeptabel, doch es geht gleichfalls von grundfalschen Annahmen aus. Nachteile und Risiken überwiegen, ein Zuwachs an existenzsichernden Arbeitsplätzen wird nicht erreicht werden.
Beim Mainzer Modell geht es erklärtermaßen weniger um neue Arbeitsplätze, sondern um ein größeres Angebot an Arbeitskräften, das heißt die Zahl der Arbeitsuchenden soll erhöht werden. Ganz so, als müßten die Arbeitsämter hierzulande händeringend nach Arbeitskräften suchen. Nach dem Motto "Arbeit muß sich wieder lohnen" sollen durch höhere (weil subventionierte) Nettoeinkommen für Arbeitslose größere Anreize geschaffen werden, sich um angeblich zahlreich vorhandene, aber bisher nicht besetzbare Niedriglohn-Arbeitsplätze zu bemühen. Diese oft zu hörende These geht völlig an der Realität auf dem Arbeitsmarkt vorbei.
In Wahrheit liegen auch sehr niedrige Lohngruppen zumeist deutlich über der Sozialhilfe. Und die Arbeitsmarktstatistiken belegen, daß das Problem eben nicht in massenhaft offenen Stellen besteht - egal, ob gut oder schlecht bezahlt, ob Voll- oder Teilzeit. Es fehlen schlicht millionenfach Arbeitsplätze. Mit dem Mainzer Modell wird das gesellschaftliche Problem der Massenerwerbslosigkeit in ein Problem fehlender Anreize und Motivation auf Seiten der Arbeitslosen umgelogen. Ein Modell, das von einer derart falschen Voraussetzung ausgeht, kann nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen.
Das beweisen auch bisherige Erfahrungen mit den Modellversuchen, die "nicht die erhofften Ergebnisse bringen", wie es im offiziellen Zwischenbericht heißt. Der Bericht schlußfolgert: "Insgesamt konnte bislang der empirische Beleg dafür, das eines der (...) Förderkonzepte bei einer flächendeckenden Einführung einen nennenswerten Beitrag zum Aufbau von Beschäftigung leisten könnte, noch nicht erbracht werden."
Wider besseres Wissen tut die Bundesregierung nun so, als wäre das Mainzer Modell ein wirksames Mittel gegen Arbeitslosigkeit. Ihr Beschluß, es am 1.April bundesweit einzuführen, ist nichts als hektischer Aktivismus im Wahljahr, in dem ihr vorgehalten werden wird, daß sie ihr Wahlversprechen, die Arbeitslosenzahl auf 3,5 Millionen zu senken, nicht eingelöst hat. Sie will sich rasch noch ein Alibi verschaffen.
Wenn das Mainzer Modell schon keine Arbeitsplätze bringt, taugt es dann wenigstens dazu, die Lebenssituation der bereits im Niedriglohnsektor Beschäftigten erträglicher zu gestalten? Das Nettoeinkommen steigt ja um bis zu 21 Prozent. Auch ein erhöhtes Kindergeld für Geringverdienende und die Übernahme eines Teils ihrer Sozialversicherungsbeiträge könnte die "Armut in der Arbeit" lindern. Aber nicht, wenn die Förderung auf Beschäftigte mit Einkommen zwischen 630 und 1575 Mark brutto, wie im Modell vorgesehen, begrenzt bleibt. Inzwischen wurden die Einkommensgrenzen zwar für Paare und Alleinerziehende erhöht, doch nur bei einem Einkommen von bis zu 1260 Mark sollen die Arbeitnehmerbeiträge in voller Höhe bezuschußt werden. Von einem solchen Einkommen kann niemand leben, auch nicht wenn die Sozialversicherungsbeiträge erlassen werden.
Nach derzeitigen Tarifen erhält eine Verkäuferin im Einzelhandel 2292 Mark brutto, eine Floristin 2269 Mark, eine Fischverpackerin sogar nur 2160 Mark. Solche Niedrigtarife werden in der gewerkschaftlichen Diskussion als "Armut in der Arbeit" oder "Armut trotz Arbeit" problematisiert. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG) fordert nicht ohne Grund einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 2500 Mark. Die Einkommensgrenzen im Mainzer Modell liegen aber noch weit unterhalb dieser Tarife. Unter solchen Bedingungen hebt die Subventionierung von Niedriglöhnen Armut nicht auf, sondern schreibt Armut fest. Zudem werden die Arbeitgeber aus der Pflicht entlassen, mindestens existenzsichernde Löhne zu zahlen.
Die Erprobung von Kombilohn-Modellen und jetzt die bundesweite Einführung des Mainzer Modells hätten keine gewerkschaftliche Zustimmung finden dürfen. Es kann dazu kommen, daß Arbeitgeber den Lohnbetrag, den sie für einen Arbeitsplatz aufwenden, senken, damit dieser Arbeitsplatz in die Förderung fällt. So gehen Normalarbeitsplätze verloren. Das bleibt langfristig nicht ohne Auswirkungen auf das Tarifgefüge und das Niveau der sozialen Leistungen. Wenn es den Arbeitgebern gelingt, die unteren Löhne deutlich zu senken, kann wegen des sog. Lohnabstandsgebots auch die Sozialhilfe gesenkt werden.
Kombilöhne sind erwiesenermaßen kein Mittel zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Es gibt aber gute Alternativen im Kampf gegen Arbeitslosigkeit, ohne daß der Niedriglohnsektor ausgeweitet werden müßte: Umverteilung von Arbeit und ein öffentlicher Beschäftigungssektor mit regulären Dauerarbeitsplätzen (dessen Finanzierbarkeit Otto Meyer in Ossietzky längst detailliert vorgerechnet hat).