PDS: Bedeutungslose Sekte?

Die Niederlage der PDS im Bundestagswahlkampf kam für die wenigsten Aktivisten überraschend. Seit Monaten zeigten die Umfragewerte deutlich nach unten. ...

Unter den im Bundestag vertretenen Parteien zeigten Mitglieder und Anhänger der PDS mit Abstand die geringste Motivation zur Stimmabgabe. Die Mitgliedschaft und letztlich die Parteiorganisation konnten also nicht wie in den vorangegangenen Entscheidungsrunden als wichtiger Faktor in die politische Auseinandersetzung eingebracht werden.
Dennoch wurde an geradezu utopischen Wahlzielen festgehalten und politisches business as usuall betrieben. Offenkundig wollte die PDS-Führung das Maß der sich abzeichnenden Verselbständigung nicht wahrhaben und fand nicht die Kraft zu einer Korrektur ihrer Kampagne.

Im Laufe des Jahres hatte sich die politische Großwetterlage gegen die PDS gedreht. Zunächst erwies sich die wirtschaftliche Rezession als weitaus hartnäckiger und langwieriger - Schröder zog Hartz aus dem Zylinder und die PDS setzte nichts dagegen. Die Flutkatastrophe unterstrich gleich zweierlei: einmal die Notwendigkeit innerdeutscher Solidarität, was wiederum Schröder auf Kosten der PDS als "Anwalt des Osten" nutzte; zum anderen die Notwendigkeit eines nachhaltigen ökologischen Umbaus der Wirtschaft, was Wasser auf die Mühlen der Grünen lenkte. Schließlich hat Bushs Umwidmung des "Kampfes gegen den internationalen Terrorismus" in einen Angriffskrieg gegen den Irak das Friedensthema so massiv auf die politische Agenda gerückt, dass die PDS nicht nur ihre politische Exklusivität verlor, sondern zugleich die Widersprüchlichkeit ihrer Positionen in Sachen UNO und internationaler Entspannungspolitik aufgedeckt wurde. In all diesen Auseinandersetzungen wurden die programmatisch-konzeptionellen Schwächen der PDS deutlich. Die Führungscrew wusste darauf keine Antworten; nicht einmal ein Ansatz zur Reaktion auf die veränderten Umstände war erkennbar.

Die PDS-Sprachregelung für die Niederlage lautet: Die Partei hat inhaltlichen Klärungsbedarf, das Personaltableau überzeugte nicht und die Darstellung des Politikangebots war unzureichend. Bei der Personalfrage verweisen Freund und Feind gerne auf den unglaubwürdigen Rücktritt Gysis vom Amt der Berliner Wirtschaftssenators. Selbstverständlich ist damit ein wichtiger Problempunkt benannt. Dennoch bleibt die Auseinandersetzung an der Oberfläche, denn die PDS hat in Berlin zu Recht Regierungsverantwortung übernommen. Es war mutig, mit einem erfahrenen Spitzenpolitiker wie Gysi in eine solche Regionalwahl von bundespolitischer Bedeutung zu gehen. Mutig umso mehr, als die Partei und ihre Berliner Mannschaft auf die desolate wirtschaftlich-finanzielle Situation der Hauptstadt nicht vorbereitet war - doch derartiges kommt in der Politik manchmal vor.

Das Problem wurde erst manifest, als die PDS-Führung nach ihrem Wahlerfolg und dem Eintritt in die Regierung den Schongang einlegte. Eine politische Konzeption für die Stadtentwicklung unter den schwierigen Bedingungen war nicht erkennbar, Arbeitsaufträge wurden nicht erteilt und Debatten über die Zukunft fanden nicht statt - doch als politisches Problem wurde das nicht angesehen. Am 18. September legte der PDS-Landesvorsitzende Liebich ein Grundsatzpapier vor, in dessen Einleitung zu lesen ist: "Vor acht Monaten hat die PDS in Berlin Regierungsverantwortung übernommen... Über allem stand und steht dabei die Notwendigkeit einer Konsolidierung des Landeshaushaltes... Nicht Visionen, wie sie in der Vergangenheit die Stadt an den Rand des Ruins getrieben haben, fehlen Rot-Rot. Es gilt in den kommenden Monaten die Diskussion konsequent darüber zu führen: Was soll der Staat, was soll die Gesellschaft und was die Wirtschaft in Berlin leisten?"

Zu Recht sind große Teile der WählerInnen über soviel Konzeptionslosigkeit und Machtarroganz enttäuscht. Zumal es sich um keinen Berliner Ausrutscher handelt; über die PDS-Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern kann Gleiches gesagt werden. Der Eindruck verfestigt sich, dass trotz massiver und z.T. noch zunehmender Probleme in der PDS Lernunlust oder Lernunwilligkeit vorexerziert wird. Für eine linkssozialistische Partei gilt, was für alle größeren Organisationen im flexiblen Kapitalismus zutrifft: Wer nicht lernt und sich nicht auf die veränderten Bedingungen einlässt, den bestraft das Leben. Gysi ist nicht das Problem, sondern Teil des Problems. Der begnadete Selbstdarsteller hatte schon immer Schwierigkeiten, im Team zu arbeiten und eine Organisation zu motivieren. Logischerweise zeigen die von einem solchen Spitzenmann entwickelten Personalstrukturen ihre Schwächen, wenn der Kapitän von Bord geht.

Die politische Niederlage ist so gravierend, dass jeder Versuch der Beschönigung sinnlos ist. Sicherlich werden jetzt die berühmten Schuldigen gesucht und gefunden. Zu hoffen ist, dass ein Teil der Verantwortlichen von sich aus den Weg frei macht, um die Führungsetage neu zu besetzen. Andernfalls würde die PDS die Chance ergreifen, die Niederlage noch drückender zu machen. Entscheidend ist freilich: Es muss ein Neuanfang eingeleitet werden. Die Zeit der Abrechnung sollte kurz gehalten und die Frage, wer welchen Anteil an der katastrophalen Entwicklung hat, nicht ausdiskutiert werden.

Die PDS bleibt in den ostdeutschen Bundesländern ein bedeutsamer politischer Faktor. Aber wie geht sie selbst mit ihrem politischen Gewicht um? In Mecklenburg-Vorpommern hat sie mit acht Prozentpunkten massiv verloren, während die SPD als Seniorpartner in der Regierung auf über 40% zugelegt hat. Ein Ausstieg aus der Schweriner Regierung kommt für die PDS nicht in Frage. Einen Rückzug auf eine reine Protestpartei kann sich die PDS nicht erlauben, das würde ihre Talfahrt nur verlängern. Andererseits ist sie jetzt so stark geschwächt, dass sie in den anstehenden Koalitionsverhandlungen keine grundlegenden Veränderungen durchsetzen kann. Aber sie kann die Partei- und Programmarbeit auf eine neue Grundlage stellen. Die politische Kommunikation muss einen höheren Stellenwert erhalten. Die PDS muss in den gesellschaftlichen Brennpunkten den Menschen zuhören, ihre Probleme aufgreifen und mit ihnen über Alternativen debattieren. Und nicht zuletzt muss die politische Bildung und innerparteiliche Fortbildung intensiv vorangetrieben werden.

Ein auf die ostdeutschen Bundesländer beschränkter Neuanfang wird die PDS im Westen nicht aus der Sackgasse herausholen. Will sie ihren Anspruch als bundesweit agierende linkssozialistische Partei nicht aufgeben, sondern in den nächsten vier Jahren unter verschlechterten Bedingungen auch umsetzen, ist es erforderlich, Verhältnisse in den westdeutschen Landesverbänden auf den Prüfstand zu stellen und einer klärenden Kritik zu unterwerfen. In der Vergangenheit wurde das immer wieder abgeblockt. Doch gerade im Westen ist eine fundamentale Erneuerung von Nöten, um ihre Marginalität zu überwinden.

Die PDS war mit einem Spitzenteam von vier PolitikerInnen in die Wahlauseinandersetzung gezogen. Offenkundig sollte der stellvertretende Parteivorsitzenden Dehm, der einst mit vollmundigen Erneuerungsversprechen die Nachfolge von Wolfgang Gehrke angetreten hatte, nicht als Vertreter der sozialistischen Linken in den westdeutschen Bundesländern herausgestellt werden. Dass nun zumindest eine Zeit lang keine politischen Ämtern mit verlockenden Diäten zu vergeben sind, eröffnet eine Chance, die in der Partei festgefahrenen Konflikte, Machtansprüche und Kräfteverhältnisse in Bewegung zu bringen, um in die Lage zu kommen, sich für politisch-kulturelle Diskurse wieder zu öffnen. Keine leicht zu lösende Aufgabe.

Schon in den zurückliegenden Jahren hat die PDS zu wenig Kontakte und Meinungsaustausch mit anderen sozialistisch-reformkommunistischen Parteien und Strömungen in Europa gesucht. Ansatzpunkte für eine breitere Verständigung über die Aufgaben der sozialistischen Linken liegen auf der Hand: auch die schwedische Linkspartei und die französische KP haben schwere Wahlniederlagen zu verarbeiten. Es wäre ein Schritt nach vorn, wenn die Erneuerung der PDS in die Formation einer Linkspartei in der Europäischen Union rückbezogen würde. Es geht gewiss nicht um das Kopieren von vermeintlichen Lösungen, die es auch in anderen Ländern nicht gibt, sondern um eine geistig-kulturelle Öffnung, ohne die eine Erneuerung der PDS kaum erfolgreich sein kann.

Der Tiefpunkt der politischen Talsohl wäre für die PDS vermutlich dann erreicht, wenn Personalquerelen in Grabenkäpfen ausgefochten werden und der politisch-konzeptionelle Stillstand durch eine vermurksten Debatte über das Grundsatzprogramm perpetuiert wird. Die PDS sollte sich als lernende Organisation profilieren, indem sie ohne vorschnelle Entscheidungen Anschluss an die laufenden Debatten der politischen und sozialistischen Linken sucht.