Die PDS nach Gera

in (05.11.2002)

Über den Geraer Parteitag der PDS verbreiten die Gazetten drei Gewißheiten: Erstens, daß sich "die Krise der PDS weiter verschärft" (Jörg Michel in der Berliner Zeitung). Zweitens, ...

... daß sich in Gera die "Traditionssozialisten" und "Mitglieder der Kommunistischen Plattform" (Brigitte Fehrle im selben Blatt) und die "Altstalinisten, Kommunisten und Marxisten" (Kristina Dunz, dpa) durchgesetzt hätten. Drittens, daß die PDS nun "ihre Rolle als Friedenspartei und Trägerin sozialen Protestes nicht mehr spielen" könne (Jens König in der tageszeitung).
Ad 1 sei zurückgefragt: Was wäre denn passiert, wenn sich auf dem Parteitag Bartsch, Claus, Holter, André Brie, Harald Wolf und die Gummibootfraktion karrieresüchtiger Berufsjugendlicher wie Angela Marquardt und Sandra Brunner durchgesetzt hätten? Dann hätten diejenigen obsiegt, die für die Anpassung und Anbiederung der PDS im Wahlkampf verantwortlich waren - und in Gera zurecht dafür verantwortlich gemacht wurden. Genau dies hätte die Krise der Partei beschleunigt und zu massenhaften Austritten geführt. In jedem Fall hätte diese Truppe die Selbstaufgabe der PDS weitergetrieben - siehe den Brief von Gregor Gysi und André Brie während des Wahlkampfs an Oskar Lafontaine. Die These von der "verschärften PDS-Krise" verrät den Wunsch als Vater der Gedanken. Wenn nach dem Parteitag in der Tagesschau André Brie auf die Frage: "Droht der Partei die Spaltung?" antwortet: "Das ist nicht auszuschließen", dann mag er an eine Abspaltung sogenannter Reformer denken. Doch selbst diesem Personenkreis bieten sich nur wenige individuelle Karrierechancen in Talkshows oder in der SPD. Gerade weil die "Reformer" sich in Gera ins Abseits katapultierten, wurde das Aufbrechen einer offenen Parteikrise zunächst verhindert und sind die Perspektiven für eine sozialistische Partei wieder offen.
Ad 2: Wer sind denn die "Reformer"? Fast alle waren bis 1989 treue SED-Funktionäre. Bartsch z.B. kam von der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPdSU, Holter war gleich zweimal zum Studium in Moskau, zuletzt auf der Parteihochschule der KPdSU, Claus war FDJ-Bezirkssekretär in Halle und in der Wendezeit SED-Bezirkssekretär. Alles Schnee von vorgestern? Das sieht Dietmar Bartsch anders. Mitten im Wahlkampf äußerte er in der Süddeutschen Zeitung: "Das Wesen der PDS war nie das einer bloßen Protestpartei. Das erklärt sich schon aus ihrer Vorgeschichte: Die SED hat ja nun wirklich diesen Staat getragen. So verkehrt sich unsere Herkunft sogar zu einem Vorteil." Im neu zusammengesetzten Parteivorstand sind diejenigen, die ein solches traditionell-bürokratisches und "staatstragendes" Selbstverständnis haben, kaum mehr vertreten. Und einige wie der wiedergewählte Parteivorsitzende Diether Dehm und der neue Bundesgeschäftsführer Uwe Hiksch kommen aus der linken Sozialdemokratie.
Ad 3: Die dies behaupten, haben zuvor die PDS niemals als "Friedenspartei und Trägerin des sozialen Protestes" gesehen, sondern ihr gerade diese Charakterzüge abgesprochen. Es waren aber gerade das "Sorry, Mr. Bush" von Roland Claus und der antisoziale Kurs des Schweriner Ministers Holter, des Berliner Senators Gysi und seines Nachfolgers Wolf, wodurch die PDS mitverantwortlich wurde für die vorherrschende Politik und sich den Kredit bei den sozialen Bewegungen verspielte. Wer wie Gysi im beginnenden Bundestagswahlkampf an der Stock Exchange der Wall Street vorturnt und erklärt, "die Börse ist eine geniale Erfindung des Kapitalismus" (Berliner Morgenpost 14.6.), der schaufelt einer sozialistischen Partei das Grab.
Gera markiert noch keine Wende nach links. Aber dort wurde weiterer Rechtsruck verhindert und die Chance eröffnet, den sozialistischen Charakter der PDS neu zu beleben - und damit auch die Chance, die PDS als "Friedenspartei und Trägerin sozialen Protestes" fester zu verankern. Das ist übrigens auch die Voraussetzung dafür, daß die PDS in zwei Landtagen präsent bleiben, ihre Position im Europaparlament verteidigen und einen Wiedereinzug in den Bundestag bewerkstelligen kann.
Winfried Wolf war Bundestagsabgeordneter der PDS.

erschienen in Ossietky 21/02