Regierung und Paramilitärs in Symbiose

Kolumbien

Im öffentlichen Diskurs wird Kolumbien vor allem mit Drogenhandel assoziiert. Der über Jahre angehäufte Reichtum der Rauschgiftkartelle beläuft sich mittlerweile zwar auf rund 40 % des ...

... Gesamtbesitzes im Land, das Drogengeschäft macht jedoch "lediglich" 6 % des BIP aus; das ist wesentlich weniger als in Bolivien und Peru. Anbau und Handel mit Koka/Kokain und in geringerem Maße auch mit Opium/Heroin haben keines der Bürgerkriegs-Probleme geschaffen, sondern bestehende nur verschärft. Wo also liegen die eigentlichen Ursachen für die brutalen Menschenrechtsverletzungen im jahrzehntealten Bürgerkrieg, in dem seit 1964 über 200 000 Menschen ums Leben kamen?
Kolumbien ist ein Investitionsparadies, in das allein 400 der 500 größten US-Firmen Gelder einbringen. Bis 1998 besaß es die höchsten Wachstumsraten des Kontinents. Auch die folgende kurzzeitige Rezession konnte den Boom nicht ernsthaft gefährden. Nach drastischer Peso-Abwertung, Wechselkursfreigabe und einem harten Sparprogramm sowie dem Abbau der Arbeiterrechte stiegen die Exporte im Jahr 2000 wieder um 13 %. Der 2002 gewählte Präsident Álvaro Uribe Veléz verstärkte den neoliberalen Kurs und so konnte die "New York Times" Anfang 2003 Kolumbien wieder einen der weltweit interessantesten "aufsteigenden Märkte" nennen.
Parallel zur neoliberalen Aufrüstung findet ein erbitterter und verschärfter Krieg gegen die eigene Bevölkerung, insbesondere gegen Bauernorganisationen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen, statt. 2002 flüchteten laut der Menschenrechtsorganisation Codhes 412 553 Menschen aus ihrer angestammten Heimat, das sind 20 % mehr als 2001.1 Insgesamt gibt es 2,7 Millionen Heimatlose. 2002 wurden 544 Massaker mit 2 447 Toten, 4 512 politische Morde und 744 Verschwundene gezählt.2 Für diese Menschenrechtsverbrechen müssen aber nicht mehr, wie in den 80er Jahren, vorwiegend Armee und Polizei, sondern in über 70 % der Fälle rechte Paramilitärs verantwortlich gemacht werden.
Dem Konflikt liegen mehrere Faktoren zu Grunde, vor allem aber Kolumbiens Reichtum und seine geostrategische Lage. Der einzige Staat Südamerikas mit Atlantik- und Pazifikzugang dient als Brücke in den Norden. Geplant sind Großprojekte, der Weiterbau der Panamericana und eine interozeanische Verbindung.3 Zudem besitzt Kolumbien große Kohle- und Goldvorkommen, ist weltgrößter Exporteur von Qualitätskaffee und Smaragden, zweitwichtigster Blumen- und Bananenexporteur und drittgrößter Erdölproduzent Lateinamerikas. Die riesigen Gewinne gehen an transnationale Konzerne (TNCs) und lediglich an eine Minderheit in Kolumbien. 60 % der Bevölkerung leben in Armut, 20% im Elend. Die Oberschicht reagiert auf die sozialen Widersprüche seit über 180 Jahren mit Repression. Seit den 60er Jahren herrscht Krieg zwischen den linken Guerillabewegungen4 und dem staatlichen Machtapparat der Eliten, der in den vergangenen zehn Jahren zunehmend eskalierte.
Seit 2000 flossen über 2,5 Mrd. Dollar US-Militärhilfe ins Land.5 Die Regierung vervierfachte die Zahl der Berufssoldaten und verzwanzigfachte die der Armeehubschrauber und Überwachungsflugzeuge. US-Ra-darstationen und AWACS-Aufklärer, die der Drogenfahndung dienen sollten, geben Informationen über die
Guerilla weiter. Gleichzeitig stieg die Zahl der Paramilitärs von 5 000 auf 12 000 an. Die Gesamtstrategie soll zwischen ihnen und der Armee abgestimmt sein. Vor Ort sind auch Hunderte Ausbilder der US-Army und ein Dutzend vom Pentagon und von TNCs beauftragte Private Military Companies (PMCs).
PMCs stellen Ausbilder, Überwachungsexperten, Piloten und Spezialteams für Kolumbiens Polizei und Militär, für die US-Drogenbehörde (Drug Enforcement Agency, DEA), US-Ge-heimdienste und TNCs. Meist sind es Ex-Angehörige von Eliteeinheiten der USA und anderer Länder. Insgesamt sollen es über 1000 sein. Um die vom US-Kongress festgesetzte Obergrenze für Einsätze in Kolumbien zu umgehen, wird Personal aus anderen Ländern eingestellt. Obwohl die PMCs Aufträge und Bezahlung direkt aus den USA erhalten, sind sie Privatunternehmen. Dadurch werden Kontrollinstanzen und eine kritische Öffentlichkeit in beiden Ländern auf Distanz gehalten.
Paramilitärs sind üblicherweise auch für privatkapitalistische Interessen im Einsatz. Seit 1987 wurden über 2000 Gewerkschafter von Paramilitärs ermordet. Der US-Bergbau-Konzern Drummond Coal wird beschuldigt, rechte Paramilitärs der Vereinten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC) "mit Geld, Lebensmitteln, Treibstoff, Ausrüstung und Land für Stützpunkte zu versorgen. Im Austausch wendet die AUC extreme Gewalt an, foltert und ermordet Gewerkschafter, um sie davon abzuhalten, in diesen Unternehmen zu operie-ren".6 Der gleiche Vorwurf trifft Nestlé, Coca Cola u.a.
Der Terror der Paramilitärs und das Investitionsbedürfnis der Drogenunternehmer haben die Exportorientierung der Agrarindustrie befördert. Durch Vertreibung und Raub erfolgte eine wahre Gegenlandreform. Laut UN-Behörden besitzen Drogenunternehmer mittlerweile 44 000 km² Land, das entspricht 40% der bewirtschaftbaren Fläche.
Die Wurzeln der Paramilitärs reichen in die 50er Jahre zurück. Ihre moderne Version tauchte erstmals 1980 auf: Killertrupps im Dienste der lokalen politischen und wirtschaftlichen Machthaber, der Drogenbosse aus Medellin sowie von Texaco. Sie bestanden zum guten Teil aus Militärs. Unter Führung der Drogenbosse breitete sich das Modell schnell aus. Ab 1993 wurden die Pepes (Verfolgte durch "Kokainkönig" Pablo Escobar) der Brüder Fidel und Carlos Castaño zur zentralen Säule des Paramilitärprojekts. Von Escobarfeindlichen Drogenbossen gegründet, unterhielten sie enge Kontakte zu einer von den USA ausgebildeten Polizei-Spezialeinheit (Bloque de Busqueda) sowie zu DEA und CIA, für die Carlos Castaño ein zentraler Partner ist. 1994 gründete er einen Regionalverband in Cordoba und Urabá. Das Modell expandierte und 1996 schlossen sich fast alle Gruppen zur AUC zusammen, einer illegalen Armee mit mittlerweile 12 000 Kämpfern, die zu 70 % aus Drogengeldern finanziert wird. 2001 wurde die AUC zwar auf die US-Terrorliste gesetzt, Folgen hatte es aber nicht.
Gefechte mit der Guerilla meiden die Paramilitärs. Ihre Angriffe gelten Zivilisten, Bauern, Gewerkschaftern, Menschenrechtlern und linken Organisationen. Die Zusammenarbeit mit der Armee ist so eng, dass Human Rights Watch die Paramilitärs als "VI. Division der Armee bezeichnet".7 Ziel ist die physische Vernichtung der Opposition. So verlor das linke Wahlbündnis Unión Patriótica in 13 Jahren rund 4 000 Aktive.
Álvaro Uribe unterhält seit spätestens 1981 intensive Kontakte zu Drogenunternehmern und Paramilitärs. In den 90er Jahren förderte er als Gouverneur von Antioquia die vom Militärgeheimdienst aufgebauten, legalen Paramilitärs Convivir (Zusammen leben), die 200 000 Menschen vertrieben, Tausende ermordeten und 1997 verboten wurden.8 Im April 2002 gewann er die Präsidentschaftswahlen. Die AUC, die ihn zuvor zu ihrem Kandidaten gekürt hatte, beglückwünschte ihn.
Uribe setzte dennoch auf eine Intensivierung des Kampfes gegen die AUC. Seit seiner Amtsübernahme gilt der Ausnahmezustand. Es begann der Aufbau eines Spitzelnetzes mit einer Million zum Teil mit Kriegswaffen ausgerüsteten Personen. 30 000 neue Berufssoldaten und 30000 Armeereservisten sowie Ex-Polizisten wurden eingestellt und in Schnellkursen 20 000 Bauernsoldaten ausgebildet.
Ende 2002 erklärte das Gros der AUC einen Waffenstillstand und trat in Verhandlungen mit der Regierung ein.9 Im Gegenzug zu ihrer Auflösung forderte die Organisation Straferlass, Passierscheine für die des Drogenhandels angeklagten Führer, Freilassung der Inhaftierten und monatliche Unterhaltszahlungen. Im Juli 2003 wurden mit einem Rahmenabkommen Gespräche für eine Demobilisierung bis Ende 2005 eingeläutet. Unerwähnt blieb, was mit offenen Verfahren, verurteilten Paramilitärs und schweren Menschenrechtsverbrechen geschehen solle. Jedoch wurde ein von der UNO kritisiertes Gesetz verabschiedet, das für grausamste Menschenrechtsverbrechen Straffreiheit zulässt.
Vertreter der US-Botschaft in Bogotá trafen sich mehrmals mit Castaño und anderen AUC-Führern. Sie sollen ihnen besondere Haftbedingungen und Strafminderung angeboten haben, wenn sie sich der US-Justiz stellen. Das passt zu einem DEA-Programm, das
kolumbianischen Drogenunternehmern gegen Millionenzahlungen und Einstellung des Geschäfts Strafnachlass und US-Visa bietet. Die niederen Paramilitärs sollen hingegen in das Spitzelnetz und das Bauernsoldaten-Programm integriert werden.
Kolumbien bleibt damit ein Paradebeispiel für das Zusammenwirken staatlicher und paramilitärischer Gewalt, dafür, dass das Auftreten nichtstaatlicher bewaffneter Akteure und die Auslagerung staatlicher Militärund Repressionsaufgaben auf private Gewaltunternehmer keine Schwächung des repressiven Staates bedeuten muss. Die Durchsetzung staatlicher und privatkapitalistischer Interessen wird kontrolliert auf PMCs und Paramilitärs übertragen. Politik, Armee, Polizei, Drogenunternehmer, Viehzüchter, US-Army, DEA, US-Geheimdienste und TNCs kooperieren dazu in ständig wechselnden Konstellationen.

1 "El Tiempo", 28. 4. 2003.
2 CPDH (Comité Permanente por la Defensa de los Derechos Humanos), Décimo Foro Nacional
de Derechos Humanos. Política de guerra al banquillo, in: "Voz", 12.-18. 3. 2003.
3 Dario Azzellini, Ökonomische Interessen und Gewalt am Beispiel des Kanalbauprojekts, in: Dario Azzellini und Raul Zelik (Hg.), Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung, Köln 1999.
4 Die marxistisch-leninistische FARC (Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) hat rund 20 000 Kombattanten, die befreiungstheologisch, cheguevaristische ELN (Nationale Befreiungsarmee) etwa 12 000. Hinzu kommen kleine Gruppen mit einigen Hundert Bewaffneten.
5 Der von der Pastrana-Regierung aufgelegte Plan Colombia sieht insgesamt über 7,5 Mrd. Dollar an Hilfsgeldern vor, davon 90 % für Militär- und Polizeihilfe.
6 Aus einem Brief des US-Senators Patrick Leahy an den Generalstaatsanwalt John Ashcroft im März 2003
7 The "Sixth Division", Military-paramilitary Ties and U.S. Policy in Colombia, Human
Rights Watch, 2001
8 Joseph Contreras, Biografía no autorizada de Àlvaro Uribe Vélez, 2002. Der Newsweek-
Autor beschreibt die Verbindungen zwischen Uribe-Familie, Drogenhandel und Paramilitarismus.
9 In den ersten zwei Monaten ermordeten sie dennoch 200 Menschen.