Arbeit - Emanzipation - passive Revolution.

Metamorphosen der Arbeitspolitik und die Zukunft der Gewerkschaften

"Ist eine Welt ohne Gewerkschaften denkbar?... Wäre es den Arbeitgeberverbänden ernst mit ihrem Bekenntnis zu mehr Beschäftigung, gäbe es für sie aus dem Scheitern der IG Metall nur eine Konseque

... die Selbstauflösung. Denn zum Tango braucht es immer zwei - am Beschäftigungselend in Deutschland haben die Verbände eine gehörige Mitschuld; alle Kollektivverträge tragen ihre Unterschrift. Bislang haben die Verbände die Selbstauflösung immer verweigert mit Verweis auf die Stärke des Gewerkschaftsgegners, der dann wie ein Wolf über die hilflosen Unternehmen herfalle. Jetzt haben die Verbände die einmalige Chance, angesichts der Schwäche der Gewerkschaften ihre Arbeit einzustellen. Sie können das guten Gewissens als Akt zur Mehrung des Gemeinwohls deklarieren. Die Politik aber muß endlich die Voraussetzungen dafür schaffen, daß aus dem Arbeitsmarkt ein Markt werden kann. Viele gesetzliche Vorschriften privilegieren die Gewerkschaften und Verbände und vereiteln zugleich, daß Betriebe mit einzelnen Arbeitnehmern oder Belegschaften frei über Löhne und Arbeitsbedingungen verhandeln dürfen. Das ist einer liberalen Gesellschaft eigentlich nicht würdig und erklärbar nur aus der kollektiven Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts." Rainer Hank, "Der Zerfall", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03. Juli 2003

Einleitung

Bereits die Weltwirtschaftskrise 1980/82 entfachte eine breite Debatte über die Krise der Gewerkschaften (Esser 1982; Müller-Jentsch 1988; Regini 1992). Heute bestehen keine Zweifel mehr darüber, dass sich die Gewerkschaften in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften infolge von fortgeschrittener Globalisierung und der politischen Aufkündigung des fordistischen Klassenkompromisses in einer ausgeprägten Position der Defensive befinden. Diese Defensive unterminiert zunehmend kollektive Prinzipen und Praktiken der Interessenvertretung und diskreditiert damit auch sämtliche Perspektiven einer "vollständigen Emanzipation" der Lohnarbeit (MEW 16, 197). Ungeachtet der Formenvielfalt, in der sich diese Defensivpositionen länderspezifisch in korporatistischen Arrangements oder konflikthaften Verhältnissen bewegen, gleichen sich inzwischen die Krisensymptome: Mitgliederverluste, Erosion der Bindekraft kollektivvertraglicher Regeln, schwindende Mobilisierungskraft. Bildete die Anpassung der Gewerkschaften an neue Kapital- und Weltmarktbewegungen das zentrale Thema der ersten Welle kritischer Gewerkschaftsliteratur, werden heute - ausgehend von neuen Formen gewerkschaftlicher Krisenverarbeitung in den USA, sozusagen aus der Tiefe der Krise - Bedingungen ihrer Rekonstruktion als Gegenmacht zum globalisierten Kapitalismus (Moody 1997) bzw. ihrer Revitalisierung auf der Grundlage sich internationalisierender Gewerkschaftsidentitäten (Hyman 2003) diskutiert. Die Revitalisierung autonomer Gewerkschaftspolitik ist aber keineswegs eine bereits ausgemachte Sache. Als gesicherte Erkenntnis kann dagegen angesehen werden, dass sich der "Klassenkampf von oben" intensiviert. Der Angriff auf die Organisationen der Arbeiterbewegung in den fortgeschrittenen Staaten hat infolge einer Reihe von Niederlagen im politischen und im Verteilungskampf an Schärfe zugenommen. Im Unterschied zu verbreiteten Strategien der politischen Einbindung von Gewerkschaften in den kapitalistischen Restrukturierungsprozess sind die Regierungen immer weniger gewillt, sich dem teils revitalisierten "Druck der Straße" zu beugen. In einem technokratischen Politikverständnis soll in "Expertokratien" ohne gewerkschaftliche Beteiligung eine gründliche, weil für notwendig erklärte "Reform" des Sozial- und Wohlfahrtsstaates und der Institutionssysteme der industriellen Beziehungen konzipiert und effektiv implementiert werden. Politik gehorcht einer "managerialen Funktionslogik" - einem "Positivismus der Geschäftsführer" (Röttger 2001). Insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, die den Vertretern einer neo-institutionalistischen Kapitalismustheorie und eines pfadabhängigen sozialen Wandels nach wie vor als Bastion des "rheinischen", d.h. koordinierten Kapitalismus erscheint (Hall/Soskice 2001), werden Gewerkschaften zunehmend als "Plage für unser Land" (Guido Westerwelle) diffamiert, die - sofern sie sich autonomer Positionen versichern - wegen ihrer mangelnden "gesamtwirtschaftlichen Verantwortung" an den Pranger gestellt werden. Ungeachtet der empirischen Realitäten, die zeigen, dass die Folgen des strukturellen Wandels in der BRD von den Gewerkschaften in den letzten Jahren vor allem ohnmächtig hingenommen werden musste, der Wandel selbst jedoch teilweise auch im politischen Tausch oder in den Institutionen der industriellen Beziehungen aktiv gestaltet und gestützt wurde, sind Gewerkschaften zum Synonym für "Blockierer" und "Verhinderer" vermeintlich notwendiger Reformen geworden. Faktisch jedoch haben sie nichts blockiert - im Gegenteil: innovative Formen betrieblicher oder regionaler Organisation sind durch Gewerkschaften oft erst initiiert worden. Heute, wenn es also tatsächlich etwas zu blockieren gilt, fehlt ihnen im Rahmen des bestehenden Systems industrieller Beziehungen die Mobilisierungs- und Durchsetzungsmacht. Empirische Studien zur Reorganisationsrealität des "flexiblen Kapitalismus" (Dörre 2002a) haben derweil deutlich zeigen können, dass sich innerhalb einer relativen Stabilität der institutionellen Formen des fordistischen Klassenkompromisses bzw. des "rheinischen Kapitalismus" ein qualitativer Wandel in den Verhandlungsbeziehungen zwischen Kapital und Arbeit durchgesetzt hat. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich in "der Hülle des Alten" bereits Konturen eines neuen Produktionsmodells, wenn nicht einer neuen Formation des Kapitalismus herausgebildet haben. Wir haben diese als "neues Marktregime" (Dörre/Röttger 2003) bezeichnet. Die verbreitete Rede vom Beharrungsvermögen bestehender institutioneller Arrangements im Verhältnis von Kapital und Arbeit auf jeden Fall verdeckt den sich innerhalb der alten Formen vollziehenden Bruch in der Qualität der Kapital-Arbeits-Beziehungen. In eigenen empirischen Untersuchungen sind wir beispielsweise auf grundlegende Erosionskräfte im dualen System der Interessenvertretung gestoßen. Die vormals enge Verzahnung von betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenpolitik hat sich erheblich gelockert. Von Seiten kritischer GewerkschafterInnen werden zunehmend die durch Öffnungsklauseln im System der Tarifdemokratie ermöglichten Tarifvereinbarungen auf Betriebsebene kritisiert, durch die zwar die formale Hülle des Tarifvertrages gewahrt bliebe, in denen jedoch arbeitspolitisch jeder "Haltegriff" fehle, der den Sturz in den interessenpolitischen Rückschritt wenn nicht aufhalten, so doch in Maßen halten könne. Auf der anderen Seite jedoch bilden Betriebsräte, die zunehmend in ökonomische, standortpolitische Entscheidungsprozesse einbezogen sind, die zuvor exklusiv im Zuständigkeitsbereich des Managements lagen, die entscheidende Säule, auf denen die Gewerkschaften überhaupt noch politisch handlungs- und mobilisierungsfähig sind. Im Kern lässt sich innerhalb der bestehenden institutionellen Formen eine Bewegung beobachten, in der die Bewertungsmaßstäbe "industrieller Demokratie" ökonomisiert und die Ware Arbeitskraft rekommodifiziert wird. Und tatsächlich sind institutionelle Garantien für die abhängig Beschäftigten nur noch solange etwas wert, wie sie sich mit der wirtschaftlichen Situation des Betriebs und seiner Reorganisationsstrategien vereinbaren lassen. Meine These ist, dass der von der neoliberalen Ideologie gestützte Frontalangriff von Teilen des Kapitals und der Politik auf die Gewerkschaften erst möglich wurde, weil die Institutionen der industriellen Beziehungen aufgrund aufgekündigter Kompromisse und verschobener Kräfteverhältnisse bereits politisch geschliffen und inhaltlich entkernt wurden. Auf den Trümmern der institutionellen Ordnung des fordistischen Systems der industriellen Beziehungen erheben sich Kräfte des "Systemwechsels", die das gesamte Regulationsgefüge gesellschaftlicher Arbeit ins Visier genommen haben. In der Konsequenz werden in absehbarer Zukunft wohl auch die institutionellen Formen des "Modell Deutschland" zur Disposition gesellt, obwohl selbst Teile des Unternehmerlagers inzwischen die "befriedende" Funktion des Flächentarifvertrages erkannt haben. Theoretisch gewendet: dem bestehenden System industrieller Beziehungen wird nicht eine idealtypische neue, im Rahmen des verbreiteten "benchmarkings" als best-practice identifizierte Regulationsweise aufgeherrscht; durch die im Regulationsprozess kapitalistischer Restrukturierung verschobenen Kräfteverhältnisse und durch die Durchsetzung neuer (finanzieller) Normen innerhalb der kapitalistischen Weltökonomie hat sich die wechselseitige Bedingungskonstellation von Arbeit und Politik dergestalt verschoben, dass sich die bestehenden Systeme der Arbeitspolitik als internationales System neu austarieren. Kern dieses Prozesses ist die Tendenz zur Durchsetzung einer weltmarktgültigen, hegemonialen Produktionsnorm, die für die jüngste Metamorphose der Arbeitspolitik verantwortlich zeichnet. In der Geschichte des Kapitalismus lassen sich unterscheidbare Konstellationen der Arbeitspolitik ausmachen (Röttger 1999). Im Folgenden werde ich zunächst einige Metamorphosen der Arbeitspolitik skizzieren, um vor allem auf die immer wieder zu beobachtende Tendenz aufmerksam zu machen, die Emanzipationspotentiale, die in der kapitalistischen Formbestimmung der Arbeit wurzeln, in einer "passiven Revolution" hegemonial im Sinne der Neustrukturierung bürgerlicher Herrschaft zu bearbeiten. Diese Überlegungen werden durch einige empirische Befunde zur gewerkschaftlichen Praxis im Prozess fordistischer Industrialisierung und im "neuen Marktregime" ergänzt. In einem zweiten Schritt werden einige Konsequenzen für die hegemonialanalytische Betrachtung der Metamorphosen der Arbeitspolitik skizziert und auf die Analyse der Reproduktion/Transformation kapitalistischer Machtbeziehungen innerhalb der geronnenen Institutionensysteme der industriellen Beziehungen zugespitzt. Das regulationstheoretische Konzept weltmarktgültiger Produktionsnormen, die sich durch bestehende arbeitspolitische Kontexte organisiert, bildet m.E. hierfür einen unverzichtbaren heuristischen Bezugsrahmen. Abschließend werden einige (vorläufige) Schlussfolgerungen für die Perspektiven autonomer, der Emanzipation verpflichteter Gewerkschaftspolitik skizziert. Arbeit und Emanzipation: Metamorphosen eines Zusammenhangs Über den allgemeinen Zusammenhang zwischen den Zwängen abhängiger Arbeit und Emanzipationsbestrebungen, die kapitalistische Formbestimmung der Arbeit zu überwinden, bestehen kaum Zweifel. Erklärungsbedürftig sind aber die sich historische einspielenden Formen, in denen sich der Zusammenhang politisch artikuliert bzw. dieser bearbeitet wird. Klärungsbedürftig ist damit auch, warum selbst unter den Bedingungen sich intensivierender Formen des Abpressens von Mehrarbeit und der "freien Menschenverwüstung" (Marx) nicht das "für Marx spezifische politische Anliegen des Kampfes gegen die an das Lohnarbeit-Kapi¬tal-Verhältnis gebundene Ausbeutung und Herrschaft wie¬der unbestritten an die Spitze der politischen Tages¬ordnung rückt" (Ganßmann 1995, 83). Meine These ist, dass sich der dynamische Wandel des kapitalistischen Arbeitsprozesses in der Geschichte als ein politökonomischer Prozess charakterisieren lässt, in dem sich immer zwei Tendenzen entfalten: erstens eine spezifische politische Konstitution des kapitalistischen Marktes, durch die das Kapital "an die Kette der Regulation" (MEW 23, 258) gelegt wird; zweitens die Ausbildung von spezifischen Handlungskorridoren, die dieser "Kette der Regulation" selbst Grenzen setzen, weil das über die Systemgrenzen hinausweisende Potential von Regulationsprozessen von einem historischen Bürgertum aufgegriffen und eingehegt und damit in mit dem vorherrschenden ökonomischen Organisationsprinzip vereinbarende Formen gepresst wird. In der Metapher vom Proletariat als dem "Totengräber" der Bourgeoisie (MEW 4, 474) drückte sich lange Zeit die Gewissheit marxistischer Gesellschaftstheorie aus, dass die Widersprüche des kapitalistischen Arbeitsprozesses als Einheit von abstrakter und konkreter Arbeit aus sich selbst heraus Lösungsformen hervorbringen, die die Ausbeutung- und Herrschaftsverhältnisse überwinden. Die Gewerkschaften fungieren als Element dieser Konstellation. Entstanden, die Konkurrenz zwischen den Arbeitern einzuschränken und "Kontraktbedingungen" zu erzwingen (MEW 16, 196), begriff Marx die gewerkschaftlichen Koalitionen als notwendiges Moment der kapitalistischen Produktionsweise: "Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst" (MEW 4, 178ff.). Marx sah hierin die Gefahr, dass die gewerkschaftlichen Koalitionen ihre "große historische Mission", die vollständige Emanzipation", verfehlen, weil sie sich auf den "Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems" beschränken (MEW 4, 152). Die "sich selbst organisierende Arbeiterklasse (Arbeiterbewegung)" (Müller-Jentsch 1996a, 58) wurde nichtsdestotrotz zum Basisinstitut und zum Grundcharakteristikum der sozialen Konflikte in der Moderne. Alle Utopien der Emanzipation basierten auf der Annahme einer gesellschaftlichen Strukturierungs¬kraft abstrakter Arbeit. Faktisch wurden die Klassenkämpfe des Proletariats jedoch nicht zu Triebkräften der Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, sondern "Geburtshelfer eines Systems paritätischer Regelungen der Arbeitsbeziehungen, das sich - zumeist mit staatlicher Beihilfe - in allen liberalkapitalistischen Ländern in je spezifischen Institutionen herausbildete, beginnend im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts" (Müller-Jentsch 1996b, 498). Erst in der fordistischen Industrialisierung des Golden Age des Kapitalismus aber gelangte diese sozialreformerische, nicht-revolutionäre Kraft der Gewerkschaften zu ihrer Blüte. Zur grundlegenden Charakteristik der fordistischen Konstellation der Arbeitspolitik wurde der "politische Ökonomismus" (Richard Hyman) der Gewerkschaften, der auf einer Balance aus Konflikt und Kooperation bzw. Gegen- und Gestaltungsmacht der Gewerkschaften basierte und eine Art komplementärer Arbeitsteilung zwischen Staat und Gewerkschaften im Prozess der Dekommodifizierung der Arbeitskraft generierte. Die Gewerkschaften fungierten als "intermediäre Organisationen", deren politische Praxis von Mitgliederinteressen einerseits und den Imperativen der Kapitalverwertung andererseits bestimmt wurde. Diese Entwicklung ist als Dynamik hin zu "massenintegrativen Apparaten" kritisiert worden, deren zentrale Funktion darin besteht "die materiellen Interessen der Massen in spezifisch gefilterten Formen aufzunehmen und organisationsintern so zu verarbeiten, dass sie in ihren wirksamen Äußerungsformen mit den Bedingungen der Aufrechterhaltung bürgerlicher Herrschaft, konkret: eines relativ ‚störungsfreien‘ Gangs der Akkumulation und der Kapitalverwertung kompatibel bleiben" (Hirsch 1976, 120). Zum ökonomischen Kern fordistischer Reproduktion und gleichzeitig zum Kern des materiellen Klassenkompromisses avancierte die Kopplung von Lohn- und Produktivitätsentwicklung. Sie wurde exemplarisch im Treaty of Detroit (Rupert 1995, 170f.) durchgesetzt. Die United Auto Workers (UAW) und General Motors einigten sich in diesem 1950 für fünf Jahre geschlossene Tarifvertrag darauf, einerseits dem Management die Kontrolle über den Produktionsprozess zu überlassen, andererseits aber die Löhne an die Entwicklung von Produktivität und Preisen zu koppeln. In diesem politischen Ökonomismus, der den "keynesianischen Staat" des Fordismus hegemonial trug, kamen verschiedene Konfliktarenen zum politischen Pro¬zess. Buci-Glucksmann/Therborn (1982, 110ff.) sprechen von neuartigen "strukturellen Formen der Politik", die sozial- und wohlfahrtsstaatliche Regulationen ermöglichten und "auf allen Ebenen der Gesellschaft und der Kräfteverhältnisse (funktionierten): oben durch den Staat und die (...) Parteien; unten wird die Fabrik zur Produktion von Hegemonie und zur Veränderung der Zusammensetzung der Arbeiterklasse benutzt, in der Mitte durch die Vermittlung all derjenigen Hegemonieapparate, die ein wirkliches Scharnier zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft darstellen". Dieser keynesianisch erweiterte Staat eröffnete aber auch immer neue "Terrains des Klassenkonflikts", die durchaus eine Politisierung der Beziehungen von Kapital und Arbeit über die reproduktive Logik des Fordismus hinaus zuließen. Das Kapital an die "Kette der Regulation" zu legen, wurde so zum scheinbar säkularen Trend eines modernen Kapitalismus, der seine Reproduktion immer neu politisch herstellen mußte. Infolge einer erstarkten Arbeiterbewe¬gung sah sich die Bourgeoisie gezwungen, in Gestalt von Sozial- und Wohlfahrtsstaaten die antagoni¬sti¬schen Gesellschaftsprojekte von Lohnarbeit und Kapi¬tal in ihrer systemspren¬genden Kraft zu ent¬schärfen und neue Formen ihrer Hegemonie zu konstituieren. Nur durch vorgängige staatliche Eingriffe in die Privilegien des Pri¬vatei¬gentums auf dem kapitalisti¬schen Markt schienen stabile Bedingungen kapitalistischer Reproduktion noch ge¬schaffen werden zu können. Tempi passati. Im kapitalistischen Restrukturierungsprozess im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1975/75 schwanden zunehmend die Bedingungen, unter denen das Kapital zu Kompromissen gezwungen werden konnte. Die "sich selbst organisierende Arbeiterklasse" verschwand nicht auf den "Gängen der Arbeitsämter" - wie der Soziologie Ulrich Beck glaubt; ihr wurden durch den Umbau der Unternehmensstrukturen in der nachfordistischen Restrukturierung des Kapitals die Grundlagen entzogen. "Vor zwanzig Jahren genügten einem Gewerkschaftsfunktionär zwei Versammlungen, um an einem einzigen Tag mit mehreren Tausend Beschäftigten in Kontakt zu treten und persönlich die Stimmung zu beurteilen" (Leonardi 2001, 755). Großunternehmen werden im Prozeß globaler Reorganisation geradezu "pulverisiert". Das im Rahmen des politischen Ökonomismus erstrittene Kompromissgleichgewicht fordistischer Regulation wird durch schwindende Organisationsgrade, bröckelnde tarifvertragliche bzw. branchenübergreifende Regulationen und absterbende gewerkschaftliche Konfliktfähigkeit aufgezehrt. Dieser Erosionsverhältnisse fungieren nicht als vereinzelte Phänomene eines Wandels im Arbeits- und Produktionsprozess. Sie sind vielmehr als "Ensemble" eines historischen Bruchs unentwirrbar eingewoben in eine gründliche Rekomposition des gesamtgesellschaftlichen Bedingungsgefüges der Arbeitspolitik. Ein "Kapitalismus neuen Typs" setzt sich "gleichsam hinter dem Rücken der handelnden Personen" (MEW 23, 385) geräuschlos durch. Er lässt die fordistischen Institutionen der Arbeit zwar bestehen, zersetzt sie aber inhaltlich. Die Gewerkschaften hören nicht auf zu existie¬ren. Sie werden "aber in der Wurzel getroffen. Die Gewerkschaft, oder was von ihr bleibt, ‚verhandelt' weiter, aber nur noch in subalternen Formen, nämlich innerhalb der von der Unternehmenslogik festgelegten Koordinaten" (Revelli 1997). Die verbreiteten Hoffnungen auf die emanzipatorischen Potenziale einer nachtayloristischen Produktion und nachfordistischen Reorganisation der Ökonomie haben sich daher weitgehend erschöpft (Dörre 2002b). Die arbeitspolitischen Aushandlungskonfigurationen sind durch das "neue Produktionsmodell" grundlegend neu ausbalanciert worden. Ein neuer Kontrollmodus der Arbeit, also der Art und Weise, wie die Ware Arbeitskraft in gewinnbringende, abstrakte Arbeit transformiert wird, hat sich weitgehend infolge der Einführung marktförmiger Regulationsformen (Bildung von Profitcenters und Integration marktförmiger Beziehungen in die Binnenstruktur der Organisation) etabliert. Den Gewerkschaften gelingt es dabei immer weniger, ihre zentrale Funktion der Dekommodifizierung der Ware Arbeitskraft zu erfüllen. Der Staat fällt zudem als Garant des Klassenkompromisses zunehmend aus; er definiert und garantiert vielmehr verstärkt die Regeln der globalen Ausdehnung der Kapitale, die als "konzentrierte gesellschaftliche Macht" (MEW 16, 196) wiederum die Handlungskorridore vorgeben, in denen der bürgerliche Staat sein Handeln neu bestimmt. Der viel beschworene Globalisierungsprozess vollzieht sich als Prozess der intensiven und extensiven Ausweitung des Kapitals: in einer weltweiten Ausbreitung der Warenform (Extensivierung des Kapitalverhältnisses) und ihres kulturellen Imperialismus im Sinne der Privatisierung nicht nur staatlicher Industrien, sondern auch der sozialen Versorgung im Innern der Gesellschaftsformationen (Intensivierung des Kapitals). Diese Interaktion von Handlung und Struktur kann - in den Worten Anthony Giddens (1995, 227) - "mit den Wänden eines Raums verglichen (werden), aus dem es für den einzelnen kein Entrinnen gibt, innerhalb dessen sich der Handelnde allerdings frei bewegen kann". In die sich ausbildenden Strukturen wird eine "Kultur des Marktes" (Gill 2000, 45) eingewoben, die die politischen Handlungskorridore dergestalt verengt, dass Lösungen nur noch innerhalb eines herrschenden Paradigmas der Ökonomie möglich werden: "Macht was ihr wollt, aber seid profitabel"! Das Produktionsmodell kann daher nur als ein Moment einer neuen Formation und der in ihr wirkenden Hegemonieverhältnisse analysiert werden. Es muss als Zusammenfassung der Bestimmung von ökonomischen Kategorien einer Epoche über die Ökonomie und das System industrieller Beziehungen hinaus gehen, d.h. es muss - marxistisch gesprochen - "alle gesellschaftlichen Verhältnisse der bür¬gerlichen Produktion" (MEW 4, 165) erfassen, die in den Strudel der Veränderung gezogen werden. Bruno Trentin (1999, 100) spricht daher in Anlehnung an Gramsci von einer erneuten passiven Revolution, die am Ende des 20. Jahrhunderts die Arbeiterbewegung als politische Einheit in ihrem Kern trifft. Er verweist so auf einen vielschichtigen, gesamtgesellschaftlich wirkungsmächtigen Prozess kapitalistischer Restrukturierung, in dem die Kräfteverhältnisse in der Arbeitswelt und auf dem Feld der Politik gründlich verändert werden (Röttger 1997). Die passive Revolution bildet die Durchsetzungsform, in der sich diese Restrukturierung vollzieht. Mit dem Konzept der passiven Revolution hat Gramsci ein Interpretationskriterium "jeder komplexen Epoche historischer Um¬wälzungen" (Gramsci 1991, 1727f.) vorgelegt. Wie Mario Telò (1979, 182) treffend herausgearbeitet hat, fungiert das Konzept der passiven Revolution als ein Instrument für die "Analyse der neuen Tatsachen, die sich als Pro¬dukte und Mo¬mente der immanenten Dialektik zwi¬schen der Tendenz zur Überwin¬dung der Produk¬tions¬weise und der sich in den be¬stehenden gesellschaftlichen Ver¬hältnissen mani¬festierenden vitalen Gegentenden¬zen herausgebildet haben, wobei im Zentrum dieser Dialektik die Er¬weiterung des Staates steht". In solchen politischen Rekompositionen setzt sich eine spezifische "Revolutions-Restaurations"-Dialektik durch: die Grundlagen kapitalistischer Ausbeutung- und Aneignungsverhältnisse werden nicht angetastet; ihre Widersprüche aber werden politisch neu artikuliert. Für Gramsci stand aufgrund der sich in der "großen Industrie" selbst or¬ganisierenden Arbeiterbewegung fest, dass die passive Revolution der "unmittelbaren Not¬wendig¬keit der Organisation einer Planwirtschaft" entspringt. Eine passive Re¬vo¬lution findet in den Kapitalismen des 20. Jahrhunderts dann statt, wenn "vermittels des gesetzgeberischen Eingriffs des Staates und über die kor¬porative Or¬ganisation mehr oder weniger tiefe Veränderun¬gen in der ökonomischen Struk¬tur des Lan¬des eingeführt werden, um das Element ‚Produkti¬onsplan' zu betonen, dass also die Ver¬ge¬sellschaftung und Kooperation der Produk¬tion betont werden, ohne deshalb die in¬dividuelle und gruppenmäßige Aneig¬nung des Profits anzutasten" (Gramsci 1991, 1243 bzw. 1080). Trotz dieser offensichtlichen Fehleinschätzung weisen die politiktheoretischen Bestimmungen Gramscis aber auch über den (fordistischen) Interventionsstaat hinaus. Das Konzept des integralen Staates steht bei Gramsci auch als Methode für ein vertieftes Verständnis eines "organischen Zusammenhangs von Geschichte-Politik-Ökonomie" (ebd., 504; Röttger 2003). Der eigentliche Garant bürgerlicher Herrschaft ist nicht in den repressiven Apparaten des Staates zu finden, sondern wurzelt in der Fähigkeit der herrschenden Klassen, eine dynamische Transformation des Staates zu bewirken, in dessen Zentrum die Erweiterung des Staates steht, durch die es gelingt, immer neue Herrschafts- und Regulationsmodi über die in der kapitalistischen Formbestimmung von Arbeit wurzelnden Emanzipationspotentiale zu konstituieren - auch für den Kapitalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Der aktuelle Frontalangriff auf die Gewerkschaften und die Institutionensysteme der industriellen Beziehungen lässt sich als das Prozessresultat einer solchen Transformation interpretieren. Die strategischen Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Staat im keynesianisch erweiterten Staat werden durch wettbewerbskorporatistische Formen der Erweiterung des Staates in strategischen Beziehungen zwischen Kapital und Staat sukzessive ersetzt. Damit wird die lange Zeit auch innerhalb der gewerkschaftlichen Identitätsfindung dominierende Ideologie der Wiedererlangung gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit durch Ent-Politisierung und politische Einbindung unterminiert. Die fortschreitende Erosion der Bindungen von Gewerkschaften und Sozialdemokratie, die tiefe Krise der strategischen Repräsentation der Gewerkschaften im politischen Institutionensystem also, ist hierfür ein deutliche Ausdruck. Im Wettbewerbsstaat entfalten sich deutlich unterscheidbare soziale Repräsentations- und (klassen-)politische Selektionsmechanismen. Ausgehöhlte Institutionen der industriellen Beziehungen und neue Formen der strukturellen Macht des Kapitals Die kurze Skizze prozessierender Konfigurationen nachfordistischer Restrukturierung mag verdeutlichen, dass der Durchsetzung eines "abstrakten Kontrollmodus", der Rekommodifizierung der Arbeitskraft und der tendenziellen Schließung von Handlungskorridoren der Arbeitspolitik durchaus andere Triebkräfte zur Seite gestellt sind, als diejenigen, die im Rahmen einer institutionalistischen Kapitalismustheorie zu erfassen wären. Weil Struktur und Handlung im Prozess der Restrukturierung ineinander greifen, erfordert ein vertieftes Verständnis dieses Prozesses von Reproduktion/Transformation eine Forschungsperspektive, die Elemente der Industrial Relations und der International Political Economy integriert (erste Ansätze in: Harrod/OÂ’Brian 2002). Eine solche analytische Perspektive ist geboten, weil in der Internationalen Politischen Ökonomie die Restrukturierung von Arbeit weitgehend eine "black box" geblieben ist und sowohl die akteurzentrierte, wie die institutionenfixierte empirische Globalisierungsforschung der industriellen Beziehungen die veränderten Formen "struktureller Macht des Kapitals" (Gill/Law 1993) verkennt, die die betrieblichen Reorganisationsrealitäten zunehmend bestimmen. Unbestritten ist, dass die Institutionensysteme der industriellen Beziehungen weitgehend auf die Klassenauseinandersetzungen in der fordistischen Formation zurück gehen. Sie sind somit Bestandteil des keynesianisch erweiterten Staates. Definitionsgemäß umfassen diese vertragsförmig generierten Institutionen substanzielle Normen und prozedurale Regeln für Kollektive. Sie "stecken den Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit ab; sie legen fest, welche Formen, Gegenstände und Akteure zugelassen sind und welche Handlungsmöglichkeiten diesen für die Lösung spezifizierter Probleme zur Verfügung stehen" (Müller-Jentsch 1996b, 498). Das verweist auf den Kern der Auseinandersetzung mit institutionalistischen Konzepten: Der Grundirrtum institutionalistischer Ansätze besteht darin, nach wie vor Kontinuität zu unterstellen, wo faktisch Wandel herrscht. Tatsächlich vermögen es die geronnenen Institutionensysteme der industriellen Beziehungen nicht mehr, den Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit und die Handlungskorridore zu bestimmen, in der sich die politökonomische Entwicklung vollzieht. Deutlich wird dies etwa in der schleichenden Verbetrieblichung der industriellen Beziehungen. Auf der Betriebsebene - schon für Marx das Feld, auf dem die "stummen Zwänge" der Ökonomie walten und die Herrschaft des Kapitals besiegeln - entfaltet nicht nur der Weltmarkt als ein zum "Sachzwang" inszeniertes Disziplinierungsinstrument seine Wirkungskraft für die Durchsetzung von interessenpolitischem Rückschritt; Betriebsräte erlangen vielmehr Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse im Standortmanagement des Unternehmens und in der Organisation von "kompetitiver Solidarität" (Wolfgang Streeck). Die Durchsetzung und Verallgemeinerung dieser einzelbetrieblichen Rationalitäten im Sinne von einzelbetrieblicher Wettbewerbsfähigkeit ("Ökonomisierung") droht einer von den Gewerkschaften präferierten Organisation einer konfliktgestützten Mitbestimmung in den Betrieben und eines Modells überbetrieblicher Solidarität zunehmend den Boden zu entziehen (so auch aktuell im Fall des Abbruchs des IG Metall-Streiks für die 35 Stunden Woche in Ostdeutschland). Die nachfordistische Reorganisation der Ökonomie gebiert einen neuen Typus der Integration von Arbeit. Sie "integriert die Arbeit auf individuelle Weise vollkommen in die Logik des Unternehmens, indem sie sie - sowohl räumlich als auch bezüglich der juristischen Normen - als kollektives Subjekt des-integriert... Die Interessen der abhängig Beschäftigten verlieren dabei ihre Identität und Autonomie, das heißt die zwei Ankerpunkte, auf die sich - bis vor nicht allzu langer Zeit - die gewerkschaftlichen Forderungen nach Arbeiterkontrolle und nach demokratischer Beteiligung an der Unternehmensführung gründeten" (Leonardi 2001, 756f.). So werden infolge dieser Brüche in der gewachsenen Hierarchie des dualen System der Interessenvertretung zugleich die Gewerkschaftsidentitäten, die das alte Regime trugen, zur Disposition gestellt. Gewerkschaftliche Kollektividentitäten bewegen sich traditionell in einem Dreieck von Markt, Klasse und Gesellschaft/Staat (Hyman 1996). Anhand diese Dreiecks lassen sich idealtypisch drei Grundformen traditioneller Gewerkschaftsidentitäten feststellen, die alle auch in den "rheinischen Kapitalismen" zu finden waren: Wirtschafts-freundliche Gewerkschaften betonen den Markt, sozialintegrative Gewerkschaften die gesellschaftliche Kooperation und konfliktorische Gewerkschaften die Klasse. Obgleich die Realität schon immer Mischformen zeitigte, verlagern sich in der die nachfordistische arbeitspolitische Konstellation prägenden "Kultur des Marktes" die Prioritäten eindeutig zu Gunsten marktgängiger Lösungen, auch weil die alternativen Grundformen innerhalb der bestehenden Institutionensysteme zunehmend diskreditiert sind. Damit aber kann das Institutionensystem nicht mehr den Handlungskorridor garantieren, in dem sich die politökonomische Entwicklung des rheinischen Kapitalismus über eine lange Dauer vollzog: die Wahrung des Klassenkompromisses, der wiederum von den Gewerkschaften als intermediärer Organisation zunächst organisiert, dann gestützt wurde. Die Institutionen vermögen somit nicht mehr, die Gesellschaft und ihre Kräfte- und Bündniskonstellationen zu kontrollieren, zu regulieren und damit zu stabilisieren. Das wiederum bestätigt eine alte Erkenntnis kritischer Gesellschafts- und Politiktheorie: "Nichts ist so zerbrechlich, so vergänglich wie herrschaftliche Organisation, selbst dann, wenn sie glaubt, alles ‚im Griff‘ zu haben" (Gilbert Ziebura). Institutionensysteme bleiben immer nur der Ausdruck und der Versuch einer momentanen Konsekrierung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Ursächlich geht die Aushöhlung des Institutionensystems auf die Durchsetzung einer neuen "Betriebsweise" des Kapitalismus zurück. Sie kann mit Marx als eine bestimmte Produktion begriffen werden, "die allen übrigen, und deren auch allen übrigen, Rang und Einfluss anweist. Es ist eine allgemeine Beleuchtung, worin alle übrigen Farben getaucht sind und sie in ihrer Besonderheit modifiziert" (zitiert nach Bischoff/Detje 2003, 59). Durch die neue Betriebsweise entfalten sich weltmarktgestütze Dynamisierungsmuster, die die Richtung der Anpassung vorgeben. Sie bezeichnet keinen "one best way"; die Anpassungsbewegungen werden durch geronnene soziale Beziehungen, politische Konflikte und ausgeprägte Branchenspezifiken mehrmals gebrochen. Dynamisierungsmuster unterstellen so nicht die lineare Übertragung eines "Kapitalismus-Modells"; sie verweisen auf einen Prozess der Reproduktion/Transformation sozialer und politischer Praktiken, der sich in einem komplexen, konfigurativen Zusammenspiel von betrieblichen Unterwerfungs-, nationalstaatlichen Herrschafts- und weltökonomisch vermittelten Machtverhältnissen einspielt. Diese Reartikulation kondominialer Herrschaftsstrukturen hebelt die alten Kapitalismus-Modelle sukzessive aus. Neue Kapitalismusmodelle werden sich an der neuen Betriebsweise orientieren müssen. Solche weltwirtschaftlichen Dynamisierungs- und Verallgemeinerungsmuster hat der Regulationsthoretiker Michel Aglietta (1979, 74) für die Epoche des Fordismus und die Internationalisierung des US-amerikanischen Kapitals in den "Golden Age" des Kapitalismus mit den Konzept hegemonialer Produktions- und Tauschnormen erfasst. Aglietta entwickelt hier seine zentrale These, dass die Internationalisierung des Kapitals in ihrem wesentlichen Kern als "die Verallgemeinerung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse" aufzufassen sei, "durch die sich das dominierende Kapital verwertet". Der Rückgriff auf dieses regulationstheoretische Konzept der Produktions- und Tauschnormen erscheint heute vor allem deshalb sinnvoll, weil die internationale Restrukturierung der letzten 15 Jahre zu neuartigen Kontrollkonzepten und Wechselbeziehungen zwischen der "Globalisierung" der Produktionsbedingungen und der "Lokalisierung" der Ausbeutungsstrategien geführt hat, die in diesem Konzept thematisiert werden können (Lüthje 1998). Eine hegemoniale Produktionsnorm bezeichnet dabei nicht nur einen Rationalisierungstyp, der sich im Konglomerat aus Managementprinzipien, Firmenorganisation und Arbeitsbeziehungen realisiert; sie geht als analytisches Konzept über das "Produktionsmodell" hinaus, weil sie eine Betriebsweise thematisiert, die sich durch ökonomische, soziokulturelle und arbeitspolitische Kontexte hindurch organisiert und reproduziert. Sie entfaltet - mit Nicos Poulantzas (1977) - Kräfte der "Interiorisierung", d.h. sie vollzieht sich als "Artikulation" von Weltmarktbeziehungen im Innern der Gesellschaftsformationen. Der "Kapitalismus neuen Typs" ist somit nicht Ausdruck waltender Kräfte linearer Konvergenz, aber einer neuartigen Verdichtung ökonomischer und politischer Momente im Prozess kapitalistischer Reproduktion/Transformation. Die Durchsetzung dieser neuen Konstellation der Arbeitspolitik erfolgt als ein Prozess der Erosion und Transformation der gesellschaftlichen Kompromissstrukturen mittels Ökonomisierung gleichsam von innen aus den Institutionen heraus. Sie begründet ein gesellschaftliches Durchdringungsverhältnis, durch das es gelingt, Regulationsprozesse einzuhegen und damit in mit dem vorherrschenden ökonomischen Organisationsprinzip vereinbarende Formen zu pressen. Was sich vielleicht kurzzeitig als partizipatorisches Konzept der Arbeitspolitik präsentieren konnte, kann realistisch verstanden werden als neue politische Organisationsform kapitalistischer Regulation, die die überkommene institutionelle Konfiguration der industriellen Beziehungen als ein Moment eines umfassenderen Regulationsprozesses unterminiert und aushöhlt. Von den Institutionen bleibt nur noch die Hülle, die nun unter organisiertem Druck leicht zusammenbrechen kann. Schluss: Gewerkschaften - vom unaufhaltsamen Aufstieg zum freien Fall? Die alte institutionelle Konfiguration, die infolge von Niederlagen der organisierten Arbeiterbewegung geschliffen ist, gibt nur noch wenig Anlass, auf die "Haltegriffe" zu vertrauen, die die einmal vertragsförmig generierten Institutionen der industriellen Beziehungen für die Wahrung der Pfade politökonomischer Entwicklung zur Verfügung stellten. Das etablierte System wird dekadent. Die Arbeitsbeziehungen sind unwiederbringlich in den Sog der kompetitiven Restrukturierung des Kapitals geraten. Hierin wurzeln die strukturellen Grenzen, die den defensiven Strategien der Gewerkschaften anhaften: auch die Ent-Politisierung und die Einordnung in die Handlungskorridore des nachfordistischen Kapitalismus sind kein Garant dafür, dass sich die Gewerkschaften in den neuen Formen der Interessenvertretung und der politischen Repräsentanz Gehöhr verschaffen können, geschweige denn durchsetzungsfähig wären. Das zeigt das Beispiel der in der zweiten Hälfte der 90er Jahre geschlossenen betrieblichen Arbeits- und Sozialpakte oder die nationalen und regionalen Bündnisse für Arbeit/Wettbewerbsfähigkeit. Handlungsfähigkeit ging in diesem "politischen Tausch" oft mit schwindender Konfliktfähigkeit einher, die nun dafür verantwortlich ist, dass dem Frontalangriff nur sehr wenig - auch konzeptionell - entgegen gesetzt werden kann. Die Gewerkschaften im freien Fall also? Vielleicht ist mit dem Stabilitätsverlust sogenannter Basisinstitutionen der kollektiven Arbeitsbeziehungen tatsächlich eine historische Phase an ihr Ende gelangt, in der spezifische Formen gewerkschaftlicher Repräsentation wirkungsmächtig sein konnten (Waterman 2002). Die Veränderungen "in der Hülle des Alten" erzwingen zumindest eine strategisch-politische Neuorientierung, weil das im Fordismus bewährte Arsenal an Regelungsformen kaum mehr greift. Das Ende der Gewerkschaften ist damit aber keineswegs eingeläutet. Obwohl die bisherige Geschichte der formellen und reellen Subsumtion von Arbeit unter kapitalistische Kontrolle durch eine neue Episode "bereichert" wird, wird die strukturelle Konflikthaftigkeit des kapitalistischen Arbeitsverhältnisses, die immer auch die raison dÂ’être der Gewerkschaften bildete, nicht aufgehoben. Das Kapital als "konzentrierte gesellschaftliche Macht" besteht nicht nur fort, sondern tritt im neuen Marktregime mit der geballter Wucht einer Direktionsgewalt als "Sachzwang" auf und erfordert neue gewerkschaftliche Schutzfunktionen. Diese müssen allerdings - im Unterschied zu verbreiteten Vorstellungen von der Zukunft der Gewerkschaft als Beratungsinstitution von Betriebsräten - auch infolge zunehmender Entrechtung der Arbeitslosen in einem erweiterten politischen Mandat der Gewerkschaften über den Betrieb hinaus erstritten werden. Ob eine solche Erneuerung der Gewerkschaften gelingt, ist eine offene Frage. Die im Fordismus bewährte Hierarchie im dualen System der Interessenvertretung hat sich bereits deutlich verschoben; sie droht sich sogar umzukehren und zu einem innergewerkschaftlichen Machtkampf zu werden: Betriebsräte der Automobilindustrie vertreten inzwischen die Meinung, sie seien in der globalisierten Welt des Kapitalismus strategisch angekommen, während die Vorstände der Gewerkschaften noch weit zurück lägen: "Internationalisierung, Globalisierung, da ist der Gewerkschaftsapparat völlig unterbelichtet. Bei Opel beispielsweise stimmen wird wichtige Fragen zunächst innerhalb des europäischen Arbeitnehmerforums ab, um einen Gleichklang herzustellen", so der Opel-Betriebsratsvorsitzende Klaus Franz (in: DIE ZEIT, 3. Juli 2003). Faktisch aber würde wohl damit einem Siegeszug der zwar transnationalisierten, dennoch aber den Imperativen des Akkumulationsprozesses folgenden betriebssyndikalistischen Tendenzen der Interessenvertretung und eines "liberalen Produktivismus" (Alain Lipietz) mit "menschlichem Antlitz" der Weg geebnet. Der Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital bildet auch im neuen Marktregime keinen irrelevanten Anachronismus. Seine emanzipatorische Bearbeitung bedarf aber einer grundlegenden Erneuerung der Gewerkschaften auf der strategischen Klaviatur zwischen Kooperation und Konflikt, um Handlungskorridore, die sich zunehmend verengen, wieder zu erweitern. Als eine politische Kraft werden die Gewerkschaften schließlich aber nur überleben, wenn es ihnen gelingt, als widerständige Organisationen den sich artikulierenden Widerstand gegen das neue Marktregime "altermondialistisch" zu einer Veränderungsstrategie zu integrieren, die die Strategien der Mächtigen tatsächlich zu unterminieren vermag und einen alternativen Entwicklungspfad ebnen. In dem sich zwar globalisierenden, dennoch aber ökonomistisch begrenzten Horizont des Einzelbetriebes kann endgültig zum Tango auf die kollektive Interessenvertretung und jegliche Perspektive der Emanzipation der Arbeit von der kapitalistischen Definitionsmacht geblasen werden.

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