Kritische Anmerkungen zur Konferenz 'Stop the wall!'

Die Linke (...) muss sich (...) für das Existenzrecht Israels und dessen Recht auf Verteidigung einsetzen.

Am 5. Juni fand in Köln die Konferenz "Stop the wall!" statt, deren Konzept mehr als problematisch ist (Erklärung von www.freepalestine.de).

Einseitige Grundperspektive

Dem Aufruf wohnt eine falsche Perspektive inne. Die Grundaussage lautet, die Grenzziehung intensiviere "die Gewalt, die durch die Besatzungsherrschaft gegen die palästinensische Bevölkerung ausgeübt" werde. Hierhinter stehen zwei Fehlannahmen:

1) Die Gewalt würde allein von Israel ausgehen.
2) Die Grenzziehung wirke in jedem Fall eskalierend.

Wir halten beide Annahmen für falsch und werden dies kurz begründen. Vorweg weisen wir darauf hin, dass die Länge der Besatzung (seit 1967) auch mit der teils bis heute andauernden Verweigerung des Existenzrechts Israels durch arabische Staaten und Gruppen zusammenhängt. Die oft zitierte UN-Resolution 248 fordert neben dem Abzug der israelischen Truppen gleichberechtigt Sicherheit für den Staat Israel und seine Bewohner, was leider von Teilen der Linken ignoriert wird.

Die Gewalt im Nahostkonflikt geht keineswegs nur von Israel aus. Die Selbstmordattentate palästinensischer Gruppen, die übrigens von der palästinensischen Autonomiebehörde wenigstens toleriert werden, sind maßgeblich für die Unruhen mitverantwortlich und töten viele Zivilisten.

Dass sie Maßnahmen Israels zur Folge haben, ist nachvollziehbar. Dabei bestreiten wir nicht, dass Scharons Politik falsch ist, wenn sie etwa veranlasst, dass das Militär Häuser in Rafah demoliert. Jedoch weisen wir darauf hin, dass die palästinensische Seite erheblich zur Entstehung von Gewalt beiträgt und dass Teile der deutschen Linken dies nie erwähnen.

Ignoranz gegenüber dem legitimen Sicherheitsmotiv

Die Behauptung, Grenzziehung verschärfe immer Gewalt, ist falsch. Die meisten Attentate auf israelische Zivilisten finden von der Westbank und nicht von Gaza aus statt. Dies weist darauf hin, dass die erfolgte Grenzziehung in Gaza zur Reduzierung von Gewalt an israelischen Zivilisten beitrug. Wir halten es für möglich - ohne Garantien -, dass auch die Grenzziehung in der Westbank durch bessere Kontrollmöglichkeiten zur Eindämmung von Selbstmordanschlägen beiträgt. Hierauf geht der Aufruf nicht ein. Behauptet wird indes, nur ein Ende der israelischen Besatzung führe zu einem Ende der Gewalt. Ignoriert wird die Voraussetzung, dass die Autonomiebehörde selber aktiv gegen islamistische Terrorgruppen vorgehen muss. Zudem wird indirekt für antiisraelische Terroranschläge Verständnis gezeigt, indem sie als nachvollziehbare Antwort auf israelische Politik interpretiert werden - und nicht als inhumane Attentate.

Kurzsichtigkeit statt Langfristbetrachtung

Im Aufruf steht, vor allem ein Ende der Besatzung schaffe Frieden. Diese Betrachtung ist zu kurzsichtig. Langfristig erfordert Frieden stabile ökonomische und soziale Verhältnisse. Auch wenn wir einem künftigen palästinensischen Staat mit feudalen Strukturen und fehlender Industrie enorme Probleme attestieren, ökonomische Selbständigkeit zu entwickeln, führt an einer Zwei-Staaten-Lösung als Voraussetzung für Frieden kein Weg vorbei. Ob ein Staat Palästina sich als historischer Fortschritt erweist, hängt aber maßgeblich davon ab, ob es sich um einen demokratischen Staat handelt, der Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung gewährt. Klar ist: Solange antisemitische Denkmuster ihren Platz in Palästina haben, wird ein stabiler Frieden kaum möglich sein.

Gerade aufgrund der ökonomischen Probleme der Palästinenser wird es unabdingbar sein, dass diese auf israelischem Territorium die Möglichkeit haben, Arbeitsplätze zu finden, wie auch israelische Unternehmen darauf angewiesen sind, palästinensische Lohnabhängige beschäftigen zu können. Auch wird es notwendig sein, zwischen den zwei Staaten Warentausch, Steuer- und Sozialabkommen, infrastrukturelle Kooperation usw. zu ermöglichen. Dies setzt aber die unumstößliche Anerkennung des Existenzrechts Israels voraus, was heißt, dass Israel seine Bevölkerung verteidigen können muss. Dies setzt ebenso voraus, dass die Zweistaatlichkeit durch Grenzziehung materialisiert wird, die mehr Sicherheit durch Kontrolle und Durchlässigkeit auf beiden Seiten ermöglichen muss.

Zum Verlauf der Grenze

Eine Kritik des Aufrufs lautet, die Grenzziehung weise zu große Teile der Westbank Israel zu. Vorab sei gesagt: Der Krieg von 1967 und die ihm folgende Besatzung samt Siedlungsbauten machen es unmöglich, alleine den genauen Grenzverlauf von 1967, die grüne Linie, bei der Grenzziehung zu berücksichtigen - unabhängig von deren ungeklärtem rechtlichem Status. Nicht alle Siedlungen können rückgängig gemacht werden, Arrondierungen werden notwendig sein. Frieden ist aber auch darauf angewiesen, dass die Aufteilung von Land und Wasserzugang bei der Grenzziehung den Interessen beider Seiten genügt. Insofern ist Scharons Politik zu kritisieren, da sie darauf ausgerichtet ist, zu viel fruchtbares Land Israel zuzuführen und der palästinensischen Seite wegzunehmen. Linke Kritik sollte nicht die Grenzziehung als Mauer fehl beschreiben und pauschal ablehnen, sondern einfordern, dass der Grenzverlauf die Interessen der Palästinenser mit berücksichtigt.

Fazit

Die Linke darf nicht nur die Politik Scharons kritisieren und das Ende der Besatzung fordern. Sie muss sich auch mit Nachdruck für das Existenzrecht Israels und dessen Recht auf Verteidigung einsetzen. Überdies muss sie scharfe Kritik üben am antizivilisatorischen Islamismus und am Antisemitismus in Teilen der arabischen Welt, die ihren grausamsten Ausdruck in Selbstmordattentaten finden und in zu großen Teilen der palästinensischen Gesellschaft wie auch der Autonomiebehörde über Einfluss verfügen. Kritik am Verlauf der Grenzziehung ist genauso berechtigt wie die Forderung, dass Israels Bekenntnis zum provisorischen Charakter der verschärften Grenzüberwachung eingehalten wird. Die Grenzziehung an sich ist aber erforderlich und in ein langfristiges Konzept einzubinden.