Welcher Marxismus und welche Politik?

Uwe-Jens Heuers Buch "Marxismus und Politik" kritisch gelesen

Uwe-Jens Heuer hat mit "Marxismus und Politik" eine zusammenfassende Darstellung seines Verständnisses von Marxismus, Kapitalismus, Sozialismus und Politik vorgelegt. Eine kritische Reflexion ...

Fast genau 15 Jahre nach "Marxismus und Demokratie" hat Uwe- Jens Heuer mit seinem Werk "Marxismus und Politik"1 nun eine zusammenfassende Darstellung seines Verständnisses von Marxismus, Kapitalismus, Sozialismus und Politik vorgelegt. Es ist ein "Angebot ..., mit Hilfe des Marxismus hinter den äußerlichen hin- und herwogenden politischen Kämpfen Tendenzen, vielleicht sogar Gesetzmäßigkeiten aufzudecken" (S. 16).

Uwe-Jens Heuer legt ein in sich konsistentes theoretisches System, einen spezifischen Marxismus vor, der praktisch eingreifend "von Nutzen" (S. 171) sein will. Die Bedeutung dieses Angebots marxistischer Analyse besteht nicht zuletzt darin, dass es von Logik geprägt ist. Die Grundstrukturen werden nicht um des Effekts willen verbogen. Uwe-Jens Heuer scheut sich nicht, die Konsequenzen seines Marxismusverständnisses auch dort zu ziehen, wo es unbequem ist und politisch keinesfalls "opportun" zu sein scheint. Man kann ihm weder innere Klarheit noch Mut absprechen.

Uwe-Jens Heuer stellt sein Angebot marxistischer Analyse bewusst und durchgängig jenen Auffassungen gegenüber, die vom Verfasser dieser Rezension gemeinsam mit Dieter Klein, Michael Chrapa oder André Brie entwickelt wurden und weitgehend für das aktuelle Programm der PDS tragend geworden sind.2 Dies fordert den ernsthaften Dialog und macht ihn möglich.

Das Buch "Marxismus und Politik" ist in acht Kapiteln weitgehend chronologisch gegliedert. Die ersten drei Kapitel sind der Herausbildung und Entwicklung der Auffassungen von Marx und Engels gewidmet, die folgenden wenden sich der Zeit nach Engels Tod bis 1914, der Periode zwischen 1914 bis 1945, vor allem durch zwei Weltkriege und die Oktoberrevolution geprägt, dem "neuen Anlauf und dem Ende" des sowjetisch geprägten Sozialismus zu. Abschließend werden "die neue Epoche und der Imperialismus" sowie die "Gegenkräfte" untersucht. Das Buch bietet damit einen Gesamtblick auf den Zusammenhang von Marxismus und Politik insbesondere sozialistischer und kommunistischer Kräfte in einem Zeitraum von weit über 150 Jahren.

Die kritische Reflexion der von Uwe-Jens Heuer entwickelten Auffassungen zum Zusammenhang von Marxismus und Politik soll nun aber nicht der Geschichte folgen, sondern die wichtigsten Bausteine des von ihm dabei prägnant herausgearbeiteten Paradigmas seines Verständnisses von Marxismus und von sozialistischer Politik untersuchen. Den Ausgangspunkt dieses Paradigmas bildet das Verständnis von Kapitalismus als "naturgesetzlicher" Gesamtprozess.

Der Kapitalismus als "naturgesetzlicher" Gesamtprozess oder die Möglichkeit transformativer Umgestaltung
Bei der Auswahl aus dem viele Bände der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) füllenden genialen Torso von Marxens "Kapital" konzentriert sich Uwe-Jens Heuer auf einen einzigen Aspekt, auf die "›Naturgesetzlichkeit‹ der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise " und "ihre widersprüchlichen Wirkungen, die bis heute andauern" (S. 31). Mit "Naturgesetzlichkeit" meint er dabei jene "gesellschaftliche(n) Gesetze, die allerdings wie Naturgesetze wirken, sich hinter dem Rücken der Menschen durchsetzen, Resultate hervorbringen, die von den Individuen, die ihre Interessen verfolgen, nicht gewollt sind" (S. 32). Die Politik werde bei Marx als Beweger der Weltgeschichte entthront und die "Naturgesetzlichkeit" des Kapitalismus an ihre Stelle gerückt (S. 33). Diese Einsicht des Marxismus, so Uwe-Jens Heuer, sei bleibend: "Die Eingangsfrage nach dem Fortgelten marxistischer Grundeinsichten", schreibt er mit Blick auf die Gegenwart, "ist hinsichtlich der ›Naturgesetzlichkeit‹ des Kapitalismus offenbar positiv zu beantworten" (S. 179). Auch "prinzipielle Korrekturen auf Grund der gewaltigen Entwicklung, die der Kapitalismus seitdem (seit Marx - M. B.) genommen hat", würden "nicht den Grundgestus des Werks, eben die Herausarbeitung des ›naturgesetzlichen‹ Gesamtprozesses" berühren (S. 53).

Mit diesem Ausgangspunkt wird schon im Ansatz Marxens Verständnis von "Naturgesetzlichkeit" auf ein einziges Moment reduziert, auf die Herstellung von gesellschaftlichen Zusammenhängen unter den Bedingungen der uneingeschränkten freien Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalisten wie zwischen den Arbeitern. Während Marx das Verhältnis von Kapital und Arbeit in das Zentrum seiner Analyse rückt, ist es bei Uwe-Jens Heuer ein Aspekt der Wirkungsweise dieses Verhältnisses unter den sehr besonderen Bedingungen völliger freier Konkurrenz.

Für Uwe-Jens Heuer scheint die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital und damit die Dominanz der Kapitalverwertung über die gesellschaftliche Reproduktion unauflöslich mit der Unfähigkeit verbunden zu sein, in diese Reproduktion bewusst einzugreifen. Es ist das Modell der totalen Atomisierung der sozialen Subjekte, ein Modell, das - so widersinnig dies vom Standpunkt des Marxismus wäre - bewussten Klassenkampf nur als Handeln jenseits dieser Wirtschaftsordnung erkennen kann und den Kampf um diese oder jene Weise der bewussten Gestaltung gesellschaftlicher Reproduktionsverhältnisse durch staatliche oder korporative oder andere Eingriffe "innerhalb des Kapitalismus" für unmöglich erklärt. Es ist ein Begriff von Naturgesetzlichkeit, der Marxens Kapitalanalyse um fast alle wesentlichen Dimensionen seiner Gesellschaftstheorie beraubt.

Die wesentliche Eigenschaft dieses "naturgesetzlichen Gesamtprozesses " des Kapitalismus, auf die Uwe-Jens Heuer (neben der Bewusstlosigkeit des Ganzen) aufmerksam macht, ist seine Zwiespältigkeit. Er besitze ein Doppelantlitz, "zivilisatorischen Fortschritt und Barbarei gleichermaßen verkörpernd" (S. 51). Nach dem Ende des "sozialistischen Ausbruchs" gelte dann: "Das Perpetuum mobile verschlingt erneut Menschen und Material, bringt technischen Fortschritt und gewaltiges Elend. Die beiden Gesichter dieses Prozesses, sein Januskopf, bleiben Zivilisation und Barbarei. Immer noch gleicht der menschliche Fortschritt jenem scheußlichen Götzen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte... Aber etwas ist neu, was den Widerspruch noch verschärft. Der technische Fortschritt, das Hauptmittel der kapitalistischen Jagd nach dem relativen Mehrwert, erweist sich selbst als zweifelhaft." (S. 182)

Der von Uwe-Jens Heuer gewählte Fokus auf die Naturgesetzlichkeit einer Gesellschaft entfesselter freier Konkurrenz ist folgenreich. Es könnte aber auch sein, dass er um der Folgen willen gewählt wurde. Es ist immer das "Licht der großen Kulturprobleme", die der Wissenschaft "Sinn und Richtung" weisen, so Max Weber.3 Und für Uwe-Jens Heuer ist es das Problem einer Naturwüchsigkeit atomisierter Akteure, mit der er die Geschichte und Gegenwart beleuchtet. Was auch immer Ursache und was Wirkung gewesen sein mag, die Folgen des gewählten Ausgangspunktes sind gravierend. Zwei seien hervorgehoben.

Erstens werden dadurch Aussagen über das Wesen, den Anfang wie das Ende des Kapitalismus getroffen. Während dieser in sich selbst naturgesetzlich sei (ausschließlich durch die freie Konkurrenz isolierter Akteure bedingt sei), träfe dies weder auf sein Entstehen noch Vergehen zu: "Der Kapitalismus muss also aus einer vorhergehenden Gesellschaftsordnung nicht unbedingt hervorgehen, wenn aber alle Voraussetzungen gegeben sind, dann setzt ein unaufhaltsamer Prozess ein. Er kann dann nur noch gebremst oder durch politische Gewalt beendet werden." (S. 43) Damit werden zwei prinzipiell unterschiedliche Arten von Geschichte behauptet - Geschichte als "naturgesetzlicher Prozess", in den nicht wirklich eingegriffen werden kann (höchstens bremsend oder beschleunigend, aber keinesfalls in Bezug auf die Richtung) - sie vollzieht sich bewusstlos und ohne Subjekt (S. 179) -, und Geschichte als Prozess grundlegender Richtungsveränderung im Zuge eines Formationswechsels, hervorgerufen durch das bewusste Eingreifen organisierter Subjekte. Damit wird "die Möglichkeit grundlegender Verbesserungen des Kapitalismus innerhalb dessen Rahmen" abgelehnt (S. 37). Es bleibe "als einzige Antwort die Revolution" (ebenda). Folgt man einer solchen Vorstellung, dann besitzt Politik im Rahmen des Kapitalismus nur die Macht über ein Gaspedal (durch die herrschenden Klassen) oder eine Bremse (durch die Unterdrückten), aber auf keinen Fall über ein Steuerrad, das Richtungsveränderung ermöglichen würde.

Zweitens impliziert die Annahme von der Naturgesetzlichkeit eines auf freie Konkurrenz reduzierten Kapitalismus auch, dass er "keine inneren Bremsen hat, die ihn korrigieren". Dies wirft die Frage "nach der Form und dem Subjekt des Eingriffs", nach dem "Raum der Politik" (S. 53) auf. Merkwürdig genug ist, dass die Aussagen, die Uwe-Jens Heuer über die Politik trifft, eher negativer Art sind. Dem Reich der Notwendigkeit wird ein (abgeleitetes) Reich der Willkür gegenüber gestellt: "Die politischen Auseinandersetzungen, der politische Klassenkampf sind abgeleiteter Natur, hier ist viel mehr Zufälligkeit am Werke, hängt viel mehr von subjektiven Faktoren, selbst von einzelnen Persönlichkeiten ab. Das gilt auch für den Kampf der Arbeiterbewegung im Kapitalismus, und vor allem auch für den revolutionären Ausbruch aus dem ›naturgesetzlichen‹ Gesamtprozess." (S. 56 f.) Darin, so Uwe-Jens Heuer, sei die "prinzipielle Unterscheidung zwischen ökonomischen ›Naturgesetzen‹ und den Gesetzen des politischen Lebens bei Marx und Engels" (S. 57; vgl. noch einmal zusammenfassend auch S. 204 f.) zu finden. Ausschließlich im Reich der Politik, so muss man schließen, finden Menschen (wenn überhaupt) jene Freiheit von der Naturgesetzlichkeit des Kapitalismus, um diese revolutionär zu sprengen und eine andere, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten. Das Feld der Wirtschaft und des Sozialen entzieht sich nach dieser Auffassung vorläufig jeder bewussten Gestaltung.

Die Annahme vom Kapitalismus als naturgesetzlichem Wechselwirken atomisierter Akteure und die daraus von Uwe-Jens Heuer gezogenen Schlussfolgerungen werfen eine ganze Reihe von Problemen auf, von denen einige, die für sozialistische Politik von besonderer Bedeutung sind, näher betrachtet werden sollen. Zunächst und vor allem fällt auf, dass der von Uwe-Jens Heuer dargestellte Begriff kapitalistischer Ökonomie in Kernannahmen mit dem des Neoliberalismus zusammenfällt, nur dass das Gleiche wie in einem Spiegel genau umgekehrt erscheint und zu völlig entgegengesetzten Schlüssen führt. Er kann deshalb auch so ausführlich die bürgerlichen Lobeshymnen auf jene Seite des Marxschen Werks zitieren, die sich auf die umwälzende Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise und auf ihren "Naturcharakter" beziehen (vgl. S. 176-182).

Wo der Neoliberalismus mit F. Hayek und anderen Neoklassikern den bewusstlos wirkenden kapitalistischen Markt als das Perpetuum mobile allen Reichtums und aller Entwicklung preist, in den um Strafe von Stagnation und Sozialismus willen nicht eingegriffen werden darf, der in seiner "Reinheit" durchgesetzt werden müsse, sieht auch Uwe-Jens Heuer keine Möglichkeit des Eingreifens, es sei denn die der Beseitigung. Wo der Neoliberalismus segensreiche Sachzwänge wirken sieht, die ohne Alternative seien ("There is no alternative!"), da erkennt Uwe-Jens Heuer den Januskopf kapitalistischer Naturgesetzlichkeit, dem nur durch revolutionäre Abschaffung beizukommen sei. Und wo der Neoliberalismus Machtverhältnisse am liebsten völlig ignoriert, sind sie bei Uwe-Jens Heuer ununterscheidbar in das Gewebe der Naturgesetzlichkeit einverwoben und verschwinden so in einem subjektlosen Prozess, der sich hinter dem Rücken der Menschen abspielt. Solange die derart verstandene "Naturgesetzlichkeit" wirkt, ist überhaupt kein Platz für gestaltende sozialistische demokratische Politik.

Während der Neoliberalismus für gute Politik nur den Platz der Durchsetzung der naturhaften Zwänge des Marktes sieht, hat Uwe- Jens Heuer für sie nur den Platz, die Zwänge abzubremsen oder zu beseitigen, nicht aber, ihre Richtung zu verändern. Sozialistische Politik findet also real entweder als Kampf zur Verlangsamung des Wirkens der kapitalistischen Naturgesetzlichkeit statt oder im Augenblick ihrer Beseitigung. Und während der Neoliberalismus den Intellektuellen die Aufgabe zuweist, diese Politik apologetisch hinzunehmen und zu legitimieren, verweist Uwe-Jens Heuer auf Brecht: "Hauptsächlich in den nichtrevolutionären Situationen kann eine revolutionäre Intelligenz die Revolution in Permanenz halten." (zit. S. 206) Es geht um eine Kritik jenseits aktueller Möglichkeiten praktischen Eingreifens und realer Veränderung.

Da von Uwe-Jens Heuer ganz im Stile des orthodoxen Marxismus der II. Internationale festgestellt wird, dass "bei Wahlen in den imperialistischen Staaten" das System "gar nicht zur Abstimmung" stehe (S. 218), stellt sich die Frage nach dem Charakter sozialistischer Politik jenseits eines bloßen Antikapitalismus in der Gegenwart. Wenn der Neoliberalismus einen Richtungswechsel der Politik vollzieht, wie Uwe-Jens Heuer an anderer Stelle bemerkt (S. 178), der doch auf eine Durchkapitalisierung von Wirtschaft, Sozialem und Kultur zielt und diese imperial und imperialistisch abzusichern sucht, wieso ist es dann weder richtig noch möglich, auf demokratische Weise für einen dazu alternativen Richtungswechsel zu kämpfen, der sich auch bei Wahlen in erreichten und dauerhaften Mehrheiten manifestiert?!

Im Folgenden sollen mit Marx zwei zentrale Einwände gegen Uwe-Jens Heuers Marxismusrezeption erhoben werden, von denen ausgehend an anderer Stelle schon ein alternativer Entwurf zur Fundierung sozialistischer Politik vorgelegt wurde.4 Dies betrifft erstens die Bedeutung von Klassenkämpfen im Kapitalismus in ihrer Bedeutung für dessen Grundgesetze und Eigentumsverhältnisse und zweitens die damit verbundene Frage der Möglichkeit eingreifender Politik.

Erstens: Uwe-Jens Heuer versteht unter Kapitalismus vor allem eine Wirtschaftsordnung freier Konkurrenz, die sich wie ein Perpetuum mobile mit der Kraft von Naturgesetzlichkeit und ohne jede "natürliche Schranke" (S. 182) entwickelt. Für Marx selbst aber ist es das im 23. Kapitel des Ersten Bandes des "Kapital" dargestellte "allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation", auf das seine gesamte Analyse hinführt. Er will damit den Nachweis führen, dass der Ausgangspunkt der erweiterten Kapitalreproduktion, der doppelt freie Lohnarbeiter, der dem Kapital unterworfen ist, im Prozess der Kapitalverwertung auf Dauer gestellt wird: "Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Überbevölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschicht der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation"5. Dieses Gesetz, so Marx, schmiede "den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend."6 Durch dieses Gesetz will Marx den Nachweis geführt haben, dass die Arbeiter der reellen Unterordnung unter das Kapital nicht entrinnen können - es sei denn, eine grundlegende Veränderung der Wirkungsbedingungen dieses Gesetzes wäre möglich.

Das Gesetz der kapitalistischen Akkumulation ist wie jedes andere von Marx untersuchte Gesetz nur eines der Tendenz nach.7 Es ist abhängig von konkreten Bedingungen und es bedarf der Prüfung, ob diese Bedingungen tatsächlich zwingend immer wieder reproduziert werden. Wie Marx bezogen auf die Profitrate sagte: "Die Fixierung ihres faktischen Grads erfolgt nur durch das unaufhörliche Ringen zwischen Kapital und Arbeit, indem der Kapitalist ständig danach strebt, den Arbeitslohn auf sein physisches Minimum zu reduzieren und den Arbeitstag bis zu seinem physischen Maximum auszudehnen, während der Arbeiter ständig in der entgegengesetzten Richtung drückt. Die Frage löst sich auf in die Frage nach dem Kräfteverhältnis der Kämpfenden."8 Im Falle des genannten allgemeinen Gesetzes sind es vor allem das konkrete Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit, der Klassenkampf und die Politik des Staates, die darüber entscheiden, in welchem Maße dieses Gesetz durchkreuzt oder sogar aufgehoben wird. In Abhängigkeit davon bilden sich jeweils unterschiedliche Akkumulationsregimes und Regulationsweisen. Alternativen sind möglich und wurden im 20. Jahrhundert auch zur Geltung gebracht.

Das "Goldene Zeitalter" des Kapitalismus nach dem II. Weltkrieg, auf das Uwe-Jens Heuer mit Eric Hobsbawm verweist, ist eine solche Konfiguration von Kräfteverhältnissen, Akkumulationsregimes und Regulationsweisen, die stark durch die Erfahrung zweier Weltkriege, eine starke organisierte Arbeiterbewegung und die Systemkonkurrenz mit der Sowjetunion geprägt wurde. Wenn in diesem Zusammenhang von der Fesselung oder Eindämmung des Kapitalismus gesprochen wird, die durch die neoliberale Offensive heute rückgängig gemacht werden soll, um zugleich im Interesse der herrschenden Kreise die neuen Probleme unter Kontrolle zu bringen, dann stellt sich die Frage, ob für diese Periode nicht auch von einer Einschränkung des Wirkens des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation ausgegangen werden muss, ob nicht sogar in bestimmten Bereichen Gegentendenzen auf Zeit dominant wurden. In den hochentwickelten Zentren war die Reservearmee fast auf Null zurückgegangen und für sehr große Teile der Arbeiterschaft kam es zu einem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufstieg. Über Systeme der sozialen Sicherung und der staatlichen Umverteilung entstand so etwas wie "Sozialeigentum"9.

Was bei Uwe-Jens Heuer als faktisch unverändertes Wirken kapitalistischer Naturgesetzlichkeit erscheint, erweist sich vom Standpunkt einer Analyse, die den Kern des Ersten Bandes des "Kapital" ins Zentrum stellt, als Nebeneinander und Abfolge sehr unterschiedlicher Akkumulationsregimes und Regulationsweisen, in denen es unter sehr bestimmten Bedingungen und im Gefolge großer sozialer Kämpfe auch gelingen kann, jenen Faktoren, die das Wirken des Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation bestimmen, auf Zeit stärkere Gegenfaktoren gegenüber zur Geltung zu bringen und die reale Unterordnung der Arbeit unter das Kapital zu relativieren, wenn auch bisher nicht aufzuheben.

Eine der wichtigsten Bedingungen dafür ist, dass MarxÂ’ Ausgangsannahme, nämlich die Tatsache, dass der Reichtum der Gesellschaften nur als Ware erscheint, als Privateigentum, relativiert und überwunden wird. Es gehört zu den großen Errungenschaften der Arbeiterbewegung und anderer sozialer Bewegungen in den hochentwickelten Ländern, dass wesentlich Güter dieser Gesellschaften zunehmend frei zur Verfügung gestellt wurden bzw. ihr Zugang nicht direkt an die Fähigkeit zum Verkauf der Arbeitskraft gebunden wurde. Dazu gehörten gerade in Westeuropa Bildung, Leistungen der Gesundheitsversorgung sowie ein begrenztes Maß an sozialer Absicherung. Der Angriff des Neoliberalismus richtet sich deshalb auch nicht zufällig im Kern darauf, diese Güter wieder in Waren zu verwandeln, sie zu kommodifizieren und in der Folge die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital wieder zu verstärken. Umgekehrt fordern die sozialen Bewegungen unter der Losung "Die Welt ist keine Ware" weitere große Schritte der Entkommodifizierung der Welt. Dazu gehören eine bedarfsorientierte Grundsicherung10 bzw. ein Grundeinkommen11, eine beschäftigungssichernde Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Förderung einer solidarischen Ökonomie, die Verteidigung bzw. die Durchsetzung des Gemeingutcharakters von Bildung, Wissen, Gesundheit, Wasser und Nahrung u. v. a. m.12 Im Parteiprogramm der PDS wurde in diesem Zusammenhang die zentrale Forderung erhoben, die gleiche Teilhabe an allen Gütern, die Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens sind (Freiheitsgüter), durchzusetzen.

Solche Schritte würden die Kapitalverwertung der Tendenz nach der Reproduktion der Bedingungen eines freien und solidarischen Lebens unterordnen und die Dominanz des kapitalistischen Privateigentums aufheben,13 durch die Dominanz eines Sozialeigentums ersetzen, das die Individuen in die wahren Eigentümer des gesellschaftlichen Reichtums verwandelt14. Aus den doppelt freien Lohnarbeiterinnen und -arbeitern, die sich auch zu den schlechtesten Marktbedingungen verkaufen müssten, würden Menschen, die selbstbestimmt ihr Leben gestalten könnten. Der Kampf gegen den Neoliberalismus ist zugleich der Kampf um eine andere Eigentumsordnung. Er zielt auf die Durchsetzung eines allgemeinen Gesetzes einer nichtkapitalistischen Akkumulation - in sich widersprüchlich und weiter umkämpft, der Tendenz nach aber nicht kapitalistisch, sondern auf die freie Entwicklung eines jeden gerichtet und diese so orientiert, dass sie zur freien Entwicklung aller wird. Es wäre die Durchsetzung der Dominanz einer "Soziallogik", einer Logik sozialer Effizienz,15 gegenüber der kapitalistischen Profitdominanz.

Zweitens: Die von Uwe-Jens Heuer ins Zentrum gerückte "Naturgesetzlichkeit" kommt bei Marx erst im Dritten Band des "Kapital" wirklich zum Tragen. Dabei geht es nicht um das Wesen des Verhältnisses von Kapital und Arbeit, sondern um die Art und Weise der Durchsetzung dieses Verhältnisses an der "Oberfläche". Unter der Bedingung, dass jeder Kapitalist und jeder Arbeiter "nur als Teil einer gesellschaftlichen Macht, als Atom der Masse"16 handelt, so Marx, steht er in Konkurrenz zu seinesgleichen, und durch diese Konkurrenz macht sich der "gesellschaftliche Charakter der Produktion und Konsumtion" als naturwüchsiger Zusammenhang geltend. Durch die Unfähigkeit zu kooperativem Handeln kommt es dazu, dass "der Zusammenhang der gesamten Produktion als blindes Gesetz den Produktionsagenten sich aufzwingt, nicht als von ihrem assoziierten Verstand begriffnes und damit beherrschtes Gesetz den Produktionsprozeß ihrer gemeinsamen Kontrolle unterworfen"17.

Für Marx ist aber die Situation eines Kapitalismus der freien Konkurrenz nur ein zeitlich befristetes Stadium, dessen Ursprünge für ihn nicht weit zurückliegen und dessen Überwindung auch innerhalb der Dominanz der kapitalistischen Form er zu studieren beginnt. Während Uwe-Jens Heuer von der Fortdauer einer uneingeschränkten Naturwüchsigkeit bis in die Gegenwart ausgeht, schreibt Marx schon 1858: "Solange das Kapital schwach ist, sucht es selbst noch nach den Krücken vergangner oder mit seinem Erscheinen vergehnder Produktionsweisen. Sobald es sich stark fühlt, wirft es die Krücken weg, und bewegt sich seinen eignen Gesetzen gemäß. Sobald es anfängt sich selbst als Schranke der Entwicklung zu fühlen und gewußt zu werden, nimmt es zu Formen Zuflucht, die, indem sie die Herrschaft des Kapitals zu vollenden scheinen, durch Züglung der freien Konkurrenz, zugleich die Ankündiger seiner Auflösung und der Auflösung der auf ihm beruhenden Produktionsweise sind."18 Marx behauptet also nicht mehr und nicht weniger als die Herausbildung von Vergesellschaftungsformen, die, obwohl durch das Kapital genutzt, über den Kapitalismus hinausweisen.

Marx geht aber noch weiter. Wie auch Uwe-Jens Heuer vermerkt, konstatiert Marx in der "Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation" von 1864 in Bezug auf die 1847 gesetzlich dekretierte Beschränkung des Arbeitstages für Jugendliche und Arbeiterinnen auf zehn Stunden den Bruch mit der kapitalistischen Naturwüchsigkeit. Der dabei entbrannte Kampf hätte die "große Streitfrage" betroffen "zwischen der blinden Herrschaft der Gesetze von Nachfrage und Zufuhr, welche die politische Ökonomie der Mittelklasse bildet, und der Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche die politische Ökonomie der Arbeiterklasse bildet. Die Zehnstundenbill war daher nicht bloß eine große praktische Errungenschaft, sie war der Sieg eines Prinzips. Zum erstenmal erlag die politische Ökonomie der Mittelklasse in hellem Tageslicht vor der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse."19

Uwe-Jens Heuer zitiert diese Aussage von Marx im Zusammenhang mit der Frage, ob es schon vor einer gewaltsamen Revolution möglich sei, in den "naturwüchsigen" Prozess einzugreifen. Und während er sonst der logischen Folgerichtigkeit das Primat gibt, begeht er hier den Fauxpas, in einer so zentralen Frage wie dem Sieg des Prinzips der Arbeiterklasse über das der Bourgeoisie Marxens These dadurch abzuschwächen, dass - wie Engels später bemerkte - dadurch die Großkonzerne gegenüber den kleineren Unternehmern begünstigt worden wären (S. 74). Dies aber berührt nicht das Prinzip, sondern nur seine ambivalenten Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis innerhalb der kapitalistischen Klasse selbst.

Was Marx an der zitierten Stelle behauptet, ist nicht mehr und nicht weniger als die Möglichkeit der bewussten Kontrolle sozialer Produktion nicht etwa durch direkte Verstaatlichung der Produktionsmittel, sondern durch die gesetzliche Regelung der Bedingungen, zu denen Arbeiter ihre Arbeitskraft verkaufen und Unternehmer diese kaufen dürfen. Neben dem Kampf um die Entkommodifizierung wesentlicher Bereiche sozialer Produktion, die für die Bereitstellung von Grundgütern notwendig sind (siehe vorhergehende These), tritt somit der Kampf für die gesellschaftliche Regulierung der Bedingungen jeglicher Verfügung über Produktionsmittel und Arbeitskraft sowie Naturressourcen, sei es in privaten, staatlichen oder genossenschaftlichen, kommunalen usw. Betrieben im Interesse der lohnabhängig Beschäftigten, der Beseitigung von Marginalisierung und Ausgrenzung, von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.

Betrachtet man die Forderungen des Weltsozialforums, so zielen sie neben der Entkommodifizierung vor allem auf die bewusste gesellschaftliche Festlegung der Rahmenbedingungen jedes wirtschaftlichen Handelns. Während durch Entkommodifizierung Bereiche geschaffen werden sollen, in denen Grundgüter eines freien und solidarischen Lebens erzeugt werden, soll durch Regulation der Rahmenbedingungen gesichert werden, dass auch unter den Bedingungen von Märkten und Konkurrenz die Wirtschaft den sozialen, ökologischen und demokratischen Zielen der Mehrheit der Bevölkerung und der zukünftigen Generationen untergeordnet wird. Dies verlangt nicht unbedingt der Form aber dem Inhalt nach eine Kette von umwälzenden Eingriffen in die Macht- und Eigentumsverhältnisse und Vergesellschaftungsformen.

Uwe-Jens Heuer hat, ausgehend von seiner Grundannahme einer nicht gestaltbaren Naturwüchsigkeit des Kapitalismus, für sozialistische Politik nur wenig Platz. In seinem Buch "Marxismus und Politik " wird man viel über die Politik von herrschenden kommunistischen Parteien in den Ländern des untergegangenen sowjetischen Sozialismus, aber fast nichts über Politik unter den Bedingungen des Kapitalismus erfahren, was über die Darstellung der Auffassungen anderer Marxisten hinausgeht. Seine eigene Auffassung des marxistischen Politikverständnisses summiert sich in folgender Aussage: "Der ökonomische Kampf (der Arbeiterklasse - M. B.) wird unmittelbar durch die Naturgesetze des Kapitalismus hervorgerufen, ist Bestandteil ihres Wirkens. Er kann und muss verstärkt werden zur politischen Aktion, die auf konkrete Erfolge zielt und damit zugleich die Entscheidungsschlacht vorbereitet." (S. 75) Wo dies nicht möglich ist, bleibe nur die intellektuelle Bewahrung der Revolution jenseits realer Politik der Veränderung von Kräfteverhältnissen. Vorbereitung und Durchführung der Entscheidungsschlacht zur Brechung der Naturwüchsigkeit des Kapitalismus und der Aufhebung des Privateigentums sind für Uwe-Jens Heuer die eigentlich sozialistischen Politikformen.

Während an anderer Stelle das Projekt einer sozialen und demokratischen Transformation entwickelt wurde, das die Dominanz des kapitalistischen Privateigentums überwindet,20 bleibt Uwe-Jens Heuer bei der Alternative zwischen systemkonservierenden Reformen und Revolution stehen. Während an anderer Stelle die Einheit von ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Kämpfen gedacht und praktiziert wird, durch die die Gesamtheit der gesellschaftlichen Eigentums- und Machtverhältnisse, der Typ von sozialer Reproduktion verändert werden soll,21 verharrt Uwe-Jens Heuer bei Kautskys Reduktion des "ökonomischen Klassenkampfes" auf eine niedere Form des Kampfes, die keine wesentliche Veränderungen hervorbringen könne. Dies aber ist unendlich weit entfernt von Rosa Luxemburgs Vision einer eingreifenden Praxis, die in einem Prozess zugleich ökonomische, politische und kulturelle Wirklichkeitsveränderung und Selbstveränderung ist.22 Damit ist Politik, die über den Protest hinausgeht, bis auf den Jüngsten Tag der Revolution verschoben. Zumindest für die Gegenwart würde gelten: Dieser Marxismus oder sozialistische Politik!

Sozialismus und Barbarei?
Die bisherigen Darstellungen haben in Auseinandersetzung mit Uwe- Jens Heuer und unter Anknüpfung an Marx zwei wesentliche Bestimmungen von Sozialismus als einer dem Kapitalismus überlegenen Ordnung entwickelt - (1) die Dominanz des Sozialeigentums in allen Bereichen, wo Grundgüter menschlichen Lebens bereitgestellt werden, sowie die Sozialpflichtigkeit allen Eigentums und (2) die bewusste gesellschaftliche Regulation der Rahmenbedingungen von Wirtschaft nach demokratischen, sozialen und ökologischen Kriterien. Dadurch würde, so die These, sowohl das allgemeine Gesetz kapitalistischer Akkumulation wie die Dominanz "naturwüchsiger" Regulation durch Konkurrenz aufgehoben.

Für Uwe-Jens Heuer ist Sozialismus "erstens die Beseitigung der Herrschaft des Privateigentums" (S. 178). Merkwürdigerweise fehlt jedoch an dieser wie an allen anderen Stellen jedes "zweitens" oder "drittens". Die Konkretion erfolgt dadurch, dass Uwe-Jens Heuer auch fünfzehn Jahre nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Sozialismus und lange nach der Abkehr auch der chinesischen Kommunisten vom Primat des Staatseigentums und zentralverwaltungswirtschaftlicher Planung Sozialismus immer noch entsprechend den Strukturen dieses vergangenen Sozialismus denken will. Eigene systematische Aussagen über alternative Sozialismusformen fehlen.

So wie Uwe-Jens Heuer eine über den "naturwüchsigen" Kapitalismus hinausweisende Transformation für unvorstellbar hält und an der "Entscheidungsschlacht" der Revolution festhält, so ist für ihn der sowjetische Staatssozialismus der einzig mögliche Sozialismus23: "Es erwies sich, dass das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln eine staatliche Wirtschaftsplanung in mehr oder weniger dirigistischer Form erfordert, dass die Verteilung nach der Leistung der staatlich sanktionierten Regelung bedurfte (offen gestanden hatte ich in der DDR das Gefühl, dass vor allem entgegen der Leistung verteilt wurde - M. B.), dass bei fortbestehenden Ausbeuterklassen (sind damit die Inhaber der Klein- und Mittelbetriebe gemeint? - M. B.) Repression notwendig blieb (hat sich Repression nicht primär gegen andere Gruppen gerichtet? - M. B.), aber auch nach deren Enteignung fortbestand, dass vornehmlich die äußere Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Nachbarn ohne Staat nicht auskam bis hin zum Extrem der Errichtung der Mauer an der Westgrenze der DDR (die doch vor allem die Funktion hatte, den Bürgerinnen und Bürgern der DDR das verbriefte Menschenrecht auf Verlassen des Staates, in dem sie leben, zu nehmen - M. B.24)." (S. 208)

Uwe-Jens Heuer stellt sich bewusst den Konsequenzen: Es sei ein Widerspruch zwischen Volk und Staat entstanden, ein Staat, der "in gewisser Weise sogar mehr Staat als je ein Staat zuvor" (ebenda) war. Merkwürdigerweise wird der Kommunistischen Staatspartei als dem zentralen Subjekt und Akteur der Herrschaft kaum Aufmerksamkeit gezollt, dabei bildete die Partei das herrschaftliche Zentrum von Staat und Gesellschaft. Zu den neuen Übeln zählt er die "Übermacht des Staates", den "Bürokratismus" und "die weitgehende Verweigerung von politischen Grundrechten" (ebenda). Diese Übel erscheinen als unvermeidliche Folge, und nur der Grad dieser Übel kann in Abhängigkeit von "subjektiven Faktoren" wie der Unterschiede zwischen den Charakteren der verschiedenen Führer beeinflusst werden (vgl. dazu S. 116, 122). Die Alternative eines "demokratischen Sozialismus" sei angesichts der Unreife Russlands für den Sozialismus und dem Ausbleiben der Weltrevolution unmöglich gewesen (S. 120).

Stalinismus, heißt es bei Uwe-Jens Heuer, sei der "Exzess der Macht", "der nicht in den Aufgaben einer ›Erziehungsdiktatur‹ gründete" (S. 121) Wer aber entscheidet, was "erzieherisch" geboten war und was nicht, wenn nicht die großen Führer oder ihre Interpreten? Die Revolution habe dem "naturgesetzlichen" Gesamtprozess des Kapitalismus ein Ende gesetzt, so Uwe-Jens Heuer, "aber es war nicht das Ende der Barbarei" (S. 122). Tendenziell beantwortet er damit die von ihm selbst gestellte Frage nach der "Vermeidbarkeit oder Unvermeidbarkeit" "barbarische(r) Seiten der sozialistischen Produktionsweise" (S. 53) damit, dass diese durch den Sozialismus selbst ermöglicht werden (S. 178), ohne deutlich zu machen, welche Barrieren dagegen errichtet werden sollten.

Die folgenden Sätze Uwe-Jens Heuers verdienen besondere Aufmerksamkeit, weil sie die Grundprobleme seiner Position noch einmal zusammenfassen: "Marx und Engels sahen als Alternative den Sozialismus, also eine Ordnung, in der das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufgehoben war. Dass eine solche Gesellschaft möglich ist, hat die Geschichte gezeigt, dass sie nicht konkurrenzfähig war, ebenfalls. Wenn wir heute eine sozialistische Gesellschaft für notwendig halten, so beweist dies nicht, dass sie kommen wird." (S. 236) Warum ist aber diese Gesellschaft "notwendig", wenn sie sich nicht zuletzt als mindestens so "naturwüchsig" erwiesen hat wie der Kapitalismus, den sie überwinden wollte?! (Vgl. zum Problem der Naturwüchsigkeit im Staatssozialismus weiter unten.) Und wieso aber sollten "wir" noch einmal eine "nicht konkurrenzfähige" Gesellschaft für notwendig halten und ihr Entstehen betreiben?

Mehr noch: Wenn die "Beseitigung des kapitalistischen Privateigentums ... notwendig Triebkraftverluste mit sich bringt" (S. 53; Triebkraftgewinne werden dagegen an keiner Stelle thematisiert) und dann der Staat zur "zentralen Antriebskraft" wird (115), eine Kraft, die zudem nicht in der Lage ist, dauerhaft erfolgreich zu konkurrieren, dann scheint dies auch chancenlos. Zudem müssten, wie Uwe-Jens Heuer mit Blick auf das den USA weit unterlegene Kuba Domenica Losurdo zustimmend zitiert, als Preis dieses Sozialismus wieder die Unterdrückung wichtigster politischer Freiheiten in Kauf genommen werden (S. 217 f.). Wie er selbst schreibt: "Die Forderung nach freien Wahlen an die Adresse der Opferstaaten läuft auf deren Kapitulation durch Abwahl des Systems heraus." (S. 218) Die Konsequenz dieser Gedanken ist: Da Sozialismus eigentlich immer ökonomisch kapitalistischen Konkurrenten gegenüber unterlegen ist, muss er sich immer "durch bestimmte diktatorische Maßnahmen" (ebenda) wehren. Dann aber ist demokratischer Sozialismus schon per Definition eine Contradictio in adjecto.

Folgt man der Position von Uwe-Jens Heuer, dann müsste vieles als "unvermeidlich" akzeptiert werden, was er selbst als Produkt des Kapitalismus ablehnt, müsste hingenommen werden, dass Sozialismus Barbarei ermöglicht, eine Barbarei, die jede Sozialistin und jeder Sozialist in ihrem kapitalistischen oder imperialistischen Gewande bekämpfen würde. Wenn aus einer Revolution ein "sozialistischer " Doppelprozess von Zivilisation und Barbarei hervorgeht, der in seiner Wirkung für die Menschen und Völker nicht weniger "naturhaft" und "barbarisch" ist als der des Kapitalismus und zu Zeiten sogar schlimmer, was bleibt dann vom Sozialismus übrig als einer Bewegung, die "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist"25?! Sozialismus muss doch bei allem vor allem eines sein: ein realer Fortschritt in Richtung auf mehr Freiheit und mehr bewusste Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, als seine Vorgängergesellschaften boten. Das, was Uwe-Jens Heuer als einzig möglichen Sozialismus ansieht, hat davor versagt.

Uwe-Jens Heuer hat sicherlich recht, wenn er feststellt: "Dass Sozialismus selbst Barbarei ermöglichen kann, ... ist schmerzlich, aber nicht dadurch zu bewältigen, dass wir diese Gesellschaften einfach aus dem Sozialismus exkommunizieren, was uns ja auch jeder Auseinandersetzung mit ihnen entheben würde." (S. 178) Was aber ist das "Sozialistische" an diesen Gesellschaften? Die bloße "Beseitigung der Herrschaft des Privateigentums" ist m. E. nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts unzureichend, um von Sozialismus in Marxens emanzipatorischem Sinne zu sprechen. Es kann rückschrittliche wie fortschrittliche Formen der Beseitigung des Privateigentums geben und bedarf Kriterien, die gesellschaftliche Machtund Eigentumsverhältnisse an Emanzipationskriterien messen.26

Das von Uwe-Jens Heuer so viel gescholtene Parteiprogramm der PDS enthält eine auf Hermann Klenner zurückgehende Definition: "Eine sozialistische Gesellschaft, wie wir sie anstreben, garantiert in der Einheit von politischen, sozialen und kulturellen Rechten das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen und Völker. Sie ist eine Gesellschaft, in der die Profitdominanz beseitigt ist. Sie verwirklicht eine sich auf die politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Verhältnisse erstreckende Demokratie. Sie erfordert die Unterordnung der Produktions-, Verteilungs- und Konsumtionsweise unter das Prinzip, allen Bürgerinnen und Bürgern die Bedingungen für ein selbstbestimmtes und solidarisches Leben zu ermöglichen. Dazu gehören die entsprechende Veränderung der Richtung des wirtschaftlichen Wachstums und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, die Bewahrung der natürlichen Umwelt, die Einheit von Rechtsstaat und Sozialstaat, Solidarität nach innen und außen sowie eine weltumspannende Ordnung des Friedens, der Gerechtigkeit und der Wohlfahrt."

Worin bestanden nun Elemente, Züge, Spuren von Sozialismus im sowjetischen Staatsparteisozialismus? Ich möchte zwei hervorheben: Erstens war beabsichtigt worden, mit den Mitteln des Staatseigentums die produktiven Ressourcen unmittelbar in gesellschaftliches Eigentum zu überführen. In der Folge wurde für jene, die nicht der politischen Repression unterworfen wurden (dies waren viele Millionen), wesentliche soziale Leistungen allgemein zugänglich. Das verstaatlichte Eigentum wirkte unmittelbar wie Sozialeigentum (im Sinne der Gewährleistung sozialer Dienste) und war mit weitgehend kostenlosen Leistungen in Bildung, Gesundheit usw. verbunden. 27 Die chronische Defizitwirtschaft sicherte jedem und jeder einen Arbeitsplatz. Gleichzeitig aber wurden Kriterien von Effizienz außer Kraft gesetzt und Innovation blockiert, sodass die Quellen der intensiven Steigerung der Arbeitsproduktivität verschüttet wurden und dieser Sozialismus der Systemkonkurrenz nicht standhalten konnte.

Die unmittelbare Identität von Verfügung über produktives Eigentum und Sicherung sozialer Leistungen mittels einer Zentralverwaltungswirtschaft hat sich als nicht überlebensfähig erwiesen. Angesichts der wachsenden Rückstände bei der produktiven Verwendung der gesellschaftlichen Ressourcen gegenüber dem Westen verzichtete die Arbeiterschaft des Staatssozialismus auf ihr soziales Eigentum und wurde zur treibenden Kraft der Beseitigung des Staatssozialismus. Das zur Erreichung eines sozialistischen Ziels angewandte Mittel, die Aufhebung der Herrschaft des kapitalistischen Privateigentums in einer kommunistisch geführten Zentralverwaltungswirtschaft, hat die Probe der Praxis nicht bestanden. Zugleich war sie die Grundlage vieler Verletzungen der sozialen wie politischen Menschenrechte und wurde mit der Sklavenarbeit von Millionen Menschen in den GULAGs verbunden.

Zweitens: Dem sowjetischen Staatsparteisozialismus lag die Vorstellung zugrunde, durch zentrale Planung der Gesamtheit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse und die unmittelbare Unterordnung aller Betriebsorganisationen und "Arbeitskollektive" unter einen Willen die Naturwüchsigkeit und Krisenhaftigkeit des Kapitalismus zu überwinden. Rainer Land spricht in diesem Zusammenhang von einer "gesamtgesellschaftlich gesteuerten Modernisierung ": "Tatsächlich wurden die Grundstrukturen einer modernen Gesellschaft nicht beseitigt, sondern einer Meta-Organisation, der Herrschaft der Staatspartei, untergeordnet, deren Macht sich nicht auf den Staat ... beschränkte, sondern alle Funktionssysteme durchdrang. ... Der Kern der Parteiherrschaft war die Fähigkeit, in alle gesellschaftlichen Funktionssysteme intervenieren zu können."28

Dieser Anspruch einer gesamtgesellschaftlichen Steuerung, dieser Versuch, den gesellschaftlichen Zusammenhang der Produktionsagenten "als von ihrem assoziierten Verstand begriffnes und damit beherrschtes Gesetz den Produktionsprozess ihrer gemeinsamen Kontrolle"29 zu unterwerfen, war sicherlich sozialistisch. Aber er war mit der Enteignung, Entmachtung und auch mit der realen Bewusstlosigkeit der wirklichen Produzenten gegenüber den zentralen Verwaltungen verbunden und erzeugte eine eigene Art von "Naturwüchsigkeit", die die scheinbare Allmacht der zentralen Parteigremien konterkarierte und sie völlig ohnmächtig machte, dem eigenen Untergang wirksam entgegen zu steuern. Es ist die Tragik dieses Versuchs totaler Bewusstheit jeder Einzelhandlung, zu einer eigenen staatssozialistischen "Naturwüchsigkeit" geführt zu haben. Die in der DDR noch 1988 erhobene Forderung nach "blindem Vertrauen " in die Parteiführung war nur der Ausdruck der Verkehrung des Anspruchs auf Bewusstheit in eine Herrschaft, die wissenschaftliche Analyse, demokratische Öffentlichkeit und autonome Interessenartikulation um ihrer Selbsterhaltung willen dauerhaft unterdrücken musste. Die Naturwüchsigkeit des Staatssozialismus brachte hinter dem Rücken selbst der machtvollsten Akteure Krisenzyklen hervor, die letztlich in eine allgemeine Zusammenbruchskrise mündeten. 30 Auch in diesem Falle widersprach das gewählte Mittel also dem sozialistischen Ziel.

Fazit
Wer Sozialismus anstrebt, wird, so ist meine feste Meinung, sich von einem Verständnis von Kapitalismus verabschieden müssen, das dessen Veränderung nur durch Revolution und Errichtung eines Staatssozialismus, eines Sozialismus gegründet auf zentralistischem Staatseigentum, für möglich hält. Uwe-Jens Heuer will diese Trennung nicht vollziehen. Sein Marxismus und sein Politikverständnis verbleiben innerhalb des Paradigmas eines Kautskyschen Marxismus. Im Unterschied zu diesem akzeptiert er folgerichtig aber auch die Unvermeidlichkeit der Barbarei eines darauf gegründeten Sozialismus. Eine lebendige marxistische Theorie und Neubegründung emanzipatorischer sozialistischer Politik ist davon ausgehend aber - so mein Fazit - unmöglich. Und sie wird den Opfern des kommunistisch- staatssozialistischen Versuchs nicht gerecht.

Michael Brie - Jg. 1954, Prof. Dr., Philosoph, Berlin. Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Rosa-Luxemburg-Stiftung; Leiter des Bereiches Politikanalyse. Zahlreiche Publikationen, u. a.: Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar, Berlin 1997; ReformAlternativen. Sozial - ökologisch - zivil, Berlin 2000; Sozialismus als Tagesaufgabe (Hrsg.), Manuskripte 36 der RLS, 2003; Die witzige Dienstklasse. Der politische Witz im späten Staatssozialismus, Texte 13 der RLS, 2004.

1 Uwe-Jens Heuer: Marxismus und Politik, Hamburg: VSA 2004, 246 Seiten.

2 Rückblickend wird sichtbar, dass die Unterschiede schon im Reformdiskurs der 80er Jahre bestanden und sich ausdrückten in der Differenz zwischen einer Demokratietheorie, die am gesamtstaatlichen Eigentum festhielt (siehe dafür Uwe- Jens Heuer: Marxismus und Demokratie, Berlin 1989, S. 419), und einer sozialistischen Moderne-Konzeption, die auch im Eigentumsbereich mit dem "Monosubjekt " brach (u. a.: Michael Brie: Wer ist Eigentümer im Sozialismus? Berlin 1990). Vgl. dazu Lutz Kirschner: Gesellschaftskonzeptionelle Vorstellungen der SED-Reformer in den achtziger Jahren, in: Heiner Timmermann (Hg.): DDR in Deutschland. Ein Rückblick auf fünfzig Jahre, Berlin 2001, S. 477-493.

3 Max Weber: Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, S. 214.

4 Vgl. Michael Brie, Michael Chrapa, Dieter Klein: Sozialismus als Tagesaufgabe, Berlin: Karl Dietz 2003.

5 Karl Marx: Das Kapital. Erster Band, in: MEW, Bd. 23, S. 673 f.

6 Ebenda, S. 675.

7 So heißt es vom Gesetz des Falls der Profitrate: "Es müssen gegenwirkende Einflüsse im Spiel sein, welche die Wirkung des allgemeinen Gesetzes durchkreuzen und aufheben und ihm nur den Charakter einer Tendenz geben ..." Karl Marx: Das Kapital. Dritter Band, in: MEW, Bd. 25, S. 242.

8 Karl Marx: Lohn, Preis und Profit, in: MEW, Bd. 16, S. 149.

9 Robert Castel: Die Metamorphose der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz: Universitätsverlag Konstanz 2000, S. 272

10 Lutz Brangsch: Soziale Grundsicherung - ein zukunftsfähiges Konzept für die PDS-Politik? Ms.

11 André Gorz: Arbeit zwischen Misere und Utopie, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2000.

12 William F. Fisher, Thomas Ponniah (Hrsg.): Another World is Possible. Popular Alternatives to Globalization at the World Social Forum. Nova Scotia: Fernwood 2003.

13 Samir Amin interviewed by V. Sridar: For Struggles, Global And National, in: Jai Sen, Anita Anand, Arturo Escobar, Peter Waterman (Hrsg.): World Social Forum. Challenging Empires, New Delhi: The Viveka Foundation 2003, p. 10.

14 Vielleicht wäre dies und nicht die zentralstaatliche Verfügung über die Produktionsmittel der eigentliche Weg, jene Eigentumsordnung zu errichten, die Marx mit der "Notwendigkeit eines Naturprozesses" als Negation des kapitalistischen Privateigentums entstehen sieht - "das individuelle Eigentum auf der Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel." Karl Marx: Das Kapital. Erster Band, a. a. O., S. 791.

15 Vgl. dazu Dieter Klein: Demokratischer Sozialismus als transformatorisches Projekt, in: Michael Brie et al.: Sozialismus als Tagesaufgabe, a. a. O., S. 86 f.; Samir Amin: Soziale Ungleichheit weltweit. Interview am 11. April 2004. www.dnr.de/publikationen.

16 Karl Marx: Das Kapital. Dritter Band, a. a. O., S. 203.

17 Ebenda, S. 267.

18 Karl Marx. Grundrisse der Politischen Ökonomie, in: MEW, Bd. 42, S. 551.

19 Karl Marx: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation, in: MEW, Bd. 16, S. 11.

20 Vgl. dazu auch Michael Brie et al.: Sozialismus als Tagesaufgabe, a. a. O.; Vgl. auch Dieter Klein (Hg.): Leben statt gelebt zu werden. Selbstbestimmung und soziale Sicherheit, Berlin: Karl Dietz 2003, S. 69 ff.

21 Darauf zielt die Strategie der gerade erst in Rom gegründeten Partei der Europäischen Linken (EL). Dort wird das Projekt einer "sozialen und demokratischen Transformation" in das Zentrum gerückt (Programm der Partei der Europäischen Linken, Rom 2004: http://sozialisten.de/sozialisten/el/programm.htm).

22 Vgl. dazu vor allem: Rosa Luxemburg: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, in: Werke, Bd. 3, S. 93 - 170.

23 So wird Verstaatlichung durch Uwe-Jens Heuer ohne jede weitere Reflexion mit Durchsetzung des sozialistischen Eigentums gleichgesetzt (S. 139, 208).

24 "Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren." Vereinte Nationen. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, in: Hermann Klenner: Marxismus und Menschenrechte. Studien zur Rechtsphilosophie, Berlin: Akademie-Verlag 1982, S. 410. Zur zentralen Bedeutung dieses Rechts bemerkt Manfred Riedel: "Das Menschenrecht wird zuletzt freilich nicht durch Gesetzestexte, sondern durch die Tat interpretiert. Paradigma einer Tatinterpretation ist das Auswanderungsrecht ... Indem er (der Staat - M. B.) seinen Bürgern die Möglichkeit der Freilassung einräumt, verzichtet der Staat auf zeitlich unbegrenzte, und das heißt: auf politischabsolute Herrschaft." Manfred Riedel: Freiheit und Verantwortung, in: Karl-Otto Apel, Dietrich Böhler, Alfred Berlich, Gerhard Plumpe (Hrsg.): Praktische Philosophie/ Ethik. Bd. 1, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1980, S. 111.

25 Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: MEW, Bd. 1, S. 385.

26 Vgl. dazu: Michael Brie: Der sowjetische Staatsparteisozialismus im Lichte der Marxschen Theorie "progressiver Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation". Beitrag für eine Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Oktober 2003.

27 Uwe-Jens Heuer spricht in diesem Zusammenhang von "gesicherten sozialen Grundrechten" (S. 208). Was aber sind das für "Rechte", wenn den Individuen, um die es geht, gerade ihre Stellung als eigenständige Rechtssubjekte im Verhältnis zu Partei und Staatsmacht abgesprochen wurde? Es sind eher Gratifikationen als Rechte, eher Zugeständnisse als Leistungen, deren Grundlage die eigenständige und gesetzlich geschützte Vertretung von Interessen darstellt. Im strengen Sinne gibt es zwar politische Rechte ohne soziale Rechte, aber nicht umgekehrt. Wer sich nicht selbständig organisieren, sich keine eigene Meinung öffentlich bilden darf, wer sich nicht zum Protest gegen die Regierung versammeln darf, dem ist der Charakter als gesellschaftliches Subjekt, das autonome Rechte hat, aberkannt. Die Rechte waren bestenfalls Leihgaben.

28 Rainer Land: Ostdeutschland - fragmentierte Entwicklung, in: Initial, Heft 6/2003, S. 81.

29 Siehe Anm. 17

30 Vgl. u. a. dazu die folgenden Arbeiten: János Kornai: Economics of Shortage. Amsterdam: North Holland 1980; Michael Masuch: Die sowjetische Entscheidungsweise. Ein Beitrag zur Theorie des realen Sozialismus. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1981 (33), Heft 4, S. 642-667; Vitali Naijschul: Bürokratischer Markt, in: Nezavissimaja gazeta, 26.9.1991, S. 5 (russ.); Michael Brie: "Selbstaufhebung " des Realsozialismus, in: Michael Brie, Dieter Klein (Hrsg.): Zwischen den Zeiten. Ein Jahrhundert verabschiedet sich, Hamburg: VSA 1992, S. 57-100.

 

in: UTOPIE kreativ, H. 165/166 (Juli/August 2004), S. 648-661

 

aus dem Inhalt:

VorSatz, Essay GERHARD WAGNER: "Ich weiß, daß wir diesmal gewinnen". Hollywood, Casablanca und die Befreiung von Paris, Gesellschaft - Analyse & Alternativen MARIO CANDEIAS: Erziehung der Arbeitskräfte. Rekommodifizierung der Arbeit im neoliberalen Workfare-Staat, WOLFGANG WEISS Tragfähigkeit - ein Begriff der Regional-Demographie mit politischen Implikationen, Utopie & Wirklichkeit RICHARD SAAGE Wie zukunftsfähig ist der klassische Utopiebegriff?, JAN VOGELER, HEINRICH FINK Heinrich Vogeler und die Utopie vom neuen Menschen, Reine Lehren MICHAEL BRIE Welcher Marxismus und welche Politik? Uwe-Jens Heuers Buch "Marxismus und Politik" kritisch gelesen, WOLFRAM ADOLPHI Wohlfeile Keule und geistige Selbstverstümmelung. Zwei neue Bücher mit "linkem" Antiamerikanismus-Vorwurf , MAX BRYM Die serbischen Cetniks einst und jetzt, Wieder gelesen Wandlung und Wahrhaftigkeit. Franz Fühmann zum 20. Todestag, PDS - strategische Debatte DIETMAR WITTICH In welcher Gesellschaft leben wir?, THOMAS FALKNER Herausforderungen für sozialistische Politik, ELKE BREITENBACH, KATINA SCHUBERT Opposition und Regierung - Partei und Bewegung - Widersprüche? Überlegungen zur PDS-Strategiedebatte, FRIEDRICH W. SIXEL Die PDS und die Krise der heutigen Gesellschaft, Standorte ULI SCHÖLER Der unbekannte Paul Levi?, Festplatte WOLFGANG SABATH Die Wochen im Rückstau, Bücher & Zeitschriften Wolfgang Ruge: Berlin - Moskau - Sosswa. Stationen einer Emigration (HELMUT BOCK), Albert Scharenberg, Oliver Schmitke (Hrsg.): Das Ende der Politik? Globalisierung und der Strukturwandel des Politischen (FRIEDHELM WOLSKI-PRENGER), Massimiliano Andretta, Donatella della Porta, Lorenzo Mosca, Herbert Reiter: No Global - New Global. Identität und Strategien der Antiglobalisierungsbewegung (ARNDT HOPFMANN), Tanja Busse, Tobias Dürr (Hg.): Das neue Deutschland. Die Zukunft als Chance, (ULRICH BUSCH), Volker Perthes: Geheime Gärten. Die neue arabische Welt (HENNER FÜRTIG), B>Summaries