SPD und Gewerkschaften - kommt (wieder) zusammen, was zusammen gehört?

Die SPD ist dabei ihr zentrales Kompetenzfeld, das der sozialen Gerechtigkeit, Preis zu geben. Das Problem der SPD ist ein inhaltliches - kein kommunikatives.

I. Eine Alternative links der SPD?

Die SPD ist dabei ihr zentrales Kompetenzfeld, das der sozialen Gerechtigkeit, Preis zu geben. Die letzten Monate und Wahlen haben gezeigt: Das Problem der SPD ist ein inhaltliches - kein kommunikatives. Bei zentralen Reformmaßnahmen wird die soziale Ausgewogenheit in Zweifel gezogen. Ökonomisch ist ein Abbau der Arbeitslosigkeit nicht in Sicht. Die Akzeptanz sozialdemokratischer Politik ist auf dem Tiefststand. Noch nie hat eine Regierungspartei in der Mitte der Legislaturperiode einen solchen Mobilisierungsverlust hinnehmen müssen. Die Regierungsfähigkeit der Sozialdemokratie steht angesichts von verheerenden Umfragewerten und Wahlniederlagen auf dem Spiel.

Doch nicht nur das. Die Sozialdemokratie steht vor einer entscheidenden Weichenstellung: Schafft es die SPD noch als Bindeglied großer gesellschaftlicher - und vor allem arbeitnehmerischer - Milieus zu wirken oder nicht? Bleibt die SPD eine große, ja linke Volkspartei oder erleben wir eine Zersplitterung der Linken wie in vielen anderen europäischen Ländern auch? Wird die Linke mit einer geschwächten SPD auf Jahre hinaus handlungsunfähig?

Die Bindekraft der SPD wird nur Bestand haben, wenn es gelingt eine Vision zu entwickeln, wie sozialer Fortschritt in Zeiten der Globalisierung gerecht gestaltet werden kann. Und sie wird nur Bestand haben, wenn diese Vision gemeinsam mit den Gewerkschaften entwickelt und vorangetrieben wird.

Für einen solchen Zukunftsdiskurs bedarf es keiner "Wahlalternative" und auch keinen neuen Populismus. Dazu ist der Mut zwischen SPD und Gewerkschaften notwendig, wieder aufeinander zu zugehen und gemeinsam Positionen zu entwickeln. Dies wird nicht automatisch geschehen. Dazu bedarf es Initiativen, Netzwerke und Diskursräume weit über Organisations- und Parteigrenzen hinaus. Ziel muss es sein, das derzeit brachliegende, zum Teil desorientierte und deprimierte Wählerpotenzial, das sich neben der SPD auftut, wieder für die linke Volkspartei zu gewinnen. Andernfalls wird auf Jahre hinaus dieses Potenzial in der Enthaltung versinken - oder aber von Rattenfängern mobilisiert.

Die andere Volkspartei hat ihr Potenzial weitestgehend ausgeschöpft. Mit ihrer marktradikalen Programmatik schaffen sie es nicht, neue Wählerschichten an sich zu binden. Das ist auch gut so. Die wichtigste Botschaft dieser Tage lautet deshalb: Die SPD und auch die Gewerkschaften haben ihre Zukunftsfähigkeit selbst in der Hand.

Agenda 2010 - Der Spalt wird sichtbar

Kaum etwas macht den aktuellen Spalt zwischen der SPD und den Gewerkschaften so sichtbar wie die Agenda 2010. Mit der am 14. März 2003 verkündeten Regierungsagenda wollte Gerhard Schröder einen Schlussstrich unter die chaotischen Regierungsarbeit ziehen, die nach der Bundestagswahl 2002 eintrat. Höhepunkt dieses Chaos waren die verlorenen Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen sowie die großen Verluste bei der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein. Die Agenda sollte ein Befreiungsschlag sein. Aber sie versagte. Nicht nur die Wähler wenden sich seit dem weiterhin konstant von der SPD ab, auch die Gewerkschaften können eine Politik gegen ihr Klientel nicht mittragen und wenden sich gegen die Partei. Dafür gibt es unter anderem zwei Ursachen:

Erstens ist der Inhalt der Agenda (bis auf wenige Ausnahmen) sozial ungerecht, belastet einseitig die Schwachen und wird darüber hinaus nicht erfolgreich sein. Ein Beispiel: Bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von über 30 Prozent in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns wird die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und die Minderung des neuen Arbeitslosengeldes II keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Diese Maßnahmen werden aber die Lebensqualität der Menschen und der ganzen Region nachhaltig verschlechtern. Statt zu Erkennen, dass 20 Jahre neoliberale Politik die Probleme erst recht verschärft haben und man staatlich gegensteuern muss, verfällt man lieber den Protagonisten des "Wir haben immer noch zu viel Staat, zu viel soziale Sicherheit und sind deswegen wirtschaftlich nicht erfolgreich".

Zum zweiten ist aber auch der Umgang der Partei mit der Agenda 2010 und ihren Inhalten Teil des Problems. Die Lehre aus dem Jahr 2003 lautet: Die Entmachtung der Partei - insbesondere an den Leitplanken Kommunikation und Politikentwicklung - hat eine Sinnkrise hinterlassen die schwer zu schließen sein dürfte. Der andauernde Ruf nach parteilicher Geschlossenheit, die nicht auf einer Basis gemeinsamer Inhalte zustande kam, sowie der ständige Aufbau politischer Drohkulissen haben viele Parteimitglieder deprimiert. Das heute, kaum ein Jahr danach, so viele - die beim Agendaparteitag 2003 ihre zustimmenden Hände gehoben haben - die beschlossenen Projekte kritisieren und nicht kommunizieren, ist ein Ergebnis dieser Entwicklung. Die jetzige Politik als alternativlos darzustellen, tut ihr übriges dazu. Diese Haltung lässt keinen Dialog zu, sie verhindert einen Prozess der Menschen mitnehmen kann. Zudem erschüttert sie das Vertrauen der politisch Aktiven in ihre Partei. Das Durchstimmen der Agenda 2010, der Umgang mit ihren Zweiflern und Kritikern, ist genauso schlimm, wie ihr Inhalt. Erst mit dem Projekt der Bürgerversicherung ist es wieder gelungen, Politikentwicklung und inhaltliche Diskurse zurück in die Partei zu holen.

II. Die Gewerkschaften aus Sicht eines SPD´ler

Wie alle Großorganisationen haben auch die Gewerkschaften Probleme organisatorischer und inhaltlicher Bindekraft. Ebenso wie die SPD haben die Einzelgewerkschaften mit massiven Mitgliederverlusten zu kämpfen. Interessant in der aktuellen Situation ist, dass sowohl diejenigen, die in der Mehrheit für die Agenda 2010 sind, als auch diejenigen, welche gegen die Politik der Bundesregierung mobilisieren, Mitglieder verlieren. Dies ist als ein erstes Anzeichen dafür zu werten, dass linke Volkspartei und Gewerkschaften ähnliche, ja mit aus gleichen Ursprüngen resultierenden Problemen konfrontiert sind. Denn der gesellschaftliche und ökonomische Wandel untergräbt die bisherige Form politischer Interessensvertretung. Innerhalb der Unternehmen sehen sich die Gewerkschaften mit immer mehr Druck auf die Beschäftigten konfrontiert. Die ökonomische Krise, vor allem aber auch Profitstrategien multinationaler Konzerne verschärfen die internationalen Wettbewerbsbedingungen, meist ohne das sich Gewerkschaften in ausreichendem Maße dagegen wehren können. Die daraus entstehenden Repräsentanzprobleme treiben einen immer schwerer wiegenden Keil zwischen die einzelbetriebliche Ebene und die Politik der Gewerkschaften. Der Druck, welcher von Unternehmensseite ausgeübt wird, produziert gespaltene Realitäten: Im Einzelbetrieb wird konstruktiv mit der Unternehmensführung zusammengearbeitet, während nach außen die "Klassenkampf-Rhetorik" geübt wird. Bei Siemens konnte die Unternehmensführung in zwei Werken in Nordrhein-Westfalen erfolgreich die 40-Stunden-Woche erpressen, während die Beschäftigten bei DaimlerChrysler ihrem Vorstand erfolgreich die Stirn bot. Diese "gespaltene Realitäten" müssen offen thematisiert werden. Das würde aber bedeuten, einzugestehen, dass auch die Gewerkschaften mit inhaltlich-strategischen Problemen konfrontiert sind, die sie zumindest kurzfristig nicht auflösen können. Ein solcher Diskurs würde auch den Verständnisraum verbreitern, für die Konflikte, die sich innerhalb der SPD auftun. Denn gespaltene Realitäten und Persönlichkeiten sind auch in der SPD vorzufinden.

Verständnis dafür zu schaffen, dass SPD und Gewerkschaften gemeinsame Konflikte zu bestehen haben, würde zu der Schlussfolgerung führen, dass beide die inhaltlichen und strategischen Zukunftsfragen gemeinsam zu bearbeiten haben. Reformfelder sozialen Fortschritts in neuen Zeiten zu erkämpfen, würde erst einmal bedeuten, diese zu benennen. Das haben auch die Gewerkschaften zu lange vernachlässigt. Die Jahre 2003 und 2004 haben sie auf diesem Weg sogar zurückgeworfen. Denn die Politik der Bundesregierung und das taktische Vorgehen der Gewerkschaften selbst hat sich innerhalb der Organisation eine Abwehrhaltung über alle Ebenen hinweg breitgemacht. Diese - politisch zweifelsohne notwendige - Abwehrhaltung hat allerdings eine Debatte um gesellschaftliche Reformprojekte nach der Agenda 2010 zunichte gemacht. Wo sind zum Beispiel die vielen fruchtbaren Ansätze geblieben, welche in der IG Metall Zukunftsdebatte diskutiert worden sind? Diese Fäden wieder aufzugreifen, wäre mehr als sinnvoll. Es würde die Gewerkschaften aus ihrer Defensivposition herausholen. Denn auch die Gewerkschaften müssen innerorganisatorisch und gesellschaftlich ein Klima für Veränderungen schaffen, in das sich linke Zukunftsprojekte einfügen können. Denn für die Gewerkschaften gilt ebenso wie für die SPD: Auch sie haben nicht nur ein Vermittlungsproblem, sie haben auch ein Akzeptanzproblem.

Die SPD aus Sicht eines Gewerkschafters

Wer von außen auf die SPD schaut, spürt eine gewisse Hilflosigkeit. Hilflosigkeit daher, weil es so viele Handlungsfelder gibt, die es anzugehen gelte. Man muss sich hier allerdings auf ein einzelne Bereiche konzentrieren. Zum einen ist es diese Mutlosigkeit, die von zu vielen SPD-Politikern ausgeht. Statt das politisch Richtige zu tun, wird über die Probleme der Umsetzung debattiert. SPD-Politik wird nur noch als gefälliger Begleiter der Wirtschaft, nicht als Gestalter der Gesellschaft wahrgenommen. Sie agiert nur noch im Praktikablen, macht nur noch was geht. Eine Vision, ein größerer Zusammenhang ist nicht erkennbar. Des weiteren schreckt das Tempo des Wechseln von Inhalten. In nur einem Jahr werden Parteitagsbeschlüsse und -programme über den Haufen geworfen und das Gegenteil ihrer Inhalte in der Regierungspolitik umgesetzt. Ob die Positionen schon immer falsch waren oder sie zur Zeit einfach nicht realisierbar sind, ist ungeklärt. Es rächt sich nun, dass 1999 Partei und Gewerkschaften sich nur kurz mit dem Blair-Schröder-Papier auseinandersetzten. Ohne parteiinterne Diskussionen und dazugehörigen Beschlüssen wird der "Dritte Weg" durch Regierungshandeln umgesetzt. Die Top-Down-Politik hat obsiegt. Dies führt zum nächsten Kritikfeld. Es ist schon erschreckend, wie die Partei und die Parteiführung mit Kritikern und Zweiflern umging. Statt sie mitzunehmen, wurden sie vor dem Kopf geschlagen, ihre Argumente in den Wind geschlagen und der einzelne Kritiker wurde pauschal verurteilt, dass er die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt habe. Wer so mit Minderheiten umgeht, der darf sich nicht wundern, wenn genau diese ihm den Rücken kehren. Die Massenaustritte im letzten Jahr machen dies deutlich. Am schwerwiegendsten trifft aber der eklatante Unterschied zwischen Theorie und Praxis, zwischen Parteitagsbeschlüssen bzw. Wahlprogrammen und Regierungshandeln. Der Erhöhung der Arbeitszeit für die Beamten, die Kündigung der Arbeitszeittarifverträge im öffentlichen Dienst der Länder, die Verschlechterung des Kündigungsschutzes und die Kürzung des neuen Arbeitslosengeld II sind nicht vereinbar mit der verabschiedeten Programmatik der Partei.

Es wäre aber zu einfach, dies als SPD zu beschreiben. Die SPD ist mehr. Sie steht für Menschen, die sich vor Ort um die alltäglichen Problemen kümmern, sich für die Ortsumgehung einsetzen, für den Erhalt von kommunalen Arbeitsplätzen kämpfen und Stadt(teil)feste für die Menschen organisiert. Politiker die gemeinsam mit den Gewerkschaften über die Zukunft des Hafens oder des Gewerbegebietes diskutieren. Die für die Bürgerinnen und Bürger ein offenes Ohr haben, sich ihrer annehmen und versuchen ihnen konkret zu helfen. Es wäre gut, wenn diese Menschen wieder mehr Rücken- statt Gegenwind aus Berlin bekämen.

III. 16 Jahre Kohl - Gemeinsam "Nein"-Sagen

Es lohnt einen Blick darauf zu werfen, wieso - anscheinend mit einem Schlag - das Verhältnis zwischen der SPD und den Gewerkschaften von heute auf morgen in Frage gestellt wird? Eine jahrzehntelange gute Gemeinschaft, deren gemeinsame Traditionen oft betont, ja teilweise beschwört wurde und wird. Vielleicht ist es die Oberflächlichkeit, mit der diese Partnerschaft insbesondere in den letzten zwanzig Jahren gepflegt wurde. Statt die Probleme, die sich in den letzten Jahren der Schmidt-Regierung zwischen den Gewerkschaften und der SPD (aber auch die innerhalb der SPD ) herauskristallisierten, gemeinsam zu analysieren und neue, gemeinsame Antworten herauszuarbeiten, beschäftigten sich beide hauptsächlich mit sich selber. Die Gewerkschaften, an vorderster Front die IG Metall und die damalige IG Druck und Papier (heute Ver.di) kämpften für kürzere Arbeitszeiten, während gleichzeitig die SPD nach dem Ende der sozialliberalen Regierung ihre Wunden leckte und versuchte sich inhaltlich und personell neu aufzustellen. Gemeinsame Projekte und Diskussionen waren Mangelware. Eine Synchronisation zwischen den Partnern fand nicht statt. Dieses "Mono-Diskutieren" wurde durch den Fall der Mauer und der deutschen Einheit weiter verstärkt. Die Gewerkschaften konzentrierten sich auf die Tarif- und Betriebspolitik und kämpften hart um die Arbeitsplätze. Für die SPD kamen weitere Wahlen in den Kommunen und Ländern hinzu, nicht zuletzt die Bundestagswahl 1990, die deutlich verloren wurde. Die gemeinsame Klammer in der politischen Auseinandersetzung war das "Nein-Sagen". Dies war nie falsch, wenn CDU und FDP anfingen den Sozialstaat zu demontieren. Mit der Erfahrung des sozialliberalen Sparpakets 1996 folgte dann auch das letzte starke Zusammenrücken von SPD und Gewerkschaften. Das Bündnis für Arbeit wurde von der Kohlregierung nur für die anstehenden Landtagswahlen ausgenutzt. Nach den Wahlen und dem Scheitern des Bündnisses machte die Regierung sich zum Erfüllungsgehilfen der Arbeitgeberverbände. Nicht zuletzt auf Grund dieser Erfahrung sprachen sich die Gewerkschaften dadurch massiv wie selten zu vor für einen Politikwechsel mit Rot-Grün aus und investierten mehrere Millionen Euro in die Kampagne "Arbeit und soziale Gerechtigkeit". Aber auch der Wahlerfolg 1998 schaffte keine neue Allianz. Das jahrelang gemeinsame "Nein" war und ist zu wenig, wenn tragfähige Alternativen erarbeitet werden sollen.

"Parteifreiheit" in den Gewerkschaften

Der ehemalige Vorsitzende der IG Metall, Hans Mayr, soll Bewerber, die im Vorstellungsgespräch eine Parteizugehörigkeit verneinten, sinngemäß gefragt haben: "Wie willst du die Interessen der Arbeitnehmer in diesem Parlamentarischen System vertreten, wenn du nicht Mitglied einer Partei bist?" Er brachte es damit auf den Punkt. Gewerkschaften sind eigenständig und machtvoll. Über die Betriebs- und Tarifpolitik gestalten sie die Arbeitsbedingungen von Millionen von Arbeitnehmern. Für eine vollständige Vertretung reicht dies allerdings nicht aus. Das Parlament bestimmt weit über die Gestaltungskraft der Gewerkschaften die Regeln in unserer Gesellschaft. Die Grundlagen der Sozialversicherung, Arbeits- und Tarifrecht und das Bildungssystem sind durch Druck beeinflussbar, aber gestaltet wird es von den Parteien, die die Mehrheit im Bundestag haben.

Und genau in diesen Parteien engagieren sich immer weniger Gewerkschafter, beziehungsweise sind Mitglied. Dies gilt explizit für jüngere Gewerkschaftssekretäre/innen. Die Selbstverständlichkeit, dass hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre auch Mitglied einer Partei - in der Regel in der SPD - sind, ist damit obsolet. Aber nicht nur bei den Beschäftigten der Gewerkschaften ist eine Parteienthaltsamkeit zu erkennen. Immer weniger Betriebsräte und Vertrauensleute haben ein Parteibuch, von Partei-Betriebsgruppen ganz zu schweigen. Kontakte zu Abgeordneten oder Kreisvorständen kommen zu meist nur in betrieblichen Krisensituationen zustande. Dies hat neben der Arbeitsbelastung natürlich auch mit einer Unzufriedenheit mit der Arbeit der Parteien bzw. der Regierungen zu tun. Den Kritikern der Gewerkschaften im Betrieb wird allerdings entgegengehalten, dass sie sich ja einbringen können, die Gewerkschaften von innen verändern. Sie werden eingeladen die Gewerkschaft mitzugestalten, dadurch, dass sie sich einmischen. Bei den Parteien scheint den Gewerkschaftern dieses Selbstverständnis abhanden gekommen zu sein. Auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall im August 2003 warnte Berthold Huber: "Parteipolitische Abstinenz stärkt nicht unsere Positionen, sie schwächt sie. Wir müssen uns auch in die Entscheidungsprozesse der Parteien einmischen, wenn wir uns nicht zur Reparaturkolonne der Politik degradieren lassen wollen." Das Tagungsprotokoll verzeichnete Beifall. Hoffentlich war dies nicht die einzige Bewegung in dieser Sache.

Wie in der Ehe, das Auseinanderleben nicht Mitbekommen

"Wir haben einfach nicht mehr miteinander geredet. Und wenn doch, dann haben wir uns einfach nicht mehr zugehört!" Nicht wenige Paare ziehen am Ende ihrer Beziehung dieses Resümee: Mangelnde Kommunikation. Sich nichts mehr sagen und nicht mehr zu zuhören, ist Gift für die Beziehung. Auch in der "Ehe" von SPD und Gewerkschaften ist fehlende Kommunikation mit Schuld für die aktuellen Probleme. Nicht nur der Rückgang des ehrenamtlichen Engagements und das zunehmende Misstrauen gegenüber Großorganisationen hat es für jede Organisation für sich schon schwer genug gemacht. Für den Dialog miteinander reicht es nicht mehr. Die älteren Genossen und Gewerkschafter, für die eine beidseitige Mitgliedschaft und Mitarbeit, selbstverständlich war, wuchsen aus der politischen Arbeit heraus. Eine automatischer Nachwuchs blieb aus. Wer aber nicht miteinander redet, der versteht sich auch nicht mehr. Wenn in den Parteien (auch in der SPD) hauptsächlich nur noch Lehrer, Akademiker und Beamte Politik machen, dann ist ein Abrücken von klassichen Arbeitnehmerpositionen unvermeidlich. Erst recht, wenn diese Politiker in ihren Orts- und Kreisverbänden nicht auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stoßen, die ihnen das "wahre" Leben beibringen. Anders herum ist es unmöglich im Betrieb Sachzwänge, wie leere Kassen oder auch fehlende politische Handlungsmöglichkeiten bei kommunalen Problemen zu verstehen, wenn man nur über Politiker redet und nicht mit Ihnen. Die Erkenntnis, dass man den Dialog zwischen SPD und Gewerkschaften wieder verstärken muss, ja sogar mit klaren Strukturen unterlegen muss, ist nicht neu. Schon Anfang der 90er wollten Björn Engholm als damaliger SPD-Vorsitzender und sein Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing mit dem Programm "SPD 2000" eine neue Beteiligungs- und Diskussionskultur implementieren. Nach dem Rücktritt von Engholm und dem personellen Wechsel an der Spitze der Partei verschwand dieser Ansatz in den Schubladen der Parteizentrale. Viele Ehen konnten gerettet werden, weil beide Partner sich bewusst über ihre Probleme wurden und beide sich entschieden, wieder stärker miteinander zu reden, zu diskutieren und einfach wieder mehr miteinander zu machen.

Jugendbündnisse

Es gibt aber einige erfolgreiche Kooperationen und Initiativen auf die man für die Zukunft aufbauen kann. Im Bereich Ausbildung hat sich in den letzten Jahren zum Beispiel eine fruchtbare Kooperation zwischen jungen Gewerkschaften und den Jusos herausgebildet. Die jahrelange gemeinsame Kampagne für eine Ausbildungsumlage hat bei Gewerkschaftsjugend und jüngerer Sozialdemokratie zur gegenseitige Akzeptanz beigetragen und die Zusammenarbeit gestärkt. Allerdings bleibt zu befürchten, dass der unvollendete Erfolg der Kampagne durchaus auch zu Resignation beiderseits führt und die Quelle gemeinsamer Netzwerke versiegt. Die Ausbildungsthematik ist und bleibt ein wichtiger Kristallisationspunkt für beide Organisationen. Bei dem aktuell in der Novellierung befindlichen Berufsbildungsgesetz zeigt sich erneut diese Kooperationsbereitschaft. Bundesweit wurden verschiedene thematische Jugendbündnisse für eine fortschrittliche Reform gegründet. Solche Initiativen sind und bleiben wichtig, hängen jedoch entscheiden davon ab, wie sie vor Ort - im Land und in der Kommune - von Aktiven beider Organisationen aufgegriffen werden.

IV.

Wenn linke Politik wieder mehrheitsfähig gemacht werden soll - parlamentarisch wie gesellschaftlich - dann müssen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften wieder zueinander finden. Hierfür sollen ein paar Vorschläge unterbreitet werden, wie gerade auf der strukturellen Ebene Verbesserungen erfolgen können. Das notwendige zusätzliche inhaltliches Aufeinander zugehen, könnte dadurch erleichtert und untermauert werden.

Die Tradition als Chance erkennen - wieder miteinander reden

Wer über 100 Jahre Seite an Seite für eine bessere Gesellschaft gekämpft hat, wer dabei Bismarck, Weimar und das Dritte Reich überlebt hat, der darf dies nicht kampflos aufgeben. Die gemeinsamen Wurzeln von SPD und Gewerkschaften verpflichten beide Seiten zu einem Erneuerungsprozess. Auch wenn einige es glauben, beide können ohne den anderen nicht. Wie bei siamesischen Zwillingen, man kann sie trennen, aber das Leben nach der Trennung ist nie mehr wie vorher. Den Gewerkschaften wird der fehlende parlamentarische Arm vor die kaum lösbare Aufgabe stellen, Arbeitnehmerpolitik gleichberechtigt in die Parteienlandschaft einfließen zu lassen. Kurzzeitige Allianzen zwischen einzelnen Parteien und den Gewerkschaften können kurzfristig erfolgreich sein. Aber sie ersetzen keine dauerhafte Partnerschaft. Will die SPD (wieder) die Partei der sozialen Gerechtigkeit sein, braucht sie programmatische Unterstützung durch die Gewerkschaften. Zudem sind die Gewerkschafter auf Grund ihres täglichen Basisbezuges unverzichtbar für ein "hineinhorchen" in die Wählerschaft. In einer Medienlandschaft, die fast ausschließlich Konservative und Neoliberale unterstützt, ist die SPD zudem auf Partner angewiesen, die direkt am Wähler sitzen. Dies ist unabhängig davon, ob die SPD sich an der Regierung oder in der Opposition befindet.

Die Sprachlosigkeit, mit der sich Sozialdemokraten und Gewerkschafter heute häufig begegnen, resultiert zudem nicht nur aus politischer Entfremdung, sondern vor allem auch fehlender politischer Orientierung, ja Verzweiflung, nicht mehr gemeinsame Fragen aus veränderten Zeiten zu finden und Anforderungen abzuleiten. Gerade deshalb sind großspurig angekündigte Gewerkschaftsaustritte auf Seiten der SPD und Parteiaustritte auf Seiten der Gewerkschaften nicht nur kontraproduktiv, sondern ein Herausstehlen aus einer notwendigen Auseinandersetzung und Diskussion. Unkenrufe auf beiden Seiten helfen deshalb nicht weiter. Wer in der SPD meint, wir brauchen keine Gewerkschaften mehr, der muss die Frage beantworten: Auf welchen mobilisierungsfähigen Akteur außerhalb der SPD will man statt der Gewerkschaften setzen? Den BDI?! Und wer in den Gewerkschaften meint, eine starke SPD sei nicht notwendig, der muss die Frage beantworten: Ist eine Zersplitterung der Linken die Gewähr für eine sozialere, fortschrittlichere Politik? Beide Positionen sind strategische Sackgassen für die Durchsetzung einer linken, radikalreformerischen Politik.

Gemeinsamkeit kann man nicht verordnen. Gerade wenn man sich auseinandergelebt hat, reichen nicht Worte. Auch das alleinige Treffen der Spitzen, z. B. im Gewerkschaftsrat, wird kaum zu einer Verbesserung der Gesamtlage führen. In den aktuellen strategisch wichtigen Politikfeldern müssen gemeinsam Positionen und Alternativen erarbeiten werden. Dabei darf nicht das "Recht behalten" das Geschehen bestimmen, sondern vielmehr die gemeinsame richtige Position, die Diskussion darüber und das Bemühen um einen tragfähigen Konsens.

Gemeinsam an Alternativen zur aktuellen Politik arbeiten

SPD und Gewerkschaften müssen auf allen Ebenen gemeinsamer Arbeitsgruppen und Foren zu Zukunft des Steuersystems, der Kranken- und Rentenversicherung sowie der Bildungspolitik inklusive Forschung und Entwicklung einrichten. Darüber hinaus gibt es lokal und regional weitere bedeutsame Themen, in denen eine gemeinsame Erörterung sinnvoll erscheinen kann. Dafür ist ein neuer Diskussionsprozess notwendig. Eine neue Diskussionskultur. Kritik und Widerspruch müssen erlaubt, ja gar gewünscht sein. Start dieses Prozesses könnten Landeskonferenzen sein, in denen die oben genannten Themen in Workshops behandelt werden und die Teilnehmer sich zur Hälfte aus Gewerkschaftern und SPD`lern zusammensetzen. Aus den verschiedenen Gewerkschaftsräten konnten zudem Programmgruppen zu aktuellen Themen initiert werden.

Begegnungen organisieren

Gerade für jüngere Sekretäre und Betriebsräte, aber auch für junge Abgeordnete, Parteibeschäftigte und Jusos sollten gemeinsame Bausteine in der Aus- und Weiterbildung angeboten werden. Gegenseitige mehrwöchige Praktika im Willy-Brand-Haus bzw. der Fraktion oder in den Gewerkschaftszentralen und ihren Gliederungen könnten Einblicke in die Partnerorganisation geben. Auch könnten die Ausbildungsprogramme der Gewerkschaften (z.B. beim Trainee-Programm der IG Metall) und der Partei stärker miteinander verzahnt werden. Dies mit programmatischen Inhalten zu untermauern, wäre in einer gemeinsamen zukünftigen Vorgehensweise hilfreich.

Die Andersartigkeit anerkennen und akzeptieren

In einem gemeinsamen Prozess gilt es auch wieder zu lernen, dass die andere Seite "anders" ist. In der SPD sind nicht nur die klassischen Arbeitnehmer organisiert. Beamte, Lehrer, Rechtsanwälte, Richter und sogar Selbstständige bestimmen neben den "Arbeitern" die Politik. Zudem müssen SPD-Politiker in Parlamenten und als Regierungsvertreter Verantwortung übernehmen, quasi als Chef auftreten. Gerade, wenn "Mangel" verwaltet wird, führt das zu erheblichen Problemen mit den Gewerkschaften. Als Interessenvertretung der Beschäftigten stellen diese erst einmal naturgemäß deren Schutz in den Vordergrund. Es wäre ein gutes Stück einfacher, wenn beide Seiten diese Unterschiedlichkeiten wahrnehmen und in den politischen Prozess einfließen lassen würden. Wenn es um konkrete Probleme geht, wird die andere Seite sie nicht einfach in meinem Interesse lösen, nur weil es die SPD oder die Gewerkschaft ist.

Netzwerke junger Gewerkschaften: "Jugendgewerkschaftsrat"

Politik braucht Diskurse. Die schwindenden Parallelmitgliedschaften von GenossInnen und KollegInnen erschwert diese Diskussion. Es besteht die Gefahr, dass - fernab von tagespolitischen Auseinandersetzungen - sich SPD und Gewerkschaften kulturell, politisch und persönlich über den Generationenwechsel entfremden. Deshalb wird es mehr und mehr wichtig sein, Netzwerke zwischen den Jungen in SPD und Gewerkschaften zu schließen. Gerade auch weil viele jüngere Sozialdemokraten und Gewerkschaften erkennen, dass der derzeitige Konflikt zwischen beiden Organisationen auch ein überholter Grabenkampf einer verkämpften Generation ist, bedarf es eines neuen, sozialdemokratisch-gewerkschaftliches Bündnis für sozialen Fortschritt.

Die Jusos haben dazu mit zahlreichen jüngeren Gewerkschaften eine Initiative für ein Netzwerk "Jugendgewerkschaftsrat" gestartet. In den kommenden Wochen und Monaten wird es darauf ankommen, diese Initiative in beiden Organisationen zu verankern und Diskurse über den Tag hinaus anzustoßen. Auf beiderlei Seiten ein Verständnis für unterschiedliche Organisationskulturen, aber auch politische Herangehensweisen zu erzeugen, sowie tradierte und blockierende Logiken und Handlungsweisen zu hinterfragen, wird dabei fundamental wichtig sein. Gleichzeitig wird es zur strategischen Herausforderung für alle, ein solches Netzwerk nicht zum "old-boys-network" verkommen zu lassen, sondern einen offenen und projektorientierten Diskursraum zu etablieren. Bei dem Engagement zudem auch junge Frauen angesprochen werden.

Fazit

Diese Beispiele zeigen: Gewerkschaften und SPD werden gebraucht - sie werden gemeinsam gebraucht. Die Zukunftsaufgaben der Linken werden vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und ökonomischer Umbrüche nicht weniger, sondern umfangreicher. Dem müssen sich KollegInnen und GenossInnen dann aber auch gemeinsam stellen. Eine Zersplitterung der Linken würde nur den Marktradikalen den Weg bereiten. Gerade deshalb bringt es auch nichts, sich dieser Auseinandersetzung durch Partei- oder Gewerkschaftsaustritt zu entziehen. Ohne mobilisierungsfähige Gewerkschaften kann die SPD keine linke Reformpolitik durchsetzen. Und ohne eine starke SPD sind die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Interessensvertretung begrenzt.

An das tradierte Verhältnis von SPD und Gewerkschaften werden neue Fragen gestellt. Diese Fragen zu beantworten oder sich zumindest auf die gleichen Fragen zu verständigen, wäre die zentrale Aufgabe von Gewerkschaftern und Sozialdemokraten der nächsten Generation. Wenn dies nicht gelingt, birgt das Verhältnis beider Organisationen auf Dauer eine gefährliche Sprengkraft. Die Implosion aber gilt es zu verhindern.