Wissenschaft oder Dummheit

Die Zerstörung der wissenschaftlichen Rationalität durch Hochschulreform

in (20.11.2004)

Das Studium an den Universitäten und Hochschulen dient vorwiegend der Ausbildung und der zukünftigen beruflichen Praxis der wissenschaftlich Gebildeten...

Der Maßstab einer kritischen Auseinandersetzung mit der jüngeren Hochschulentwicklung sollte nicht die in der Tradition des deutschen Idealismus stehende Vorstellung sein, die Universitäten seien allein der Wissenschaft als Selbstzweck verpflichtet. In ihnen reiben sich seit dem 19. Jahrhundert notwendigerweise die Ansprüche der höheren Berufsausbildung und der Wissenschaft. Doch das ist nicht die einzige dauerhafte Konfliktlinie. Eine andere durchzieht die Wissenschaft selbst. Denn die Ausrichtung auf Berufsausbildung hat Rückwirkungen auf das wissenschaftliche Wissen. Es dient der Herrschaftsausübung: es wird das Sachwissen und die Form des Wissens erarbeitet und vermittelt, das diejenigen benötigen, die in Wirtschaft, Politik, Verwaltung Aufgaben des Kommandos, der Führung, der Hierarchie und des Gewinns wahrnehmen, die sich in hohen und Herrschaftspositionen reproduzieren. Herrschaft unter kapitalistischen Bedingungen wird mittels Wissen ausgeübt. Dies zieht die wissenschaftliche Rationalität in Mitleidenschaft. Wissenschaft wird auf ein formales Rüstzeug der Beweisführung reduziert; das Wissen wird zum objektivierenden und von der Erfahrungen abgespaltenen Wissen, wertneutral und ohne reflexiven Einbezug der Praxis dieses Wissens selbst. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob hochschulpolitische Entwicklungen zur Demokratisierung nicht nur der Hochschule als Institution, zur sozialen Öffnung, größerer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, sondern auch zur Demokratisierung des Wissens selbst führen.

Angesichts einer neuen Stufe der technokratischen Hochschulreform sollten also nicht hehre humanistische Bildungsideale beschworen werden, die seit mehr als einem Jahrhundert schon überholt sind. Vielmehr ist die wissenschaftsfeindliche Tendenz zu kritisieren, die die hoch Ausgebildeten zu bekennenden Funktionsträgern der Macht werden lässt, die sich für die Komplexität der Gesellschaft blind und taub machen. Es ist keine neue Erkenntnis, dass mit der Verwissenschaftlichung der Produktivkräfte sich auch der Charakter der Wissenschaften geändert hat. Diese sind - wie der SDS bereits in seiner Hochschuldenkschrift von 1961 vertrat - grundlegend Bestandteil des gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozesses geworden. Strikt erfahrungswissenschaftlich ausgebildete Wissenschaftler wie Ökonomen oder Ärzte könnten, so Habermas schon 1963, in einem technisch-verfügenden Sinn mehr als Wissenschaftler in den Jahrzehnten zuvor. Es komme also zu einem wissenschaftlichen Fortschritt in der Dimension der Beherrschung manipulierbarer Vorgänge, gleichzeitig aber - Habermas konnte sich hier auf vom Institut für Sozialforschung während der 1950er Jahre durchgeführte Studien stützen - werde geklagt, dass solchen positivistisch orientierten, bloß technisch-instrumentalistisch ausgebildeten Akademikern die Fähigkeit abgehe, sich auf das Handeln zusammenlebender Menschen angemessen zu berücksichtigen. Daraus zog Habermas die Schlussfolgerung, dass Wissenschaft nicht mehr bilde.
"Einst konnte Theorie durch Bildung zur praktischen Gewalt werden; heute haben wir es mit Theorien zu tun, die sich unpraktisch, nämlich ohne auf das Handeln zusammenlebender Menschen untereinander ausdrücklich bezogen zu sein, zur technischen Gewalt entfalten können" (Habermas 1981: 105).

Seit den 1960er Jahren wurde versucht, die Hochschulausbildung an die Logik bloß technisch-instrumentalistischer Kompetenzen anzupassen: berufsbefähigender Studienabschluss (heute der BA), Aufbaustudium für an Forschung interessierte Studierende (heute der MA), Auswahlverfahren derjenigen, die zum Aufbaustudium zugelassen werden (in der aktuellen Diskussion noch ergänzt um die Auswahl der Studierenden gleich zu Beginn des Studiums), Begrenzung der Studienzeit (damals wie heute 8 bis 9 Semester, danach Zwangsexmatrikulation, heute Studiengebühr). An diesen Vorschlägen des Wissenschaftsrats von 1966 lässt sich erkennen, dass es eine historisch übergreifende Tendenz der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaftsverwaltung und schließlich auch vieler Hochschullehrer zur technokratischen Hochschulreform gibt, deren Mittel und Ziele erstaunlich konstant sind.
Erstaunlicher noch als die beharrliche Tendenz ist, dass sie sich trotz allem nicht in dem gewünschten Maße durchsetzen ließ. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass es in den 1960er Jahren einen heftigen Protest gegen die technokratische Hochschulreform gab, der zu einem breiten Bündnis führte, das sozialistische und sozialdemokratische Strömungen ebenso umfasste wie liberale und sich auf die proklamierte wirtschaftliche Notwendigkeit stützen konnte, sog. Bildungsreserven für eine sich modernisierende Volkswirtschaft zu erschließen. Um ein solches Interesse konsensfähig zu machen und ein Bündnis herzustellen, kam es zu der Formel von der Bildung als Bürgerrecht, die ernsthaft und mit Überzeugung wahrscheinlich nur von wenigen Kräften vertreten wurde. Schon bald, mit den ersten Anzeichen der Wirtschaftskrise Anfang der 1970er Jahre rückte auch die SPD - mit wenigen Ausnahmen - vom Ziel einer demokratischen Hochschule wieder ab: Studienförderung, Stipendien, Betreuungsverhältnisse - all dies wurde durch die einsetzende Sparpolitik entschieden unter Druck gesetzt.

Insgesamt aber gab es an den Hochschulen und in der Politik Kräfte, die dem technokratischen Streamlining entgegenstanden. Heute, mit dem neoliberal konzipierten Umbau der Gesellschaften, erscheinen dafür die Bedingungen günstiger. Kritische Strömungen an den Hochschulen sind geschwächt. Für die Öffnung der Hochschulen gibt es weiterhin einen Bedarf, aber das zu fordern ist nicht mehr so spektakulär wie in den 1960er Jahren und wird der erklärten Absicht nach von allen Kräften geteilt. Auch wenn die selektiven Strukturen des deutschen Bildungssystems nicht wirklich geändert werden, ist das wohlfeile Bekenntnis dazu, die vorhandenen Begabungsreserven für das Wohl Deutschlands bis zum letzten Mann und zur letzten Frau zu erschließen, weit verbreitet. Waren die technokratischen Reformpläne nicht direkt durchsetzbar, so wurde offensichtlich mit den Vereinbarungen des GATS und mit der Absprache von Bologna, die eine Privatisierung und Vereinheitlichung auch der Hochschulausbildung durchführbar machen, ein Weg gefunden. Denn die Globalisierung darf genauso wenig wie die europäische Integration in Zweifel gezogen werden: im ersten Fall soll es sich um einen unveränderbaren Sachzwang handeln, im zweiten Fall wird behauptet, dass es sich um eine den Nationalismus überwindende Perspektive zum Wohle der Menschen in Europa handele, die durch die Integration vor den Risiken der Globalisierung geschützt würden. Dabei setzen sich die Härten der Globalisierung in Europa als Europäisierung um - und die Globalisierung ist selbst ein von der EU forciertes Projekt.
Vieles von dem, was Habermas, der SDS und andere Kritiker in den 1960er Jahren dem Projekt der technokratischen Hochschulreform entgegenhielten, ist heute so aktuell wie damals. Heute wie damals geht es nicht um die Beschwörung eines idealistischen Bildungskanons, sondern darum, ob die Ausbildung an den Hochschulen selbst gut ist - gut in einem wissenschaftlichen Sinn, mit Blick auf die zukünftige Berufspraxis, auf die habituellen Eigenschaften der Individuen, ihre Reflexivität, ihre Fähigkeit zur Kritik und zur egalitären Teilnahme an einer demokratischen Gesellschaft.

Wissenschaftlichkeit als Habitus
Bei wissenschaftlicher Ausbildung geht es auf der ersten Stufe um die Vermittlung und Aneignung von Wissen. Doch Wissen ist ein Verhältnis, das auch das Verhältnis zu diesem Wissen einschließt. Ein Gradmesser für den Stand der universitären Ausbildung ist, ob die Studierenden über diese mechanische Aneignung des Wissens hinausgelangen, das ihrem Alltagsverstand wie ein Fremdkörper als ein legitimes Wissen hinzugefügt wird, das sie aber verachten, weil es ihnen wie die Schulwissen nur Anstrengung abverlangt. Ein Wissen, das sie akzeptieren, solange es ihren konventionellen Vorstellungen entspricht - etwa wie bei jenem Studenten, der in einer Mailingliste zu Kritischer Theorie gegen Marx das "Argument" vorbrachte, dieser sei nicht überzeugend, weil er nicht an Gott glaube -, das sie ablehnen, wenn es sich gegen diese wendet und kritisch bearbeitet.

Wissensaneignung ist ein aktiver Vorgang. Wissen wird nicht gleichsam neutral konsumiert, so dass es nach dem Konsum verzehrt und der Vorgang gleichsam abgeschlossen wäre. Wissen wird im Prozess der Aneignung nicht verbraucht, sondern re-produziert, also erzeugt, erhalten, umgearbeitet, erweitert. Etwas gilt als Wissen, weil es gesellschaftlich als Wissen definiert ist - ein Wissen kommt nicht allein. Es lässt sich als Wissen aneignen, weil die Individuen schon über Wissen verfügen, sich Relevanzkriterien und Koordinaten angeeignet haben, die ihnen helfen, neugierig zu sein, vorhandenes und neues Wissen zu erschließen, es eigenständig zu reproduzieren und schließlich auch kreativ weiter zu entwickeln. Diese Gesellschaftlichkeit und Dialogizität des Wissens hat für das Individuum eine wichtige Konsequenz. Auch noch in der Form einer ganz simplen technisch-mechanischen Ausbildung ist das Moment der Formierung des Individuums enthalten - in diesem Grenzfall wird das Individuum selbst die Bildung nur als bloße Anwendung ohne die Erfahrung der freien und kreativen Intellektualität praktizieren. Immer, in wie reduziertem Maße, bildet sich die Fähigkeit der Welterschließung; am negativen Pol bleibt diese eng begrenzt und stützt sich hilfesuchend auf autoritative Vorgaben, am positiven Pol entfaltet sich die Fähigkeit zu komplexer Erkenntnis und freiem Umgang mit der "Welt", eine Fähigkeit, die als Autonomie bezeichnet wird und die Gestaltung dieser "Welt" mit einschließt. Das Wissen geht also - wenn auch in unterschiedlichem Maße - in die Orientierungen der Individuen ein und wird ein konstitutives Element ihrer Identität. Es prägt ihre Haltung, ihre Neigungen, ihre Fähigkeit zur Erschließung, Ausdeutung, Aneignung und Gestaltung von "Welt". Bildung durch Wissenschaft meint in diesem Sinn die Fähigkeit, sich reflexiv, offen und kommunikativ, lernend, problemorientiert, kritisch und fallibilistisch zu verhalten: das, was ich jetzt für richtig halte, könnte sich im Licht neuer Einsichten, Tatsachen, Überlegungen als falsch erweisen; Diskussionen mit anderen tragen zur Identität der eigenen Person bei und können sie auf überraschende Weise verändern, indem sie die Relevanzgesichtspunkte, die Maßstäbe, die Themen, die Haltung verändern. In der Logik und Dynamik von wissenschaftlicher Bildung ist impliziert, dass wir ein fachspezifisches Wissen und die damit verbundenen Muster fachlicher Orientierung gleichfalls in der Lage sind zu problematisieren - bis hin zur wissenschaftlich grundlegenden Frage danach, welche Bedeutung ein besonderes fachliches Wissen im Zusammenhang mit anderem Wissen und gesellschaftlichen Prozessen und ihren Problemen hat. Wissenschaftliche Bildung meint also nicht die mechanische Kenntnis eines für legitim und für überlegen gehaltenen Wissens, das den Alltagsverstand abspaltet und unberührt lässt, sondern ein Wissen, das die Erfahrungen der Individuen begrifflich erschließt.

Es bedeutet, sich reflexiv der Erfahrung dieses Wissens, seiner Praxis ebenso zuzuwenden wie dem Alltagsverstand, aber nicht, um in ihm das Prinzip der Erkenntnis zu finden, sondern ihn fortzuentwickeln und zu befähigen, sich Argumente durch eigenes problemorientiertes Nachdenken oder durch systematische Forschung - also offene Kenntnisnahme der wissenschaftlichen Literatur und Diskussion zu einem Thema - zuzueignen, Probleme konsequent zu durchdenken und sich dabei nicht davor zu erschrecken, gegen Konventionen und Tabus zu verstoßen.
Diese Fähigkeiten sind nicht allein für diejenigen von Bedeutung, die in Wissenschaft und Forschung arbeiten - und mit dem positivistischen Wissenschaftsverständnis, das heute ja verbreitet vorherrscht, findet sie sich dort gar nicht so häufig. In einer verwissenschaftlichten Gesellschaft müssen auch diejenigen, die in Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Medien beruflich tätig sind, die Fähigkeiten besitzen, sich systematisch und gestützt auf wissenschaftliche Argumente komplexe Zusammenhänge zu erschließen. Nichts ist schädlicher als wissenschaftliche Halbbildung: also zu denken, das Studium diene nur dem Erwerb eines Diploms und dann komme das wirkliche praktische Leben, das mit Theorie nichts mehr zu tun habe. Wissenschaftliches Nachdenken abwehrend, glauben viele, zu wissen, was die Hochschule ist: abstraktes, schwieriges Buchwissen, das man mit dem Schritt ins Berufsleben ein für allemal hinter sich lassen könne. Das wird ihnen von Teilen der Wirtschaft ebenso wie von Professoren gleich auf der ersten Orientierungsveranstaltung zu Beginn des Studium ja so auch nahegelegt, denen wichtiger ist, deutlich zu machen, dass Hochschulen Schulen sind als der Möglichkeit nach Universitäten. Doch ist das eine gefährliche Haltung, im Prinzip wissenschaftsfeindlich und antiintellektuell, denn sie entspricht einem Mangel an Fähigkeiten zur systematischen und kommunikativen Problemlösung und im Umgang mit Komplexität. Vielleicht würde man sagen, dass sei kapitalkonform. Da jedoch der Produktionsapparat selbst komplexe Anforderungen stellt, ist das keineswegs von vornherein klar; und zudem muss eine kritische Perspektive daran interessiert sein, dass die Verantwortungsträger für komplexe Argumente offen sind und problembewusste und nicht allein korporative und destruktive Strategien verfolgen, wie sie mit der Orientierung am Shareholder Value verbunden sind. Das gilt auch für die Ausbildung demokratischer und kritischer Individuen - erklärtes Ziel der Hochschulgesetzgebung. Findet sich also eine solche halbgebildete Haltung bei Individuen, ist dies ein Hinweis darauf, dass die Hochschulbildung im Prinzip gescheitert ist. Die Individuen haben wohl ein Zertifikat erhalten, aber nichts oder wenig verstanden. Was sie erworben haben ist Halbbildung, die sie voller Ressentiment gegen die Hochschule und gegen die Theorie einstimmt - und die sie auch im Beruf dumm und zum konformen Instrument dessen werden lässt, was zu tun ist. Das Wissen selbst nimmt eine konformistische Gestalt an und erlaubt sich schon gar nicht, sich selbst, dem Denken und der freien Kommunikation zu überlassen. Sorgfältig werden die Tabus des Sagbaren verhängt: durch Begriffe, durch Verfahren, durch institutionelle Arrangements.

Neoliberale Halbbildung
Von solch einem Wissens- und Bildungskriterium aus möchte ich auf einige der Konsequenzen hinweisen, die die gegenwärtigen Veränderungen der Hochschulen mit sich bringen. Zu befürchten ist, dass die aktuellen Veränderungen der Wissenschaftlichkeit schaden und eine Haltung kalter, neoliberaler Halbbildung gefördert wird. Obwohl Reformen dringend notwendig und sinnvoll sind, werden die gegenwärtig verfolgten Pläne, die Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen, Studienzeitverkürzung, Studiengebühren, Umstellung auf BA- und MA-Studiengänge, Förderung von Spitzenuniversitäten vielfach kontraproduktiv wirken, zu einer weiteren Aushöhlung und Verschulung der Hochschulen führen und gerade damit das schädigen, wofür sie institutionell eigentlich geschaffen und aufrechterhalten werden: die Wissenschaften und ihre Qualität. Besonders lässt sich dies auch an den Überlegungen zur Bedeutung von Spitzenwissenschaft und Spitzenuniversitäten festmachen.
Die Reorganisation des Studiums umfasst mehrere Ziele. Das Studium soll früher aufgenommen und kürzer werden. Absicht ist es, dass die Hochschulreife ein Jahre früher erworben wird. Liegt die durchschnittliche Studiendauer heute bei etwa 12-13 Semestern, so soll sie auf 8-9 Semestern gesenkt werden. Damit verjüngen sich die Absolventen, die Hochschulausbildung wird billiger - und relativ um so mehr, wenn auch noch die Lebensarbeitszeit ausgedehnt wird. Studiengebühren sollen den Druck erhöhen und zu Kostenbewusstsein und zu einem disziplinierten Studienverhalten führen. Ein gerafftes und an einem berufsbefähigenden Abschluss orientiertes Studium verspricht auch, ein anderes Problem zu lösen. Die Rate der Studienabbrecher ist hoch (im Bundesdurchschnitt etwa 25%) und kann je nach Bundesland, Hochschule und Studienfach bis zu 75 Prozent und höher reichen. Dies wird häufig mit falschen Studienorientierungen, mit einer von der Hochschule verschuldeten Desorientierung der Studierenden oder dem Desinteresse an ihnen erklärt. Das ist für die Hochschulen teuer, weil sie auf höhere Zahlen von Studierenden ausgelegt sind, als tatsächlich studieren. Studiengebühren sollen hier eine abschreckende Wirkung erzielen und dazu führen, dass die Zahl der "Karteileichen" sinkt, also derjenigen, die wegen einer Reihe von Vergünstigungen wie Semesterticket oder Krankenversicherung eingeschrieben sind. Die hochschulpolitische Diskussion zielt also nicht darauf, für diese Studierenden das Studium attraktiver zu gestalten: durch Freiräume kreativen Lernens, durch finanzielle Absicherung, gute Betreuungssituationen und überschaubare Lehrveranstaltungen. Unter dem Anschein der Chancengleichheit werden de facto die sozial selektiven Auswahlmechanismen bis in die Hochschulen hineingetrieben. Doch kommt es nicht nur darauf an, wie viele eines Jahrgangs Studierende werden, wichtiger noch ist, diese Studierenden dann auch zu einem Studienabschluss zu motivieren. Dem steht entgegen, dass viele der Studierenden quasi Erwerbstätige sind, um das Studium finanzieren zu können. Gelegentlich wird die Ursache für die Erwerbstätigkeit in den Präferenzen der Studierenden gesehen, die am hohen Konsumniveau teilhaben, sich also nicht auf die Askese des Werkstudententums der 1950er Jahre einlassen wollen. Zum einen dürfte dem ein wirklicher materieller Bedarf entsprechen; zum zweiten stellt sich für viele Studierende der Sachverhalt wohl auch so dar, dass es zwischen Studienphase und Berufsleben ohnehin keine relevante Differenz mehr gibt, so dass auch der Verzicht als nicht sinnvoll gilt. Dies ist um so mehr der Fall, wenn die Öffentlichkeit das Studium immer weniger als eine gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeit begreift, bei der die Studierenden eigentlich unterstützt werden müssten.

Während die Bildungsrendite sinkt, gilt heute nicht mehr, dass Studierende gefördert werden und alle die reale Möglichkeit der Bildung haben sollen. Gerade, wo die Bildungsexpansion gewisse Erfolge zu haben scheint und endlich Angehörige der unteren Mittelklasse und der Arbeiterklasse studieren konnten, wird der Sachverhalt in der aktuellen politischen Rhetorik umgekehrt und zum Anlass für Vorwürfe im Namen der sozialen Gerechtigkeit erhoben: den Mittelklassen würde durch die Arbeiterklasse das Studium finanziert, dieses sei frei, während für den Kindergarten eine Gebühr gezahlt werden müsse. Anstatt nun auch die Kinderbetreuung kostenlos zu ermöglichen, werden entsprechende Maßnahmen ergriffen, solche materiellen Fortschritte rückgängig zu machen. Eine der Konsequenzen der Einführung von Studiengebühren könnte also ein Rückgang der Studierendenzahlen sein - es wird geschätzt, dass mit der Einführung von Studiengebühren für Langzeitstudierende in Nordrhein-Westfalen mehrere zehntausend Studierende das Studium abbrechen. Industrie und Finanzgewerbe rechnen ausdrücklich mit Studiengebühren und setzen sich für sie massiv ein (DIHT 1996; Foders 2003). Denn sie möchten als neue Produkte Bildungssparen oder Bildungsversicherungen anbieten, mit denen die Finanzierung in den Familien schon frühzeitig vorbereitet wird. Neoliberale Keynesianer versprechen selbstverständlich ein unterstützendes Stipendium (Wagner 2004). Doch das Stipendium ist ein restriktives Steuerungsinstrument, dass dem Staat das Mittel gibt, den Zugang zu den Hochschulen nach Belieben zu erweitern oder zu verengen - mit Demokratie und Wissenschaft hat das gar nichts zu tun. Für Angehörige der unteren und mittleren sozialen Klassen hat diese Entwicklung die Folge, mit erheblichen finanziellen Belastungen in das Berufsleben einzutreten - wenn sie überhaupt noch an das Studium denken können. Gerade für die Zeit des frühen Erwerbslebens mit eher niedrigem Einkommen entstehen damit große Verpflichtungen und Einschränkungen. Die Familiengründung und der Kinderwunsch werden vermutlich noch weiter in den Hintergrund treten. Dies liegt auch deswegen nahe, weil die Berufsbiographien auch weiterhin eher instabil bleiben, die Berufstätigkeit eine große Priorität hat und die Erwartungen der Arbeitgeber hoch sind und weil das Studium auf die Rente nicht mehr angerechnet wird und auch in anderen Hinsichten die Belastungen für die Individuen deutlich steigen, die sie einkalkulieren müssen: Krankenversicherung, private Altersvorsorge, Kosten für Kinderbetreuung, Schule, Freizeit (man denke an öffentliche Bibliotheken oder Schwimmbäder, die dem Rotstift zum Opfer fallen).

Mit Sicherheit wird dies zu Abwägungen führen, ob ein Studium hinsichtlich der Einkommensdifferentiale und der Beschäftigungssicherheit noch lohnt. Gleichzeitig wird man darauf immer weniger verzichten können, weil es gegen Arbeitsmarktrisiken immer noch besser schützt als andere Ausbildungen. Dies führt zu einem kostenbewussten, effizienzorientierten, instrumentalistischen Studienverhalten in den arbeitsmarktnahen Fächern. Ironischerweise wird dies als Kontrolle durch die Studierenden gelobt - als Konsumenten sollen sie etwas dürfen, was ihnen als demokratische Mitbürger der Hochschule immer verwehrt wurde. Das ökonomisierte Studienverhalten birgt die Gefahr, dass es sich von Wissenschaftlichkeit, vom Gegenstand und der Erfahrung komplexen, begrifflichen Denkens und Forschens immer weniger mehr packen lässt - denn inneres Engagement würde nur zur Verlangsamung führen.
Auf diese instrumentalistische Haltung, die häufig zu einem free-rider-Verhalten der Studierenden führt, reagieren die Hochschullehrer mit weiterer Verschulung der Lehrpläne, rigiden Lehrformen, abgepackten, "modularisierten" Lerneinheiten. In Erwartung, manche ihrer Probleme lösen zu können, greifen sie gleichsam freiwillig auf etwas zurück, was ihnen von oben ohnehin vorgeschrieben wird und erleichtern damit den herrschenden bildungspolitischen Kräften die Durchsetzung ihrer Reorganisationsstrategien. Obwohl die Studierenden das ihnen aufgeherrschte Selbstbild haben, sich clever zu verhalten, werden sie de facto um das Studium in zunehmendem Maß betrogen, und es wird sich bei ihnen aufgrund der abschreckenden Erfahrung, dass es auch an den Universitäten nur um langweilige Pflichtveranstaltungen, Scheine und Examina geht, eine antiakademische Haltung und wissenschaftliche Halbbildung breit machen. Diese kontraproduktive Wirkung wird durch zahlreiche Mechanismen, die gegenwärtig mittels Bildungspolitik in den Prozess der wissenschaftlichen Ausbildung eingefügt werden, noch verschärft. Einige davon will ich ansprechen.
a) Das Studium wird für die deutlich jüngeren Studierenden mit dem BA auf sechs bis acht Semester verkürzt. Es ist von vornherein auf einen berufsqualifizierenden Abschluss angelegt. Das ist selbst schon eine Botschaft, nämlich: nehmt die Hochschule als Lebenssituation nicht so ernst, die intellektuellen Erfahrungen hier sind nicht bedeutungsvoll, sie sind nur Mittel zum Zweck des Erfolgs auf dem Arbeitsmarkt.

Die Notwendigkeit eines kritisch-wissenschaftlichen Verständnisses der "Welt" wird nicht vermittelt - so bleibt der Alltagsverstand von einer manchmal guten Sachausbildung abgespalten, er bleibt naiv, häufig sogar religiös. Der Lehrstoff wird modularisiert, d.h. ziemlich rigide in einen vorstrukturierten, zielorientierten Lehrplan eingebaut und vielfach wiederholt. Den Studierenden wird die Erfahrung einer freien, akademischen, wissenschaftlich orientierten Diskussion faktisch vorenthalten. Alles spricht für eine Verstärkung der gegenwärtige Tendenz, dass die Studierenden 20 und mehr Stunden pro Woche belegen müssen. Daneben müssen sie noch Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen. Zu einer inhaltlichen Vorbereitung kommen sie nicht oder kaum. Eine ganz wesentliche Lernerfahrung können sie nicht machen, nämlich die freie, auf Inhalte zielende Diskussion mit ihren Kommilitonen. Dazu gehört auch die Erfahrung des impliziten Lehrplans, der häufig die Lehre der HochschullehrerInnen und die Interessen der älteren Studierenden lenkt, sich jedoch in den offiziellen Lehrveranstaltungen nicht direkt abbildet. Um diese informellen curricularen Kenntnisse zu bekommen - also: welche Autoren, Bücher und Aufsätze sind wichtig, welche Argumente sind bedeutsam, wer gibt die relevanten Stichworte? - fehlt die Zeit, einfach drauf los zu lesen und zu diskutieren; es fehlen Kontexte wie Tutorien oder Arbeitsgruppen. Es fehlt schließlich auch so etwas wie die Möglichkeit, eine Art Gegencurriculum zu entwickeln. Es gehört jedoch zu den fruchtbaren wissenschaftlichen Lernerfahrungen von Studierenden, dass sie selbst informelle Arbeitszusammenhänge bilden können, die die offiziellen Lehrveranstaltungen gleichsam nur noch als Anlaufstelle nutzen. Aus solchen Erfahrungen erwachsen langwirkende Impulse für das weitere Studium, die Forschung und den Beruf. b) In Zukunft sollen die Studierenden von den Hochschulen nach Gesichtspunkten ihrer Leistungsfähigkeit ausgewählt, Studienplätze deswegen auch international ausgeschrieben werden. Dies soll eine Verbesserung des Niveaus bringen, die Exzellenten sollen auf diese Weise in besonderer Weise gefördert werden. Gegen eine Förderung von Befähigten lassen sich keine sinnvollen Einwände erheben. Allerdings stellt sich die Frage danach, wie diese Förderung geschieht und nach welchen Kriterien welche Personen, zu welchem Zeitpunkt und in welchen Fachgebieten gefördert werden. Die Bundesrepublik hat ja schon seit langem eine Exzellenzförderung und macht damit keineswegs positive Erfahrung. Seit vielen Jahren werden die schulisch "Besten der Besten", also diejenigen mit den besonders guten Abitursnoten, in solche Studienfächer wie Medizin gelenkt. Dies würde ja nahe legen, dass die deutschen Universitäten besonders avancierte Forschung machen würden. Das ist faktisch jedoch nicht der Fall, faktisch wird vielmehr bei Eltern und Studierenden ein besonderer Ehrgeiz geschaffen, einen bestimmten Notendurchschnitt zu bekommen, um den Arztberuf wählen zu können. Der Arztberuf selbst war lange Zeit eine Art Lizenz, Geld zu drucken. Die erwarteten Einkommen führen zu einer Verzerrung bei der Rekrutierung, denn nun orientieren sich an diesem Fach auch diejenigen, die durch sehr gute Noten den Eindruck vermittelt bekommen, sie sollten dieses Fach studieren, weil es allein ihrer Leistungsfähigkeit zu entsprechen scheint. Daneben versuchen viele auch, von dem hohen symbolischen Wert zu profitieren, indem sie große Umwege und Mühen in Kauf nehmen: lange Wartezeiten bis zur Zulassung, Studium im Ausland etc. Ein Notendurchschnitt von 1,0 und dann die Entscheidung für ein Lehramtsstudium für Primarschule widerspricht der herrschenden Sicht auf die Hierarchie der Fächer. Die SPD hat den Begriff der Elite schnell fallen lassen. Doch "Elite" wäre ehrlicher. Denn genau darum handelt sich: Elite als die soziale Auswahl derer, die allein deswegen, weil sie oben sind, auch meinen, dass sie ein Recht darauf haben, und die sich glauben machen können, gut und spitze zu sein, weil sie die Definitionsmacht darüber haben, was gut und spitze ist.

Gerade an einem solchen Rekrutierungsmechanismus lässt sich ablesen, dass die Frage der besonderen Befähigung kompliziert ist. Denn die politische Aufmerksamkeit konzentriert sich gegenwärtig auf wenige Fachgebiete und Kompetenzen oder Begabungen - mehr oder weniger offen solche, die technologisch-naturwissenschaftlich von Bedeutung sind. Viele Kompetenzen humanwissenschaftlicher Fachgebiete, auch soziale Begabungen wie Schlichtungs- oder Friedensfähigkeit, kooperatives oder Kommunikationsverhalten werden wenig bedacht. Für die gesellschaftliche Organisation ist das allerdings keineswegs unwichtig. So zeigen Untersuchungen, dass Frauen, weil sie sich weniger riskant verhalten, die erfolgreicheren Anlegerinnen an der Börse sind und Unternehmen langfristig besser führen. Männliche Führungskräfte setzen auf riskante, monologische Entscheidungsstile und lösen Unternehmensprobleme dann auf Kosten von Belegschaften. Gerade deutsche Manager sind bekannt für ihre Neigung, den Shareholder Value durch Entlassungen zu steigern. Es ist in dieser Hinsicht interessant, dass zumeist nicht nach der Qualität der Ausbildung von Verantwortungsträgern in den Unternehmen gefragt wird, so als seien die Folgen der PISA-Studie nicht vielleicht auch hier festzustellen. Bei den bekannteren Managern scheint der Hinweis auf den Besuch eines bestimmten Internats oder einer international anerkannten Hochschule als Ausweis von Qualifikation zu gelten.
c) Bleiben wir noch für einen Moment bei diesem Gesichtspunkt der Spitzenförderung, dann stellt sich auch die Frage, was diese Art der Auswahl wohl für weitere Folgen haben wird. Spitzenuniversitäten wie Harvard oder Stanford erwerben sich ihren Ruf über lange Zeiträume. Sie verfügen über viel Geld und können sich deswegen renommierte Wissenschaftler auf dem Weltmarkt "kaufen". In der Folge solcher Investitionen aber muss eine Universität öffentlichkeitswirksam ihre Reputation stilisieren, sich also hochreden. Denn am Renomee hängt, dass Studierende viele hunderttausend Dollar bis zum Erwerb eines PhD bereit sind zu zahlen - in der Erwartung, dass sie aufgrund des Renommees der Hochschule tatsächlich auch entsprechende Berufspositionen erwerben können. Die Qualität wissenschaftlicher Inhalte dürfte auch hier nur eine untergeordnete Rolle spielen. Es langt der Effekt von des Kaisers neuen Kleidern: so lange nur alle glauben, dass Ivy-Ligue-Absolventen oder Hochschullehrer etwas Besonderes sind, wird sich dieser Effekt der Reputation wiederum auch einstellen. In der wissenschaftlichen Wirklichkeit führt dies häufig zu Enttäuschungen hinsichtlich des feststellbaren Niveaus von Studierenden und Professoren aus diesen Universitäten, berührt aber das durch komplexe Machtmechanismen erzeugte Definitionsmonopol dieser Universitäten auf gute Wissenschaft nicht wirklich. Wissenschaft wird übermäßig geprägt von Prätention, deren Geltung mittels der Macht der herrschenden sozialen Klasse durchgesetzt wird - die unter anderem herrschende ist, weil sie Definitionsmacht über Wissenschaft ausübt - und die in der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit monopolisieren kann - was aber mit der Wirklichkeit wissenschaftlicher Forschung und Diskussion wenig zu tun hat.
Zu bemerken ist allerdings auch, dass gute und Spitzenleistungen an solchen Universitäten tatsächlich möglich werden, weil es gute und stabile Umstände gibt. Gute Leistungen lassen sich nicht einfach planen, sie ändern sich nach Zeit, Ort und Personenkonstellation. Es braucht die Bereitschaft, auch Zeit und Geld zu verschwenden. Nicht nur Professoren sind wichtig, auch Mitarbeiter, auch Studierende - und das soziale und zahlenmäßig richtige Verhältnis zwischen ihnen. Manchmal sind es auch nur einzelne WissenschaftlerInnen, die für sich gute Arbeitsbedingungen brauchen. Es braucht stabile Arbeitsbedingungen, die Möglichkeit, sich ausführlich und mit langem Atem mit bestimmten Fragen und unter kontinuierlichen Einbeziehung der Studierenden auseinander zu setzen. An deutschen Universitäten jedoch werden Hochschullehrer immer mehr zu Lehrern, die standardisiertes Wissen vermitteln - und mehr noch wird dies mit der Modularisierung des Lehrstoffs der Fall sein. Der Effizienz wegen muss alles die didaktisch geeignete Form annehmen - so dass Didaktik zu einem Mittel der wissenschaftlichen Zensur wird, denn häufig sind Wissenschaftler umständlich und spleenig oder nicht zuletzt der Sache wegen auch schwer verständlich. Didaktik erlaubt auch dem letzten wissenschaftlichen Einfaltspinsel noch, mitzureden und aus seinem Unverstand eine Tugend gegen die Wissenschaft zu machen. Aber anderes ist schlimmer: Die ständig neu abverlangten Strukturpläne, Studienordnungen oder BA- und MA-Studiengänge, die mit großem Zeitaufwand von HochschullehrerInnen erarbeitet werden müssen, die Berücksichtigung immer neuer Benchmarks, der Aufwand an Verwaltungsarbeit, Drittmitteleinwerbung, die große Zahl der Studierenden, die betreut und geprüft werden müssen - und wegen der großen Zahl gleichzeitig nur schlecht betreut werden können -, die neu eingeführten Aufnahmegespräche, Gutachten und ein leerlaufender Veröffentlichungszwang schränkt die Möglichkeit der Wissenschaftler zur wissenschaftlichen Arbeit ein. Das alles spricht dafür, dem Zauber einer wenig greifbaren, auf öffentlichen Aufmerksamkeitsmechanismen beruhenden Reputation zu misstrauen, die sich auf wenige Universitäten oder Wissenschaftler konzentriert und damit verhindert, die Qualität in der vielfältigen Praxis wissenschaftlicher Arbeit überhaupt erst einmal wahrzunehmen, zu würdigen und dann auch zu fördern. Was es geben wird, und wofür auch schon plädiert wird, ist eine Spreizung, Ungleichheit und ein Wettbewerb unter den Hochschulen - mit allen negativen Folgen für die Wissenschaft selbst. Wenn es überhaupt noch Wissenschaft geben wird, angesichts der Fülle an extrafunktionalen Tätigkeiten und Verpflichtungen, die zur wissenschaftlichen Arbeit keine Zeit mehr lassen, dann nur noch für sehr wenige.
d) Die Art, wie das Thema der Spitzenförderung in Deutschland aufgekommen ist, führt sofort zu der Frage, wie das institutionelle Nebeneinander von ausgewählten und normalen Studierenden arrangiert werden wird. Auch die Ausgewählten durchlaufen wie die anderen den BA-Studiengang. Zunächst stellt sich die Frage, wofür sie ausgewählt werden - vielleicht sollte es Sinn machen, die Besten gar nicht für die Wissenschaft, sondern für die Schule, das Parlament oder die Wirtschaft zu rekrutieren. Oder will man ohnehin einfach sagen, dass nur die Besten eben die Besten für die Wissenschaft sind? Aber gibt es solche Besten an sich? Wieso weiß man dies schon zu Beginn des Studiums bei der Auswahl? Sind gute Schulnoten oder ein erfolgreiches Auswahlgespräch Zeichen für die Befähigung zu einer lebenslangen wissenschaftlichen Arbeit? Die Erfahrung lehrt, dass viele WissenschaftlerInnen erst im Laufe eines Denk- und Lernprozesses im Studium, manchmal sogar erst nach dem Studium, in sich die Neigung spüren, wissenschaftlich zu arbeiten. Diese Möglichkeiten werden abgeschnitten.
Wenn es sich um die Besten handeln sollte, dann ist eine weitere Frage, welche Gratifikationen sie bekommen, um sie zu motivieren und an den Universitäten zu halten: höhere Einkommen, stabile Beschäftigungsverhältnisse, gute Arbeitsbedingungen, höhere symbolische Wertschätzung? Wie jedoch können sie in der Wissenschaft gehalten werden, wo doch Wissenschaft an den Hochschulen kaum noch möglich und die Bezahlung relativ schlecht ist? Woher könnten für Wissenschaftler wohl solche Anerkennungen und förderlichen Arbeitsbedingungen kommen? An Geld wird gespart. Die symbolische Anerkennung wissenschaftlicher Arbeit fällt knauserig aus - es geht ja vor allem um ökonomische Gesichtspunkte: dem Standort und der Wettbewerbsfähigkeit dienen. So gesehen gewinnt man für die Wissenschaft zunächst diejenigen, die wirklich Spaß daran haben - denen allerdings der Spaß ausgetrieben wird durch immer mehr Belastung durch Verwaltung und Management - und solche, die eben einfach eines mittelmäßigen Jobs wegen bleiben, in der nüchternen Erwartung, dass sie anderswo nicht besser, sondern vielleicht schlechter dran wären: wissenschaftliche Sachbearbeiter. Die Diskussion erzeugt also keine Begeisterung für Wissenschaft und damit neue Begabung für diese Arbeit. Bei einer schlechten Rekrutierungskonstellation insgesamt können auch Spitzenuniversitäten wenig ändern: unter den Blinden ist dann auch schon der Einäugige König - aber ob das ausreicht, um gute Wissenschaft zu machen?
Verstärkt wird dies dadurch, dass die erste Studienphase auch die Interessierten und Befähigten in BA-, also berufsorientierte und damit wissenschaftsferne Studiengänge zwingt. Sie machen keine wissenschaftlichen Erfahrungen und verlieren wertvolle Zeit während der Formierungsphase. Zudem studieren sie in Lehrveranstaltungen zusammen mit denjenigen, die nicht ausgewählt, sondern zugewiesen werden oder eine Universität eben einfach wählen. Die institutionell derart Abgewerteten und Entmotivierten stellen sicherlich kein günstiges Lernumfeld dar. Dies wirft dann weitere Fragen auf: Werden die Exzellenten in besonderen Kursen zusammengefasst und isoliert von den Normalen? Wer sind die Hochschullehrer, die mit den besonders ausgewählten Studierenden arbeiten? Sind es selbst besonders qualifizierte Hochschullehrer - woran entscheidet sich deren Qualität: an Nobel- oder anderen Preisen, an Veröffentlichungen, an Drittmitteln und folglich an ihrer Networkingpraxis? Aber können sie hochqualifiziert sein, wenn sie unter Hunderten von BewerberInnen auswählen, wenn sie Drittmittel einwerben müssen, wenn sie keine Mitarbeiter und keine Sekretariate mehr haben, wenn sie Dutzende, wenn nicht Hunderte Seminar- und Prüfungsarbeiten korrigieren müssen? Wenn aber solche Hochschullehrer keine normalen Lehr-, Prüfungs- und Verwaltungsverpflichtungen mehr haben, was nötig ist, damit sie besonders qualifizierte Arbeit durchführen können, bedeutet dies eine Vergrößerung des Lehrkörpers oder aber eine stärkere Belastung der anderen, weniger renommierten. Dies muss aber zwangsläufig die Folge haben, dass schließlich hier das Niveau wegen der hohen Belastungen deutlich absinkt. Die Spitze wird zur Spitze in einem immer stärkeren Maße allein deswegen, weil die Mehrheit wegen Arbeitsüberlastung weniger leistungsstark sein kann. Dies wird zwangsläufig zu einer stärkeren Segmentierung der Hochschullandschaft führen, denn die Hochschullehrer und Studierenden, die den Ruf haben, zur Spitze zu gehören, werden diesen Mechanismus nutzen, um ihre wissenschaftliche Machtposition noch zu verstärken und institutionell zu untermauern. Denn nun kann ihnen gleichsam amtlich bestätigt werden, dass sie die Besten sind, einfach deswegen, weil sie die Professuren an den angesehenen Spitzenuniversitäten inne haben. Dies wird nicht zu produktiver Auseinandersetzung, sondern zu neidischer Konkurrenz führen, da die Unterlegenen kaum Anlass haben, bessere Leistungen, die auf ihre Kosten erzielt wurden, auch noch gutzuheißen. Und Häme wird sich einstellen. Denn die Spitze wird nicht Spitze bleiben. Ihr Spitzenniveau bemisst sich ja an der Zahl der eingeworbenen Drittmittel, der Zahl der Promotionen, der Zahl der Veröffentlichungen. Das alles bedeutet, dass die Wissenschaftler in immer stärkerem Maße zu Managern und Organisatoren werden. Sie lassen forschen, tun es aber kaum noch selbst. Diese Tendenz wird verschärft, weil sie wahrscheinlich auch die Auswahl der Studierenden selbst lenken müssen. Noch mehr ihres ohnehin knappen Zeitbudgets wird für Verwaltung beansprucht. Ihre Spitzenposition wird zunehmend eine, die auf administrativer und symbolischer Herrschaft, nicht auf der Qualität überzeugender Arbeitsergebnisse beruht.
Ein Beispiel für die paradoxe Lage ist die Juniorprofessur. Sie wurde eingeführt, um jungen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, den langen Weg zur Professur über die Habilitation zu vermeiden. Sie sollten die Möglichkeiten erhalten, als hochqualifizierte, innovative Wissenschaftler schon nach der Promotion eigenständig zu forschen, zu lehren und mit Mitarbeitern zu kooperieren. Plötzlich erscheint im Rückblick die Habilitation nur als schlecht, als deutscher Sonderweg. Dabei wird außer acht gelassen, dass Habilitation - bei allen Problemen, die sich mit ihr institutionell verbinden - immerhin die Möglichkeit schuf, tatsächlich eigene Forschung relativ unbeschwert von allzu vielen universitären Verpflichtungen durchzuführen. Die lange Dauer bis zur Professur hat häufig weniger mit der Habilitation zu tun als mit der Knappheit der Stellen. Denn die Zahl der Professuren an deutschen Hochschulen ist ja nicht mit der Zahl der Studierenden mitgewachsen. Es stellt sich die Frage, ob die Juniorprofessur hält, was sie verspricht. Dies scheint nicht der Fall zu sein (vgl. Keller 2004). Denn während mit der Arbeit an der Habilitation viel Zeit für Forschung blieb, sind Juniorprofessoren eingespannt in die umfangreichen Routinetätigkeiten wie Drittmitteleinwerbung, Verwaltung, Gremien, Berufungskommissionen, Lehre, Projektarbeit, Betreuung von Prüfungsarbeiten. Im Namen ihrer Autonomie werden junge WissenschaftlerInnen gerade gehindert, ihrer Forschungsarbeit nachzugehen; entsprechend ist kaum anzunehmen, dass von ihnen ein neuer Impuls für Wissenschaftlichkeit ausstrahlt.
e) Ein weiterer abträglicher Mechanismus ist der der Evaluierung. Evaluierung ist ein sehr zeitaufwendiger und kostenintensiver Prozess und führt zu einer neuen Art umfangreicher Bürokratisierung zu Lasten der Wissenschaft, zu einer Kontroll- und Zensurinstanz, die der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit Geld und Zeit entzieht. Hinzugerechnet werden muss zukünftig auch noch die Akkreditierungsbürokratie, die sich bei der Zulassung und Überprüfung von Studiengängen auch auf Evaluierungen stützt. Wie allgemein im Fall neoliberaler Politiken findet keine angemessene Erfolgskontrolle statt, die sich auch nur an die eigenen Kriterien halten würde - man denke an die neoliberalen Experimente in Lateinamerika, in Osteuropa und an das Versagen der entsprechenden Politik. Für die Evaluierung bedarf es der Darstellung der eigenen Tätigkeit, der Forschungsergebnisse, der Lehrerfolge etc. Davon hängen Forschungsmittel, eigenes Einkommen, Sekretariatsmittel und Mitarbeiterstellen ab. Auch das Gehalt der Hochschullehrer, selbst die Stelle sollen zukünftig an die Ergebnisse der Evaluierung geknüpft sein. Evaluierung ist kein einmaliger Vorgang, sondern soll regelmäßig stattfinden. Sie ist als Benchmarking-Prozess angelegt. Dies bedeutet, dass der Vergleich mit jeweils Besseren nicht aufhört. Legt im globalen Wettbewerb eine Hochschule oder Forschungseinrichtung die Latte der Kennziffern höher, wird dies als Zielvorgabe verbindlich. Dies bedeutet eine Prüfung der Ursachen für den relativen "Misserfolg" und entsprechende schnelle Umbauten eines Instituts, der Forschungsausrichtung, des Personals. Studiengänge werden abgeschafft, neue eingerichtet, Wissenschaftler abgestuft oder entlassen. Dies bedeutet Unsicherheit für die WissenschaftlerInnen, die gar nicht mehr nach eigenen, langfristig angelegten Fragen arbeiten können, sondern genötigt werden, schnell auf neue Organisationsmuster, Lehrinhalte und Forschungsfragen umzuschalten, wenn sie ihre Arbeitsplätze nicht verlieren wollen. Um in der Evaluierung zu bestehen, kommt es zu einem enormen Mehraufwand, der eigens für die Evaluierung betrieben wird und mithin Ressourcen von der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit abzieht oder sie von vornherein derart strukturiert, dass sie den Evaluationsmaßstäben Rechnung trägt, damit aber die autonome wissenschaftliche Arbeit einschränkt. Die Evaluierung bedroht mithin substantiell die Möglichkeit, wissenschaftlich besonders avancierte Arbeit zu leisten - wenn Konkurrenten im eigenen Feld über die eigenen Leistungen urteilen sollen, dann vielleicht um so mehr, da sie nun mit administrativen Mitteln forschungsparadigmatische Differenzen bekämpfen können. Dies könnte nur anders sein, wenn die Spitze der Wissenschaft dadurch definiert würde, dass sie das Monopol auf Evaluierung aller anderen erhält und ihr selbst enthoben wäre - Bemühungen von Wissenschaftlern in diese Richtung gibt es schon, so dass Merkmal ihrer Exzellenz das Privileg wäre, selbst nicht evaluiert zu werden. Aber dann stellt sich erst recht die Frage: wer evaluiert die Evaluierer? Evaluierung belastet zeitlich aber auch, weil Wissenschaftler selbst für die Evaluierung ihrer Kollegen herangezogen werden. Es sei denn, es bildet sich hier eine Evaluierungsbürokratie, die mit ihrem beschränkten Verstand, der sich auf Vorurteile und formalisierte Kennziffern beruft, dann alsbald die wissenschaftliche Arbeit einschränken wird, die sich abstrakten Bewertungsmaßstäben wie z.B. der Zahl der Overheadfolien, Powerpoint-Präsentationen oder abgeschlossener Diplomarbeiten oder Veröffentlichungen nicht ganz reibungslos fügen kann.
In Fächern, die für die Naturwissenschaften und Medizin geläufigen Reputationsmechanismen nicht kennen, stellt sich die Frage nach der Spitze noch krasser. Denn vielfach ist es ja nicht die Qualität, die über Reputation entscheidet. Andere Mechanismen sind bedeutsam: die Zugehörigkeit zu einer Schule, zu einem Netzwerk, zu Zitierkartellen, die besonderen Fähigkeiten, in einem solchen Netzwerk zu agieren, also Kontakte zu knüpfen, Loyalitäten herzustellen, Einladungs- und Reputationszirkel zu schaffen. Vielfach handelt es sich in solchen Fällen um ganz extrafunktionale Fähigkeiten. Dies führt schließlich auch zu einem falschen Rekrutierungsmuster bei der Nachwuchsförderung. Es werden nicht Studierende ausgewählt, die sich vielleicht eigenbrötlerisch in bestimmte Fragestellungen verbeißen und reflektiert und wissenschaftlich anspruchsvoll sind, sondern solche, die sich darin als kompetent erweisen, ihren Professor zu unterstützen, Networking betreiben, Veröffentlichungen an den richtigen Stellen platzieren.
Aber selbst einmal angenommen, es würden die Richtigen rekrutiert. In diesem Fall würde ihnen schnell beigebracht, dass es wichtig ist, smart zu sein, ein cleverer Geschäftsmann, der im Wettbewerb bestehen muss. Wettbewerb heißt aber, sich mehr um die Vermarktung des Wissens zu kümmern als es zu erarbeiten. Öffentlichkeitswirksame Tätigkeit, künstliche Vervielfältigung von Publikationen, Drittmitteleinwerbung, Konferenzen, Gutachteraktivitäten, Management von Instituten und Mitarbeitern, leerlaufende Betriebsamkeit in Projektbesprechungen und -akquisition beanspruchen einen immer größeren Anteil der Zeit zu Lasten der Wissenschaft. Hinzu kommt die Selbstverwaltung z.B. des Budgets, was für HochschullehrerInnen bedeutet, dass sie de facto die Verwaltungsarbeit übernehmen, Rechnungen prüfen und Zahlungen tätigen müssen: vom Bleistift über Bücher bis zum Mitarbeitergehalt. Am Ende werden auch die Besten kaum noch wissenschaftlich arbeiten können, sondern sich darin verschleißen, die Arbeit anderer zu organisieren. Die Hochschulverwaltung ihrerseits verwaltet nicht mehr, sondern mit der Stärkung der Hochschulautonomie rücken die Präsidien zunehmend in die Rolle einer Lenkungseinrichtung, die Wissenschaftler und Fachbereiche sowie Forschungslinien und Profile der Hochschule autokratisch beherrschen wollen und müssen (vgl. zu entsprechenden Gesetzesänderungen Demirovic 2004). Dies führt dazu, dass die HochschullehrerInnen in der Verwaltung keine arbeitsteilige Hilfe mehr finden, sondern vielmehr noch zusätzlich gezwungen sind, ihre wissenschaftliche Arbeit gegen die Verwaltungen und Hochschulleitungen zu verteidigen, die sich in verstärktem Maße und ganz ausdrücklich zum Transmissionsriemen wirtschaftlicher Interessen in die Hochschulen verstehen.
f) Die Auswahl der Besten hat für die Studierenden, die nicht ausgewählt werden, wahrscheinlich ganz negative Folgen. Sie werden weiterhin die Last der durch die großen Zahlen an KommilitonInnen überforderten Hochschulen zu erleiden haben: Veranstaltungen mit vielen TeilnehmerInnen, überlastete HochschullehrerInnen, die sich inhaltlich kaum mehr angemessen vorbereiten können, schlechte Betreuungssituation, standardisierter Unterricht, rigide und verschulte Leistungskontrolle. Möglicherweise wird es in Deutschland - wie in den USA - zur Herausbildung prekärer Beschäftigungsverhältnisse auch bei Hochschullehrern kommen: also Lehraufträge mit umfangreichen Lehr-, Prüfungs- und Verwaltungsverpflichtungen, Einstellungen nur für die Vorlesungszeiten (wie jetzt schon in Hessen) und ohne Weiterbeschäftigungsgarantie. Für die Studierenden wird Wissenschaft gar nicht oder nur gering erfahrbar. Sie werden keine Zeit haben, sich in ein Thema näher einzuarbeiten und lediglich eine Ahnung davon bekommen, was Wissenschaft ist, ihre Erfahrung von der Hochschule und der Wissenschaft aber für das halten, was mit Wissenschaft gemeint sein soll. Dies bereitet den Boden für eine bestimmte Art von Halbbildung, die darin besteht, dass Wissen nicht mehr im Zusammenhang begriffen wird und von eigenen Erfahrungen getrennt mit den eigenen Orientierungen nicht mehr verbunden ist. Diese Studierenden werden - wie schon zur Schulzeit - auch die Universität nur als einen Ort der Selektion wahrnehmen, an dem sie sich mit welchen Mitteln auch immer durchmogeln, um die begehrten Scheine und Abschlüsse zu erhalten. Die mit Wissenschaft verbundene Erfahrung von begrifflicher Reflexion, systematischer empirischer Kenntnis und Kritikfähigkeit wird diesen Studierenden vorenthalten. Ihre Biographiebahn ist schon frühzeitig festgeschrieben. Nach einer Phase der Unsicherheit für eine wissenschaftliche Tätigkeit Feuer zu fangen, eine Fragestellung zu entwickeln, Themen systematisch zu erarbeiten, eventuell auch das Fach wechseln, weil dort eigene Fragen eher verfolgt werden - das alles, was wissenschaftlich notwendigerweise offen bleiben muss, das wird nicht oder nur gegen größte institutionelle Widerstände mit hohem finanziellen Aufwand möglich sein. Die Besten werden sich in einer solchen Normalsituation gar nicht mehr durch die Qualität ihrer Arbeit, durch ihr Interesse und Engagement herausbilden können - vielmehr werden die Besten gleich die sein, die den Zugang zu den renommierten Hochschulen, also diejenigen, die durch soziale Herkunft privilegiert sind.

Was braucht es?
Was braucht es in dieser Situation? Ein Verständnis davon, dass gute Wissenschaft nicht unter wirtschaftlichem und zeitlichem Druck entstehen kann. Wie bei allen kreativen Prozessen braucht es Zeit, genauer: einen eigenen Zeitrhythmus - es bedarf also des Geldes, deutlich mehr HochschullehrerInnen- und MitarbeiterInnenstellen, bessere Bibliotheken und Räumlichkeiten sowie technische Infrastruktur. Auch die selektive Bevorzugung einzelner Disziplinen ist kontraproduktiv; Wissenschaften allgemein und Wissenschaftlichkeit als Haltung bedürfen der Unterstützung. Wenn die Initiative und die Neugier angeregt werden soll, dann bedarf es auch der relativ stabilen Arbeitsbedingungen - nicht permanente Umstrukturierungen. Nicht allein nur in der Bundeswehr oder in vielen Unternehmen führt der Stress ständiger Veränderung ohne Ziel und Prüfung der Ergebnisse zu Verunsicherung und mangelnder Produktivität. Für die Entfaltung der Initiative der Beteiligten braucht es schließlich und vor allem einen Rahmen, der allen am wissenschaftlichen Prozess Beteiligten die Möglichkeit gibt, aktiv zu werden, ihre Erfahrungen, ihre Fragen, ihre Einwände und Thesen einzubringen. Früher einmal hat man das die Demokratisierung der Hochschulen genannt. Wenn das nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht hat, weil der Impuls in den Rangeleien von Hochschulgremien, politischem Proporz und im Standesdünkel der Hochschullehrer verödet ist, dann sollte man dennoch nicht auf neoliberale Technokratie zurückfallen, sondern es besser machen.

Literatur
Demirovic, Alex (2004): Demokratische oder autokratische Hochschule. Zur Neufassung des Hessischen Hochschulgesetzes, in: in: Forum Wissenschaft, Nr. 3, Oktober 2004.
DIHT (Hrsg.)(1996): Autonomie Wettbewerb Profilbildung. Vorschläge der Spitzenverbände der Wirtschaft zur Reform des Hochschulwesens, Bonn.
Foders, Federico (2003): Bildungspolitik für Beschäftigung und Wachstum. Deutsche Bank Research. Aktuelle Themen, 4. Juni 2003, Nr. 271 (www.dbresearch.de).
Habermas, Jürgen (1981): Vom sozialen Wandel akademischer Bildung, in: ders.: Kleine politische Schriften I-IV, Frankfurt am Main.
Keller, Andreas (2004): Auslaufmodell Juniorprofessor, in: Forum Wissenschaft, Nr. 3, Oktober 2004.
Wagner, Gert G. (2004): Kompatibilität von Hochschul- und Arbeitsmarktpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/2004.

PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 136, 34. Jg., 2004, Nr. 4